Strukturvertriebe
Wenn Sie einen Strukturvertrieb in den Gelben Seiten suchen wollten, würden Sie vergeblich suchen. Der Begriff ist den Strukturvertrieben nämlich viel zu negativ besetzt. Sie firmieren lieber unter wohlklingenden Bezeichnungen wie Allfinanzberatung, Finanzoptimierer oder Experten für umfassende Finanz- und Wirtschaftsanalyse, um nur einige dieser fantasievollen Bezeichnungen zu nennen.
Ein Strukturvertrieb heißt deshalb so, weil seine Mitarbeiter in einer hierarchischen Struktur arbeiten und Provisionen anhand vorgegebener Schlüssel in dieser Struktur verteilt werden. Verdient werden die Provisionen aus der Vermittlung von Versicherungen, Bausparverträgen, Investmentfonds, sogenannten Steuersparanlagen aller Art, Immobilienfonds und vielem mehr. Es werden also nicht nur Versicherungen vermittelt.
Die Versicherungen, die vermittelt werden, müssen aber zwingend eine Provision erbringen, denn der Strukki oder Drücker, wie diese Vermittler auch respektlos genannt werden, sind auf diese Einnahmen angewiesen. Das Fixum, also der Verdienst unabhängig vom Verkauf, ist sehr niedrig oder besteht gar nicht. Damit gilt für die Unabhängigkeit der Beratung vieles von dem, was schon über Einfirmenvertreter und Makler gesagt wurde.
Die Strukkis müssen aber noch einen guten Teil dieser Provisionen abgeben – eben an die über ihnen rangierenden Mitglieder der Struktur. Sie wollen alle mitkassieren – und das bezahlen Sie. Natürlich ohne es zu bemerken, denn Provisionen sind im Gesamtpreis der Produkte enthalten, und am liebsten werden diejenigen verkauft, die die höchsten Provisionen bringen. Das sind aber nicht immer die Geldanlagen, die für Sie optimal sind. So zeigten Tests, dass besonders gern Hypothekenkredite verkauft werden, die mit einer Kapitallebensversicherung verbunden werden. Der Kunde zahlt dann jahrelang für Finanzprodukte, die gar nicht auf seinen Bedarf zugeschnitten sind, die aber dem Strukturvertrieb hohe Provisionen einbringen.
Wie Strukturvertriebe funktionieren
Man kann sich den Aufbau eines Strukturvertriebs pyramidenförmig vorstellen: Oben sitzen einige wenige Chefs, darunter sogenannte Landes- und Regionaldirektoren, darunter Bezirks- und Gebietsleiter und ganz am Ende der einfache Vermögensberater. Er ist das Frontschwein, wie es im Branchenjargon heißt, der Kundenkontakte und Abschlüsse machen muss.
Dabei machen Neukunden eines solchen Vermögensberaters eine ganz erstaunliche Erfahrung: Sie sollen nämlich nicht nur Kunde des Versicherungsunternehmens XY werden, sondern meist auch gleichzeitig Mitarbeiter des Strukturvertriebs. Von attraktiven Verdienstmöglichkeiten ist da die Rede – bei ganz wenig Arbeit natürlich. Mithilfe mancher Tests wird der Kunde/Mitarbeiter auf seine neue Tätigkeit vorbereitet und ihm nebenbei suggeriert, dass nur die Besten dort mitmachen könnten.
Die Realität sieht oft anders aus: Der Neue wird überredet, Namen und Adressen von Freunden und Verwandten herauszurücken. Diese werden dann von ihm und seinem Berater aufgesucht, um dort ebenfalls Abschlüsse zu tätigen. Nach einer Bewährungszeit darf der neue Berater dann allein zu den Neukunden gehen. Für die meisten ist die vielversprechende Karriere als Finanzberater allerdings nur von kurzer Dauer: Bald sind alle Freunde und Verwandten abgegrast, und neue Adressen gibt es vom anfangs so eifrigen Betreuer nicht.
