In schöner Regelmäßigkeit beklagen Aufsichtsbeamte seit den 70er- Jahren des vergangenen Jahrhunderts die Missstände im Bereich der Kapital-Lebensversicherung und die Mängel der Überschussbeteiligung. So z. B. Äußerungen des damals zuständigen Aufsichtsbeamten Gottfried Claus, der von Mängeln der nicht konkreten, unausgewogenen und deshalb unbefriedigenden Regelung der Überschussbeteiligung spricht:
Die dem Bundesaufsichtsamt zur Verfügung stehenden Mittel reichen nicht aus, um die Belange der Versicherten auch insoweit zu währen, dass die den Versicherungsnehmern zustehenden Überschüsse aus dem Risikoverlauf und den Kapitalanlagen diesen auch tatsächlich ungeschmälert zugute kommen. – Mit dem Dilemma müssen wir leben.
Der Mainzer Wirtschaftsprofessor Diederich hielt dagegen:
Angesichts der über Jahre hinweg auch vom Aufsichtsamt selbst als unzureichend angesehenen Beitragsrückerstattung mancher Lebensversicherungs-Unternehmen ist es unverständlich und aus verbraucherpolitischer Sicht zu beanstanden, dass die dem Bundesaufsichtsamt zur Verfügung stehenden Eingriffsmittel nicht dazu eingesetzt wurden, diese Missstände zu beheben.
Aber nichts geschah. Dabei hat das Aufsichtsamt bis Mitte 1994 ganz entscheidend an den Versicherungsbedingungen, also auch an den Regelungen zur Überschussbeteiligung und zur Beitragsrückzahlung bei Kündigung (Rückkauf) mitgewirkt. Es musste nämlich bis dahin die Geschäftspläne, Bedingungen und Tarife der Unternehmen genehmigen. Aufgrund dieser staatlichen Kontrolle stand in den Bedingungen zu Kapitalversicherungen so gut wie nichts zur Überschussbeteiligung und zum Rückkauf. Die Kunden erfuhren nur, dass sich diese Vorgänge nach dem vom Aufsichtsamt genehmigten Geschäftsplan regelten. Und dieser war geheim. Auch diese Regelung hatte der Bund der Versicherten bis hin zum Bundesgerichtshof angegriffen. Der BGH wies die Klage im Jahre 1994 ab mit der Begründung, das sei alles in Ordnung, weil der Gesetzgeber das so gebilligt habe.
Bei diesen internen und geheimen Regelungen hat das Aufsichtsamt den Gesellschaften weitgehend freie Hand gelassen. Ebenso im Umgang mit dem Versichertengeld, seinen Überschüssen und Erträgen. Denn das Problem einer staatlichen Aufsichtsbehörde ist, dass Beamte nur das tun, was ihnen Gesetze vorgeben. Und so können sie mit Generalklauseln – wie Missstände verhindern und beseitigen oder Belange der Versicherten wahren – wenig anfangen. Aus Angst vor Fehlern und Haftung haben die verantwortlichen Beamten nur das wirklich Notwendigste getan bzw. von den Versicherungsgesellschaften verlangt, oft aber nicht durchgesetzt. Im Jahre 1999 hat das Aufsichtsamt zugegeben, dass es eigentlich im Rahmen der Missbrauchsaufsicht weiterhin Versicherungsbedingungen überprüfen und Missstände in diesem Bereich beseitigen müsste, diese Aufgabe jedoch nicht mehr wahrnimmt und den Verbraucherschutzorganisationen und den Gerichten überlassen hat.
So wurde die Aufsichtsbehörde, die den Missbrauch von Versichertengeld verhindern sollte, dies aber nicht getan hat, zum Alibi für die Legalität eines Veruntreuungsvorgangs und zu einer Art Unternehmensschutzbehörde. So auch die Meinung der Gesetzemacher vor 100 Jahren, die schon damals befürchteten, was fast 100 Jahre Realität geworden ist: Die Schattenseiten des Systems sind mit aller Schärfe in den Vordergrund getreten, weil die staatliche Aufsichtsbehörde ihre weitgehenden Machtbefugnisse nicht angewendet hat.
