Mobilität wird groß geschrieben, trotz der Gefahren im Straßenverkehr will kaum jemand auf sein Motorfahrzeug verzichten. Diese Attraktivität ändert aber nichts daran, dass durch den Betrieb eines Motorfahrzeugs (Auto, Motorrad) unfassbare Energien entfesselt werden. Viel-leicht wurden Sie selbst schon einmal Zeuge, wie ein Fußgänger von einem Auto selbst bei geringer Aufprallgeschwindigkeit wie ein Zünd-Holz durch die Luft geschleudert wird. Das demonstriert eindrücklich das stets vorhandene Risiko für Leib und Leben der Anderen – vor allem der motorisierten – Verkehrsteilnehmer.
Hinweis: Mehr Informationen zum Thema Straßenverkehr finden Sie im Beobachter-Ratgeber Meine Rechte im Straßenverkehr – Alles, was Automobilisten, Zweiradfahrer und Fußgänger wissen müssen (beobachtet*ch/buchshop )
Betriebsgefahr: Der Halter haftet immer
Als Ausgleich zur Gefahr, die der Betrieb eines Motorfahrzeugs mit sich bringt, wurde im Gesetz die Haftung des Halters als scharfe Kausal-haftung ausgestaltet: Sobald durch den Betrieb eines Autos oder Motorrads ei n Schaden entsteht, hat sich die Betriebsgefahr verwirklicht und die Haftpflicht des Halters tritt ein. Ein Verschulden des Fahrers ist nicht erforderlich und er kann sich auch nicht damit entschuldigen, dass er nichts falsch gemacht habe.
Hinweis: Nicht für die Betriebsgefahr haften Velofahrerinnen und Motorradfahrer sowie die Fußgänger. Sie stellen keine vergleichbare Gefahr für die anderen Verkehrsteilnehmer dar und haften deshalb normal, das heißt, nur wenn ihnen ein Verschulden nachgewiesen werden kann.
Betrieb und Nichtbetrieb
Die scharfe Kausalhaftung besteht nur, wenn sich das Motorfahr 7eug in Betrieb befindet. Ist es nicht in Betrieb, geht von ihm keine besondere Gefahr für die anderen aus. Dann haftet auch die Autohalterin nur, wenn ihr ein Verschulden vorgeworfen werden kann.
Wann aber befindet sich ein Fahrzeug in Betrieb? Einfach gesagt: Immer dann, wenn es mit der Kraft des Motors in Bewegung ist. Steht das Auto still, gilt es im Allgemeinen als nicht in Betrieb, auch wenn der Motor läuft.
Beispiel: Igor R. hat sein Auto am Straßenrand in eine Lücke parkiert. Er öffnet die Tür, um auszusteigen. Dabei übersieht er Monika D., die auf ihrem Velo von hinten gefahren kommt. Frau D., die gerade ihrer Freundin auf dem Trottoir zuwinkt, sieht das Hindernis zu spät, kann nicht mehr ausweichen und kollidiert mit der offenen Autotür. Weil sich der Wagen nicht in Betrieb befindet, haftet Igor R. nur für den Fehler, dass er beim Öffnen der Tür nicht genügend nach hinten gesehen hat. Auch Monika D. muss sich ihre Unaufmerksamkeit als Verschulden anrechnen lassen. Ohne Winken hätte sie noch erkennen können, dass sich vor ihr eine Autotür öffnet, und hätte ausweichen können. Die beiden müssen je für ihren Fehler einstehen und der Schaden wird auf geteilt.
Anders ist die Situation, wenn Igor R. mit seinem Wagen aus der Parklücke hinausfahren will und es bei diesem Manöver zur Kollision kommt. Dann muss er den ganzen Schaden allein bezahlen, weil ihm die Betriebsgefahr des Autos zusätzlich zu seiner Unvorsicht angerechnet wird. Daran ändert nichts, dass Monika D. zu wenig konzentriert war und ohne Winken noch hätte ausweichen können. Selbst wenn man die beiden Fehler gegeneinander aufrechnet, bleibt immer noch die Betriebsgefahr. Igor R. zahlt deshalb alles.
In besonderen Fällen können allerdings auch stehende Autos in Betrieb sein, nämlich dann, wenn die technischen Einrichtungen des Fahrzeugs den Schaden verursachen. So befand sich nach Ansicht des Bundesgerichts ein vor geschlossenen Bahnschranken stehendes Auto – selbst bei abgestelltem Motor — in Betrieb. Weil die Scheinwerfer als technische Einrichtung des Autos einen anderen Verkehrsteilnehmer blendeten, sei es zum Unfall gekommen. Ähnlich verhält es sich, wenn der Motorenlärm eines stehenden Autos ein Pferd so erschreckt, dass es den Reiter abwirft. Nicht mehr auf die Betriebsgefahr zurückzuführen ist dann allerdings – und auch dieser Fall ging bis vor Bundesgericht – das Einklemmen der Finger beim Zuschlägen der Autotür, ganz unabhängig davon, ob der Motor läuft oder nicht.
