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100 Jahre alte Kritik, die nicht beim Verbraucher ankommt – Lebensversicherung in Deutschland

Versicherungs-Aktiengesellschaften haben – wie betrügerische Spendenvereine – unter dem Vorwand eines guten Zwecks Milliarden von Mark eingesammelt, um sich bei riesigem Kostenaufwand die zwangsläufig entstehenden Überschüsse als Gewinne oder stille Reserven einzustecken. Die Beute wird dann Hand in Hand mit brancheneigenen Wissenschaftlern vor Eingriffen der staatlichen Aufsicht verteidigt und schließlich sogar unter den Augen und mit Genehmigung der Staatsaufsicht und von Staatsanwälten sowie mit Zustimmung der Gerichte beiseite geschafft.

Vor mehr als 100 Jahren gab es schon die in den nächsten Versicherungsartikeln dargestellte Kritik des amerikanischen Aufsichtsbeamten Elizur Wright, der sich fragte, ob Lebensversicherungen jemals mit einem gewissen Grad an Ehrlichkeit betrieben werden. Später gab es in den USA Bücher mit den Titeln Wie ein Dieb in der Nacht, Die Lebensversicherungs-Verschwörung, Der große amerikanische Versicherungsbluff, Wie dich deine Lebensversicherungspolicen ausrauben. In einer Anhörung im US-Kongress verwendeten Professoren und Verbraucheranwälte Bezeichnungen wie nationaler Skandal und Verbraucherbetrug. In den USA ist die Kapital-Lebensversicherung, in der Dinge miteinander vermengt sind, die getrennt werden sollten (Elizur Wright), längst tot wie in vielen anderen Staaten. In Deutschland zwar auch, es weiß nur noch keiner (außer der Branche).

In Deutschland kam die erste große Kritik Ende der 70er-Jahre des vergangenen Jahrhunderts von der Zeitschrift Capital: Vier akute Missstände bestehen derzeit in der deutschen Lebensversicherung: Jede vierte Gesellschaft müsste eigentlich von Amts wegen geschlossen werden, weil sie ihre Versicherten in einem nicht mehr zu recht-fertigenden kläglichen Umfang an den Überschüssen beteiligt. Nicht sichergestellt ist, dass den Versicherten die stillen Reserven ihres Treuhandvermögens gehören. Die Branche jongliert gegenüber ihren Kunden mit Hochrechnungen in die Zukunft, die suspekt sind. – In der Tat ist es erstaunlich, was der Staat der Lebensversicherungsbranche alles zugesteht. Dank der hohen verordneten Gewinne und der Steuersubventionen kommt die Erlaubnis zum Betrieb einer Lebensversicherung der staatlichen Konzession gleich, sich Geld selber drucken zu dürfen.

Die Süddeutsche Zeitung zog daraus den Schluss: Der Staat selbst sorgt für paradiesische Zustände, die für Unternehmen der Assekuranz Möglichkeiten garantieren, wie sie sonst nur in Bananenrepubliken anzutreffen sind. – Für den Frankfurter Wirtschaftsprofessor Klaus-Thomas Krycha erfüllte der Umgang mit dem Geld der Lebensversicherten den objektiven Tatbestand der Veruntreuung. Ähnlich der Bund der Versicherten (BdV). In einer Broschüre Versicherung – ja, aber …, die der Bund der Versicherten im Jahre 1982 zusammen mit der Verbraucherzentrale Hamburg herausgegeben hatte, war zu lesen:

Die Lebensversicherung zur Altersversorgung ist ein legaler Betrug Diese Kapital-Lebensversicherung ist zu 90 Prozent überhaupt keine Versicherung, sondern ein langfristiger Sparvertrag mit einer Rendite, die oft unter der Inflationsrate liegt und dann gleich Null ist. Mit den Geldern, die Lebens versicherte langfristig hingeben, verschaffen sich die Unternehmen aber inflationssichere Kapitalanlagen mit hohen Wertsteigerungen, an denen die Versicherten nur selten beteiligt werden. Und der Staat verschafft sich hier billige langfristige Kredite, sodass man Beiträge für Kapital-Lebensversicherungen in vielen Fällen auch als Steuer für Dumme bezeichnen kann, die man hier mit angeblichen Steuervorteilen (die kaum zum Tragen kommen) zur langfristigen Geldhingabe verführt.

