Es gibt Schlimmeres als den Tod. Wer schon einmal einen Abend mit einem Versicherungsvertreter zugebracht hat, wird wissen, was ich meine. (Woody Allen)
Ein guter Vertreter lässt keine Tür aus, so lautet ein Vertreterspruch. Im Grunde werden Versicherungen verkauft wie Staubsauger. Der einzige Unterschied ist, dass der Teil Vorführung wegen der Unsichtbarkeit der Ware entfällt. Dafür werden dann Verspre-
Jagdszenen aus dem Vertreterleben
Nur noch die Polizei konnte einen Versicherungsvertreter in einer kleinen Stadt im Odenwald retten, meldete die Nachrichtenagentur AP im April 1994. Eine aufgebrachte Menschenmenge wolle ihn lynchen, sagte der Mann den Polizisten. An einen Baum war bereits eine Schlinge geknüpft. Der 25jährige hatte offenbar zahlreiche Bürger mit Verträgen geprellt und in betrügerischer Absicht auf fremden Namen Waren bestellt. Dem Mann sei es offensichtlich schwergefallen, die Polizeiwache wieder zu verlassen, da er panische Angst vor seinen Mitbürgern hatte, teilten die Darmstädter Behörden mit. Nach wenigen Minuten sei die wütende Menge wieder erschienen. Doch die Polizisten konnten die aufgebrachten Leute wieder beruhigen und zur Besonnenheit mahnen.
chungen gemacht. Jeder Abschluss ist daher von Sympathie und Vertrauen abhängig. Die meisten Versicherten setzen immer noch blind ihre Unterschrift unter den vom Vertreter ausgefüllten Antrag – und zahlen so für überflüssige Produkte gleich mit. Umfragen zeigen denn auch, dass die Bundesbürger Versicherungsvertreter zwar für überwiegend unseriös halten, ihren Vertreter jedoch hochschätzen. Wen wundert’s, schließlich haben sie ja bei ihm unterschrieben. Die Verkaufstechnik-Trainingsprogramme sind bei allen Gesellschaften verschieden. Vor allem Strukturvertriebe stellen dabei deutlich die Rhetorik vor die qualifizierte Beratung. Die künftigen Vertreter bekommen dazu vorgefertigte Verkaufsgespräche für die jeweilige Sparte vorgelegt und müssen diese wie Schauspieler auswendig lernen. Teilweise werden sogar mögliche Zwischenfragen mit vorbereiteten Antworten versehen. Wichtig ist auch eine geschickte Fragetechnik. Der erfolgreichste Weg zum Kunden führt über das Telefon. Unangemeldete Besuche gelten als wenig lohnend. Das Telefon spart Zeit und Reisekosten. Dabei sagen die Vertreter einen ausgefeilten Standardspruch auf, haben auf Einwände vorbereitete Antworten und fragen zum Schluss, ob es dem Angerufenen am Dienstag oder am Freitag besser passt.
Dann steht der Vertreter vor der Tür. Auch bei ihm beginnt der Erfolg mit dem richtigen Outfit. Dem Kunden sollen fremdartige, ungewohnte und damit verdächtige oder sogar bedrohliche Reize erspart werden, heißt es in einem Ratgeber für Verkaufstechnik. Unaufdringlich und unauffällig ist die Devise. Vertrautes soll das Vertrauen des Kunden wecken. Verkaufsratgeber beginnen schon mit dem Klingeln oder Klopfen. Man klopft drei Schläge mit dem Knöchel des Zeigefingers oder mit dem Klopfer, falls vorhanden – mit mittlerem Kraftaufwand. Beim Klingeln wird bis drei gezählt. Dann tritt der gewiefte Vertreter einen Schritt zurück, damit der Kunde ihn besser sieht und nicht das Gefühl hat, dass ihm jemand auf die Pelle rückt.
Beim unangemeldeten Versicherungsvertreter entscheidet nun die nächste Minute. Zunächst sagt er seinen Namen: Guten Tag, mein Name ist Meier. Willi Meier von der Pfeffermintia. Danach erkundigt er sich nach seinem Gegenüber: Sind Sie Herr X? Achten Sie mal darauf, wie sich der Vertreter im Wohnzimmer setzt: Ein Rechtshänder wird sich immer rechts vom Kunden setzen und am liebsten über Eck. Das Klappern mit dem Sargdeckel ist vorbei. Mögliche Negativereignisse wie Unfälle oder Todesfälle werden allenfalls dezent erwähnt, da sie den Kunden eher verschrecken als zum Abschluss auffordern. Versicherungsvertreter versuchen daher lieber, das Kollektiv- und Geltungsstreben auszunutzen: Der Nachbar habe sich versichert, jüngst ein Kunde hätte dies auch gesagt, sich dann aber überzeugen lassen, und als verantwortlicher Familienvater müsse man doch. Das Wort Versicherung wird ebenfalls meist vermieden, weil die Vertreter wissen, dass es abschreckt. Der Vertreter will denn auch beraten und hat ein paar Tips.
