Auch Ärztinnen und Zahnärzte sind nur Menschen. Und Menschen machen manchmal Fehler. Doch Arztfehler haben besonders schwere Auswirkungen. Im schlimmsten Fall können sie den Patienten das Leben kosten. Immer aber haben Behandlungsfehler Leiden zu Folge. Gut also, dass es heute Beratungsstellen und Organisationen gibt, die sich für die Rechte der Patienten einsetzen.
Tipp: Klar ist, dass ein Behandlungsfehler Sie ganz direkt in Ihrer körperlichen Integrität trifft. Da kommen rasch starke Emotionen auf. So verständlich diese sind, oft ist es gerade deshalb nicht (mehr) möglich, eine Einigung zu erzielen. Da kann es hilfreich sein, neutrale Stellen beizuziehen, beispielsweise eine Patientenorganisation oder einen Patientenanwalt.
Wann ist eine misslungene Behandlung ein Kunstfehler?
Ist eine Behandlung, zum Beispiel eine Operation, misslungen, stellt sich die Frage, ob die Ärztin haftbar gemacht werden kann, ob sie – oder ihre Versicherung —für den Schaden und die Schmerzen aufkommen muss. Das trifft zu, wenn der Ärztin ein eigentlicher Kunstfehler unterlaufen ist oder wenn sie ihre Informations- und Beratungspflicht gegenüber dem Patienten nicht wahrgenommen hat.
Nicht nach den Regeln der Wissenschaft
Von einer ärztlichen Behandlung verspricht sich die Patientin Besserung. Geht es ihr stattdessen schlechter, ist die Enttäuschung groß und schnell ist dann der Vorwurf da, der Arzt habe gepfuscht. Doch Achtung: Nicht immer, wenn eine Behandlung nicht den gewünschten Erfolg bringt, liegt ein Kunstfehler im rechtlichen Sinn vor. Dazu braucht es nicht nur ein misslungenes Ergebnis, sondern auch eine Unsorgfältig (Verschulden) des Arztes. Unsorgfältig handelt ein Arzt, wenn sein Vorgehen nicht dem aktuellen Stand der medizinischen Wissenschaft entspricht, also letztlich als unprofessionell bezeichnet werden muss.
Urteil: Ein dreijähriges Mädchen musste am Herzen operiert werden„ weil es sonst voraussichtlich nur noch wenige Jahre überlebt hätte. Bei dem schwierigen Eingriff durchtrennte der Arzt eine Kranzarterie, anschließend kam es noch zu einer Fehlkanülierung. Das Resultat: eine schwere Hirnschädigung. Das Gericht stufte diesen Fall nicht als Kunstfehler ein: Das Vorgehen an sich war richtig, der Fehler lag innerhalb des normalen Risikos bei dieser Operation.
Der Arzt haftet also nicht für ein einwandfreies Ergebnis, und auch nicht dafür, dass die Patientin nach der Behandlung wieder gesund ist. Er kann nur für die unsorgfältige Ausführung der Behandlung verantwortlich gemacht werden. Zur Sorgfalt gehört unter anderem, dass der Arzt sein Fachwissen mit Fortbildung auf dem aktuellen Stand hält. Ein klassischer Kunstfehler ist deshalb die Anwendung einer unzweckmäßigen Behandlungsmethode oder einer veralteten Operationstechnik. Ebenfalls als Kunstfehler gilt es, wenn der Arzt Operationsbesteck im Körperinneren vergisst oder die Operation am falschen Bein durchführt.
Ein gewisses Restrisiko müssen die Patienten in Kauf nehmen. Stellt sich beispielsweise im Nachhinein heraus, dass der Arzt von zwei vertretbaren Behandlungsmöglichkeiten die weniger zweckmäßige gewählt hat, liegt zwar ein Fehler vor. Dieser hegt jedoch in der Grauzone des ärztlichen Ermessens. Und selbst wenn ihm ein gröberer Fehler passiert ist, kann der Arzt immer noch den Beweis erbringen, dass sein Verhalten aufgrund der konkreten Situation entschuldbar sei. Etwa, dass er in einer Notfallsituation mit großem Zeitdruck gehandelt habe oder dass die Operation äußerst kompliziert und riskant gewesen sei.
Das sind laut Gericht Kunstfehler
• Ein Chirurg soll die Verunstaltung der Nase nach einem Unfall beseitigen, bewirkt aber mit einem unzweckmäßigen Vorgehen gerade das Gegenteil.
• Ein Narkosearzt wendet eine falsche Technik an und gibt einem 40 Kilogramm schweren Mädchen bei der Blinddarmoperation die Betäubungsmitteldosis für Erwachsene. Trotz Herzstillstand lässt er weiteroperieren. Das Mädchen überlebt, ist aber schwer invalid.