Millionen Bundesbürger haben durch den Abschluss falscher Kapital-Lebensversicherungen Zigmilliar- den Mark verloren – vor allem beim vorzeitigen Aussteigen aus diesen Verträgen und die dann meist sehr geringe Beitragsrückzahlung. Gewinner sind Staat und Lebensversicherungsunternehmen, die hier Hand in Hand arbeiten. Der Verband der Lebensversicherungsunternehmen, an derart massive und öffentliche Kritik nicht gewöhnt, wollte diesen Vorwurf natürlich nicht auf sich sitzen lassen. Er klagte gegen den Bund der Versicherten auf Unterlassung dieser verletzenden Äußerungen. Die Klage wurde im Juni 1983 durch Urteil des Landgerichts Hamburg abgewiesen. Die Branche legte aus optischen Gründen Berufung ein, zog diese aber in der Erkenntnis, dass sie diesen Prozess nicht gewinnen konnte, gleich wieder zurück.

Das Landgericht Hamburg führte in seiner Urteilsbegründung aus:
Die streitige Äußerung dient der Aufklärung der Verbraucher über das Wesen der Lebensversicherung zur Altersversorgung. Durch die Einstufung dieser Versicherung als legaler Betrug wird von dem Abschluss solcher Verträge abgeraten. Es ist ein öffentliches Interesse daran vorhanden, dass potenzielle Versicherungsnehmer über die verschiedenen Möglichkeiten, das Todesfallrisiko zu versichern, aufgeklärt werden. Angesichts dessen, dass in der Werbung des Klägers und seiner Mitgliedsunternehmen die Lebensversicherung zur Altersversorgung im Vordergrund steht, besteht ein Auf-klärungsbedürfnis über die Versicherungsart Risiko-Lebens-
Versicherung.

Die Aussagen in der Broschüre zum Thema Risiko-Lebensversicherung und Lebensversicherung zur Altersversorgung ergeben, dass hier ein Vergleich zwischen diesen Versicherungsarten vorgenommen und im Interesse der Verbraucher – als für diese günstiger – der Abschluss von Risiko- Lebensversicherungen empfohlen wird.
Diese Medien- und Wissenschaftskritik zusammen mit dem Urteil über den legalen Betrug haben letztendlich bewirkt, dass vor allem die großen Aktiengesellschaften sich entschließen mussten, die – so Capital – vielfach klägliche Überschussbeteiligung der Versicherten ein wenig zu verbessern. Und das Aufsichtsamt gab zu, dass die Kritik nicht ganz unberechtigt sei, und führte Verbesserungen bei Rückkauf (vorzeitiger Kündigung) von Kapitalversicherungen ein.

Warum zahlen die Bundesbürger jahrzehntelang ihr sauer verdientes Geld zu völlig ungeregelten Bedingungen in Kapitalversicherungen ein – unflexibel, mit mäßiger Rendite und ohne Schutz vor Inflation?

Warum schließen die Bundesbürger zur Familienversorgung keine Risiko-Lebensversicherungen ab und legen ihr Geld nicht inflationsgeschützt in Sachwerten (Aktien, Aktienfonds, Wohneigentum) an?

Die Branche hält der Kritik immer entgegen, dass Millionen Deutsche immer wieder Kapital-Lebensversicherung abschließen und dieses ein ungeheurer Vertrauensbeweis sei. Hierzu schrieb der Bund der Versicherten in seiner Mitgliederzeitung: Fragen Sie einmal ein Schaf, wie ihm das verseuchte Gras schmeckt, das es gerade frisst. Das Schaf wird blöken wunderbar! – und danach tot Umfallen. Fragen Sie einmal die Deutschen, was sie für die beste Altersvorsorge neben der Rente halten. Die meisten werden blöken: Die Kapital-Lebensversicherung! (denn Papa und Mama, Opa und Oma hatten auch eine Kapital-Lebensversicherung). Und sie werden nach Jahrzehnten feststellen, dass sie viel Geld verloren haben. – Immerhin besser, als tot umzufallen! – Die Deutschen haben in 1996 ihre Meinung geäußert und das Institut für Demoskopie Allensbach kommt im Auftrag des Verbandes der Lebensversicherungsunternehmen zu dem Umfrageergebnis, dass nur die Lebensversicherung stabile Vertrauenswerte erreichte.

Man könnte die obigen Fragen ganz einfach mit einem Satz beantworten: Weil die Deutschen von all diesen Dingen nichts wissen. Trotzdem muss etwas Besonderes in Deutschland sein. Denn in allen anderen Ländern hatten die Gesetzemacher die Kapital-Lebensversicherung genauso ungeregelt gelassen wie in Deutschland. Dennoch ist diese Versicherungsform (fast) überall tot. Der Grund: Die Verbraucher sind dort an Gelddingen mehr interessiert und deshalb besser informiert. Sie sind clever genug, Kapital-Lebensversicherungen deutschen Stils mit ihren mäßigen Renditen als legalen Betrug zu erkennen und nicht mehr abzuschließen.