Er redet also zunächst von den Interessen des Kunden, über das Wetter oder auch gemeinsame Bekannte. Er erkundigt sich nach Hobbies, lobt Einrichtung der Wohnung oder Tätigkeiten des Kunden und will Sympathie erzeugen. Irgendwann spricht er dann von Plänen zum Sparen, Kapitalaufbau oder Sicherheit. Gerade Sicherheit gilt nach der Bedürfnispyramide des Psychologen Maslow als zweitwichtigstes menschliches Bedürfnis. Ein so netter Mann kann schließlich keine schlechten Produkte verkaufen, denkt das Gegenüber, und eigentlich wäre so ein Schutz ja gar nicht verkehrt. Und schon kann der Vertreter den Antrag zücken, von freundlichen Worten begleitet, ausfüllen, und die Unterschrift fällt, wie es in der Vertretersprache heißt. Eine der derzeit beliebtesten Methoden ist die telefonische Vereinbarung eines sogenannten Beratungstermins. Der findige Vertreter schlägt vor, einmal ganz unverbindlich einen Blick auf die Versicherungen zu werfen, und wirbt mit seinem Computerprogramm und einer maßgeschneiderten Analyse. Im Wohnzimmer angekommen, rechnet er ein wenig herum, schüttelt vielleicht den Kopf angesichts der einen oder anderen Police und preist unauffällig seine eigene Gesellschaft. Der Vertreter wird immer Versicherungslücken entdecken. Doch dafür gebe es ein besonderes Angebot
Die Maslowsche Bedürfnispyramide (vereinfacht)
Pic 1
seiner eigenen Versicherung, die als besonders seriös und kulant bekannt sei. Der Service sei bestens, bei Problemen sei man immer erreichbar, auch privat. Die Methode ist einfach: Erst verunsichern, dann versichern. Oft hat der Vertreter auch noch den Nachdruck eines Verbrauchertests oder Kopien von Zeitungsartikeln dabei. Jede Versicherung hat ein Bonbon zu bieten, bei dem sie besonders günstig ist. Das Bonbon gilt als Türöffner, um danach weitere Versicherungen abzuschließen.
Tip: Der angebliche Vorteil des Alles aus einer Hand
Nach einer Faustregel der Versicherungsgesellschaft hat je-der Versicherte seine Risiken bei vier Gesellschaften versichert. Dennoch scheuen sich viele Versicherte, ihre Policen für Auto, Hausrat und Haftpflicht bei jeweils einem anderen Versicherer abzuschließen. Die Vertreter behaupten gerne, es bringe viele Vorteile, alle Versicherungen bei einer einzigen, nämlich seiner Gesellschaft abzuschließen. Manchmal wird sogar mit einem kleinen Rabatt gelockt. Doch die Mär stimmt allenfalls begrenzt: Vielleicht zeigt sich die Gesellschaft tatsächlich zumindest bei Kleinschäden etwas großzügiger, doch spätestens bei größeren Summen hört die Kulanz auf. Im übrigen sind die Versicherungsbedingungen meistens recht eindeutig, so dass jede Gesellschaft zahlen müsste. Der Kunde, der sich bei nur einer Gesellschaft versichert, kann sicher sein, zu viel für seinen Schutz zu zahlen. Keine Versicherung ist in allen Sparten die günstigste, sondern kommt dem Außendienst entgegen, indem sie bestimmte Sparten sehr preisgünstig kalkuliert. Mit diesen Lockvogelangeboten in der Hand kann der Vertreter oft auch die teuren Versicherungen vermitteln. Dem Kunden ist daher zum Rosinenpicken zu raten, es sei denn, die Preisunterschiede zu seiner Hauptversicherung sind wirklich gering.
Die Mischkalkulation gleicht mögliche Verluste wieder aus. Auf Kundenfragen nach günstigeren Produkten ist der Einfirmenvertreter bestens vorbereitet und spricht davon, dass die Gesellschaft eben teurer ist, weil sie viel kulanter sei als die Konkurrenz, oder aber dass bei allen großen Gesellschaften das Produkt so viel kostet. Außerdem sei die Schadenregulierung beim eigenen Unternehmen wesentlich schneller, und die Versicherung enthalte besondere Leistungen (auch wenn die Tarife immer noch bei allen Gesellschaften weitgehend identisch sind). Ist der Damm erst einmal gebrochen und der Kunde zu einer Unterschrift bereit, heißt es für den Vertreter schnell handeln, bevor sich der Kunde alles anders überlegt. Beim Ausfüllen des Antrags werden viele Versicherungen über einen impulsiven Bedarf verkauft. Bei der Kraftfahrzeug-Haftpflichtversicherung fragt der Vertreter dann ganz nebenbei, ob man denn auch die Insassen versichern wolle, und bei Nicken des Kunden ist schon ein Kreuzchen bei der überflüssigen Versicherung gemacht. Reisebüros verkaufen auf diese Weise ganz nebenbei eine Reiseversicherung für Gepäck und Reiseantritt. Zum Abschluss wird der Vertreter Sie fragen, ob Sie nicht noch zwei bis drei weitere Freunde und Bekannte haben, die an einem so guten Angebot interessiert sein könnten. Tun Sie ihm den Gefallen nicht: Der Vertreter wird Ihren Namen als Türöffner benutzen, und Ihr Freund könnte nach dem Besuch einmal Ihr Freund gewesen sein. Wenn die Versicherung wirklich so gut ist, können Sie Ihrem Freund privat einen Tip geben.
