Vorläufige Deckungszusage VDZ
a)Gründe für vorläufige Deckung
Häufig benötigt der Kunde schon mit Antragstellung oder kurze Zeit danach Versicherungsschutz; der VR will aber nicht übereilt über Annahme oder Ablehnung des Antrags entscheiden. Vielmehr will er die Annahmefrist für eine genauere Prüfung des Risikos voll ausnutzen. In diesem Fall ist eine VDZ, die der VR auf Antrag des Kunden erteilt, unerlässlich. Aufgrund der vorläufigen Deckung besteht Versicherungsschutz bereits vor Abschluss der Risikoprüfung und vor völliger Einigung über den endgültigen Inhalt (Deckungsumfang und Beitrag) der beantragten Versicherung.
Im VVG ist die VDZ in einem eigenen Abschnitt geregelt.
Beispiel:
Ein Schreinermeister hat den Feuerversicherungsantrag für seinen Betrieb nicht so rechtzeitig gestellt, dass bis zum beantragten Beginn am 01. Febr. d. J. mit dem Abschluss der Risikoprüfung bzw. Zustellung der Police zu rechnen ist. Der VR erteilt deshalb eine VDZ, die vereinbarungsgemäß ab 01. Febr. d. J. für 2 Wochen bestehen soll.
Am 03. Febr. d. J. tritt ein Versicherungsfall ein. Kurze Zeit danach scheitern die Verhandlungen über den endgültigen Versicherungsvertrag (Hauptvertrag). Dieser kommt nicht zustande. Dennoch muss der VR den schon eingetretenen Versicherungsfall im Rahmen der VDZ entschädigen. Das ist der wesentliche Unterschied zur erweiterten Einlösungsklausel bzw. Rückwärtsversicherung. Zwar gewähren auch diese Sonderregelungen Versicherungsschutz vor Beitragszahlung. Sie setzen aber voraus, dass der zugrunde liegende Versicherungsvertrag überhaupt zustande kommt, und dies ist nicht, wie die Beitragszahlung, allein von VN zu beeinflussen.
b)VDZ als eigenständiger Vertrag
Durch die vorläufige Deckungszusage werden weder der VR noch der VN daran gehindert, den Abschluss des Vertrages abzulehnen. Das durch die VDZ geschaffene Rechtsverhältnis und der spätere Versicherungsvertrag (Hauptvertrag) sind zwei selbstständige Rechtsverhältnisse (sog. Trennungstheorie), auch wenn der Beitrag und die Zeit der vorläufigen Deckung in den Versicherungsschein einbezogen werden. Die vorläufige Deckungszusage ist also in rechtlicher Hinsicht ein selbstständiger, wenn auch nur kurzzeitiger, Versicherungsvertrag.
Die Haftung aus der vorläufigen Deckungszusage beginnt sofort, d. h. mit Zugang der Zusage beim VN, also auch vor Zahlung des Erstbeitrages aus dem Hauptvertrag.
Im WG ist ausdrücklich geregelt, dass der VR den Beginn des Versicherungsschutzes aus der vorläufigen Deckung von einer Prämienzahlung abhängig machen kann. Hierauf ist der VN durch gesonderte Mitteilung oder in auffälliger Weise im Versicherungsschein aufmerksam zu machen. Für den Beginn des Versicherungsschutzes aus der vorläufigen Deckung gilt dann die strenge Einlösungsklausel. Bei nicht rechtzeitiger Zahlung kann der VR vom Vertrag über die vorläufige Deckung zurücktreten.
c) Inhalt der VDZ
Der Inhalt der VDZ richtet sich in der Regel nach dem beantragten Deckungsumfang, es sei denn, dass eine Einschränkung ausdrücklich vereinbart wird. Nach WG gelten für eine vorläufige Deckung die hierbei üblicherweise verwendeten Bedingungen, bei Fehlen solcher Bedingungen die Bedingungen für den Hauptvertrag, wenn die Bedingungen bei Vertragsabschluss noch nicht übermittelt wurden. Im Zweifelsfalle sind die für den VN günstigsten Bedingungen Vertragsbestandteil. Der Beitrag wird meistens im Rahmen der VDZ zunächst gestundet und nach Abschluss des Hauptvertrages rückwirkend für die gesamte Dauer des Versicherungsvertrages abgerechnet.
Nach einer Verbandsempfehlung sollte die VDZ folgenden Erfordernissen genügen:
•In der VDZ ist stets auf den gestellten Antrag Bezug zu nehmen. Der VN ist zu benennen.
•Die Zeit, für welche VDZ gewährt wird, ist unbedingt anzugeben.