Nicht wenige, die zu einer solchen Tätigkeit überredet wurden, machten in der Hoffnung auf baldigen Reichtum immense Schulden. Zum Beispiel für ein teures Büro oder ein standesgemäßes Auto, mit dem man beim Kunden Vorfahren kann. Auch für Arbeitsmaterialien wie Computer und Schulungsmaterial muss der neue Berater in der Regel selbst aufkommen.
Die Fluktuation, also der Absprung alter und die Hereinnahme neuer Berater, ist bei Strukturvertrieben groß. Zwangsläufig kann daher die Qualität dieser Beratung nicht besonders gut sein. Vielfach genügen einige wenige Tage Schulung, bevor die neuen Vermittler auf Kunden losgelassen erden. In diesen Schulungen stehen dann meist auch kaum Produkte wie Versicherungen oder Investmentfonds im Vordergrund, sondern psychologische Verkaufstechniken nach dem Motto: Wie erkläre ich dem Kunden, dass er gerade die Lebensversicherung des Unternehmens XY braucht, um eine echte oder vermeintliche Versorgungslücke zu decken?
Eine zunächst unerfreuliche Tatsache für Drücker ist, dass die meisten Bundesbürger bereits eine oder mehrere Kapitallebensversicherungen abgeschlossen haben. Doch das ist nur auf den ersten Blick ein Hindernis. Unter dem Vorwand, eine steueroptimierende Bedarfsanalyse zu erstellen, kommt ein Drücker fast immer zu dem Ergebnis, dass die bereits vorhandenen Policen entweder zu niedrig, zu hoch oder beim falschen Unternehmen abgeschlossen wurden. Die logische Folge: Der Kunde soll die alte Versicherung kündigen und eine neue – natürlich beim Unternehmen XY – abschließen. Was der Kunde meist nicht weiß: Dieser Vorgang – im Branchenjargon Umdecken genannt – kostet ihn einen Haufen Geld. Denn zunächst ist der sogenannte Rückkaufswert der gekündigten Lebensversicherung oftmals erschreckend niedrig. Hatte dieser Vertrag eine Laufzeit von weniger als zehn fahren, gibt es bei den meisten Unternehmen weniger Geld heraus, als der Kunde zuvor eingezahlt hat (siehe auch das Artikel Lebensversicherung).
Achtung!
Überlegen Sie es sich dreimal, ehe Sie die Versicherung wechseln – insbesondere dann, wenn Sie auf eine andere Lebensversicherung umsteigen. Die Nachteile sind in der Regel größer als die Vorteile. Lassen Sie sich unbedingt neutral beraten. Bedenken Sie, dass jede neu abgeschlossene Lebensversicherung dem Vertreter eine hohe Provision einbringt, die Sie letztendlich bezahlen. Gleichzeitig verlieren Sie meist viel Geld bei der gekündigten Lebensversicherung.
Für den neu abgeschlossenen Vertrag wird natürlich auch eine neue Provision fällig – schön für den Drücker und seinen Strukturvertrieb, schlecht für Sie, denn diese Provision wird in den ersten fünf Jahren aus Ihren Beiträgen bezahlt. Das bedeutet, dass fünf Jahre lang deutlich weniger in Ihren Spartopf wandert. Bis Ende 2007 waren sogar die ersten zwei Beitragsjahre komplett verloren – damit ist es mit dem neuen WG seit 2008 vorbei, das vorschreibt, dass die Provision auf die ersten fünf Jahre verteilt werden muss.
Dieses Umdecken geschieht massenhaft in Deutschland. Resultat: Millionenverluste für Hunderttausende von Kunden, Millionengewinne für Strukturvertriebe und Versicherungsunternehmen. Mit einer bedarfsgerechten Finanzberatung hat dieses Vorgehen nichts zu tun, eher könnte man es legalen Betrug nennen. Und welcher Strukturvertrieb macht so etwas? Natürlich immer die anderen, und sicher nicht das Unternehmen, dessen Berater gerade vor Ihnen sitzt!