Aus dem Vertreterjargon
Ahnenforschung: Der Vertreter versucht vom Kunden An-schriften von Angehörigen herauszukriegen, um über die Empfehlung neue Werbemöglichkeiten zu haben. Rosinenadresse: Die Anschrift eines Kunden, bei dem ein Abschluss sehr wahrscheinlich ist. Friedhofsadresse: Adresse, von der anzunehmen ist, dass kein Abschluss zustande kommt. Oder die Adresse stimmt nicht. Türklinke oder Türöffner: Vorwand oder Grund, um bei einem Kundenbesuch leichter in Wohnung und Wohnzimmer zu kommen. Leicht fällt dies bei Kunden, die bereits eine Versicherung bei der Gesellschaft abgeschlossen haben: Mit der Aussage, dem Kunden schnell einmal die angesammelten Gewinne der Lebensversicherung auszurechnen, macht sich der Vertreter den Weg frei, bringt eine gute Nachricht und hofft, darüber einen guten Abschluss zu erreichen. Aufhänger: Das Argument, an dem der Vertreter sein Verkaufsgespräch aufhängt oder aufbaut. Ausspannung: Manchmal lösen Vertreter schon bestehende Versicherungen, um ihre eigene Versicherung zu verkaufen. Tränenverkäufer: Ein Vertreter, der bei seinen Kundenbesuchen auf die Tränendrüse drückt und beispielsweise beim Verkauf einer Lebensversicherung Schreckensbilder von Tod, Beerdigung, mittellosen Hinterbliebenen und weinenden, unversorgten Kindern ausmalt. Diese Verkaufsmethode gilt in der Branche als wenig erfolgversprechend, weshalb der Name Tränenverkäufer auch auf Verkäufer mit sehr schlechten Verkaufsergebnissen angewandt wird. Reißer: Vertreter, die viele Versicherungen vermitteln, deren Methoden jedoch zweifelhaft sind und deren Verträge oft gekündigt werden.
Klinkenputzer: Vertreter, die von Tür zu Tür gehen.
Papiersoldaten: Vertreter, die zwar als solche geführt werden, die aber keine oder nur selten Versicherungen vermitteln. Sie werden auch Karteileichen genannt. Schädling: Mitarbeiter in der Schadensabwicklung. Bedarfer: Der Kunde. Neinsager: Die unbeliebtesten Kunden der Vertreter. Sie sagen zu allem und jedem erst einmal Nein. Der Versuch der Überzeugung gilt als hoffnungslos. Jasager: Noch weniger beliebt als Neinsager, da sie zu allem ja sagen mit dem Ziel, den Verkäufer schnell wieder loszuwerden. Die eventuell unterschriebenen Anträge werden hinterher wieder gekündigt.
Kolonnenwerbung: Mehrere Vertreter werden morgens mit einem Kleinbus in einen Ort oder Stadtteil gebracht und kämmen ihn durch. Abends treffen sie sich in einer Gaststätte zur Ergebnisbesprechung und der Planung des nächsten Tages. Im Paket verkaufen: Verkaufsregel, nach der es leichter ist, mehrere Versicherungen durch einen umfassenden Versicherungsschutz mit einem Beitrag zu verkaufen, als erst eine Hausratversicherung, dann eine Haftpflichtversicherung und danach noch eine Berufsunfähigkeitsversicherung. Das wird dem Kunden zu viel. Seine Witwe anpumpen: Beleihung einer Lebensversicherung, die doch eigentlich für die Versorgung von Witwe und Hinterbliebenen gedacht ist. Sich in die Schuhe des Kunden stellen: Gute Verkäufer versetzen sich in die Lage des Kunden. Spuren hinterlassen: Prospekte und Visitenkarte werden beim Kunden gelassen. Mit dem langen Messer arbeiten: Der Kunde wird ohne Rücksicht auf seine wirtschaftliche Lage hoch versichert, um hohe Provisionen zu kassieren. Ringeltaube: Das Schönste im Vertreterleben: zufälliger oder unerwarteter Abschluss einer größeren Versicherung mit hoher Provision für den Vertreter.