Je nach Charakter des versicherten Risikos in den einzelnen Sparten haben sich unterschiedliche Verfahren zur Kalkulation von Tarifbeiträgen entwickelt, die von der Art und Komplexität des versicherten Risikos, der Lang- oder Kurzfristigkeit der Versicherungsdauer und weiteren Faktoren abhängen.
In der Schadenversicherung hängt die Versicherungsleistung von der Größe eines eingetretenen Schadens ab und davon, wie oft ein Schaden eintritt (vgl. Mack). Die durchschnittliche Schadenhöhe ist gerade die Gesamtschadensumme eines Bestandes, geteilt durch die Anzahl der Einzelschäden. Auf ein Risiko können jedoch mehrere Einzelschäden entfallen. Die Schadenhäufigkeit oder durchschnittliche Schadenzahl je Risiko ist die Anzahl der Einzelschäden, geteilt durch die Anzahl der Risiken. Man kann die Schadenhäufigkeit auch als Wahrscheinlichkeit dafür interpretieren, dass ein Schaden eintritt. Daraus ergibt sich der durchschnittliche Schadenbedarf für ein Risiko als Produkt aus durchschnittlicher Schadenhöhe und Schadenhäufigkeit. Da die Gesamtrisikoprämie nach dem VT-Äquivalenzprinzip die Gesamtschäden decken muss, ergibt sich für den von einem Risiko aufzubringenden Risikobeitrag RB in der Schadenversicherung:
RB = durchschnittliche Schadenhöhe x Schadenhäufigkeit
Beispiel: Für die 1.600 gegen Einbruchdiebstahl versicherten Gebäude einer Stadt ergibt sich im Laufe eines Jahres ein Gesamtschaden von 400.000 €. Es werden insgesamt 20 Einbruchdiebstähle reguliert. Die durchschnittliche Schadenhöhe beträgt demnach 400.000 : 20 = 20.000 €, die Schadenhäufigkeit ist 20 : 1.600 = 0,0125 Einbrüche pro Jahr und Gebäude. Der einheitliche Risikobeitrag, der für jedes versicherte Gebäude im Jahr zu entrichten ist, beträgt also 20.000 x 0,0125 = 250 €. Natürlich hätte es in diesem einfachen Beispiel ausgereicht, den Gesamtschaden durch die Zahl der versicherten Gebäude zu teilen: 400.000 : 1.600 = 250 €.
In der Summenversicherung hängt die Höhe der Leistung nicht von der Höhe des Einzelschadens ab, sondern von der versicherten Summe und wiederum von der Schadenhäufigkeit. Damit ergibt sich hier für den vom einzelnen Risiko zu erbringenden Risikobeitrag:
RB = Versicherungssumme x Schadenhäufigkeit
Beispiel:
Eine Risikolebensversicherung zahlt den Erben eines 50-jährigen Mannes eine Versicherungssumme von 100.000 € aus, wenn er vor seinem 51. Geburtstag stirbt. Das Versicherungsunternehmen weiß aus mehrjährigen Statistiken, dass von 50.000 versicherten 50-jährigen Männern 43 innerhalb eines Jahres sterben. Für die einjährige Versicherung wäre also ein angemessener Risikobeitrag von 100.000 x (43 : 50.000) = 86 € zu zahlen (ohne Verzinsung).
Obwohl diese beiden Kalkulationsverfahren im Prinzip bei allen Versicherungsarten angewendet werden, erfolgt die Beitragsberechnung in der Praxis meistens nach spezielleren Regeln, weil reale Versicherungsbestände und versicherte Risiken eine komplexere Struktur haben als die hier betrachteten einfachen Beispiele. Wichtige Besonderheiten der Beitragsberechnung in den einzelnen Sparten stellen die folgenden Abschnitte dar. Schwerpunkt ist dabei die Bestimmung des Risikobeitrages einschließlich der risikobezogenen Zuschläge. Die übrigen Beitragskomponenten sind für das Verständnis der Kalkulation weniger ergiebig. Die Beitragskalkulation in der Rückversicherung beruht auf anspruchsvolleren mathematischen Verfahren als in der Erstversicherung, weswegen sie im Rahmen dieser Darstellung unberücksichtigt bleibt.
