Eingliederung vor Rente – so lautet ein zentraler Grundsatz der IV. Was bedeutet dies? Wenn Sie bei der IV Leistungen beantragen, wird zuerst geprüft, ob Sie in Ihren bisherigen Beruf zurückkehren oder in einer anderen Tätigkeit Ihr Einkommen selbst verdienen können. In einer ersten Phase stehen also Berufsberatung, Umschulungskurse und Ähnliches im Vordergrund. Erst wenn die IV festgestellt hat, dass eine Erwerbstätigkeit trotz Eingliederungsmaßnahmen, Hilfsmitteln und Anpassungen am Arbeitsplatz ganz oder teilweise nicht mehr möglich ist, wird eine Rente überhaupt geprüft. Mit der fünften IV-Revision, die am I. Januar 2007 in Kraft treten soll, wird dieser Grundsatz noch verschärft. Dann soll quasi gelten: Eingliederung statt Rente (mehr dazu auf unserem Versicherung-Ratgeber).
Die Leistungen der Invalidenversicherung
• Berufsberatung und Arbeitsvermittlung
• Umschulung (selten auch berufliche Erstausbildung)
• Medizinische Maßnahmen
• Taggelder
• Renten (Hauptrente und Kinderrente)
• Abgabe von Hilfsmitteln
• Hilflosen Entschädigung
Wer sich querlegt, muss mit Folgen rechnen
Ein Wahlrecht zwischen Rente oder beruflichen Maßnahmen gibt es nie. Wer keine Lust auf berufliche Maßnahmen hat, kann die Zusammenarbeit nicht einfach verweigern, um ohne Umweg zur Rente zu kommen. Im Gegenteil: Wenn sich eine Versicherte nicht kooperativ verhält, wird die IV zuerst auf die Mitwirkungspflicht und die Folgen bei Missachtung hinweisen. Fruchtet das nichts, können die Leistungen eingestellt werden.
Beispiel: Betty B. bezieht seit ihrem Unfall vor acht Monaten Taggelder. Die IV hat nun eine eingehende medizinische Abklärung angeordnet und ihr einen Untersuchungstermin bei der MEDAS gegeben. Frau B., die der IV grundsätzlich misstraut, findet das suspekt. Sie ist der Ansicht, die Berichte ihres Hausarztes seien völlig ausreichend, und bleibt deshalb ohne weitere Begründung zu Hause. Darauf erhält sie einen neuen Termin von der IV, verbunden mit der Androhung, wenn sie nochmals nicht erscheine, werde das Taggeld eingestellt. Wohl oder übel wird sich Trau B. dem Untersuch bei der MEDAS stellen müssen.
Egal, für wie sinnlos Sie eine Maßnahme ansehen, eine Verweigerung kann unangenehme Konsequenzen haben. Selbstverständlich müssen Sie sich aber nicht einfach alles bieten lassen. Haben Sie Bedenken bezüglich gewisser Maßnahmen der IV, verlangen Sie ein Gespräch und legen Ihre Argumente ruhig dar. Schalten Sie nötigenfalls auch Ihre Hausärztin ein, wenn Sie bei der IV kein Gehör finden.
Im Zentrum: die beruflichen Maßnahmen
Die beruflichen Maßnahmen gehören zu den Kernkompetenzen der IV. Diese beschäftigt in ihren Abklärungsstellen (BEFAS) ein ganzes Heer von Berufsberatern, die mit der beruflichen Reintegration invalid gewordenen Versicherten betraut sind. Die praktische Umsetzung allerdings hinkt der gesetzlichen Vorgabe hintennach. Das liegt einerseits an den schwierigen Rahmenbedingungen auf dem Arbeitsmarkt: Geeignete Arbeitsplätze für Menschen, die nicht hundertprozentig belastbar sind, gibt es wenige; Arbeitgeber, die einen invalid gewordenen Angestellten weiterbeschäftigen, sind rar geworden. Zum Teil ist aber auch bei der IV seihst der Wurm drin – Stichworte: schleppende Bearbeitung, zu viel Bürokratie, gelegentlich mangelnde Kompetenz der Mitarbeiter oder erhebliche Personalfluktuation. Die fünfte IV-Revision will deshalb nicht nur den Grundsatz der Wiedereingliederung stärken, sondern beinhaltet auch Reformen zur besseren Umsetzung dieses Ziels.
