Zu diesem Thema war ein junger Mann in der Sendung. Herr Soldau ist 33 Jahre und durch einen Unfall zum Sozialfall geworden, obwohl er sich gerade gegen einen solchen Schicksalsschlag versichert glaubte.
Ein Fall aus der Praxis: das Schicksal des Herrn Soldau
Noch zu DDR-Zeiten erlernte er den Beruf des Bauschlossers. Nach der Wende orientierte sich Herr Soldau neu und begann eine Arbeit als Kraftfahrer. Nach kurzer Zeit setzte er seine Tätigkeit als selbst fahrender Transportunternehmer fort. Als Selbstständiger trat Herr Soldau aus der gesetzlichen Rentenversicherung aus und versicherte sich gegen Berufsunfähigkeit bei einer Versicherungsgesellschaft. Nach einem Jahr kam dann der Schicksalsschlag. Bei einem Musikkonzert wurde Herr Soldau durch einen Mitbesucher vom Tisch gestoßen. Dabei stürzte er unglücklich und kugelte sich den rechen Unterarm aus. Ein Chirurg bestätigte das Ausmaß der Unfallfolgen. Es wurde festgestellt, dass Herr Soldau zu 80 Prozent berufsunfähig ist. Das Armgelenk wird tagsüber mit einer flexiblen Stützmanchette gestützt. In der Nacht bietet ein starres Kunststoffgestell Schutz.
Aufgrund der Selbstständigkeit hatte er keinen Anspruch auf Arbeitslosengeld, sodass nur die Sozialhilfe greift. Doch er hatte ja privat vorgesorgt. In seinen Versicherungsbedingungen heißt es dazu: „Berufsunfähigkeit liegt vor, wenn die versicherte Person infolge Krankheit, Körperverletzung oder Kräfteverfalls, die ärztlich nachzuweisen sind, voraussichtlich dauernd entweder ganz oder bis zu einem gewissen Grade außerstande ist, ihren Beruf oder eine andere Tätigkeit auszuüben, die aufgrund ihrer Ausbildung und Erfahrung ausgeübt werden kann und ihrer bisherigen Lebensstellung entspricht.“
Aufgrund dieser Definition lehnte die Versicherung die Ansprüche ab, da Herr Soldau zwar als Kraftfahrer berufsunfähig war, aber noch folgende Tätigkeiten ausüben konnte:
● Platzmeister im Schwerpunkt Baumaschinen,
● Bürokraft für Material- und Lagerwirtschaft,
● Fuhrparkleiter,
● Hausmeister im gesundheitlichen Bereich oder z. B. bei Banken.
Es folgte eine 60-seitige Abhandlung eines Arbeitskundlers, der den möglichen Einsatz bestätigte. Es war äußerst schwierig und zeitintensiv, das Gutachten zu widerlegen. Jede angeführte Tätigkeit musste als nicht geeignet erklärt und begründet werden. Es spielte auch keine Rolle, ob ein entsprechender Arbeitsplatz aufgrund der Arbeitsmarktsitiuation überhaupt vorhanden war. Schließlich hatte die Versicherung nach Zusammenstellung aller Unterlagen unter Verwendung der Rechtsprechung doch ein Einsehen.
Was ist in der Berufsunfähigkeitsversicherung versichert?
Durch die Rentenreform wurde 2001 ein Gesetz zur Reform der Renten wegen verminderter Erwerbstätigkeit verabschiedet. Damit gibt es in der gesetzlichen Versicherung die Begriffe Berufs- und Erwerbsunfähigkeitsrenten nicht mehr (Ausnahme: Personen die am 02.01.2001 schon das 40. Lebensjahr erreicht hatten). Die neue Wortschöpfung heißt jetzt „Erwerbsminderung“. Was sich so nett anhört, ist ein großer Einschnitt in den Versicherungsschutz.
Beispiel: Zuletzt ausgeübter Beruf spielt keine Rolle
Eine Friseurin kann durch ein Hautexzem, hervorgerufen durch Färbemittel, ihren Beruf nicht mehr ausüben. Nach der alten Regelung erhielt sie dann eine Berufsunfähigkeitsrente. Jetzt spielt der zuletzt ausgeübte Beruf keine Rolle mehr. Geprüft werden sämtliche Tätigkeiten des allgemeinen Arbeitsmarktes. Dies heißt, die Friseurin wird auf Tätigkeiten wie z. B. Verkäuferin oder Telefonistin verwiesen.
Des Weiteren gilt:
● Ist das Leistungsvermögen auf drei bis sechs Stunden täglich gemindert, wird die halbe Rente gezahlt.