Beitragskalkulation in der Sach- und Vermögens- Versicherung
Dem VT-Äquivalenzprinzip zufolge entspricht der Risikobeitrag dem Erwartungswert der auf das versicherte Risiko entfallenden Schäden. Die diesbezüglichen Verteilungen ergeben sich durch Kombination von Verteilungen der Schadenzahlen und Schadenhöhen im vertragsrelevanten Zeitraum. Die Zeitpunkte, zu denen die Schäden beglichen werden, bleiben dagegen im Allgemeinen unberücksichtigt. Sie sind unter anderem deshalb schwer kalkulierbar, weil die Regulierungszeiten zu berücksichtigen wären und die Meldung von Spätschäden großer Unsicherheit unterliegt.
Die Schadenverteilung hängt von spezifischen Risikomerkmalen ab. Wäre das nicht der Fall, gäbe es nur eine Art von Risiko und der Versicherungsbestand wäre vollkommen homogen. Die Risikomerkmale nehmen verschiedene Ausprägungen an, die Einfluss auf Schadenhöhe und Schadenhäufigkeit haben. Normalerweise ist die Zahl möglicher Merkmale und ihrer Ausprägungen sehr groß. Deshalb werden Merkmale bevorzugt, die leicht und übersichtlich auszuwerten sind, sich nicht im Zeitablauf ändern und die Schadenerwartung deutlich beeinflussen. Die Durchsetzung eines Merkmals als Unterscheidungskriterium kann am Markt aber auf Schwierigkeiten stoßen.
Um Merkmale mit einer großen Zahl an Ausprägungen kalkulatorisch auswerten zu können, fasst man mehrere Ausprägungen, die nicht zu stark voneinander abweichen, zu Klassen zusammen. Die Bestimmung der Schadenerwartungswerte erfolgt dann innerhalb jeder Klasse gesondert. Jeder Klasse wird also ein eigener Risikobeitrag zugeordnet.
Beispiel: In der Kraftfahrtversicherung hängt die Schadenerwartung vom Fahrzeugtyp ah. Sie ist weiterhin wegen der Verkehrsdichte, Klimaverhältnisse etc. abhängig von den Verkehrswegen, auf denen ein Fahrzeug eingesetzt wird. Da die detaillierte Auswertung dieses Merkmals aber zu aufwändig und im Voraus auch gar nicht durchführbar wäre, greift man ersatzweise auf den Zulassungsbezirk zurück. Anhand tatsächlich beobachteter Schadenverteilungen lassen sich so genannte Schadenbedarfsindizes definieren, die den durchschnittlichen Schadenbedarf von Fahrzeugen eines Typs in einem Zulassungsbezirk messen. Intervalle dieser Indexwerte setzt man dann als Typklassen bzw. Regionalklassen fest.
Das individuelle VT-Äquivalenzprinzip macht es erforderlich, praktikable Merkmale zur individuellen Risikoerfassung auch anzuwenden. Dieses Vorgehen ist als Beitrags- oder Prämiendifferenzierung bekannt. Am Markt besteht eine Tendenz zur Beitragsdifferenzierung, da Unternehmen einer negativen Risikoauswahl unterliegen, wenn sie selbst nicht differenzieren, Mitbewerber dagegen schon.
Beispiel:
Ein differenzierendes Unternehmen A verlangt für ein im Sinne des Differenzierungsmerkmals gutes Risiko einen niedrigeren Tarifbeitrag als für ein schlechtes Risiko. Unternehmen B, welches nicht differenziert, kann bezüglich des Merkmals nur einen einheitlichen Beitrag verlangen. Dieser wird, je nach dem Verhältnis von guten und schlechten Risiken, einen mittleren Wert annehmen. Gute Risiken zahlen daher bei Unternehmen B einen höheren Beitrag als bei A, während schlechte Risiken bei B besser abschneiden. Folglich werden gute Risiken tendenziell zu Unternehmen A, schlechte hingegen zu Unternehmen B wandern, dessen Versicherungsbestand sich dadurch fortlaufend weiter verschlechtert. Diese Tendenz nennt man Negativauslese oder Antiselektion.
Die Festlegung risikorelevanter Merkmale und eine verlässliche Beitragskalkulation stehen zueinander in einem Spannungsverhältnis. Denn einerseits führt die Beitragsdifferenzierung zu einer steigenden Zahl kalkulatorischer Risikomerkmale mit entsprechenden Klassen von Ausprägungen, andererseits entsteht dadurch schnell eine sehr große Zahl an Kombinationsmöglichkeiten: Bei zwei Merkmalen mit je fünf Klassen liegen 25 Kombinationsmöglichkeiten vor, bei drei Merkmalen bereits 125. Auf die Kombinationen entfallen daher sehr schnell nur noch wenige oder gar keine Repräsentanten des für die Schätzung der Schadenerwartung beobachteten Bestandes, sodass sich gar kein begründeter Risikobeitrag ermitteln lässt.