Hinweis: Medizinische Abklärungen, Behandlungen und Therapien nach einem Unfall gehen zulasten der Unfallversicherung. Wenn keine Unfallversicherung besteht, übernimmt die Krankenkasse die Heilungskosten. Die IV muss deshalb bei Unfällen kaum einmal medizinische Maßnahmen übernehmen. Läuft ein Fall auf eine Rente hinaus, wartet die IV meist das Ende der medizinischen Behandlungen und Therapien durch die Unfallversicherung (oder die Krankenkasse) ab.
Umschulung: die wichtigste berufliche Maßnahme
Die wichtigste Aufgabe der IV‘ im Rahmen der beruflichen Reintegration ist die Evaluation und Finanzierung von Umschulungen. Es geht vor allem darum, die verlorene Erwerbsfähigkeit in einem anderen Berufsfeld wiederherzustellen. Finanziert werden deshalb nicht alle möglichen Kurse, sondern nur eine Umschulung, welche die vorhandenen beruflichen Ressourcen wesentlich verbessert. Das kann beispielsweise auch ein Deutschkurs für eine Ausländerin mit schlechten Sprachkenntnissen sein. Beispiel: Ein 22-jähriger ausgebildeter Gärtner ist nach einem Autounfall körperlich nicht mehr in der Lage, seiner früheren Tätigkeit nachzugehen. Die IV übernimmt nach verschiedenen Abklärungen die Ausbildung zum Metallwarenverkäufer. Das heißt für den Versicherten, dass er nochmals eine Lehre absolvieren muss. Die IV bezahlt ihm für die Dauer der Lehre die Differenz zwischen dem Lehrlingslohn und seinem früheren Einkommen als Gärtner.
Karrieremöglichkeiten, die auch ohne Invalidität nicht bestanden hätten, finanziert die IV nicht. Übernommen werden nur Umschulungen in einen Beruf, der gleichwertig mit der früheren Tätigkeit ist.
Urteil: Die Gerichte hatten in zwei verschiedenen Fällen über die Einschulung von invalid gewordenen Maurern zu urteilen. Der eine verlangte die Umschulung zum Berufspiloten (mit Aussicht auf ein doppelt so hohes Einkommen wie vorher). Der andere wollte eine Ausbildung besuchen, die zu einem internationalen Managementdiplom geführt hätte. Beide Umschulungswünsche wurden vom Gericht abgewiesen. Akzeptiert und bezahlt wurden dagegen die Umschulung einer kaufmännischen Angestellten zur Sozialarbeiterin sowie eines Radio- und Fernsehelektrikers zum Damen Coiffeur.
Hat ein Verunfallter noch keine Ausbildung abgeschlossen, nützt ihm eine Umschulung wenig, ln solchen Fällen beteiligt sich die IV auch an einer Erstausbildung und übernimmt zusätzliche Kosten, die wegen der Invalidität entstehen. Das kommt aber relativ selten vor.
So verhalten Sie sich richtig
Manchmal haben der Berufsberater und die Sachbearbeiterin der IV andere Ideen als Sie. Lassen Sie sich deswegen nicht entmutigen. Bereiten Sie sich für die Gespräche bei der Abklärungsstelle so gut wie möglich vor. Vor allem die ersten Besprechungen beim IV-Berufsberater sind wichtig, denn hier werden die Weichen gestellt.
Machen Sie sich vor dem ersten Gespräch selbst Gedanken zu Ihrer beruflichen Zukunft. In welcher Richtung möchten Sie gehen? Wo liegen Ihre Stärken? Denken Sie auch an Fähigkeiten und Kenntnisse, die Sie bisher im Beruf nicht eingesetzt, aber vielleicht in einem Hobby vertieft haben.
