Sie sind Opfer eines Unfalls geworden, verursacht von jemand anderem. Und nun sollen Sie doch keinen Schadenersatz erhalten? Das kann tatsächlich passieren, wenn der Unfallverursacher kein Geld und auch keine Versicherung hat. Oder wenn Sie am Unfallereignis selbst nicht ganz unschuldig waren.
Die Versicherung zahlt nicht wegen Grobfahrlässigkeit
Der Schaden ist berechnet, die Schadenersatzforderung gestellt – doch die Versicherung weigert sich zu zahlen, Begründung: Grobfahrlässigkeit des Geschädigten. Die Grobfahrlässigkeit hat im Haftpflichtrecht große Bedeutung. Eine messerscharfe Grenze zwischen einfacher Fahrlässigkeit und grober Fahrlässigkeit lässt sich jedoch nicht ziehen. Es kommt immer auf die genauen Umstände des Verhaltens an. Einige gängige Definitionen finden Sie im Kasten auf unserem Versicherung-Ratgeber. Was aber sind die Folgen der einfachen und der groben Fahrlässigkeit?
• Eine leichte Fahrlässigkeit des Geschädigten, auch als Mitverschulden bezeichnet, kann eine Reduktion des Schadenersatzes zur Folge haben. Unter Umständen kann der Geschädigte aber immer noch den vollen Schadenersatz fordern.
• Ist das Selbstverschulden des Geschädigten schwerer, aber noch nicht grobfahrlässig, wird sein Schadenersatz gekürzt.
• Hat sich der Geschädigte aber grobfahrlässig verhalten, erhält er gar nichts mehr. Juristen nennen das: Unterbrechung des Kausalzusammenhangs. Auf Deutsch übersetzt: Der Geschädigte hat sich derart blöd angestellt, dass er den Schaden selbst tragen muss.
Grobfahrlässigkeit – zwei
Definitionen Definition des Bundesgerichts
Grobfahrlässig handelt, wer jene elementarsten Vorsichtsgebote unbeachtet lässt, die jeder verständige Mensch in der gleichen Lage und unter den gleichen Umständen befolgt hätte.
So kann man’s auch sagen
• Einfache Fahrlässigkeit: Er hett scho sölle!
• Grobe Fahrlässigkeit: Wie hett er nur chönne?!
Urteile: OIliver A. durfte den Maserati seines Kollegen Jan O. testen. Fr wollte sehen, wie viel der Sportwagen hergab, und drückte kräftig aufs Gas. Mit weit übersetzter Geschwindigkeit fuhr er in die als gefährlich bekannte Hörnli-Kurve ein, kam ins Schleudern, der Wagen überschlug sich mehrmals und landete im Wintergarten der Familie Li. Die Haftpflichtversicherung des Autohalters O. bezahlte den demolierten Wintergarten. Sie nahm aber Rückgriff (Regress) auf Kari A. Außerdem bekam er Probleme mit seiner Unfallversicherung. Und auch den Schaden am Maserati zahlte keine Versicherung, sodass er dafür selbst auf- kommen musste.
Anders beurteilten die Richter den Fall von Christine Z.: Sie war mit ihrer Nachbarin im Auto unterwegs zum Einkaufszentrum. In einer Kurve geriet sie überraschend auf eine Eisfläche, bremste abrupt ab, das Auto schleuderte und stürzte die Böschung hinunter. Beide Frauen kamen glücklicherweise mit leichten Verletzungen davon; das Auto erlitt allerdings einen Totalschaden. Einfacher Fahrlässigkeit, befand das Gericht. Die Geschwindigkeit sei nicht übersetzt gewesen und mit Eis habe Frau Z. an jener Stelle nicht unbedingt rechnen müssen. Das abrupte Abbremsen sei zwar eine Fehlreaktion gewesen und habe letztlich zum Unfall geführt. Doch es sei Frau Z. zugute zu halten, dass sie Neulenkerin sei. Die Haftpflichtversicherung von Frau Z. musste die Arztrechmmgen der Mitfahrerin übernehmen.
Wenn der Schädiger grobfahrlässig ist
Die Zeitungen sind voll mit Berichten von verantwortungslos provozierten Unfällen – sei es auf der Skipiste, auf der Straße oder anderswo. Die klassischen Fälle von Grobfahrlässigkeit im Straßenverkehr sind das Fahren in angetrunkenem Zustand und die Raserei. Wer verantwortungslos handelt und einen Schaden verursacht, darf sich nicht wundern, wenn das Folgen hat. Hier eine – unvollständige – Liste der Nachteile, die grobfahrlässige Schädiger zu erwarten haben:
• Die Genugtuung an den Geschädigten wird erhöht.
• Die Privathaftpflichtversicherung kann die Übernahme des verursachten Schadens ganz oder zum Teil verweigern. Der Schadensverursacher wird selber zur Kasse gebeten.