Dieses Problem entschärft sich bei Merkmalen, die voneinander zumindest annähernd unabhängig sind. Da dann die Klassenzugehörigkeit des einen Merkmals die des anderen nicht beeinflusst, müssen auch keine Merkmalskombinationen beachtet werden. Stattdessen kann man für jedes Merkmal separat ermitteln, in welcher Weise der zu erwartende Schaden von ihm abhängt.
Die Beitragskalkulation ist damit auf ein lineares Modell (Scoringverfahren) zurückgeführt, bei dem einem Einzelrisiko für jedes Risikomerkmal ein klassenbezogener Punktwert zugewiesen wird. Die Punktwerte aller Merkmale werden addiert, mit der Punktsumme des beobachteten Gesamtbestandes verglichen und so ein individueller Schadenwert bestimmt und als Schätzwert für die Schadenerwartung verwendet.
Zur Entscheidung, ob Risikomerkmale einen hinreichend großen Einfluss auf die Schadenerwartung haben, bedient man sich anspruchsvoller statistischer Verfahren zur Faktoren- und Korrelationsanalyse, siehe etwa Kohn.
Durch den Schadenerwartungswert seiner Klasse ist für das Einzelrisiko der Risiko- oder Nettobeitrag festgelegt. Die Wahl eines angemessenen Sicherheits- und Risikozuschlags hängt wesentlich von der Schwankungsanfälligkeit des Risikos ab, aber auch von der so genannten Risikoaversion des Versicherers, die seine Bereitschaft misst, versicherungstechnische Risiken einzugehen. Hohe Risikoaversion bedeutet hohe Sicherheitszuschläge, da sich das Versicherungsunternehmen den Risikotransfer vergleichsweise teuer bezahlen lassen wird. Die Risikoaversion wird mit einer technischen Risikogröße gewichtet und dem Risikobeitrag zugeschlagen. Folgende Gewichtungen sind dabei verbreitet (a: Risikoaversion):
• Bruttorisikobeitrag = E (S) + a • E (S) (Erwartungswertprinzip)
• Bruttorisikobeitrag = E (S) + a • o2 (S) (Varianzprinzip)
• Bruttorisikobeitrag = E (S) + a • o (S) (Standardabweichungsprinzip)
Bisher wurde davon ausgegangen, dass die Risikobewertung und die Einschätzung von Schadenerwartungen im Voraus vorgenommen werden. In manchen Sach- und Vermögensversicherungszweigen ergibt sich jedoch erst aus der Erfahrung im Zeitverlauf die Schadenanfälligkeit eines Risikos, vor allem bei subjektiven Risikomerkmalen. Dabei handelt es sich um Merkmale, die keiner objektiven Messung zugänglich sind, beispielsweise die Fahrkünste eines Autofahrers. Die so genannte Erfahrungstarifierung beruht daher auf der Schadenentwicklung in der Vergangenheit und führt zu Bonus-Malus-Systemen.
Solche Systeme basieren ebenfalls auf einer Klasseneinteilung der Risiken, die sich nun aber nicht nach objektiven Kriterien, wie bei der Regional- oder Typklasseneinteilung, richtet. Statt- dessen wird ein unbekanntes Neurisiko in eine beitragsintensive Ausgangsklasse eingruppiert. Bei Schadenfreiheit erfolgt sukzessiv die Eingruppierung in günstigere Beitragsklassen (Bonus), bei einem Schadenfall erfolgt hingegen die Herabstufung in eine teurere Beitragsklasse (Malus). Die Beitragshöhe der einzelnen Klassen hängt ab von deren Schadenverlauf im Verhältnis zum Gesamtbestand und von den Wahrscheinlichkeiten, mit denen Herauf- oder Herabstufungen erfolgen. Bekanntester Anwendungsfall für diese Art der Beitragsanpassung ist die Kraftfahrtversicherung.
Beitragskalkulation in der Lebensversicherung
Die Versicherungsarten der Lebensversicherung unterscheiden sich in zwei wichtigen Belangen von denen der Sach- und Vermögensversicherung. Zum einen handelt es sich um Summenversicherungen, zum anderen werden derartige Versicherungen in der Regel von vornherein mit Laufzeiten von mehreren Jahren oder gar Jahrzehnten abgeschlossen. Dem Kunden wird aber für die vereinbarte Beitragszahlungsdauer eine konstante Beitragshöhe garantiert. Ausnahmen sind nach § 163(1) VVG nöglich.
