Wenn Sie einen Invaliditätsschaden erleiden oder zumindest über längere Zeit arbeitsunfähig sind, werden Sie nicht darum herum kommen, einen Anwalt beizuziehen. Wichtig zu wissen: Das Anwaltshonorar gilt als eigene Schadensposition. Der Haftpflichtige – respektive seine Versicherung muss Ihren Anwalt genau gleich wie alle anderen Schadenspositionen (Erwerbsausfall etc.) bezahlen. Ein guter Anwalt bemüht sich darum, einen akzeptablen Kompromiss mit der Haftpflichtversicherung zu finden, ohne dass der Fall vor Gericht gebracht werden muss. Gelingt dies, übernimmt die Versicherung zu den anderen Schadenspositionen Ihre ganzen Anwalts- kosten.
Doch manchmal will die Versicherung nichts oder nicht genug zahlen. Dann bleibt nichts anderes übrig, als den Fall vor Gericht zu ziehen. Dann gelten andere Regeln: Wer den Prozess verliert, zahlt alle Gerichts- und Anwaltskosten. Kein Problem, wenn das Gericht zu Ihren Gunsten entscheidet. Im anderen Fall aber werden Ihnen die Verfahrenskosten auferlegt. Und wenn der Versicherer einen externen Anwalt beigezogen hat was sehr häufig vorkommt müssen Sie auch dessen Honorar bezahlen.
Tipp: Bevor Sie vor Gericht gehen, lassen Sie sich von Ihrer Anwältin über die Kostenrisiken aufklären. Wie die Verfahrenskosten im Detail auf-geteilt werden, richtet sich nach den kantonalen und bundesrechtlichen Prozessvorschriften und Kostenverordnungen. Prüfen Sie auch die Möglichkeit eines unentgeltlichen Rechtsbeistands.
Genugtuung: Wann gibt es Schmerzensgeld?
In den Medien liest und hört man immer wieder von Schmerzensgeldern in enormer Höhe. Vor allem in den USA sollen für kleinste Ereignisse Millionenbeträge bezahlt werden. Also die kalte Dusche gleich zu Anfang: In der Schweiz herrschen nicht nur keine üppigen amerikanischen Verhältnisse, sie stellt bezüglich Schmerzensgeld geradezu eine öde Wüste dar. So hat das Bundesgericht vor nicht allzu langer Zeit entschieden: Selbst wer nach einem Unfall ins Spital eingeliefert und operiert werden müsse und danach mehrere Wochen arbeitsunfähig sei, habe keinen Anspruch auf Schmerzensgeld. Weshalb nicht, ist schwer einzusehen. Schmerzen waren ja sicher vorhanden…Worum geht es denn beim Schmerzensgeld? Zur Erinnerung: Auf unserem Versicherung-Ratgeber war die Rede von der Aufteilung der Schaden-Torte in ihre einzelnen Schichten. Die bisher besprochenen Schadenspositionen – Sachschaden, Erwerbsausfall, Rentenschaden, Haushalt- und Betreuungsschaden sowie Versorgerschaden – gehören alle zum Teil mit finanziellen Auswirkungen, also zum materiellen Schaden. Nun geht es um den anderen Tortenteil: um die immateriellen Nachteile, die ein Unfallopfer hat: Schmerzen, Frustrationen, Ängste, Schlaflosigkeit. Mit der Genugtuung sollen diese Nachteile entschädigt werden.
Schon das Konzept des Ausgleichs von Leid durch Geld ist eigentlich fragwürdig. Schmerzen, ruinierte Gesundheit, zerstörte Lebenspläne sind auch mit einem großen Geldbetrag kaum aufzuwiegen. Es ist jedoch nicht verständlich, wenn leidgeprüfte Geschädigte mit einer kleinlichen Genugtuungspraxis noch zusätzlich gestraft werden. Auch mit Blick auf die Verhältnisse in benachbarten Ländern ist es an der Zeit, dass die Schweizer Gerichte ihre überholte Genugtuungspraxis überdenken. Heute gibt es nur in zwei Fällen eine Genugtuung: wenn eine Invalidität, das heißt ein Dauerschaden, aus dem Unfall entsteht oder wenn eine sehr lange, komplizierte und schmerzvolle Heilungszeit nötig ist. Ein Beinbruch etwa und mehrere Wochen Arbeitsunfähigkeit erfüllen diese Kriterien nach der Ansicht des Bundesgerichts nicht, wenn der Bruch ohne weitere Komplikationen verheilt.
Wie hoch ist die Genugtuung?
Das ist gar nicht so einfach zu beantworten, weil keine festen Tarife bestehen. Immerhin gibt es aufgrund früherer Urteile gewisse Anhaltspunkte. Die höchste bisher gerichtlich zugesprochene Genugtuung betrug 300 000 Franken — was allerdings einen vorläufig einmaligen Höchstbetrag für ein schwerstinvalides Unfallopfer darstellt. Die meisten Genugtuenden bei Körperverletzungen bewegen sich im Bereich von 1000 bis 30000 Franken. Genugtuenden von mehr als 50 000 oder 60000 Franken sind die große Ausnahme und werden nur bei schwersten körperlichen Schädigungen zugesprochen.
