Unabhängig von ihrer Rechtsform sehen sich alle Versicherungsunternehmen auf dem deutschen Markt etwa seit Mitte der 90er Jahre einer Reihe wettbewerbsverschärfender externer Herausforderungen gegenüber. Zu diesen Herausforderungen gehören:
• Deregulierung der Versicherungsmärkte: Im Zuge der Deregulierung der Versicherungsmärkte (Umsetzung einer EG-Richtlinie in deutsches Recht durch das Dritte Durchführungsgesetz/EWG zum VAG vom 21. Juli 1994) wurden den Versicherungsunternehmen neue Freiheiten bei der Produktgestaltung eingeräumt. Dieses Mehr an Freiheit führte zwangsläufig zu einer Zunahme der Produktinnovation, neuen Produktformen und damit letztlich auch zu einem erhöhten Investitionsbedarf in den Versicherungsunternehmen.
• Aufkommen von Produkt-Ratings: Teilweise als Reaktion auf die neue Vielfalt an Produkten ist in den vergangenen Jahren eine Zunahme der Testvergleiche von Versicherungsprodukten in den Medien zu beobachten (Ratings oder, soweit nur eine Rangfolge hergestellt wird, Rankings). Das Entstehen dieser Rating-Kultur hat nicht unbedingt zu besser aufgeklärten, in jedem Fall aber anspruchsvolleren Verbrauchern geführt, die den Sinn und Zweck einzelner Produkte und Produktbestandteile kritischer hinterfragen.
• Verstärktes Auftreten ausländischer Versicherer: Die Deregulierung hat Versicherungsunternehmen aus dem EWR-Ausland den Sprung auf den deutschen Markt erleichtert, vor allem unterliegen Niederlassungen von Versicherern aus EWR-Staaten nicht der Aufsicht durch die BaFin, sondern verbleiben im Verantwortungsbereich der jeweiligen Behörde ihres Heimatlandes (Sitzlandprinzip). Durch diese Entwicklung können in Deutschland relativ leicht Versicherungsprodukte erworben werden, die deutsche Versicherer so nicht anbieten dürfen.
• Aufkommen neuer Medien: Die erhöhte Präsenz des Internets im privaten und beruflichen Umfeld vieler Verbraucher hat der Versicherungsbranche neue Vertriebs- und Werbewege eröffnet, erfordert nun aber eben auch einen durchdachten Umgang mit der neuen Technologie. Obwohl der Internetvertrieb von Versicherungsprodukten bislang keine große Rolle spielt, ist nicht abzusehen, welchen Modus vivendi die Versicherungsbranche letztlich mit dem Internet finden wird.
• Demografische Veränderungen: Durch die Zunahme der Lebenserwartung bei gleichzeitig sinkenden Geburtenraten verändert sich der Altersaufbau der Bevölkerung. Aus Sicht der Versicherungswirtschaft bedeutet dies einerseits neue Absatzchancen im Bereich der privaten Altersvorsorge, gleichzeitig aber auch eine Schrumpfung der besonders versicherungsrelevanten Altersgruppe der 20- bis 35-Jährigen. Hinzu kommen Belastungen der Bevölkerung durch steigende Sozialabgaben, die das zur Verfügung stehende Einkommen reduzieren.
Alles in allem befindet sich die deutsche Versicherungsbranche damit in einem Umbruchprozess, der das Geschäftsgebaren der Versicherer nach außen, teilweise aber auch das Selbstverständnis der Versicherer im Inneren verändert – und das unabhängig von der jeweiligen Rechtsform. So lassen sich bei Unternehmenszielen, in den Produktprogrammen, bei der Produktgestaltung, beim Absatzverfahren und bei Entscheidungsprozessen immer mehr Ähnlichkeiten zwischen Unternehmen unterschiedlicher Rechtsform konstatieren, die letztlich auf eine Angleichung der Unternehmenskulturen hindeuten. Verstärkt wird dieser Trend durch häufige Wechsel des Arbeitgebers durch die Arbeitnehmerschaft im Innen- und Außendienst, was zwangsläufig zur Herausbildung eines unternehmensübergreifenden Selbstverständnisses von Versicherung führt, in dem die Rechtsform an Bedeutung verliert.
Beispiel:
Die berufsständische Nischenorientierung vieler VVaG ist zwar immer noch zu erkennen, mittlerweile werden jedoch auch andere Bevölkerungsgruppen angesprochen. Beispielsweise muss ein VVaG mit traditioneller Zielgruppe „öffentlicher Dienst“ damit umzugehen lernen, dass diese Berufsgruppe im Zuge zahlreicher Privatisierungen ehemals staatlicher Bereiche in Deutschland tendenziell abnimmt (Bahn, Post), das traditionelle Umsatzpotenzial für solche Versicherer also schrumpft. Verschärft wird die Situation durch das gleichzeitige Auftreten neuer Unternehmen, die in der eigenen Zielgruppe „wildern“. Eine Lösung dieses Dilemmas kann darin bestehen, den Zielgruppenfokus zugunsten einer breiten Marktansprache aufzugeben und sich neuen Kundengruppen zu öffnen.
Weitere Indizien für eine Angleichung der Rechtsformen sind:
• Vermehrte Verwendung der Bezeichnungen „Beiträge“ und „Prämien“ ohne Rücksicht auf die jeweilige Rechtsform,
• Festlegung auf eine grundsätzlich vorschüssige Beitragszahlweise (Ausnahme: einige kleinere VVaG),
• Verwendung einheitlicher Instrumente zur Unternehmenssteuerung (Asset-Liability-Management, Balanced Scorecard, Deckungsbeitragsrechnung etc. – von Bedeutung ist hier vor allem die verstärkte Betonung des Wertgedankens bei der Unternehmensführung),
• Bildung von Versicherungskonzernen, die alle gängigen Sparten abdecken können,
• Fehlen bedeutender und in der Öffentlichkeit bekannter rechtsformspezifischer Verbände und Organisationen (es existieren lediglich lockere Vereinigungen, wie die Arbeitsgemeinschaft der Versicherungsvereine auf Gegenseitigkeit e. V.),
• fehlendes Bewusstsein beim Verbraucher für die rechtsformspezifischen Unterschiede,
• Rechtsformneutralität des gesamten Wirtschaftsordnungsrechts, einschließlich des Wettbewerbs- und Steuerrechts (vgl. Farny).
Alles in allem ist davon auszugehen, dass die Rechtsform als Erfolgsfaktor im Wettbewerb daher weiter an Bedeutung verlieren wird, an ihre Stelle dürften betriebswirtschaftlich relevante Größen treten, die einen rechtsformunabhängigen Vergleich von Versicherungsunternehmen und deren Produkten gestatten.