Halter heißt nicht Lenker
Für den Schaden, den ein Motorfahrzeug angerichtet hat, haftet der Halter. Nun ist aber der Halter genauso wenig immer der Fahrzeuglenker, wie der Gärtner immer der Mörder ist. Trotzdem muss er, im Gegensatz zum Gärtner, auch dann den Kopf hinhalten, wenn er nichts getan hat. Sind Sie selber Fahrzeughalter, ist es also nicht ganz ohne Risiko, ihr Auto auszuleihen. Baut der Kollege nämlich einen Unfall, haften Sie. Ihre Motorfahrzeughaftpflichtversicherung muss zahlen und das führt für Sie zu höheren Prämien.
Als Halter eines Fahrzeugs gilt diejenige Person, der es gehört, die es meistens benützt und die Kosten dafür bezahlt. In der Regel stimmen der Halter und die im Fahrzeugausweis eingetragene Person rechtlich überein. Ausschlaggebend sind aber immer die konkreten Verhältnisse. Es nützt also nichts, einen Strohmann im Fahrzeugausweis eintragen zu lassen. Man ist rechtlich trotzdem der Halter.
Urteil: Eine Frau kam mit dem Sportwagen ihres Freundes wegen einer kleinen Unaufmerksamkeit von der Autobahn ab und verletzte sielt schwer. Obwohl sie einen Wagenschlüssel besaß und das Auto an 10 bis 15 Tagen pro Monat benützte, wurde sie nicht als Mithelferin an-gesehen. Entscheidend war das kleine Detail, dass sie den Sportwagen nur fahren durfte, wenn der Freund selbst ihn nicht brauchte. Seme Motorfahrzeughaftpflich-Versicherung musste deshalb für den Schaden aufkommen, den die Frau beim Unfall erlitten hatte.
Obligatorische Haftpflichtversicherung und direktes Forderungsrecht
Die schärfste Kausalhaftung nützt nichts, wenn der Haftpflichtige dann nicht zahlen kann. Deshalb besteht für Halter von Motorfahrzeugen ein Versicherungsobligatorium. Um den Wagen oder das Motorrad in Verkehr setzen zu können, müssen sie nachweisen, dass sie eine Haftpflichtversicherung abgeschlossen haben. Ohne gibt es keine Auto-nummer. Die Versicherungsdeckung muss mindestens fünf Millionen Franken betragen – das reicht auch bei schweren Invaliditätsfällen. Wer von einem Motorfahrzeug verletzt wird, kann also wenigstens damit rechnen, dass der Schaden finanziell gedeckt ist. Eine zweite Erleichterung für Opfer eines Verkehrsunfalls ist das direkte Forderungsrecht gegenüber der Motorfahrzeugversicherung. Das heißt: Sie können ihren Schadenersatz direkt bei der Haftpflichtversicherung des Halters einfordern. Ob dieser damit einverstanden ist oder nicht, spielt keine Rolle. Es kann auch nicht passieren, dass Sie zum Opfer von Versicherungsstreitigkeiten werden. Selbst bei Grobfahrlässigkeit des Unfallverursachers – zum Beispiel bei Fahren in angetrunkenem Zustand – darf der Versicherer seine Leistungen nicht kürzen, sondern muss Ihren ganzen Schaden übernehmen. Zwar wird er anschließend auf den Versicherungsnehmer regressiveren und einen Teil des Geldes wieder zurückholen. Das kann Ihnen aber egal sein, Ihr Schaden ist auf jeden Fall gedeckt.
Beispiel: Wenn der Halter nicht bekannt ist
Monika S. fährt mit dem Fahrrad auf einer engen Straße. Ein rasch heranbrausender Autofahrer überholt sie trotz Gegenverkehr. Dabei touchiert er Frau S. und sie stürzt. Bevor sie sich aufrappeln kann, ist der Wagen in der Dämmerung verschwunden. Die Autonummer hat sic nicht erkannt. Frau S. hat sich die ganze rechte Seite geprellt und das Handgelenk verstaucht, die Kleider sind zerrissen, das Fahrrad ist verbogen. Muss sie nun alles selber bezahlen?
Fahrerflucht ist eine üble Sache. Immerhin sind aber die Rechte der Geschädigten abgesichert. Der Nationale Garantiefonds (NFG), den die Versicherer äufnen müssen, deckt auch Schäden mit anschließender Fahrerflucht. Eine kleine Einschränkung besteht bei Sachschäden: Dort wird ein Selbstbehalt von 1000 Franken erhoben. Monika S. wird deshalb die zerrissenen Kleider und den Schaden am Fahrrad selbst bezahlen müssen. Doch für die Arztbehandlungen und weitere Kosten aus der Körperverletzung kommt der NGF auf.