In der Sach- und Vermögensversicherung kann wegen der kurzen Versicherungsdauer von typischerweise einem Jahr vom Zeitpunkt eines Schadenereignisses abgesehen werden. Nach Ablauf eines Jahres kann der Vertrag von beiden Seiten gekündigt oder um ein weiteres Jahr verlängert werden, mit der Möglichkeit einer Beitragsanpassung durch das Unternehmen. In der Lebensversicherung hingegen spielt der Zeitpunkt des Schadens eine wichtige Rolle.
Eine in zehn Jahren fällige Leistung oder ein dann gezahlter Versicherungsbeitrag hat aus heutiger Sicht einen geringeren Wert als eine sofort fällige Leistung oder ein sofort gezahlter Beitrag gleicher Höhe. Diese Situation ist in der Lebensversicherung die Regel, da zumeist über Jahre hinweg Beiträge gezahlt werden und irgendwann zu einem Zeitpunkt (in der kapitalbildenden Lebensversicherung oder in der Risikolebensversicherung) oder zu wiederkehrenden Zeitpunkten (in der Rentenversicherung oder bei Leistungen der Berufsunfähigkeitsversicherung) Leistungen an den Versicherten zurückfließen.
Die vergleichende Rechnung mit Geldbeträgen, die sich entlang einer Zeitachse verteilen, geschieht mithilfe von Barwerten, die zeitlich variabel erfolgende Zahlungsströme vergleichbar machen. Bei Vertragsabschluss ist dann das VT-Äquivalenzprinzip nicht mit den Nominalbeträgen zu erfüllen, wie in der Sach- und Vermögensversicherung, sondern mit den entsprechenden Barwerten, die Verzinsungseffekte berücksichtigen:
Die Barwertberechnung erfolgt mithilfe eines Rechnungszinses. Dieser wird vom Versicherungsunternehmen für die gesamte Laufzeit des Vertrages garantiert. Mit dem Rechnungszins werden Zahlungen des Versicherungsnehmers oder des Versicherungsunternehmens von Zeitpunkten in der Zukunft auf den Versicherungsbeginn abgezinst (diskontiert).
Weiterhin hängen Barwerte von der Wahrscheinlichkeit ab, mit der diese Zahlungen tatsächlich geleistet werden. Diese Wahrscheinlichkeit verändert sich mit der Zeit. Sie hängt bei Erlebensfallleistungen wie zum Beispiel in der Rentenversicherung von der Wahrscheinlichkeit ab, dass der Versicherte einen bestimmten Zeitpunkt erlebt. Bei Todesfallleistungen wie in der Risikolebensversicherung hängt sie davon ab, ob der Versicherte genau im fraglichen Jahr stirbt. In der Invaliditätsversicherung hängt sie davon ab, ob der Versicherte den Zeitpunkt als Invalider erlebt oder als Aktiver.
Die praktische Erfahrung zeigt, dass diese Wahrscheinlichkeiten nicht minuten- oder tagesgenau ermittelt werden müssen – und auch gar nicht ermittelt werden könnten. Stattdessen begnügt man sich üblicherweise damit, sie jeweils für ein Lebensjahr abzuschätzen, also beispielsweise für 50-jährige Männer. Diese Jahreswerte werden als Sterbewahrscheinlichkeiten (kurz Sterblichkeiten, geschrieben als qx, wobei der Index x das Alter des Versicherten bezeichnet) in Sterbetafeln oder als Invalidisierungswahrscheinlichkeiten (Notation: ix) in Invalidisierungstafeln tabelliert. Einzelne Versicherungsarten verwenden noch andere Tafeln. Derartige Wahrscheinlichkeitstabellen heißen allgemein Ausscheideordungen, weil sie angeben, mit welcher Wahrscheinlichkeit ein Versicherter aus dem Versichertenkollektiv ausscheidet und dadurch zum Leistungsfall wird.
Ausscheideordnung und Rechnungszins bilden zusammen mit Parametern für die Kosten des Vertrages die Rechnungsgrundlagen. Man kann aus den Rechnungsgrundlagen für jedes Jahr der Vertragslaufzeit berechnen, mit welcher Wahrscheinlichkeit eine Versicherungsleistung fällig wird und wie hoch ihr Wert bei Vertragsbeginn ist. Durch Addition über alle Versicherungsjahre ergibt sich dann der so genannte Leistungsbarwert.