•Deckungszusagen sollen höchstens für die Dauer von 3 Monaten abgegeben werden.
•Der Versicherungsort ist anzugeben.
•In der VDZ ist auf die zugrunde liegenden Versicherungsbedingungen Bezug zu nehmen.
•Soll für die Gewährung der VDZ ein Beitragsvorschuss erhoben werden, so ist hierauf sowie auf die Folgen der Nichtzahlung hinzuweisen. Steht der Beitrag bereits fest, so ist er zu nennen.
Die VDZ kommt mit Ausnahme der Krankenversicherung für fast sämtliche Versicherungszweige in Betracht. Besondere Bedeutung hat sie aber bei der Versicherung von gewerblichen Risiken und in der Kraftfahrtversicherung.
d)Dauer der VDZ
Die VDZ ist entweder von vornherein zeitlich befristet, oder sie enthält eine Kündigungsklausel für den VR. Denn der VR wird sich aus dem Risiko für die Zukunft befreien wollen, sofern die Vertragsverhandlungen allzu lange dauern oder das Risiko nach genauerer Prüfung langfristig überhaupt nicht übernommen werden kann.
Auf jeden Fall endet die VDZ, wenn
•die Haftung aus dem zustande gekommenen Hauptvertrag beginnt,
•die Vertragsverhandlungen gescheitert sind
Das Scheitern der Vertragsverhandlungen wird derzeit noch als allgemein anerkannter Beendigungsgrund angesehen.
•spätestens mit dem vereinbarten Fristablauf,
(bei Verträgen mit Kündigungsklausel, spätestens wenn eine der beiden Vertragsparteien die VDZ fristgerecht gekündigt hat, z. B. bei Kündigung durch den VN nach Abschluss des beabsichtigten Hauptvertrages mit einem anderen VR)
•Zahlungsfristen – für einen eventuell erhobenen Beitragsvorschuss bzw. für den später angeforderte Erstbeitrag – nicht eingehalten werden. Vereinbarungsgemäß entfällt hier sogar häufig der Versicherungsschutz rückwirkend. Allerdings stellen die Gerichte hohe Anforderungen an die Rechtsfolgenbelehrung durch den VR, wenn wegen Nichteinhaltung der oben angeführten Zahlungsfristen die Haftung aus der VDZ rückwirkend entfallen soll. So muss der VR bei der Anforderung des ersten Beitrages auf die Rechtsfolgen der nicht fristgerechten Zahlung ausdrücklich hinweisen.
Nach dem VVG endet die vorläufige Deckung
•spätestens zu dem Zeitpunkt, zu dem ein gleichartiger Versicherungsschutz aus dem Hauptvertrag oder einer erneuten vorläufigen Deckung beginnt;
•mit Eintritt des Prämienzahlungsverzuges, wenn der Beginn des Versicherungsschutzes aus dem Hauptvertrag oder der erneuten vorläufigen Deckung von einer Prämienzahlung abhängig ist:
Hierauf ist der VN durch gesonderte Mitteilung in Textform oder in auffälliger Weise im Versicherungsschein aufmerksam zu machen.
•wenn der VN den Hauptvertrag oder den Vertrag über erneute vorläufige Deckung mit einem anderen VR schließt;
•wenn der VN seine Vertragserklärung widerruft oder einer Annahme des Vertrages unter Änderungen widerspricht;
Die vorläufige Deckung endet für diesen Fall mit Zugang des Widerrufs bzw. des Widerspruchs.
•wenn der Vertrag über eine vorläufige Deckung auf unbestimmte Zeit von einem der Vertragspartner gekündigt wird.
Die Kündigung des VR wird jedoch erst zwei Wochen nach Zugang wirksam. Die Vorschriften nach § 52 VVG sind halbzwingend. Eine Vereinbarung, wonach der Versicherungsschutz aus der vorläufigen Deckung bei Prämienzahlungsverzug Rückwirkend vollständig wegfällt, ist danach zukünftig nicht mehr möglich. Bei Nichtzustandekommen des Hauptvertrages hat der VR nach VVG einen Prämienanspruch, der sich pro rata temporis (zeitanteilig) nach der Prämie für den Hauptvertrag bestimmt, wenn dieser zustande gekommen wäre.
Allerdings kann der VR auch die Abrechnung nach einem Kurzzeittarif vereinbaren.
e)Vorläufiger Versicherungsschutz in der Kraftfahrt-Haftpflichtversicherung.