Velovignette – Haftpflichtversicherung für Radfahrer
Verbreitet ist die Ansicht, dass die Velovignette eine Unfallversicherung für den Radfahrer und die Radfahrerin sei. Das ist falsch. Die Velovignette ist eine obligatorische Haftpflichtversicherung. Sie stellt sicher, dass genügend Geld da ist, wenn ein Radfahrer einen Unfall verursacht hat. Insofern ist die Vignette auch ein Schutz für Sie als Velofahrer. Kollidieren Sie beispielsweise mit einer Fußgängerin, weil Sie zu wenig aufmerksam waren, kann Sie das sehr teuer zu stehen kommen – wenn Sie nicht versichert sind. Es ist also nicht nur äußerst riskant, sondern auch verantwortungslos, ohne gültige Vignette mit dem Fahrrad unterwegs zu sein. Sie riskieren bei einem Unfall rieht nur Ihre eigene Zukunft, sondern auch die des Unfallopfers. Darum: Unbedingt jedes Jahr die Vignette rechtzeitig erneuern!
Tipps:
• Auch Schäden, die durch nicht versicherte Fahrzeuge verursacht werden, können Sie beim Nationalen Garantiefonds anmelden (Adresse im Anhang).
• Können Sie die Autonummer des Unfallverursachers noch erkennen, ist er auffindbar. In einigen Kantonen können Sie unter einer gebührenpflichtigen Telefonnummer nachfragen, andere führen das Verzeichnis der Fahrzeughalter öffentlich im Internet, wieder andere geben gar nichts bekannt. Was immer zum Ziel führt, ist eine Anzeige bei der Polizei mit Angabe des Kennzeichens.
So verhalten Sie sich richtig nach einem Verkehrsunfall
Der Schreck ist auch bei einem kleineren Knall da. Was tun? Das Wichtigste: Behalten Sie trotz der Aufregung einen möglichst klaren Kopf. Fühlen Sie sich von der Situation überforciert, zögern Sie nicht, die Polizei zu rufen. Wenn jemand beim Unfall verletzt wurde, sind Sie dazu sowieso verpflichtet. Die Polizei nimmt einen Rapport auf mit allem wichtigen Angaben, die Sie für die Durchsetzung Ihrer Ansprüche benötigen: Unfallskizze, eventuell Fotos vom Unfallort und von den Fahrzeugen, Befragung der Unfallbeteiligten und der Zeugen, Adressen, der Haftpflichtversicherungen.
Das europäische Unfallprotokoll
Ohne Polizei müssen Sie selbst dafür sorgen, dass Sie Ihren Schaden später ersetzen erhalten. Dazu ist das europäische Unfallprotokoll ein nützliches Hilfsmittel. Füllen Sie das Formular aus und lassen Sie es auch vom Unfallgegner unterschreiben.
Tipp: Das europäische Unfallprotokoll gehört in jedes Auto. Normalerweise erhalten Sie es von Ihrem Versicherer zusammen mit der neuen Police. Wenn nicht, können Sie bei Ihrer Motorfahrzeughaftpflichtversicherung gratis ein paar Exemplare bestellen.
Lassen Sie sich vom Unfallgegner nicht dazu verleiten, auf das Ausfüllen des Protokolls zu verzichten. Mündliche Zusicherungen, man wer-de den Schaden selbstverständlich bezahlen, sind nicht zuverlässig. Manche Leute haben ein erstaunlich kurzes Gedächtnis, was solche Versprechen betrifft. Und selbst wenn’s der Unfallgegner ehrlich meint – ob sich seine Versicherung an das Schuldzugeständnis hält, ist eine andere Frage. Auch wenn sich die Unfallbeteiligten über Hergang und Schuld einig sind, sind die Versicherer an Zusagen ihres Versicherungsnehmers nicht gebunden und können die Übernahme des Schadens verweigern. Können Sie jedoch den Sachverhalt mit einem Protokoll genau nachweisen und haben Sie die Adressen der Zeugen notiert, wird es für den Versicherer sehr schwierig, sich der Zahlungspflicht zu entziehen.
