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Gefährdungshaftung, Haftung ohne Verschulden – Haftpflichtversicherung

Grundgedanke und Merkmale der Gefährdungshaftung
Als eine der wichtigsten Ausnahmen vom Prinzip der Verschuldenshaftung kennt das deutsche Zivilrecht die Gefährdungshaftung.
– Die Gefährdungshaftung basiert auf der Überlegung, dass derjenige, der für die
Allgemeinheit eine besondere, wenn auch erlaubte, Gefahrenlage schafft und daraus
seinen Nutzen zieht, einer verschärften – d. h. hier verschuldensunabhängigen –
Haftung unterliegt.

Beispiele:
1. Franz Müller hält schon seit Jahren einen Hund, den die Nachbarskinder häufig
spazieren führen. Beim ungeschickten Anleinen beißt der Hund ein Kind in die Hand.
2. Bei einer Autofahrt verliert Franz Müller von seinem Auto eine Radkappe. Sie prallt
gegen eine Hauswand und beschädigt diese.
3. Der Öltank im Einfamilienhaus von Franz Müller ist undicht geworden, so dass Öl
ins Grundwasser gelangen konnte.
In allen drei Fällen haftet Franz Müller aus der geschaffenen Gefahrenlage, da die
Haftung ausdrücklich gesetzlich vorgesehen ist.
Merkmale der Gefährdungshaftung
• Die Gefährdungshaftung tritt nur bei Bestehen einer besonderen gesetzliche^
Regelung ein. Es besteht also kein allgemeines Prinzip des Einstehenmüssens für
gefährliche Anlagen und Tätigkeiten.
• Die Haftung ist unabhängig von rechtswidrig-schuldhafter Schadenverursachung.
Durch die Gefährdungshaftung wird für den Geschädigten das finanzielle Risiko im Schadenersatzprozess erheblich geringer; man denke nur an die Beweisschwierigkeiten bei Kfz- Unfällen bzw. bei Gesundheitsschäden durch Arzneimittel (Contergan-Fall), Contergan war ein Schlafmittel, das zu Missbildungen bei Neugeborenen geführt hat.
• Zurechnungsgrund ist allein die Verwirklichung des typischen Risikos beim
Betreiben einer gefährlichen Anlage, beim Ausüben einer gefährlichen Tätigkeit oder
beim Vertrieb gefährlicher Produkte.
• Es liegt ein nachgewiesener Personen- und/oder Sachschaden
(Rechtsgutverletzung) vor.
• Es muss ein ursächlicher Zusammenhang zwischen Gefährdungstatbestand und
Schaden bestehen.
• Die Verantwortlichkeit trifft denjenigen, in dessen Interesse die Gefährdung
zugelassen wurde und der in der Regel auch die Gefahr beherrscht. Dieser kann sich
nur bei höherer Gewalt, z.B. Naturereignissen, Sabotage durch Betriebsfremde
entlasten, z. B. nach dem Straßenverkehrsgesetz (StVG) oder im Rahmen der
Anlagehaftung nach dem Wasserhaushaltsgesetz (WHG).

Bei Unfällen zwischen motorisierten Verkehrsteilnehmern besteht die Verpflichtung zum Schadenersatz aber nach § 17 StVG nicht, wenn der Nachweis eines unabwendbaren Ereignisses geführt werden kann. Sieht das Gesetz dagegen keine Entlastungsmöglichkeit vor (Atomgesetz, Einwirkungshaftung nach Wasserhaushaltsgesetz, Arzneimittelgesetz), spricht man von der sog. Erfolgs- bzw. Verursachungshaftung. Der Verantwortliche kann sich dann nicht einmal durch den Nachweis, der Schaden sei auf höhere Gewalt zurückzuführen, entlasten.
– Im Gegensatz zur Verschuldenshaftung haftet der Verantwortliche im Rahmen der Gefährdungshaftung aber häufig nur begrenzt.

