Das Gesetz über den Versicherungsvertrag (WG – Versicherungsvertragsgesetz) datiert aus dem Jahr 1908. Es gab zwar immer wieder Bemühungen, den Wortlaut der Entwicklung anzupassen, aber gravierende Reformen fanden nicht statt. Vielmehr hat die Rechtsprechung in den letzten Jahren viel getan, um die Auslegung des Gesetzes verbraucherfreundlich zu gestalten. Ein Dauerstreit zwischen den Versicherungsgesellschaften und den Versicherungsnehmern sind die so genannten Obliegenheiten, also die Verhaltensvorschriften für den Versicherungsnehmer. Werden diese verletzt, hat der Versicherer das Recht, die Versicherungsleistung komplett zu versagen. Es gilt immer noch das „Alles- oder Nichts-Prinzip“, sodass es keine Differenzierung nach der Schwere der Obliegenheitsverletzung gibt. Es ist zu hoffen, dass die zur Zeit laufenden Bemühungen endlich umfangreichere Änderungen erreichen.
Es gibt drei Gruppen von Obliegenheiten:
● bei Abschluss des Vertrags,
● während der Vertragslaufzeit und
● bei Eintritt eines Versicherungsfalls.
Die Obliegenheiten bei Vertragsabschluss
In diese Kategorie fallen die bereits angesprochenen vorvertraglichen Anzeigepflichten, z. B. bezüglich des Gesundheitszustands. Das Antragsformular muss wahrheitsgemäß und vollständig ausgefüllt werden. In der Regel geschieht dies durch den Abschlussvermittler. Nach Abschluss des Ausfüllvorgangs zeigt er Ihnen dann die Stelle, an der Sie unterschreiben müssen. Häufig erfolgt diese Unterschrift dann, ohne dass sich der Versicherungsnehmer die Angaben nochmals durchliest. Das ist jedoch nicht nur leichtsinnig, sondern führt oft zum Rechtsstreit.
Beispiel: Verlust der Risikolebensversicherung
Eine junge Frau war mehrere Male aufgrund von Kopfschmerzen beim Arzt. Der Arzt führte dies auf den Stress zurück. Die Frau nahm an, dass Kopfschmerzen weit verbreitet seien, und hat sie deswegen nicht im Antrag auf eine Risikolebensversicherung angegeben. Nach der Laufzeit von zwei Jahren verstarb sie aufgrund eines Hirntumors. Ein Zusammenhang zwischen den Kopfschmerzen und dem Tumor wurde ärztlich bestätigt. Die Versicherungsgesellschaft war von der Leistung frei. Da die Versicherung zur Absicherung eines Kredits abgeschlossen wurde, hatte das für den Ehemann und die zwei Kinder den Verlust des Hauses, das mit diesem Kredit finanziert wurde, zur Folge.
Tipp: Lassen Sie sich Zeit
Lesen Sie sich alle Fragen vollständig durch. Antworten Sie so ausführlich wie möglich und nehmen Sie ggf. ein Extrablatt. Fragen und Antworten bezüglich des Ausfüllens halten Sie auf dem Gesprächsvermerk fest und lassen diesen vom Abschlussvermittler unterschreiben. Beim Abschluss einer Wohngebäudeversicherung werden zum Einschluss von Elementarschäden, wenn diese also auch versichert sein sollen, zusätzliche Fragebögen verwendet. Hier müssen Sie Angaben zu den Gefahrverhältnissen machen. Beim Risiko Überschwemmung müssen Sie z. B. die Lage des Gebäudes und die Entfernung zu fließenden oder stehenden Gewässern angeben. Bloße Schätzungen können zum Verlust des Versicherungsschutzes führen.
Dramatische Folgen bei fehlerhaftem Ausfüllens des Antrags
Haben Sie den Versicherungsantrag fehlerhaft ausgefüllt, kann die Versicherungsgesellschaft vom Versicherungsvertrag gem. §§ 16-22 WG aufgrund vorvertraglicher Anzeigepflichtsverletzung oder arglistiger Täuschung zurücktreten. Das heißt, der Vertrag wird rückwirkend aufgehoben. Leider ist es so, dass die Versicherungsgesellschaft in der Regel erst im Schadensfall prüft, ob die Angaben im Antrag stimmen. Sie werden dann völlig davon überrascht, dass keine Entschädigung ausbezahlt wird. Bekommen Sie ein derartiges Schreiben von der Versicherungsgesellschaft, lassen Sie dieses auf jeden Fall prüfen, z. B. durch einen Rechtsanwalt, Versicherungsberater oder den Ombudsmann. Die Versicherungsgesellschaften machen sich die Sache gerade in diesem Bereich sehr einfach. Ob der Rücktritt oder die Anfechtung überhaupt wirksam sind, muss dann im Einzelfall geprüft werden.
Tipp: Keine Angaben vergessen
Im Antrag wird auch danach gefragt, ob bereits bestimmte gleichartige Versicherungen bestehen und bei welcher Gesellschaft. Auch diese Frage ist wichtig und sollte nicht vernachlässigt werden, da dies ebenfalls zum Verlust des Versicherungsschutzes führen kann. Schauen Sie in Ihre Versicherungsmappe, damit Sie nichts vergessen.