Hinweis: Die Genugtuung und die Integritätsentschädigung der Unfallversicherung gelten als kongruente (deckungsgleiche) Ansprüche. Deshalb wird vom zugesprochenen Betrag abgezogen, was Sie bereits als Integritätsentschädigung erhalten haben.
Ausschlaggebend für die Höhe der Genugtuung ist immer der von der betroffenen Person effektiv erlittene Nachteil. So ist der Verlust eines Fingers zwar immer ein erheblicher Nachteil; bei einem Goldschmied wirkt er sich aber viel einschneidender aus als bei einer Hauswartin. Seine Genugtuung wird daher aufgrund der größeren seelischen Unbill und Einschränkung im Beruf und in der Lebensqualität höher ausfallen. Eine Rolle spielt auch, ob ein grobes Verschulden des Haftpflichtigen vorliegt – oder umgekehrt ein Selbstverschulden des Geschädigten. Der erste Fall führt zu einer Erhöhung der Genugtuung, der zweite zu einer Reduktion.
Beispiel: Tommy S. und Lara L. haben nach einem Unfall beim Tandemfahren beide dieselbe bleibende Einschränkung in der Beweglichkeit der linken Hand. Herr S. ist trotzdem wieder in der Lage, seiner Arbeit als Maschinenführer nachzugehen. Frau L. hat mehr Pech: Ihre Karriere als Pianistin ist zu Ende. Als Integritätsentschädigung der Unfallversicherung erhalten beide den gleichen Betrag. Bei der Genugtuung der Haftpflichtversicherung wird dagegen genau angesehen, welche konkreten Nachteile durch die Verletzung entstanden sind. Frau L., die ihre Karriere und einen großen Teil ihrer Lebensqualität verloren hat, erhält deutlich mehr:
Genugtuung für Tommy S. | Fr. | 40000.- |
– Integritätsentschädigung | – Fr. | 42 720.- |
Ausgezahlte Summe | ||
Genugtuung für Lara L. | Fr. | 60000.- |
– Integritätsentschädigung | -Fr. | 42 720.- |
Ausgezahlte Summe | Fr. | 17280.- |
Etwas einfacher abzuschätzen sind die Genugtuenden an Angehörige bei den Todesfällen. Sie richten sich einerseits nach der Verwandtschaftlichen Beziehung und andererseits nach der Nähe der persönlichen Beziehung.
Beispiel: Nach dem Attentat auf Touristen in Luxor (Ägypten) wurden den Hinterbliebenen folgende Genugtuenden zugesprochen:
Verlust des Ehemanns / der Ehefrau Fr. 60 000.-
Verlust des Konkubinats Partners/der Partnerin Fr. 40 000-
Verlust eines Kindes, das im selben Haushalt lebte Fr. 40 000-
Verlust eine Kindes, das nicht im selben
Haushalt lebte Fr. 30 000.-
Verlust eines Enkels, einer Schwester, eines Großvaters -.-
in Ausnahmefällen maximal Fr. 10 000.-
Tarife nach Nationalität
In letzter Zeit haben sich die Gerichte etwas Neues einfallen lassen: reduzierte Schmerzensgelder für Ausländer. Bei Verunfallten mit Wohnsitz in gewissen Staaten wurde die Genugtuung an die tiefere Kaufkraft des Heimatlands angepasst. Das führte beispielsweise bei einem Afrikaner aus Simbabwe zu einer Reduktion auf 25 Prozent des ursprünglichen Betrags; eine Chinesin erhielt gar nur noch gut 10 Prozent, ein Kosovo-Albaner 33 und Menschen aus Bosnien 25 bis 50 Prozent. Die Kürzung ist aber auf Staaten mit markant geringerer Kaufkraft als die Schweiz beschränkt. Unfallopfer aus der EU und vergleichbaren Staaten erhalten eine Genugtuung nach Schweizer Ansätzen.
Der Schadenszins
Es kann Jahre dauern, bis ein Haftpflichtfall erledigt ist. Zuerst muss die Heilbehandlung abgeschlossen sein. Dann beginnen die Verhandlungen mit den Haftpflichtversicherern, die vor allem in komplizierten Fällen mit hohen Schadenssummen dauern. Kann man sich mit dem Versicherer nicht einigen, muss der Gerichtsweg beschritten werden. Geht ein Fall über alle Instanzen bis zum Bundesgericht, können zwischen Unfall und rechtskräftigem Urteil zehn und mehr Jahre vergehen. In der Zwischenzeit läuft die Teuerung weiter. Damit der Anspruch auf vollen Schadenersatz gewahrt wird, müssen die Versicherungen Schadenersatz und Genugtuung verzinsen. Der Zinssatz ist gesetzlich auf fünf Prozent pro Jahr festgelegt. Bei einem mittelschweren Unfall beispielsweise zahlen die Versicherungen häufig rund fünf Jahre nach dem Ereignis; da macht der Schadenszins bereits 25 Prozent der Schadenssumme aus.