Umfang der Haftung
• Schmerzensgeldansprüche (immaterielle Schäden) können grundsätzlich bei einem nachgewiesenen Personenschaden – auch im Rahmen der Gefährdungshaftung nach Sondergesetzen – geltend gemacht werden.
• Reine Vermögensschäden werden dagegen ausnahmslos nicht ersetzt, wohl aber Vermögensschäden als Folge von Personen- bzw. Sachschäden.
• Höchsthaftungssummen sind häufig in den gesetzlichen Regelungen vorgesehen. Dies gilt nicht für das Tierhalter- und das Gewässerschadenrisiko. Hier ist die Haftung wie im Bereich der Verschuldenshaftung unbegrenzt.

Gesetzliche Anspruchsgrundlagen
Gefährdungshaftung nach dem BGB
– Haftung des Tierhalters für Luxustiere
Die Haftung des Tierhalters ist zunächst eine reine Gefährdungshaftung. Danach haftet der Tierhalter für sog. Luxustiere
• verschuldensunabhängig für Personen- und Sachschäden,
• die durch spezifische Tiergefahren entstehen, namentlich durch Scheuen,
Durchgehen, Ausschlagen und Beißen, auch wenn dies durch äußere Reize
veranlasst ist.
Als Luxustier bezeichnet man ein wildes Tier oder Haustier, das nicht als Nutztier gehalten wird.

Beispiel:
Herr Höfler ist Hundeliebhaber und besitzt einen Bernhardiner, der häufig mit den Kindern spielt. Als der Hund auf ein fremdes Kind zuläuft, weicht dieses erschrocken zurück, stürzt und verletzt sich erheblich.
Der Schaden beruht auf einem spezifischen (unberechenbaren) Tierverhalten, wofür der Tierhalter schadenersatzpflichtig ist, unabhängig von einem Verschulden. Ihn
befreit auch nicht der Nachweis, dass das Tier absolut ungefährlich ist. Es kommt hier allein darauf an, dass der Sturz die Folge des durch den Hund verursachten Zurückweichens war.
Die Angst und das Verhalten des Kindes im Beispielsfall beruht auf der Lebenserfahrung, dass frei herumlaufende große Hunde Menschen gefährlich werden können und deshalb keine Gewähr besteht, unbehelligt und ungefährdet weitergehen zu können.
Nicht in Betracht kommt das Tier als mechanisches Hindernis. Stürzt ein Radfahrer über einen auf der Straße liegenden überfahrenen Hund, bleibt es bei der reinen Verschuldenshaftung gemäß § 823 BGB.
Bei der Tierhaltereigenschaft kommt es im Übrigen nicht auf die Eigentumsverhältnisse an. Tierhalter ist vielmehr, wer das Tier im eigenen Interesse, nicht nur vorübergehend, unterhält.

Wer die Aufsicht über ein Tier für den Tierhalter durch Vertrag übernimmt, ist Tierhüter (z.B. der Mieter, Entleiher und Verwahrer, nicht der Angestellte). Der Tierhüter haftet grundsätzlich nur nach dem vermuteten Verschulden.
– Haftung des Beherbergungsgastwirts (Hoteliers)
Der Hotelier haftet für Verlust, Zerstörung oder Beschädigung der von den Gästen ein- gebrachten Sachen. Voraussetzung ist aber die gewerbsmäßige Beherbergung.
Es besteht also keine verschuldensunabhängige Haftung des Gastwirts für das Abhandenkommen der Garderobe, wenn der Gast nur die Schank- und Speiselokalität in Anspruch nimmt. Die Ersatzpflicht erstreckt sich auch nicht auf das eingebrachte Fahrzeug und auf die darin befindlichen Sachen oder auf lebende Tiere; wohl aber auf Sachen, die dem Gast nicht gehören (z. B. der Musterkoffer des Vertreters).
• Der Hotelier haftet nicht, soweit der Schaden auf einem Verhalten des Gastes/einer
Begleitperson bzw. auf einem Fehler in der Beschaffenheit der eingebrachten
Sachen beruht.
Haftungsausschluss auch bei höherer Gewalt.
• Es wird bis zum Hundertfachen des Übernachtungspreises gehaftet, mindestens
aber bis 600,00 € und höchstens bis 3500,00 €.
Für Bargeld, Wertpapiere und Schmuck wird bis max. 800,00 € gehaftet.