Die Macht dieser Strukturvertriebe in Deutschland ist groß. So groß, dass große Banken und Versicherungen an ihnen nicht vorbeikommen, denn mit ihren Methoden, mit ihrer Verkaufspsychologie bringen sie den Banken und Versicherern Kunden in großer Zahl. Deshalb sind einige – wie zum Beispiel die Deutsche Bank, die Dresdner Bank, die Commerzbank oder die Hypovereinsbank, aber auch Versicherungen wie die Hamburg-Mannheimer oder die Aachener und Münchener – dazu übergegangen, entweder mit Strukturvertrieben zusammenzuarbeiten oder eigene aufzubauen.
Die wichtigsten Strukturvertriebe und wer dahintersteht
Die bekanntesten und größten Strukturvertriebe in Deutschland sind die Deutsche Vermögensberatung (DVAG), der Allgemeine Wirtschaftsdienst (AWD), die Hamburg-Mannheimer International (HMI), die OVB und die Bonnfinanz. Als Mutter aller deutschen Strukturvertriebe gilt die amerikanische Investors Overseas Services Ltd. (IOS). Sie etablierte Ende der 1960er Jahre in Deutschland eine bis dahin unbekannte Form des Finanzvertriebs: die Vermittlung von Finanzprodukten im Wohnzimmer des Kunden sowie die Organisation der Mitarbeiter in einer Struktur. Die IOS brach 1970 zwar mit großem Getöse zusammen und hinterließ über eine Million geschädigter Anleger. Doch die neuartigen Verkaufsmethoden wurden von ehemaligen IOS-Mitarbeitern weiterentwickelt.
DVAG
Die DVAG besteht seit 1975 und gilt mit nach eigenen Angaben zurzeit über 33000 Mitarbeitern als der größte Finanzvertrieb in Deutschland.
DVAG-Chef und Gründer Reinfried Pohl hat sein Handwerk als Verwaltungsratsmitglied von IOS gelernt. Er bezeichnet seine Firma sogar als weltweite Nummer eins unter den freien Finanzvertrieben. An der DVAG ist mit knapp 50 Prozent die Aachener und Münchener Beteiligungs-AG (AMB) beteiligt, die ihrerseits seit 1998 zur italienischen Generali gehört. So ist es nicht verwunderlich, dass DVAG-Vermittler in der Vergangenheit wesentlich zum AMB-Geschäft beigetragen haben. Neben den Versicherungen der Aachener und Münchener werden unter anderem auch Fonds der Deutschen Bank, Policen der Central Krankenversicherung und Badenia-Bausparver- träge vermittelt. Pohl gelang es, für die DVAG illustre Namen zu gewinnen: Im Vorstand der DVAG sitzt derzeit Ex-Kanzleramtschef Friedrich Bohl, im sogenannten Beirat der DVAG sitzt als Vorsitzender Ex-Kanzler Helmut Kohl seit September 2000). Das soll Zuverlässigkeit und Seriosität signalisieren. Gleichwohl stand die DVAG nicht selten öffentlich am Pranger – wegen mangelhafter Beratungsqualität. Einen großen Imageschaden verursachte 1996 das Buch Beraten und verkauft des ehemaligen DVAG-Mitarbeiters und Aussteigers Wolfgang Dahm. Sein Vorwurf: DVAG-Berater würden am liebsten diejenigen Policen vermitteln, die die höchsten Provisionen brächten, zum Beispiel dynamisierte Kapitallebensversicherungen, bei denen die Prämien des Jahr steigen. Doch der Erfolg gibt Reinfried Pohl wohl Recht: Er konnte laut DVAG-Homepage eigenen Angaben zufolge bis 2006 Verträge im Gesamtvolumen von über 130 Milliarden Euro unters Volk bringen.