Beiträge werden nur so lange gezahlt, wie der Versicherte lebt oder nicht invalide geworden ist. Ihr Wert in der Gegenwart hängt also von der Wahrscheinlichkeit ab, dass der Versicherte nicht gestorben beziehungsweise nicht invalide geworden ist, und ebenfalls vom Rechnungszins. Der entsprechende Barwert heißt Beitragsbarwert. Damit kann für das VT-Äquivalenzprinzip die alternative Formulierung angegeben werden:
Leistungsbarwert = Beitragsbarwert
Rechnet man mit beobachteten Sterblichkeiten oder Invalidisierungswahrscheinlichkeiten, kann aus dieser Beziehung der Risikobeitrag bestimmt werden. Sicherheits- und Schwankungszuschläge werden nicht nachträglich hinzugerechnet, stattdessen werden sie in die Ausscheideordnungen eingearbeitet. In der Risikolebensversicherung zum Beispiel setzt man die kalkulatorische Sterblichkeit vorsichtiger und damit höher an als beobachtet. Ebenso wird der Rechnungszins nach einem gesetzlich vorgeschriebenen Verfahren vorsichtig gewählt. So erreicht man, dass die Beitragseinnahmen im Normalfall eine größere Zahl von Sterbefällen finanzieren könnten, als eigentlich zu erwarten wäre.
Beispiel: Ein 40-jähriger Mann schließt eine Risikolebensversicherung über eine Summe von 200.000 € mit einer Laufzeit von einem Jahr ab. Zu Beginn des Jahres ist der Beitrag fällig. Bei Tod wird am Ende des Versicherungsjahres die Versicherungssumme ausgezahlt. Man rechnet für 40-jährige Männer mit einer Sterblichkeit von qm = 2,57%c. Das bedeutet, dass unter 100.000 Männern dieses Alters im Durchschnitt 257 Sterbefälle zu erwarten sind. Der Rechnungszins betrage 2,25 %, was dem tatsächlich zugelassenen Rechnungszins in der deutschen Lebensversicherung im Jahr 2(X)8 entspricht.
Der Leistungsbarwert errechnet sich nun wie folgt: Da die Versicherungssumme bei Tod erst am Jahresende fällig wird, ist der Betrag gesucht, der nach einem Jahr 200.000 € ergibt, wenn er mit dem Rechnungszins verzinst wird. Dieser Betrag errechnet sich durch Diskontierung um ein Jahr zu 200.000 : (1 + 2,25 %) = 200.000 : 1,0225 = 195.599 €. Die Schadenhäufigkeit im Laufe eines Jahres ist gerade q40 = 0,00257, der Barwert des erwarteten Schadens also 195.599 x q40 = 502,69 €. Dieser Leistungsbarwert entspricht nach dem VT-Äquivalenzprinzip der Lebensversicherung dem Beitragsbarwert und muss als vorschüssiger Risikobeitrag gezahlt werden.
Eine weitere Besonderheit der Lebensversicherung sind die Sparbeiträge. Deren Funktion wurde bereits in unserem Versicherung-Ratgeber erläutert. Dadurch treten in fast allen Arten der Lebensversicherung Deckungskapitale auf. Sie finanzieren den Ausgleich zwischen gleichmäßigen Beitragszahlungen und ungleichmäßig oder sehr viel später – wie in der Rentenversicherung – erfolgenden Leistungen.
Kosten können ebenfalls mittels Barwertbetrachtungen in den Beitrag eingerechnet werden. Einmalig fällige Abschlusskosten lassen sich so auf die Gesamtdauer der Beitragszahlung verteilen. Weitere Details finden sich bei Führer / Grimmer.
Beitragskalkulation in der Krankenversicherung
Die Leistungsstruktur der privaten Krankenversicherung entspricht derjenigen typischer Schaden Versicherungen: Schäden unterschiedlicher oder auch gleicher Art können sich mehrfach in einem Betrachtungszeitraum ergeben und ihre Höhe kann nahezu beliebig sein. Schwere Erkrankungen mit entsprechend hohen Kosten treten dabei weit seltener auf als leichtere Krankheitsschäden.