Gefährdungshaftung nach Sondergesetzen
– Straßenverkehrsgesetz (StVG)
Haftung des Kraftfahrzeughalters für alle Schäden beim Betrieb des Kraftfahrzeugs.
– Wasserhaushaltsgesetz (WHG)
Haftung für Schäden durch Verseuchung (Abwässer, Heizöl, Treibstoff und andere Chemikalien) von natürlichen Gewässern einschließlich des Grundwassers.
Es sind hier zwei Formen der Haftung zu unterscheiden:
• Einwirkungshaftung: Sie hat besondere Bedeutung für die Ableitung industrieller
Abwässer.
Selbst bei erlaubter Einleitung von Abwässern in ein natürliches Gewässer haftet derjenige, der die Ableitung vornimmt, ohne Rücksicht auf etwaiges Verschulden für dadurch entstehende Schäden.
• Anlagenhaftung: Sie betrifft die Grundwasserschädigung insbesondere durch
Inhaber von Tankanlagen, -wagen, -schiffen und Pipelines für den Fall der Leckage
(Entweichen gewässerschädlicher Stoffe).
Dazu gehört auch die Heizölanlage des Privatmannes.
• Umwelthaftungsgesetz (UmweltHG)
Die Ersatzpflicht gilt für
• Betreiber (Eigentümer, Pächter, Leasingnehmer) bestimmter Anlagen (aufgelistet in
Anhang I des Gesetzes), •

Beispiele:
• Anlagen zur Wärmeerzeugung, Bergbau
• Anlagen zur Herstellung von Kunstharzen
• Anlagen zur fabrikmäßigen Herstellung von Arzneimitteln
• Umwelteinwirkung aus diesen Anlagen (Boden-, Luft-, Wasserverschmutzung). Die
Haftung gilt nicht nur für Störfälle sondern auch für Schäden des genehmigten
Normalbetriebes.
Das UmweltHG ist also nicht wie das WHG allein auf Gewässerschäden begrenzt.
Der nach BGB erforderliche Kausalitätsbeweis ist bei Umweltschäden praktisch kaum führbar. Nach dem UmweltHG wird deshalb zugunsten des Geschädigten vermutet, dass der Betreiber einer Anlage der Schadenverursacher ist, wenn diese geeignet ist, den nachgewiesenen Personen- bzw. Sachschaden zu verursachen (Verursachungsvermutung).
• Es besteht aber keine Haftung für Sachschäden, die unwesentlich sind oder nach
den örtlichen Verhältnissen zumutbare Beeinträchtigungen darstellen, sofern die
Anlage bestimmungsmäßig betrieben wurde. Das Gleiche gilt für Schäden, die
keinem individualisierbaren Schädiger zugeordnet werden können (z.B.
Waldsterben).
• Die Ersatzpflicht beträgt maximal 85 Mio. € jeweils für Personen- und Sachschäden.
Produkthaftungsgesetz (ProdHG) aufgrund einer EU-Richtlinie
Gegenstand ist die verschuldensunabhängige Haftung des Herstellers für Sicherheitsmängel (nicht nur für Gewährleistungsmängel im Rahmen der Herstellergarantie), wenn fehlerhafte Produkte, die dem privaten Gebrauch bzw. Verbrauch dienen, nach dem 01. Januar 1990 in den Verkehr gebracht wurden.

Beispiel:
Wegen eines Materialfehlers platzt ein Autoreifen bei hoher Geschwindigkeit und es entsteht ein Sach- und Personenschaden. Der Reifenhersteller muss nicht nur für die Gewährleistungsmängel im Rahmen der Herstellergarantie eintreten (dieses Recht nach dem BGB kann beim Verkäufer des Reifens geltend gemacht werden) sondern ist für den gesamten Schaden wegen des Sicherheitsmangels nach dem ProdHG ersatzpflichtig.
Dem Hersteller sind gleichgestellt: Zulieferer von Teilprodukten, Importeure von Waren aus Nicht-EU-Ländern und jeder Lieferant von anonymen Produkten. Das ProdHG bezieht sich nicht auf unverarbeitete landwirtschaftliche Naturprodukte und auf Arzneimittel für den Menschen. Jeder Einzelne aus der Haftungskette haftet auf Ersatz des gesamten Schadens.