OVB
Die OVB Vermögensberatung AG in Köln wurde 1970 von dem ehemaligen IOS-Manager Otto Wittschier gegründet. Das Image der Beratungsqualität war 1997 auf dem Tiefpunkt, als ein internes Schulungsvideo öffentlich wurde, in dem ein Schulungsleiter erklärte, dass es gelte, dem Kunden die Kohle aus der Tasche zu ziehen. 2006 arbeiteten nach eigenen Angaben rund 4200 hauptberufliche Mitarbeiter für die OVB, davon 1300 in Deutschland. Hauptaktionäre der heutigen OVB Holding AG sind der Deutsche Ring, der wiederum zur Schweizer Baloise-Holding gehört, die Volksfürsorge Lebensversicherung und die Iduna Lebensversicherung. Seit 2006 ist die OVB Holding AG börsennotiert und auch wesentlich in Mittel und Osteuropa aktiv.
AWD
Der Allgemeine Wirtschaftsdienst (AWD) wurde 1988 von dem ehemaligen OVB-Landesdirektor Carsten Maschmeyer gegründet. Im Oktober 2000 ging die AWD Holding AG an die Frankfurter Börse, wurde 2001 in den M-DAX aufgenommen und nennt sich seither größter unabhängiger Finanzdienstleister Europas. Der Börsengang brachte AWD-Chef Maschmeyer knapp 500 Millionen Euro ein. Doch der AWD-Börsenkurs entwickelte sich seitdem schlechter als der M-DAX. Nach eigenen Angaben beschäftigte der AWD europaweit im Jahr 2006 rund 6 000 hauptberufliche Mitarbeiter. Vor 2002 waren es noch mehr Berater, die meisten davon aber nicht hauptberuflich. Aus dieser Zeit stammen viele Negativ-Schlagzeilen wegen unzureichender Beratungsqualität des AWD. Das scheint besser geworden zu sein. Zum AWD gehören unter anderem auch die Firmen tecis und Horbach.
HMI
Die Hamburg-Mannheimer International (HMI) wurde vom ehemaligen IOS-Generalmanager Werner Kunkler gegründet und ist für die Hamburg-Mannheimer Versicherung (Hallo, Herr Kaiser!) tätig, die wiederum zur ERGO-Versicherungsgruppe gehört. Zu ERGO gehören auch die Victoria-Versicherung, die Deutsche Krankenversicherung (DKV), die D.A.S.- Rechtsschutz., die Karstadt Quelle-Versicherungen und der Finanzdienstleister MEAG. Die HMI-Mitarbeiter sollen nur Produkte im Umfeld der Hamburg-Mannheimer vermitteln.
Bonnfinanz
Die Bonnfinanz wurde bereits 1970 vom heutigen DVAG-Chef Reinfried Pohl nach dem IOS-Zusammenbruch aufgebaut und bezeichnet sich als ältester Allfinanzvertrieb Deutschlands. Von 1992 bis 2002 gehörte die Bonnfinanz als Tochter der Versicherungsgruppe Deutscher Herold zur Deutschen Bank. Galt die Bonnfinanz zuvor als Kloppertruppe mit einem sehr eingeschränkten Angebot, so erwarb sie sich während der Zugehörigkeit zur Deutschen Bank einen recht soliden Ruf. Seit 2002 gehören der Deutsche Herold und die Bonnfinanz zur Schweizer Finanzgruppe Zürich Financial Services AG.
MLP
Zu den Wettbewerbern zählt auch die 1984 gegründete MLP AG mit Sitz in Heidelberg (Marschollek, Lautenschläger & Partner). Die MLP, die sich selbst nicht als Strukturvertrieb bezeichnet und nach eigenen Angaben keine Steuersparanlagen vermittelt, war lange Zeit mit zweistelligen Umsatzzuwächsen recht erfolgreich. Zielgruppe der MLP waren und sind junge Akademiker, vor allem Mediziner und Juristen. 2002 war die Erfolgsgeschichte allerdings erst einmal zu Ende. Es gab den Vorwurf der Bilanzfälschung, worauf die Staatsanwaltschaft ermittelte und in der Folge auch gegen Ex-Vorstandschef Bernhard Termühlen Anklage erhob. Sie wurde 2007 gegen Geldzahlung eingestellt. Für MLP, das im M-DAX gelistet ist, arbeiten