● Ist das Leistungsvermögen auf weniger als drei Stunden täglich gemindert, wird die volle Rente gezahlt.
Auch die Rentenhöhe reicht bei weitem nicht aus, seinen Lebensstandard zu erhalten. Da Zahlen die Realität am besten ausdrücken können, schauen Sie sich die Renteninformation bzw. den Kontostand Ihres Rententrägers genau an. Dieser Kontostand, in dem festgelegt wird, ob Ansprüche auf volle Erwerbsminderung bestehen und in welcher Höhe, wird Ihnen jährlich zugesandt. Dabei werden Sie feststellen, dass eine private Absicherung dringend notwendig ist.
Wie versichere ich mich richtig?
Aufgrund der doch erheblichen monatlichen Beträge, die die Versicherungsgesellschaft im Leistungsfall zahlen muss, kommt es immer wieder zu Rechtsstreitigkeiten. Um dieses Risiko so gering wie möglich zu halten, sind vor allem zwei Punkte maßgeblich:
1. die Wahl der richtigen Versicherungsbedingungen und
2. das richtige Ausfüllen des Antrags.
Im Folgenden wollen wir Ihnen einige Hinweise geben, worauf Sie in den Versicherungsbedingungen achten sollten, bevor Sie einen Vertrag abschließen.
Wie im Escher-Fall bereits aufgeführt, kann die Versicherung auf eine andere Tätigkeit verweisen, die aufgrund Ausbildung und Erfahrung oder Tätigkeiten und Kenntnisse ausgeübt werden kann.
Folgende Verweisungen wurden gerichtlich bestätigt:
● Friseurin auf die Tätigkeit als Angestellte in einer Modeboutique (LG Krefeld r+s 1988,108),
● selbstständiger Bäcker auf die Tätigkeit als Vollzugsbeamter (OLG Köln Vers.R. 1991, 1362),
● Maurermeister auf die Tätigkeit als Polier (LG Frankfurt Vers.R. 1984, 726) und
● Bundesligafußballspieler auf Trainertätigkeit (LG Kaiserslautern Vers.R. 1983, 172).
Tipp: Es gibt Versicherungen, die auf Verweisung verzichten
Findet sich in den Versicherungsbedingungen eine Verweisungsformulierung, schließen Sie den Vertrag nicht ab. Es gibt mittlerweile viele Gesellschaften, die auf eine derartige Verweisung verzichten. Hierzu heißt es dann: „Vollständige Berufsunfähigkeit liegt vor, wenn die versicherte Person infolge Krankheit, Körperverletzung oder Kräfteverfalls, die ärztlich nachzuweisen sind, voraussichtlich ununterbrochen außerstande ist, ihren Beruf auszuüben. Eine einfache Verweisung auf andere Berufe ist so nicht möglich. Für einige Berufe wie z. B. Beamte, Ärzte, Rechtsanwälte, Piloten etc. gibt es zusätzlich Berufsklauseln, die zu berücksichtigen sind. In alten Bedingungen muss die Berufsunfähigkeit voraussichtlich dauernd sein. Es war natürlich schwer, mit dem Begriff „dauernd“ ärztlich eine Prognose zu stellen. Um dies nicht ausufern zu lassen, hatte die Rechtsprechung einen Zeitraum von drei Jahren als voraussichtlich dauernd angesehen (Hamm r+s 88, 90).
Ganz pfiffige Versicherer werben jetzt damit, dass sie den Begriff dauernd mit dem Dreijahreszusatz versehen haben. Auch hier gibt es bessere Festlegungen: Der Zeitraum für die Prognose darf nicht mehr als sechs Monate betragen. Viele Bedingungen legen fest, dass der Anspruch erst mit Beginn des Monats der Mitteilung entsteht. Bei vielen Versicherten erfolgt erst eine Krankschreibung, die sich über einen längeren Zeitraum hinzieht. Man denkt ja nicht gleich, dass die Krankheit zur Berufsunfähigkeit führt. So kommt es oft vor, dass der Anspruch erst nach einem langen Zeitraum beim Versicherer gemeldet wird und somit viel Geld verloren geht. Achten Sie darauf, dass die Versicherung bei verspäteter Meldung bis zu mindestens drei Jahren rückwirkend zahlt, noch besser unbegrenzt.
Nach § 41 Versicherungsvertragsgesetz (WG) kann die Versicherung, wenn während der Laufzeit festgestellt wird, dass ohne Verschulden des Versicherten bei Schließung des Vertrags Anzeigepflichten verletzt wurden,
● die Prämie erhöhen oder
● den Vertrag sogar kündigen.