Besonderheiten
• Der Geschädigte muss nur den Fehler (Sicherheitsmängel), den Schaden und den
ursächlichen Zusammenhang zwischen beiden beweisen. Der Hersteller muss
dagegen nachweisen, dass der Fehler nicht bei der Herstellung entstanden ist
(Beweislastumkehr für den Fehlerbereich).
• Es besteht keine Haftung für sog. Entwicklungsrisiken, also für Fehler, die nach
dem Stand der Wissenschaft und der Technik in dem Zeitpunkt, in dem der Hersteller
das Produkt in den Verkehr brachte, nicht erkannt werden konnten.
Mit dieser Regelung sollte eine Beeinträchtigung der Innovationsbereitschaft der Wirtschaft verhindert werden, Dagegen besteht eine Einstandspflicht für Konstruktionsfehler (mangelhafte Bremsen eines Kfz), Fabrikationsfehler (sog. Produktionsausreißer), Instruktionsfehler (unzureichende Belehrung über die Benutzung eines Haushaltsgeräts in der Gebrauchsanweisung) und Produktbeobachtungsfehler (Unterlassung der ständigen Kontrolle von Kfz auf ihre Verkehrssicherheit).
• Im Hinblick auf mögliche Serienschäden beträgt die Höchsthaftungssumme für
Personenschäden (incl. Schmerzensgeld) immerhin 85 Mio. €.
• Soweit eine (andere) Sache – als das fehlerhafte Produkt selbst – beschädigt wurde,
wird auch ein Sachschaden ersetzt. Bis zu einer Höhe von 500,00 € hat der
Geschädigte den Schaden selbst zu tragen, darüber hinaus haftet der Verursacher
unbegrenzt.
• Generell erlischt der Anspruch 10 Jahre nach dem Zeitpunkt, in dem der Hersteller
das Produkt, das den Schaden verursacht hat, in Verkehr gebracht hat.

Haftung beim Betrieb anderer Fahrzeuge und von gefährlichen Anlagen
Dies gilt für
• Schienen- und Schwebebahnunfälle sowie für Elektrizitäts- und Gasanlagen nach
dem Haftpflichtgesetz (HPflG),
• Luftfahrzeughalter nach dem Luftverkehrsgesetz (LuftVG),
• Atomanlagen und Besitzer radioaktiven Materials nach Atomgesetz (AtG), z. B. in
Bestrahlungs- und Messgeräten (Krankenhäuser, Industrie).
Reine Verschuldenshaftung und Gefährdungshaftung im Vergleich

 

VergleichReine VerschuldenshaftungGefährdungshaftung
Haftungsvoraussetzung–    Rechtsgut- oder Schutzgesetzverletzung (Schaden)-    widerrechtliches Tun oder Unterlassen

–    adäquater Kausalzusammenhang

–    Verschulden/Deliktsfähigkeit

–    Gefährdungstatbestand (Besitz, Betrieb, Gebrauch)-    Rechtsgutverletzung (Schaden)

–    adäquater Kausalzusammenhang

Beweislast–    Geschädigter muss alle Haftungsvoraussetzungen nachweisen,§ 823 (1) BGB

–    Beweislastumkehr bei Schutzgesetzverletzung, § 823 (2) BGB. Der Schädiger muss beweisen, dass sein Verhalten nicht schuldhaft bzw. ursächlich für den Schaden war (Richterrecht).

 – Da unabhängig vom Verschulden gehaftet wird, besteht nur in wenigen Fällen (bei höherer Gewalt) eine Entlastungsmöglichkeit für den Haftpflichtigen: § 7 (2) StVG, § 701 (3) BGB§ 22 (2) WHG, § 4 UmweltHG.

–    Geschädigter muss nur Beteiligung und Rechtsgutverletzung nachweisen, Ursachenvermutung nach WHG.

VergleichReine VerschuldenshaftungGefährdungshaftung
Haftungshöheunbegrenzte Haftung, § 249 BGBin einigen Fällen begrenzte Haftung, z.B. § 12 StVG, §§ 10, 11 ProdHG
Schadensarten–    Personenschäden (incl. Schmerzensgeld)-    Sachschäden

–    reine Vermögensschäden nur im Rahmen von § 823 (2) und

§ 826 BGB

–    Personenschäden (incl. Schmerzensgeld)-    Sachschäden
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