Gerichte sehen (falsche) Gesetze und (tatenlose) Staatsaufsicht als Alibi für die Legalität eines Veruntreuungsvorganges an
In Prozessen, die der Bund der Versicherten (BdV) seit Jahren gegen die Kapital-Lebensversicherung führt, musste die staatliche Versicherungsaufsicht immer wieder als Alibi für die Legalität der Veruntreuung von Versichertengeld herhalten. So hatte der Bundesgerichtshof (BGH) erstmals im Jahre 1983 festgestellt, dass der Vertrag über eine Kapital-Lebensversicherung tatsächlich so gestaltet ist, dass der Versicherungsnehmer im ungünstigsten Fall nur die fest vereinbarte Versicherungssumme – also in etwa seine eingezahlten Beiträge – zurückerhält. Was mit den Zinsen aus der Anlage des Versichertengeldes und den Beitragsüberschüssen geschehe, sei eine unternehmerische Entscheidung des Unternehmensvorstandes.
Im Jahre 1994 hatte der Bundesgerichtshof (BGH) durch ein weiteres Verfahren des Bundes der Versicherten Gelegenheit, seine frühere Entscheidung zu überprüfen. Der BGH erkannte dabei durchaus, dass Querverrechnungen von Kostenüberschreitungen mit Erträgen und Beitragsüberschüssen möglich seien und die Gesellschaften Spielräume im Umgang mit Versichertengeld hätten. Der Gesetzgeber habe das aber gesehen und gebilligt und zur Kontrolle und Verhinderung von Missständen die staatliche Versicherungsaufsicht, eingerichtet. Der Spiegel schrieb dazu: Spätestens seit diesem Urteil ist klar, wo das deutsche Versicherungswesen schief liegt. Die Versicherungsunternehmen dürfen doppelt und dreifach überkalkulierte Prämien kassieren, doch die Frage, was mit den zwangsläufig entstehenden Überschüssen und den Spargeldern der Kunden geschehen soll, ist nicht eindeutig geregelt.
Der Bund der Versicherten hat gegen die BGH-Entscheidung Anfang 1995 Verfassungsbeschwerde eingelegt, die Ende 2001 noch läuft. Außerdem stehen zwei weitere Verfassungsbeschwerden gegen Urteile des Bundesverwaltungsgerichts zur Entscheidung an, die das Beiseiteschaffen von stillen Reserven im Rahmen einer Bestandsübertragung zwar als Nachteil für die Versicherten ansehen. Diese Benachteiligung sei aber nicht unangemessen (also übersetzt: eine angemessene Benachteiligung, was immer das sein soll). Und deshalb hätte das Aufsichtsamt diesem Beiseiteschaffen von Versichertengeld auch zustimmen dürfen. Denn das Amt brauche die Interessen der Versicherten nicht optimal, sondern nur ausreichend zu wahren. Im Übrigen könnten die Versicherten etwaige Ansprüche ja vor den Zivilgerichten einklagen.
Sie sehen das Ping-Pong-Konzept: Der BGH beruft sich auf die Kontrolle durch eine staatliche Versicherungsaufsicht und das Bundesverwaltungsgericht nimmt dem Aufsichtsamt die Verantwortung wieder ab und gibt den schwarzen Peter zurück an die Zivilgerichte. Auch das Oberlandesgericht Hamburg hat durchaus die Möglichkeit erkannt, dass Lebensversicherte finanzielle Verluste erleiden, was ein Anlass für den Gesetzgeber sein könnte, das System zu ändern. Vorher könnten aber die Gerichte nicht eingreifen. Das Oberlandesgericht Nürnberg hat bisher als erstes und einziges Gericht die Forderung nach einer Aufteilung der Lebensversicherungsprämie unterstützt: Die Risikoanteile sind vom Lebensversicherungsunternehmen treuhänderisch zu verwalten und Überschüsse zurückzuzahlen.
Es widerspricht dem Vertragszweck, wenn die Risikoanteile in das Vermögen der Beklagten übergehen sollen. Nur die Verwaltungskosten stellen ein echtes Entgelt dar. Durch eine gesonderte Ausweisung der einzelnen Prämienbestandteile würde die erforderliche Transparenz hergestellt und zugleich der Wettbewerb unter den Lebensversicherungsunternehmen gesteigert. Das Urteil wurde nicht rechtskräftig, weil sich die Allianz mit dem Kläger in der Revisionsinstanz verglichen hat.