Hier sind z. B. Erbkrankheiten gemeint, die erst später auftreten und von denen der Versicherungsnehmer bei Vertragsabschluss noch nichts wusste. Damit ist der Vertragsstand für den Versicherungsnehmer immer ungewiss. Achten Sie darauf, dass der § 41 WG ausgeschlossen ist. Der Versicherer kann bis zu zehn Jahre ab Schließung des Versicherungsvertrags zurücktreten, wenn der Kunde bei Vertragsabschluss die Gesundheitsfragen nicht vollständig oder falsch beantwortet hatte. Hier ist eine Begrenzung auf drei bis fünf Jahre sinnvoll.
Wenn eine Berufsunfähigkeit eintritt, müssen Sie mit jedem Cent rechnen. Wie soll dann noch die Versicherungsprämie bezahlt werden? In vielen Bedingungen findet man die Festlegung, dass bis zur Entscheidung über die Leistungspflicht die Beiträge in voller Höhe gezahlt werden müssen. Achten Sie darauf, dass die Beiträge gestundet werden können, und zwar ohne Zinsen. Dies sind nur einige grundlegende Bedingungspassagen, auf die man achten sollte. Da jeder Versicherungsschutz individuell geprüft werden muss, können noch weitere Kriterien maßgeblich sein.
Des Weiteren haben viele Versicherungsgesellschaften unterschiedliche Bedingungen zur Berufsunfähigkeit erarbeitet. So werden z. B. Namen wie „Comfort“ oder „Compakt“ verwendet. Wenn Sie sich ein Angebot einfordern, kommt es jedoch leider häufig vor, dass Sie nur die abgespeckten Versicherungsbedingungen vorgelegt bekommen. Das ist zwar im Moment preiswerter, aber in diesem Bereich kann das Sparen gravierende Folgen haben. Bestehen Sie auf die bestmöglichen Bedingungen der Gesellschaft und halten Sie dies im Antrag als Zusatz vermerkt.
Tipp: Checkliste zur Prüfung der Bedingungen
Es ist einem Laien kaum möglich, die Versicherungsbedingungen ausreichend zu prüfen. Jedes Wort, das eingefügt wurde, kann sich negativ auf den Versicherungsschutz auswirken. Stiftung Warentest/Finanztest hat eine Checkliste erstellt, die vom Versicherer auszufüllen ist. Reichen Sie diese bei der Angebotseinholung mit ein. Seriöse Versicherer beantworten sie umgehend. Lassen Sie sich dann unabhängig beraten.
Das Ausfüllen des Versicherungsantrags
Einen führenden Platz in der Häufigkeit von Rechtsstreitigkeiten hält die vorvertragliche Anzeigepflichtsverletzung. Im Antrag zur Berufsunfähigkeit müssen Fragen zum Gesundheitszustand beantwortet werden. Falsche oder unvollständige Antworten führen zum Rücktritt des Versicherers vom Vertrag, d. h. Sie erhalten keine Versicherungsleistung. Im Antrag heißt es z. B.: „Sind Sie in den letzten fünf Jahren wegen Krankheiten, Beschwerden, Störungen untersucht, beraten oder behandelt worden (z. B. Herz, Lunge oder andere innere Organe, Bluthochdruck, Gefäße, Drüsen, Nerven, Psyche, Blut, Zucker, Stoffwechsel, Krebs, Knochen, Gelenke, Wirbelsäule (auch Rückenschmerzen), Augen, Ohr, Haut, Allergien, Verletzungen, Vergiftungen, Alkohol oder Drogenkonsum)?“ Da auch Beschwerden und reine Beratungsbesuche angegeben werden müssen, ist wirklich jeder Arztbesuch der letzten fünf Jahre aufzuführen.
Tipp: Behandlungskartei ablichten lassen
Da kein Mensch sich richtig daran erinnern kann bzw. die Angaben der Ärzte nicht kennt, lassen Sie sich Ihre Behandlungskartei ablichten. Sie haben das Recht, diese Informationen zu erhalten. Leider weigern sich viele Ärzte, die Unterlagen herauszugeben. Eine plausible Erklärung dafür gibt es nicht. Der Arzt kann natürlich auch die Antragsfragen kostenlos beantworten, falls er Ihnen die Unterlagen nicht übergeben will. Bleiben Sie auf jeden Fall stur. Ihr Arzt wird sicher nicht die Rentenzahlung übernehmen, falls die Versicherungsgesellschaft die Berufsunfähigkeitsrente nicht ausbezahlt.
weitelesen Die Berufsunfähigkeitsversicherungen im Test Teil II