In der KH-Versicherung ist die VDZ Voraussetzung für die Zulassung eines Fahrzeugs, da ein endgültiger Vertrag (Hauptvertrag) auch hier regelmäßig erst nach der Zulassung des Fahrzeugs zustande kommt. Für die KH-Versicherung ist die VDZ auch gesetzlich geregelt. Ferner ist sie in den AKB geregelt.
Hinweis:
Die Bestimmungen in § 1 Abs. 4 Satz 2 der AKB im Bedingungswerk 1 Proximus Versicherung, wonach der Versicherungsschutz aus einer vorläufigen Deckungszusage unter den dort genannten Umständen rückwirkend außer Kraft treten kann, entspricht nicht mehr der neuen Rechtslage nach WG. Mit Anpassung der Versicherungsbedingungen an das neue WG darf hier eine Änderung erwartet werden.
Beispiel:
Alex Möller beantragt am 5. April d. J. eine Kraftfahrt-Haftpflichtversicherung für seinen neuen Gebrauchtwagen und erhält sofort eine Deckungskarte (vorläufige Deckung), die er noch am gleichen Tag dem Straßenverkehrsamt für die Zulassung seines neuen Fahrzeuges vorlegt. Die Voraussetzungen für ein Widerrufs- oder Widerspruchsrecht sind nicht gegeben. Am 24. April geht ihm der Versicherungsschein mit Aufforderung zur Zahlung des Erstbeitrages und Rechtsfolgenbelehrung für den Fall der verspäteten Zahlung zu.
Er zahlt den Beitrag
a)bereits am nächsten Tag durch Banküberweisung;
b)erst 1 Monat später und zwar genau am 24. Mai d. J.
Die vorläufige Deckung endet im Fall a) mit der Einlösung des Versicherungsscheins; denn jetzt beginnt der Versicherungsschutz aus dem Hauptvertrag nach der Einlösungsklausel. Im Fall b) tritt die vorläufige Deckung nach Ablauf von zwei Wochen nach Zugang des Versicherungsscheins mit Zahlungsaufforderung außer Kraft. Nach alter Rechtslage wäre sie rückwirkend zum 5. April d. J. außer Kraft getreten. Gleichwohl beginnt der Versicherungsschutz aus dem Hauptvertrag aufgrund der Einlösungsklausel am 24. Mai d. J. Ein Unfall, der sich in der Zeit vom 5. April d. J. bis zur Einlösung des Versicherungsscheins ereignet, wäre im Fall b) jetzt nicht mehr gedeckt.
Vergleich | Vorläufige Deckungszusage(VDZ) | Erweiterte Einlösungsklausel |
Rechtsgrundlage | rechtlich selbstständiger Vertrag neben dem späteren Hauptvertrag | Klausel als Bestandteil des Vertrages |
Versicherungsschutz | auch wenn Hauptvertrag nicht zustande kommt (Beitragsabrechnung i. d. R. nach Kurztarif) | ab beantragtem Beginn (technischem Beginn) wenn der Vertrag zustande kommt und der Beitrag unverzüglich nach Policenerhalt bezahlt wird |
Sonderregelung in der Lebensversicherung:
Auch in der Lebensversicherung kennt man einen vorläufigen Versicherungsschutz ab Antragstellung.
Versicherungsbeginn Test Fragen
1)Nennen und erläutern Sie allgemein die drei Versicherungsbeginne.
2) A stellt am 14. Nov. d. J. einen Antrag auf eine Hausratversicherung mit einjähriger Vertragsdauer zum 01. Jan. des nächsten Jahres; die Police erhält er am 26. Nov. d. J.. Den Einlösungsbeitrag zahlt er am 04. Dez. d. J.
a) Bestimmen Sie die drei Versicherungsbeginne.
b) Besteht Versicherungsschutz für einen Leitungswasserschaden, der am 20. Dez. d. J. eintrat (mit Begründung)?
3)Die Kundin M stellt am 23. Okt. d. J. einen Antrag auf Abschluss einer Lebensversicherung zum 01. Dez. d. J. Die Police erhält sie am 25. Nov. d. J. Den Erstbeitrag zahlt sie am 22. Dez. d. J. per Zahlschein bei ihrer Bank ein. Zwei Stunden später, um 12.30 Uhr, verunglückt sie tödlich.
Prüfen Sie, ob der bezugsberechtigte Ehemann die Auszahlung der Versicherungssumme verlangen kann.
Sonderregelungen für den Beginn des Versicherungsschutzes
4)Die Kundin Sabine Meier stellt am 25. Jan. d. J. einen Antrag auf Privat-Haft- pflichtversicherung mit einer einjährigen Vertragsdauer. Beantragter Versicherungsbeginn ist der 01. Febr. d. J.