Wenn Menschen verletzt werden – Polizei beiziehen
Wird beim Unfall jemand verletzt, muss die Polizei von Gesetzes wegen beigezogen werden. Sie nimmt den Fall auf und wird Ihnen, wenn Sie verletzt sind, ein Formular aushändigen, das Sie über Ihre Rechte als Unfallopfer aufklärt und eine Liste mit Beratungsstellen enthält. Lassen Sie sich auf keinen Fall dazu überreden, einen Unfall mit Verletzten ohne Polizei zu regeln. Liegt später kein Polizeirapport vor, kann das zu Problemen bei der Schadenserledigung führen. Als Geschädigter tragen Sie nämlich die Beweislast. Wenn Sie nicht beweisen können, dass der andere den Unfall verursacht hat, erhalten Sie keinen Schadenersatz. Denken Sie auch daran, dass bei einer Arbeitsunfähigkeit der Arbeitgeber informiert werden muss. Veranlassen Sie, dass er nach drei lagen ein Arztzeugnis erhält.
Achtung: Sobald sich zeigt, dass die Arbeitsunfähigkeit mehrere Monate dauern wird, oder sich sogar ein Dauerschaden abzeichnet, lassen Sie sich unbedingt rechtlich beraten. Warten Sie auf keinen Fall jahrelang, bevor Sie den Gang zu einer Beratungsstelle oder einem Anwalt antreten. Im Straßenverkehr verjähren die Ansprüche nämlich nach zwei Jahren. Warten Sie zu lange, riskieren Sie den Verlust aller Ansprüche!
Sonderfall Schleudertrauma
Ein Schleudertrauma ist eine heimtückische Sache. Zum einen können auch eher harmlose Unfallereignisse zu Mikroverletzungen der Nervenfasern im Halswirbelbereich führen. Zum anderen treten die Beschwerden meist erst Stunden oder gar Tage nach dem Unfall auf. Erste Symptome sind Nacken- und Kopfschmerzen, Muskelverspannungen im Nacken- und Schulterbereich, die mit der Zeit stärker werden. Später werden diese Symptome meist begleitet von Konzentrations- und Gedächtnisstörungen, rascher Ermüdbarkeit, Leistungsabfall. Hinzu kommt, dass bei vielem Schleudertrauma mit den heutigen medizinischen Methoden keine Verletzungen nachgewiesen werden können. Dann ist rasch einmal von Simulantentum die Rede und die Versicherung versucht möglicherweise, sich ums Zahlen zu drücken.
Tipps:
• Die medizinische und rechtliche Beratung bei einem Schleudertrauma ist wichtig, aber nicht alle Anwälte und Ärztinnen kennen sich damit aus. Suchen Sie frühzeitig fachkundige Hilfe, zum Beispiel beim Schleuder Trauma verband oder bei Opferberatungsstellen, und ziehen Sie allenfalls eine Anwältin bei.
• Wichtig ist, dass gerade im frühen Stadium des Schleuder trau mas alle therapeutischen Möglichkeiten zur Verfügung stehen. Je schneller mit den richtigen Therapien begannen wird, umso besser sind die Erfolge. Melden Sie sich, wenn Sie die typischen Symptome verspüren, rasch bei Ihrer Hausärztin an.
Checkliste: Was tun nach einem Verkehrsunfall?
Sofort | □ Polizei beiziehen |
(am Unfallort oder innert | (obligatorisch bei Körperverletzung) |
3 bis 5 Tagen) | □ Adresse und Autokennzeichen des Unfall- |
Verursachers notieren | |
□ Adresse der Zeugen notieren | |
□ Namen der Polizisten notieren | |
□ Wenn kein Polizeiprotokoll aufgenommen wird: | |
Unfallprotokoll ausfüllen | |
□ Schaden und Unfallort fotografieren (Handycam!) | |
□ Meldung an Arbeitgeber bei Arbeitsunfähigkeit | |
□ Unfallmeldung bei der eigenen Unfallversicherung | |
(wenn Arztbesuche notwendig) |
Bald (innert 3 bis 6 Monaten) | □ Schadensmeldung bei der Haftpflichtversicherung des Unfallgegners □ Belege für Auslagen sammeln (Fahrspesen, Taxifahrten, Ersatz für kaputte Kleider etc.) □ Von allen Schreiben an Versicherungen etc. Kopien machen □ Alle Papiere, die den Unfall betreffen in einem eigenen Ordner ablegen |
Später | □ IV-Anmeldung (meist nach einem Jahr |
(aber nicht vergessen) | Arbeitsunfähigkeit) |
□ Verjährung unterbrechen (zwei Jahre) |
Bald (innert 3 bis 6 Monaten) | □ Schadensmeldung bei der Haftpflichtversicherung des Unfallgegners □ Belege für Auslagen sammeln (Fahrspesen, Taxifahrten, Ersatz für kaputte Kleider etc.) □ Von allen Schreiben an Versicherungen etc. Kopien machen □ Alle Papiere, die den Unfall betreffen in einem eigenen Ordner ablegen |
Später | □ IV-Anmeldung (meist nach einem Jahr |
(aber nicht vergessen) | Arbeitsunfähigkeit) |
□ Verjährung unterbrechen (zwei Jahre) |