Wartezeiten beim Arztbesuch
Sachverhalt: Der wegen eines insulinpflichtigen Diabetes mellitus Typ I erblindete Kläger verfolgte mit seiner Klage die Einstufung in die Pflegestufe 2. Nachdem das Widerspruchsverfahren und die Klage vor dem Landessozialgericht (LSG) erfolglos verliefen, trug der Kläger im Rahmen der Revision insbesondere vor, dass das LSG bei der Ermittlung des erforderlichen Zeitaufwandes im Bereich der Grundpflege von zu geringen Zeitwerten ausgegangen sei. Zudem seien die Zeiten, die für die Begleitung zum Arbeitsplatz notwendig waren, und die dort erforderlichen Hilfen nicht berücksichtigt worden. Ferner sei zu berücksichtigen, dass er in Krisensituationen – zum Beispiel bei nicht vorhersehbarer Unterzuckerung – die sofortige Hilfe der Pflegeperson benötige.
Entscheidung:
Das Bundessozialgericht (BSG) lehnte eine Einstufung in die Pflegestufe 2 wegen der fehlenden zeitlichen Mindestvoraussetzungen ab. Das BSG unterstrich mit Hinweis auf die Grundsatzentscheidung vom 19.02.1998, dass die bloße Verfügbarkeit bzw. Einsatzbereitschaft einer zur Hilfeleistung bereiten Person noch keine Hilfeleistung im Sinne des § 14 Abs. 3 SGB XI darstellt, sondern nur als Voraussetzung für die Möglichkeit einer Hilfeleistung anzusehen ist. Weiter führt das BSG aus, dass für die Zuordnung zu den Pflegestufen des § 15 Abs. 1 SGB XI nur der Hilfebedarf ausschlaggebend ist, der in den elementaren Lebensbereichen besteht. Der in § 14 Abs. 4 SGB XI aufgelistete Katalog, der die zur Aufrechterhaltung der Lebensführung notwendigen Verrichtungen enthält, bezieht jedoch die Lebensbereiche wie Unterhaltung, Bildung und Erwerbstätigkeit nicht mit ein.
Das LSG habe nach den Ausführungen des BSG zutreffend entschieden, dass eine Berücksichtigung der Begleitung des Klägers zur Arbeitsstätte als Pflegebedarf auszuschließen ist, da außerhalb der Wohnung Hilfeleistungen beim Gehen nur insoweit beachtlich sind, als die Wege für die Aufrechterhaltung der Lebensführung unumgänglich und das persönliche Erscheinen des Pflegebedürftigen notwendig sind.
Hinsichtlich der für den Kläger im Bereich der Mobilität benötigten Begleitung zu regelmäßig anfallenden Arztbesuchen nimmt das BSG erstmals eine „Zeitschätzung“ für den Behandlungsbesuch einschließlich der Wartezeit vor. Nach Auffassung des BSG zählt eine zwangsläufig anfallende Wartezeit, während der der Pflegebedürftige vom Arzt untersucht wird oder sich ärztlich angeordneten Maßnahmen unterzieht, zum berücksichtigungsfähigen Bedarf, da die Pflegeperson während dieser Zeit im Allgemeinen keiner Tätigkeit nachgehen kann, der sie sich widmen würde, wenn die Notwendigkeit der Hilfeleistung nicht bestünde. Diese Aussage steht im Widerspruch zu den in den Begutachtungsrichtlinien vom 21. März 1997 enthaltenen Ausführungen, wonach Wartezeiten während der Behandlung nicht berücksichtigt werden (vgl. Ziffer 5.3, Nr. 15). Generell geht das BSG von einem Zeitwert von 30 bis 45 Minuten für einen Aufenthalt in einer Arztpraxis aus, soweit im einzelnen Fall keine Besonderheiten vorliegen.
(Bundessozialgericht, 06.08.1998 / SG Aachen – S 10 P 4/96 / LSG Nordrhein-Westfalen – L 5 P 11/97 – B 3 P 17/97 R)