• Die Motorfahrzeugversicherung darf zwar – anders als die Privathaftpflichtversicherung – die Leistungen an den Geschädigten nicht kürzen. Aber sie hat ein Regressrecht gegenüber dem eigenen Versicherungsnehmer, das heißt: Sie kann die aus dem Schadenfall erbrachten Zahlungen auf ihn abwälzen.
• Autofahrern wird der Ausweis für mindestens drei Monate entzogen.
• Kommt es im Zusammenhang mit dem Unfall auch zu einem Strafverfahren, werden härtere Strafen verhängt.
Der Haftpflichtige kann nicht zahlen
Alle Überlegungen bisher sind umsonst, wenn der Haftpflichtige kein Geld hat. Im schlimmsten Fall kann das für ein Unfallopfer den finanziellen Ruin bedeuten. Um solche Härtefälle zu vermeiden, hat der Gesetzgeber in gewissen — besonders gefährlichen – Bereichen den Abschluss von Haftpflichtversicherungen für obligatorisch erklärt. Das wichtigste Beispiel ist die obligatorische Motorfahrzeughaftpflicht (mehr dazu auf unserem Versicherung-Ratgeber). Weil in jedem Fall eine Versicherung da ist, spielt es keine Rolle, ob der fehlbare Autofahrer arm oder reich ist – der Versicherer hat immer Geld. Wo hingegen kein Versicherung obligaterem besteht, können Sie als Geschädigter nur hoffen, dass der Unfallverursacher eine Privat-haftpflichtversicherung abgeschlossen hat. Wenn nicht, bleibt auch der finanzielle Schaden an Ihnen hängen. Und wenn Sie dann nicht selber über einen genügenden Unfallschutz verfügen, bleibt Ihnen nach einem schlimmen Unfall allenfalls nur noch der Gang zum Sozialamt. Das ist stoßend und ungerecht, aber eine Tatsache.
Hinweis: Selbst wenn der Unfallverursacher eine Privathaftpflichtversicherung besitzt, können Sie noch nicht sicher au [atmen. Seltsam, aber wahr: Handelte der Verursacher grobfahrlässig oder gar absichtlich, hat darunter auch das Unfallopfer zu leiden. Der Versicherer wird sich dann nämlich auf die gesetzliche Regel berufen, dass der Schadenersatz bei Grobfahrlässigkeit oder Absicht der versicherten Person gekürzt oder gar ganz gestrichen wird. Verweigert der Versicherer die Zahlung und hat der Unfallverursacher selbst kein Geld, gehen Sie leer aus.
Vom Umgang mit Haftpflichtversicherungen
Es braucht oft einen langen Atem, bis die Haftpflichtversicherungen bezahlen, je komplizierter der Fall, desto länger. Läuft ein Strafverfahren, muss (außer in ganz klaren Fällen) meist auch dessen Ausgang abgewartet w7erden. Solange die Heilbehandlung läuft, müssen die Unfall- oder die Krankenversicherung ihre Leistungen erbringen. Erst wenn die medizinische Behandlung abgeschlossen ist – und das kann unter Umständen Julier dauern lässt sich bestimmen, wie hoch der definitive Schaden ist.
Wichtig ist, dass dem Haftpflichtversicherer schließlich eine konkrete Forderung in Franken und Rappen vorgelegt wird. Dann ist er verpflichtet, zu zahlen oder eine Begründung vorzulegen, weshalb er die Forderung ablehnt. Tut er dies nicht, können Sie Verzugszinsen verlangen. Handelt es sich um einen Straßen Verkehrsunfall, haben Sie das Recht, auf Ihre Forderung innert drei Monaten eine Antwort zu erhalten. Außerdem können Sie Sieder Entschädigungsstelle des Nationalen Garantiefonds vorlegen. Bei allen anderen Unfällen bleibt Ihnen, sollte der Versicherer Ihre Forderung ablehnen, nichts anderes, als den Rechtsweg zu beschreiten und beim Gericht Klage zu erheben.
Tipp: Außer in ganz eindeutigen Fällen mit tiefer Schadenssumme empfiehlt es sich nicht, einen Haftpflichtfall ohne Anwalt durchzuziehen. In Haftpflichtsachen und Versicherungsrecht spezialisierte Anwälte finden Sie über den Beobachter oder den Anwaltsverband.
Achtung Verjährung
Verjährungsfragen sind im Haftpflichtrecht besonders wichtig. Es bestehen nämlich mehrere, unterschiedlich lange Fristen, über die man leicht stolpern kann. Weil nach Eintritt der Verjährung eine Forderung gerichtlich nicht mehr durchsetzbar ist, sollten Sie vorsichtigerweise immer von der kürzesten in Frage kommenden Frist ausgehen (siehe Kasten).Nähert sich Ihr Schadenersatzanspruch der Verjährung, müssen Sie diese unbedingt unterbrechen. Damit erreichen Sie, dass die Frist wie-der von vorne zu laufen beginnt und Sie den Anspruch auf Ihre Forderung behalten.