• Ein Landarzt erkennt bei zwei Mädchen trotz typischer Symptome eine Diphtherie nicht und missachtet auch die entsprechenden Hinweise der Eltern. Weder nimmt er eine bakteriologische Untersuchung vor noch verabreicht er das unschädliche Diphtherieserum.
• Ein chirurgisch ungenügend ausgebildeter Arzt wagt eine nicht unbedingt nötige Operation und zieht keinen Spezialisten bei – auch nicht, als Schwierigkeiten auftreten.
Erhärtet sich die Vermutung, dass tatsächlich ein Kunstfehler passiert sein könnte, werden Sie mit der Schwierigkeit konfrontiert, dies beweisen zu müssen. Das ist nicht einfach, fehlen doch meist das medizinische Wissen und auch die notwendigen Unterlagen (Krankengeschichte, Operationsbericht). Ohne die professionelle Hilfe einer Beratungsstelle werden Sie in der Regel nicht weit kommen.
Wenn Patienten nicht genügend informiert werden
Wenn die Ärztin eine Operation oder eine lange Medikament Enthalpie vorschlägt, steht der Patient vor einem Dilemma: Es geht uni seine eigene Gesundheit, ihm fehlt aber das nötige Wissen, um zu entscheiden. Wie soll er das Risiko eines schwierigen Eingriffs einschätzen können? Und wie soll er, wenn’s schiefgehen sollte, nachweisen, dass der Ärztin ein Kunstfehler unterlaufen ist?
Die Gerichte haben erkannt, dass der Patient von Anfang an einen schweren Stand hat. Deshalb führten sie neben der Haftung für eigentliche Behandlungsfehler auch eine Haftung für mangelnde oder falsche Aufklärung des Patienten ein. Der Patient soll wissen, welche Risiken er bei einer Behandlung eingeht. Schlägt eine Therapie oder Operation fehl, muss die Ärztin deshalb nachweisen, dass sie den Patienten über die Vorgehensweise, die möglichen Folgen und Risiken aufgeklärt hat. Für den Patienten ist dies insofern eine Erleichterung, als nicht er, sondern die Ärztin die Beweislast trägt. Kann sie nicht beweisen, dass sie ihre Aufklärungspflicht erfüllt hat, haftet sie – und zwar nicht nur wenn sie die ärztlichen Sorgfaltsregeln verletzt hat, sondern für jeden Misserfolg der Behandlung. In der Praxis ist es für Sie als Patient oft einfacher, sich auf die Verletzung der Aufklärungspflicht zu berufen als einen Kunstfehler nachzuweisen.
Urteil: Bei einer bestimmten Rückenoperation kommt es oft zur Lähmung beider Beine. In beinahe 70 Prozent dieser Fälle tritt keine Besserung ein, bei fast 35 Prozent kommt es zur Querschnittlähmung. Über dieses Risiko hätte der Patient ausdrücklich und mit Angabe der Pro- zentzahlen auf geklärt werden müssen, was nicht geschah. Auch konnte der Arzt nicht nachweisen, dass der Patient. wäre er genügend aufgeklärt worden, trotzdem in den Eingriff eingewilligt hätte. Deshalb wird er haftpflichtig.
Wie weit die Aufklärung gehen muss, hängt von der konkreten Behandlung ah. Je riskanter sie ist, umso sorgfältiger ist der Patient aufzuklären. Umgekehrt darf die Ärztin auf eine Aufklärung verzichten, wenn geringe Risiken (im Bereich von einem Prozent) bestehen oder wenn es sich um eine alltägliche Standardbehandlung ohne besondere Gefahren handelt.
Wer haftet für die Folgen?
Gegen wen kann ein geschädigter Patient vorgehen? Das hängt davon ab, mit wem er den Vertrag über die Behandlung abgeschlossen hat. Von der Haftung her gibt es grundsätzliche Unterschiede je nachdem, ob der Fehler im Spital oder beim Arzt in seiner Praxis passiert ist. Ohne dass Sie je etwas unterschrieben haben, besteht zwischen Ihnen und einem frei praktizierenden Arzt ein Behandlungsvertrag. Sie rufen in der Arztpraxis an und lassen sich einen Termin geben – schon ist der Vertrag abgeschlossen. Die Haftung des frei praktizierenden Arztes ist also eine vertragliche. Können Sie nachweisen, dass er den Vertrag schlecht erfüllt hat – dass er unsorgfältig gearbeitet oder Sie nicht genug über die Risiken aufgeklärt hat haftet er.