Die Obliegenheiten während der Vertragslaufzeit
Wenn man die Police erhält, wandert der Vertrag in der Regel in die Schublade und wird jahrelang nicht mehr angefasst. Als Versicherungsnehmer haben Sie aber während der gesamten Laufzeit Rechte und auch viele Pflichten, z. B. die Bezahlung der Versicherungsprämie.
Wichtig: Gefahrerhöhungen mitteilen
Wichtig ist, dass Sie als Versicherungsnehmer der Versicherungsgesellschaft eintretende Gefahrerhöhungen während der gesamten Laufzeit mitteilen. Sie müssen also prüfen, ob eine Gefahr neu vorliegt, die bei Abschluss des Vertrags noch nicht bestand.
Beispiel: Gebäudeversicherung
Sie haben bei Abschluss Ihrer Gebäudeversicherung angegeben, dass keine brennbaren Materialien in der Scheune gelagert werden. Nun lagern Sie aber Stroh ein. Damit liegt eine Gefahrerhöhung für die Versicherungsgesellschaft vor, die nun prüft, ob die Scheune bei Einlagerung überhaupt versichert worden wäre oder ob sich der Versicherungsbeitrag erhöht. Leider gibt es keine Pauschalregelung, was als Gefahrerhöhung zu werten ist. Deswegen hier einige
Beispiele:
Hausratversicherung
● Aufstellen von elektrischen Heizöfen in einem Trockenraum (Hamm DöV 36, 482)
● längere Unbeheizbarkeit einer Wohnung während der Frostperiode (Hamm Vers.R. 90, 86)
● Unterbleiben einer Auswechselung des Schlosses bei Verlust des Wohnungsschlüssels (Köln zfs 85, 214)
● Aufstellen eines Baugerüsts (BGH Vers.R. 75, 845)
Kaskoversicherung
● Umbau eines Kraftwagens, wodurch die Betriebs- und Verkehrssicherheit herabgesetzt wurde (Celle Vers.R. 55,169)
● Fahren mit stark abgenutzten Reifen (Frankfurt Vers.R. 66, 179; Nürnberg Vers.R. 64, 135)
Bei einer durch den Versicherungsnehmer schuldhaft vorgenommenen oder gestatteten Gefahrerhöhung kann die Versicherungsgesellschaft den Vertrag fristlos kündigen. Diese Kündigung muss innerhalb eines Monats nach Kenntnis der Gefahrerhöhung durch die Versicherungsgesellschaft erfolgen. Nur dann kann sich die Versicherungsgesellschaft auf die Gefahrerhöhung berufen. Vor der Kündigung durch die Versicherungsgesellschaft haben Sie noch die Möglichkeit, die Gefahrerhöhung zu beseitigen und somit den Versicherungsvertrag zu erhalten. Ist der Schaden bereits eingetreten, braucht die Versicherungsgesellschaft den Schaden nicht zu tragen. Das gilt aber nur, wenn der Schaden durch die Gefahrerhöhung eingetreten ist oder die Höhe des Schadens davon beeinflusst wurde. Nun kann es allerdings sein, dass Sie für die Erhöhung der Gefahr nicht verantwortlich sind. Das folgende Beispiel soll Ihnen einen solchen Fall verdeutlichen.
Beispiel: Der sanierte Wohnblock
Sie wohnen in einem Wohnblock, der zurzeit saniert wird. Hierzu wird eine Rüstung ans Haus gestellt. Für den Hausratversicherungsvertrag hat sich das Risiko des Einbruchdiebstahls erhöht.
Auch hier hat die Versicherungsgesellschaft innerhalb der Monatsfrist ab Kenntnis der Gefahrerhöhung das Recht, den Vertrag kündigen – allerdings nicht fristlos. Sie haben einen Monat Zeit, sich um einen neuen Versicherungsschutz zu kümmern. Außerdem bleibt die Versicherungsgesellschaft bis zur Vertragsauflösung zur Leistung verpflichtet.
Tipp: Im Zweifelsfall: Meldung an den Versicherer
Melden Sie lieber einen Sachverhalt zu viel, als dass Sie nachher im Rechtsstreit versuchen, die Angelegenheit zu klären. Die Versicherungsgesellschaft teilt Ihnen dann mit, ob der angezeigte Umstand eine Gefahrerhöhung bedeutet und welche Konsequenzen dies auf das Vertragsverhältnis hat. Mit dieser schriftlichen Stellungnahme sind Sie dann auf der sicheren Seite. Achten Sie darauf, dass die Meldung an die Versicherungsgesellschaft unverzüglich erfolgt. Aufgrund der Beweislast melden Sie den Sachverhalt schriftlich unter Verwendung eines Einschreibens mit Rückschein und bestehen Sie auf eine Antwort des Unternehmens.
weiterlesen Verhaltensvorschriften für den Versicherungsnehmer Teil II