Dem Faktor Zeit kommt bei der Eingliederung eine große Bedeutung zu. Je länger jemand von der Berufswelt ausgeschlossen ist, desto schwieriger wird es, im Arbeitsleben wieder Fuß zu fassen. Wenn Sie der Meinung sind, dass Sie mit etwas Hilfe und einer Umschulung Ihren Lebensunterhalt wieder selber verdienen könnten, drängen Sie bei der IV auf eine rasche Behandlung Ihres Falles. Beantragen Sie selber, dass eine Berufsberatung durchgeführt wird. Allzu große Hoffnungen sollten Sie sich allerdings nicht machen. Die Erfahrung zeigt leider, dass die Abklärungen der IV oft langwierig und wenig erfolgreich sind. Und auch eine Umschulung garantiert bei der heutigen Arbeitsmarktlage noch keine Stelle.
Tipp: Wenn Sie im Umgang mit der IV Hilfe brauchen, können Sie sich an eine Behindertenorganisation wenden, zum Beispiel an die Pro Irmis oder die Schweizerische Arbeitsgemeinschaft zur Eingliederung Behinderter SAEB.
Taggelder während der Eingliederung
Die Abklärungen der IV dauern, meist mehrere Jahre lang. In dieser Zeit muss das wirtschaftliche Überleben der Versicherten gewährleistet sein. Und auch während einer Umschulung verdienen die Betroffenen meist nichts. Hier kommen die Taggelder zum Zug.
Nach einem Unfall bezahlt meist zuerst die Unfallversicherung Taggelder. Dann ist die IV nicht auch noch leistungspflichtig. Wenn aber die IV berufliche Maßnahmen durchführt, stellt die Unfallversicherung ihre Zahlungen ein und die IV übernimmt. Braucht es nach Abschluss der Abklärung oder Umschulung weiterhin Taggelder, ist wieder die Unfallversicherung zuständig.
Achtung: Vergewissern Sie sich, dass die Unfallversicherung rechtzeitig über das Ende der Taggeldleistungen der IV orientiert wird. Oder informieren Sie Ihren Sachbearbeiter beim Versicherer gleich selbst. Sonst besteht das Risiko, dass die IV die Taggelder einstellt, während die Unfallversicherung ihre Zahlungen immer noch sistiert hat.
Nicht alle Verunfallten haben eine Unfallversicherung, welche Taggelder bezahlt. Und manchmal muss man bei der IV warten, bis die Abklärungen anlaufen oder bis ein Lehrgang beginnt. In dieser Zeit haben die Versicherten Anspruch auf sogenannte Wartetaggelder. Diese erhält man aber nicht automatisch, sondern muss sie ausdrücklich beantragen.
Wie hoch ist das Taggeld der IV?
Die IV kennt zwei Arten von Taggeldern: das groß und das kleine Tag Geld.
• Anspruch auf das große Taggeld hat, wer zu Beginn der Invalidität erwerbstätig war und nun in eine Umschulung kommt. Es beträgt 80 Prozent des zuletzt erzielten Einkommens (2007 mindestens 88 und höchstens 233 Franken pro Tag). Dazu kommen Zuschläge für die Kinder.
• Das kleine Taggeld erhält, wer minderjährig (also noch nicht 18) und nicht erwerbstätig ist oder sich in der Erstausbildung befindet. Es bewegt sich zwischen knapp 30 und 88 Franken pro Tag.
Besser fahren Sie unter Umständen, wenn Sie bereits ein Taggeld der Unfallversicherung bezogen hängen. Der maximale Betrag liegt mit 293 Franken höher, zudem haben viele Arbeitgeber den ganzen Lohn versichert und nicht bloß 80 Prozent. Hier gilt die Besitzstandswahrung: Das Taggeld der IV darf nicht tiefer sein als das der Unfallversicherung.