Achtung: Es genügt nicht, der Versicherungsgesellschaft bloß einen Brief zu schicken. Auch eine Mahnung unterbricht die Verjährung nicht. Dazu braucht es bestimmte, vom Gesetz vorgesehene Handlungen, hier die wichtigsten:
• Betreibung des Versicherers
• Ladung zum amtlichen Sühneversuch (Friedensrichtervorstand)
• Einreichung einer Klage gegen den Versicherer beim Gericht
• Anerkennung der Forderung durch den Versicherer (zum Beispiel durch Zins- und Abschlagszahlungen)
Wichtige Verjährungsfristen
-Außervertragliche Schadenersatzansprüche 1 Jahr ab Kenntnis
(alle Unfälle, für die keine besondere des Schadens und
Frist besteht) des Haftpflichtigen
-Motorfahrzeughaftpflicht 2 Jahre ab Kenntnis
-Eisenbahnhaftpflicht 2 Jahre abUnfall
-Schadenersatz- und Genugtuungsforderung aus Opferhilfe
(Verwirkungsfrist; kann weder
unterbrochen noch verlängert werden) 2 Jahre ab Straftat
-Schaden durch fehlerhaftes Produkt 3 Jahre ab Kenntnis
-Körperverletzung oder fahrlässige Tötung 7 Jahre ab Unfall
In der Praxis sind diese Unterbrechungshandlungen meist nicht nötig. Die Versicherer geben auf Verlangen problemlos eine sogenannte Verjährungsverzichtserklärung ab. Das ist ein Schreiben, in dem der Versicherer bestätigt, auf die Einrede der Verjährung bis zu einem bestimmten Datum zu verzichten. Ist der Versicherer dazu nicht bereit, greifen Sie am einfachsten zur Betreibung oder laden ihn vor den Friedensrichter, um die Verjährung zu unterbrechen.
Vielleicht ein Ausweg: die Opferhilfe
Das Opferhilfegesetz geht auf eine Volksinitiative des Beobachters zurück. Opferhilfe können Menschen erhalten, die durch eine Straftat in ihrer körperlichen, sexuellen oder psychischen Integrität unmittelbar beeinträchtigt worden sind. Der Staat springt dann ein, wenn sie von keiner anderen Seite die nötige Unterstützung in persönlicher wie finanzieller Hinsicht erhalten. Im Vordergrund stehen Gewaltdelikte wie Tötung, Körperverletzung, Raub, Vergewaltigung. Opferhilfe können Sie aber auch beanspruchen, wenn Sie Opfer eines Verkehrsunfalls oder einer ärztlichen Fehlbehandlung sind oder auf andere Art durch Dritte in Ihrer Gesundheit geschädigt wurden. Hier kommen Opferhilfe und Unfallrecht zusammen.
Beispiel: Peter W. ist mit einem kleinen Teilzeitpensum als Aufsicht in einem Spielsalon tätig. Daneben führt er den Haushalt und kümmert sich um die kleine Tochter Julia. Eines Tages wird Herr W. das Opfer eines brutalen Raubüberfalls. Die Täter schlagen ihn bewusstlos. Weil sich nur wenig Geld in der Kasse befindet, warten sie auf den Vorgesetzen, der den einzigen Schlüssel zum Tresor hat. In der Zwischenzeit wird Peter W. in einer Abstellkammer eingesperrt, immer wieder geschlagen und mit einer Waffe bedroht. Er erleidet ein psychisches Trauma und muss die Arbeit im Spielsalon aufgeben. Wegen Angst und Panikattacken kann er auch keiner anderen Arbeit mehr nachgehen, kriegt den Alltag nie mehr ganz in den Griff und gerät in große finanzielle Probleme.
Die Täter wären zwar haftpflichtig und müssten den Schaden ersetzen. Sie können aber nicht gefasst und also auch nicht belangt werden. Peter W wendet sich an die Opferhilfe Beratungsstelle. Dort wird er in psychologischer Hinsicht beraten. Vorn Kanton erhält er zudem eine Genugtuung von 5000 Franken und eine Teilentschädigung für den entgangenen Verdienst.
Die Opferhilfeberatungsstellen sind in den letzten Jahren zu wertvollen Ansprechstationen für Unfallopfer geworden. Auch nahe Angehörige eines Opfers – die Ehepartnerin, der Lebensgefährte, Eltern oder Kinder – können Opferhilfe beanspruchen und sich an die Beratungsstellen wenden. Was bringt dieses Opferhilfegesetz? Die Opfer haben spezielle Rechte im Strafverfahren gegen den Täter. Sie erhalten unentgeltliche Beratung und Betreuung bei den Beratungsstellen, die auch medizinische, psychologische, soziale, finanzielle und juristische Hilfe vermitteln. Da-rüber hinaus können Opfer einer Straftat beim Kanton ein Gesuch um Ausrichtung einer Genugtuung oder einer Entschädigung stellen.
Hinweis: Gesuche um Entschädigung und Genugtuung müssen innert zwei Jahren seit der Straftat eingereicht werden. Lassen Sie diese Frist verstreichen, verlieren Sie diese Ansprüche endgültig.