Allerdings scheinen sich die Deutschen in den letzten Jahren doch mehr um ihr Geld zu kümmern. Und die Kritik an Kapital bildenden Versicherungen scheint anzukommen; denn diese Versicherungen sind auf einem absteigenden Ast. Nach einem Höchststand von etwa 60 Millionen Verträgen im Jahre 1992 gab es Ende 1999 nur noch etwa 54 Millionen Kapital-Lebensversicherungen – trotz fünf bis sieben Millionen Neuabschlüssen, mit denen die Branche jedes Jahr geprahlt hat. Auch daran lässt sich erkennen, wie viele Versicherte vorzeitig aus ihren Verträgen wieder aussteigen. Wenn der Gesetzgeber versagt und mit der Branche geklüngelt hat, wenn die Branche die so genannte Versicherungswissenschaft und damit auch die Rechtsprechung und Staatsaufsicht unter Kontrolle hat, dann ist das für die Verbraucher eigentlich noch kein Grund, Kapital- Lebensversicherungen abzuschließen.

Gerichte haben diese verbrauherfeindlichen Zustände durchaus erkannt und den Gesetzgeber /um Handeln aufgefordert, aber ein Hamburger Gericht hat auch einmal gesagt: Der Kläger hätte den Vertrag ja nicht abzuschließen brauchen! Zigmillionen Deutsche haben aber Kapital-Lebensversicherungen abgeschlossen und Millionen schließen sie immer noch Jahr für Jahr ab. Wenn also schon Gesetzgeber, Wissenschaft und Aufsicht versagt haben, dann hätten wenigstens die Medien die Verbraucher über die Nachteile von Kapitalversicherungen aufklären und den massenhaften legalen Betrug verhindern können. Entweder haben sie es nicht getan oder die Deutschen sind für Fragen der Vorsorge und Geldanlage nicht zu interessieren. Im Grunde trifft – mehr oder weniger – beides zu. Die deutschen Medien haben ihre speziellen Probleme und die deutschen Verbraucher haben ihre besonderen Probleme.

In Deutschland gab es leider viele Journalisten, die in der Vergangenheit in den Medien immer wieder – ungeprüft – positive Berichte über die Kapital-Lebensversicherung platzieren konnten. Selbst in der Zeitschrift test erschienen in den 80er-Jahren des vorigen Jahrhunderts noch Artikel, die das Prädikat mangelhaft verdienen. So wurde z. B. zu Kapital-Lebensversicherungen empfohlen: Früh anzufangen lohnt sich! Die Rendite wurde als gar nicht so schlecht bezeichnet und die Risiko-Lebensversicherung wurde als kleine Lösung für arme Leute, die Kapital-Lebensversicherung aber als die große Lösung dargestellt-wie in Werbeprospekten der Branche. Obwohl aus demselben Hause, informiert FINANZtest wesentlich qualifizierter.

Nur wenige engagierte Journalisten (Zitate siehe oben) haben die Öffentlichkeit darauf hinzuweisen versucht, dass die Kapital-Lebensversicherung weder als Versicherung noch als Geldanlage etwas taugt, dass man sich anders versichern und andere Geldanlagen betreiben sollte, dass Gesetzgeber und Staatsaufsicht versagt haben. So z. B. die WAZ: Immer mehr Kritiker entlarven die Werbeversprechen der Branche. Jahrelang winkte im Fernsehen ein freundlicher Herr mit dicken Geldbündeln und versprach sichere Dividende. Bei einer Mehrheit herrscht deshalb der Eindruck: Wer keine Lebensversicherung abgeschlossen hat, verarmt im Alter und lässt seine Familie im Stich. Die Werbemaschine der Lebensversicherer läuft auf Hochtouren.

Dazu machen 400000 Versicherungsvertreter in Rentenanalysen gefährliche Geldlücken im Alter aus – und die seien ausschließlich mit Kapital-Lebensversicherungen zu schließen. Dabei kann jede Sparanläge, jeder Immobilienkauf eine Vorsorge fürs spätere Rentenleben sein. Diese Informationen und Warnungen sind aber beim Verbraucher kaum angekommen. Sonst gäbe es die etwa 60 Millionen Kapitalversicherungen und die millionenfachen Neuabschlüsse – auch von privaten Rentenversicherungen – nicht.

Aug 3, 2016gesundhe-admin
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