Im Spital ist die Situation etwas komplizierter. Die Haftung hängt davon ab, ob es sich um eine öffentliches Spital oder um eine Privatklinik handelt:
• Kantonsspitäler und andere öffentliche Spitäler unterstehen dem öffentlich-rechtlichen Haftungsrecht. Die Haftungsgesetze sind kantonal geregelt; es gibt also 26 verschiedene Regelungen. Meist muss aber der Geschädigte bei einer Fehlbehandlung im Spital kein Verschulden nachweisen, denn die Haftung des Staats ist eine Kausalhaftung. Je nach kantonaler Regelung können das Spital und der behandelnde Spitalarzt die Haftung aber abwenden, wenn sie ihrerseits beweisen, dass sie kein Verschulden trifft.
• Privatspitäler sind keine öffentlichen Einrichtungen, unterstehen also auch nicht dem öffentlichen Haftungsrecht. Für ihre Haftung gilt das Gleiche wie bei der Behandlung in der Arztpraxis; sie haften für den schlecht erfüllten Behandlungsvertrag.
• Belegarzt: Belegärzte sind frei praktizierende Arzte, welche die Infrastruktur eines Spitals benützen (vor allem den Operationssaal). Passiert beispielsweise einer Gynäkologin als Belegärztin in einem öffentlichen Spital bei einer Geburt ein Fehler, haftet sie für die Folgen vollumfänglich persönlich. Sie haftet sogar für das Spitalpersonal, das bei der Behandlung direkt mitwirkt – zum Beispiel für die Krankenschwester, die ein falsches Kontrastmittel bereitstellt. Fehler in der allgemeinen Pflege muss aber das Spital verantworten —beispielsweise Verbrennungen wegen einer zu heißen Bettflasche.
So verhalten Sie sich richtig nach einem Ärztepfusch
Sie sehen: Die Haftpflicht bei ärztlichen Fehlbehandlungen ist keine einfache Geschichte. Lassen Sie sich also beraten; es gibt eine Reibe kompetenter Beratungsstellen, zum Beispiel von den Patientenorganisationen. Die Beratungsstelle wird zuerst anhand Ihrer Unterlagen und Erzählungen feststellen, ob es sich um einen Kunstfehler im rechtlichen Sinn handeln könnte und ob überhaupt etwas zu machen ist. Wenn ja, werden die Beweise gesichert. Die Beraterin verlangt bei den behandelnden Ärzten die medizinischen Unterlagen (Röntgenbilder, Operationsberichte, Krankengeschichte). Die meisten Patientenorganisationen haben im Hintergrund ärztliche Vertrauenspersonen, denen sie den Fall unterbreiten können. Diese sind in der Lage, sich nach einer ersten Sichtung der Unterlagen zu den medizinischen und rechtlichen Chancen eines Vorgehens gegen den Arzt oder das Spital zu äußern. Ist die Prognose günstig, kann der Arzt oder das Spital mit einer Forderung konfrontiert werden. Meist kommen dann die Haftpflicht-versicherungen ins Spiel. Die im Bereich Arzt- und Spitalhaftung tätigen Versicherer verfügen über spezialisierte Abteilungen und Vertrauensärzte, denen die Sache vorgelegt wird. Entweder wird dann die Haftung abgelehnt – was nur bedeutet, dass der Versicherer nicht zahlen will, nicht mehr – oder der Versicherer lenkt ein.
Checkliste: Was tun nach einem Arztfehler?
Sofort, wenn Sie einen Fehler vermuten (innert 3 bis 10 Tagen) | □ Beschwerden und Schmerzen dem zuständigen Arzt mitteilen □ Zweitmeinung bei einer anderen Ärztin einholen |
Wenn’s nicht bessert | □ Beim Arzt oder Spital Kopie der Krankengeschichte, |
(innert 2 bis 6 Monaten) | allenfalls Operationsbericht verlangen □ Beratungsstelle oder Anwalt aufsuchen und abklä- ren, ob ein Strafverfahren eingeleitet werden muss Fehlbehandlung der eigenen Unfallversicherung melden □ Fall bei der Haftpflichtversicherung des Arztes oder Spitals anmelden |
Später | □ Fehlbehandlung in öffentlichem Spital: Je nach |
(aber nicht vergessen) | Kanton muss innert einer Frist von einem oder zwei Jahren an der richtigen Stelle eine formelle Forderung eingereicht werden. Sonst droht der definitive Verlust aller Ansprüche. □ Bei Arbeitsunfähigkeit vor mehr als einem Jahr: IV-Anmeldung |
Lehnt der Versicherer die Haftung ganz ab oder lässt sich keine Einigung über die Höhe des Schadenersatzes erzielen, müssen Sie sich überlegen, ob Sie beim Gericht Klage einreichen wollen. Spätestens zu diesem Zeitpunkt sollten Sie einen im Arzt- und Haftpflichtrecht kundigen Rechtsanwalt beiziehen. Wer als Laie einen Zivilprozess in einer so heiklen Materie allein führt, wird höchstwahrscheinlich Schiffbruch erleiden.