Da das Versicherungsunternehmen die Versicherung nicht ohne Verschulden des Versicherten kündigen darf, ist ihre Laufzeit normalerweise lebenslänglich. Diese Langfristigkeit erfordert besondere kalkulatorische Maßnahmen. Deswegen sind Krankenversicherungsunternehmen in der Krankheitskostenvollversicherung per Gesetz verpflichtet, die Krankenversicherung nach Art der Lebensversicherung zu tarifieren. Man ermittelt also Schadenhöhen und Schadenhäufigkeiten wie in der Schadenversicherung errechnet daraus aber Barwerte im Sinne der Lebensversicherung.
Der Schadenverlauf ist stark altersabhängig. Alte Menschen verursachen jährlich Krankheitskosten, die ein Mehrfaches derjenigen von Jugendlichen und jungen Erwachsenen betragen. Die Kalkulation nach Art der Lebensversicherung bedeutet jedoch, dass ein konstanter jährlicher Beitrag ermittelt wird. Dieser Beitrag muss die im Alter steigenden Leistungsaufwendungen vorfinanzieren, sodass auch die Krankenversicherung eine Art Deckungskapital bildet. Dieses bezeichnet man hierbei als Alterungsrückstellung.
Die Schadenverläufe, aus denen Leistungsbarwerte berechnet werden, ergeben sich üblicherweise aus einem dreijährigen Beobachtungszeitraum. Sie werden konstant fortgeschrieben: Man unterstellt also, dass jemand, der erst in 20 Jahren 70 Jahre alt sein wird, dann die gleichen Kosten verursachen wird, wie ein heute 70-Jähriger.
Diese Annahme trifft nicht zu, da die steigende Lebenserwartung zu höheren Altern mit höheren Krankheitsaufwendungen führt, vor allem aber wegen der durch medizinischen Fortschritt stetig steigenden Heilungs- und Therapiekosten. Aus diesem Grund dürfen Krankenversicherungsunternehmen bei Bedarf die Beiträge in einem beaufsichtigten Verfahren anheben. Um dem absehbaren Trend zur Kostensteigerung etwas entgegenzuwirken, müssen alle Versicherten unterhalb des 65. Lebensjahrs seit dem Jahr 2000 einen 10-prozentigen Beitragszuschlag entrichten. Mit diesem wird eine zusätzliche Rückstellung gebildet, die im Alter den Beitragsanstieg dämpfen soll. Im Unterschied zur Alterungsrückstellung soll dieser Zuschlag nicht die altersbedingten, sondern die fortschrittsbedingten Kostensteigerungen abfangen.
Der Leistungsbarwert ergibt sich ähnlich wie in der Lebensversicherung. Krankheitskosten müssen kalkulatorisch nur berücksichtigt werden, solange der Versicherte lebt. Die altersabhängige Wahrscheinlichkeit dafür heißt Erlebenswahrscheinlichkeit px und ergibt sich aus den Sterblichkeiten gemäß px = 1 – qx. Daneben spielt die Häufigkeit von Vertragskündigungen (Storni) eine Rolle, da im Kündigungsfall vorhandene Alterungsrückstellungen den Versicherten vom Versicherungsunternehmen nicht zurückerstattet, sondern zumindest teilweise zugunsten der verbleibenden Versicherten vereinnahmt werden. Die beobachteten durchschnittlichen Schäden eines Alters x werden als Kopfschäden Kx bezeichnet. Sie sind für alle versicherbaren Altersstufen in einer Kopfschadenreihe aufgelistet. Die Diskontierung schließlich erfolgt im Jahr 2008 mit einem Rcchnungszins von 3,5 %.
Die Kopfschadenreihen werden aus mehrjährigen Beobachtungen einzelner Altersjahrgänge gewonnen. Dabei ist unter anderem zu berücksichtigen:
• Schadenfälle können in der Regel auch noch im Folgejahr zur Regulierung gemeldet werden.
• Die Altersjahrgänge werden bei manchen Versicherern wegen zu geringer Bestandsgrößen in Altersgruppen zusammengefasst, die zum Beispiel aus den Altern 21-25, 26-30 usw. bestehen.
• Zu- und Abgänge innerhalb eines Kalenderjahres können die Aufschlüsselung auf einzelne Versicherte verfälschen, wenn sie sich nicht gleichmäßig über das Jahr verteilen.
Üblich ist eine Normierung der Kopfschadenreihe auf ein Basisalter x0. Man erhält so normierte Kopfschäden kx = Kx / K zum so genannten Grundkopfschaden G = Kx0 . Eine weiterführende Darstellung bietet etwa Milbbrodt.