Am 02. Febr. d. J. fährt sie mit einem Fahrrad einen Fußgänger versehentlich an, der sich daraufhin in ärztliche Behandlung begeben muss. Der Versicherungsschein wird Frau Meier am 04. Febr. d. J. zugestellt. Laut den dem Vertrag zugrunde liegenden Versicherungsbedingungen gilt die erweiterte Einlösungsklausel. Bestimmen Sie die verschiedenen Versicherungsbeginne anhand der Datumsangaben und prüfen Sie, ob der Versicherungsfall vom 02. Febr. d. J. gedeckt ist, wenn folgende Alternativen gelten:
a) Frau Meier zahlt den Einlösungsbeitrag am 06. Febr. d. J.
b) Frau Meier zahlt den Einlösungsbeitrag am 28. Febr. d. J.
5)In einigen Versicherungszweigen kennt man die Rückwärtsversicherung.
a) Welchen Zweck erfüllt sie?
b) Welche rechtlichen Besonderheiten hinsichtlich der Versicherungsbeginne bestehen hier?
c) Welche Voraussetzungen müssen gegeben sein, damit sie rechtwirksam ist?
d) Nennen und erläutern Sie zwei Beispiele zur Rückwärtsversicherung.
e) Erörtern Sie, inwieweit in Aufgabe 6 im Zusammenhang mit der erweiterten Einlösungsklausel eine echte, wenn auch nicht ausdrücklich gewollte, Rückwärtsversicherung i. S. von § 2 WG vereinbart wurde.
6)Von der Rückwärtsversicherung ist die Rückdatierung zu unterscheiden.
a) Was ist hier zur zeitlichen Abfolge der Versicherungsbeginne zu sagen?
b) Nennen Sie Beispiele und Gründe für eine Rückdatierung (2 Sparten).
7)Stefan Thomas hat sich ein neues Auto gekauft. Er stellt einen Antrag auf Kraftfahrt-Haftpflichtversicherung und bekommt daraufhin vom Vertreter eine Versicherungsbestätigung (Deckungskarte) sowie die AVB und Verbraucherinformationen ausgehändigt.
Laut Versicherungsbestätigung, die als vorläufige Deckung gestaltet ist, genießt er Versicherungsschutz ab Zulassungstag, das ist der 10. April d. J. Schon einen Tag nach der Zulassung verschuldet er einen Unfall mit Sachschaden. Die Police wird ihm durch den VR erst am 26. April d. J. zur Einlösung vorgelegt.
Nach der Trennungstheorie des BGH stellen die vorläufige Deckung (sog. Vorvertrag) und die beantragte Kraftfahrt-Haftpflichtversicherung (sog. Hauptvertrag) rechtlich zwei selbstständige Verträge dar. Bestimmen Sie jeweils die verschiedenen Versicherungsbeginne für den Vorvertrag und den Hauptvertrag und prüfen Sie, ob der Unfall vom 11. April d. J. gedeckt ist, wenn Stefan Thomas den fälligen Beitrag
a)am 27. April d. J. durch Banküberweisung zahlt;
b)erst am 20. Mai d. J. wegen Geldknappheit zahlt.
8)Natasha Marke beantragt am 16. März d. J. eine Hausratversicherung und eine Privat-Haftpflichtversichern mit einem Antragsformular. Beide Versicherungen sollen am 1. Apr. d. J. beginnen. Die Versicherungsscheine mit Zahlungsaufforderung gehen am 3. Apr. d. J. zu. Da sie eine der Zahlungsaufforderungen verlegt hat, überweist sie zunächst nur den Beitrag für die Hausratversicherung. Drei Wochen später findet sie auch die zweite Zahlungsaufforderung und zahlt daraufhin den Beitrag zur Privat-Haftpflichtversicherung. Für beide Versicherungen gilt nach den Versicherungsbedingungen die erweiterte Einlösungsklausel. Sind folgende Versicherungsfälle gedeckt? (mit Begründung)
a)Am 2. April haben Einbrecher ihre Wohnung heimgesucht und den Videorecorder entwendet.
b)Ihr in der Privat-Haftpflichtversicherung mitversicherter Sohn hat am 15. Apr. d. J. beim Fußballspielen auf der Straße eine Fensterscheibe beim Nachbarn zerstört.
9)Vorläufige Deckungszusage
a)Welche Rechtsnatur hat sie?
b)Nennen Sie drei Möglichkeiten, durch die sie endet.
c)Unterscheiden Sie die vorläufige Deckungszusage (VDZ) und die erweiterte Einlösungsklausel.
d)Für welchen Versicherungszweig ist die VDZ von besonderer Bedeutung (mit Begründung)?