Unter Umständen rennen Sie wegen eines Unfalls jahrelang von Arzt zu Arzt und von Therapie zu Therapie. Immer noch bezahlt die Unfall-versicherung Taggelder. Das geht so lange, bis die Ärzte der Ansicht sind, dass mit medizinischen Maßnahmen und Therapien keine weitere Verbesserung des Gesundheitszustands erzielt werden könne. Sind Sie trotz aller ärztlicher Bemühungen in Ihrer Erwerbsfähigkeit bleibend eingeschränkt, haben Sie Anspruch auf eine Rente.
Achtung: Die Rente, die von der Unfallversicherung zugesprochen wird, darf nicht mit der Rente der Invalidenversicherung (IV) verwechselt werden. Ist umgangssprachlich von IV-Rente die Rede, ist fast immer die Rente der Invalidenversicherung gemeint. Die Rente der Unfallversicherung ist ein eigener Rechtsanspruch und wird unabhängig davon bezahlt, ob auch die IV eine Rente ausrichtet oder nicht. Wie die beiden Leistungen zusammenspielen, erfahren Sie auf unserem Versicherung-Ratgeber. Wie hoch ist die Invalidenrente? Das Prinzip ist einfach. Die Höhe der Rente wird von zwei Faktoren bestimmt: vom Invaliditätsgrad und vom versicherten Verdienst. Die Rente fällt umso höher aus, je gravierender die Behinderung ist und je mehr man vor dem Unfall verdient hat. Zuerst müssen also diese beiden Größen bestimmt werden.
Arbeitsunfähigkeit Ist nicht Erwerbsunfähigkeit – Begriffsklauberei mit Folgen
Anspruch auf eine Invalidenrente hat, wer eine Invalidität erleidet. Im Gesetz wird die Invalidität definiert als bleibende Einschränkung in der Erwerbsfähigkeit, das heißt der Möglichkeit zur Erzielung eines Erwerbseinkommens.
Anders die Arbeitsunfähigkeit: Sie ist eine vom Arzt festgelegte medizinische Einschränkung in der Möglichkeit zu arbeiten. Oder anders gesagt: Die Arbeitsunfähigkeit als körperliche Einschränkung ist die Ursache und die Erwerbsunfähigkeit deren finanzielle Auswirkung. Die Arbeitsunfähigkeit führt erst dann zu einer Erwerbsunfähigkeit, wenn sie sich auf das Einkommen auswirkt.
• Ist eine Arbeitnehmerin zu 100 Prozent arbeitsunfähig, liegt auch ihre Erwerbsunfähigkeit bei 100 Prozent.
• Auch wenn jemand noch 50 Prozent arbeitsfähig ist und damit 50 Prozent des früheren Einkommens verdient, sind Arbeits- und Erwerbsunfähigkeit gleich.
• Ist ein Arbeitnehmer zwar noch zu 50 Prozent arbeitsfähig, dies aber nur in einer schlechter bezahlten Tätigkeit als früher, sodass er nur 40 Prozent des früheren Einkommens verdient, ist er zu 60 Prozent erwerbsunfähig.
Rentenfaktor 1: der Invaliditätsgrad
Der Invaliditätsgrad beziffert die Schwere der Invalidität in Prozent. Ie höher er ist, desto höher fällt auch die Rente aus. Maßgebend bei der Berechnung ist die Erwerbsunfähigkeit (nicht die Arbeitsunfähigkeit, siehe Kasten). Der Invaliditätsgrad drückt also aus, wie groß der unfall- bedingte Einkommensverlust ist. Der mit der Invalidität noch erzielte oder erzielbare Lohn (Invalideneinkommen) wird verglichen mit dem Einkommen, das ohne Invalidität erzielt werden könnte (Validen einkommen). Der rechnerisch einfachste Lall ist der, dass ein Unfallopfer überhaupt nicht mehr arbeiten kann. Wenn jemand nicht nur im bisherigen Beruf, sondern auch in anderen zumutbaren Tätigkeiten vollständig arbeitsunfähig ist, beträgt der Invaliditätsgrad logischerweise 100 Prozent. Immer noch einigermaßen einfach ist auch der Fall, dass jemand seinen bisherigen Beruf mit einem reduzierten Pensum weiter ausüben kann: Kann jemand, der vor dem Unfall mit einem ganzen Pensum 80000 Franken verdiente, nur noch 50 Prozent arbeiten und verdient dabei 40 000 Franken, beträgt der Invaliditätsgrad 50 Prozent. Oft kommt es aber gerade bei lang dauernder Arbeitsunfähigkeit und bei schwereren Verletzungen vor, dass die Stelle gekündigt wird oder dass eine Rückkehr an den früheren Arbeitsplatz aus gesundheitlichen Gründen nicht mehr möglich ist.
Dann wird als Erstes geprüft, ob die verunfallte Person ihre noch verbleibende Arbeitskraft in einem anderen Beruf verwerten könnte. Mit beruflichen Abklärungen oder Umschulungskursen der IV wird versucht, sie wieder ins Erwerbsleben einzugliedern (mehr dazu auf unserem Versicherung-Ratgeber). Erst wenn dies abgeschlossen ist, wird der Invaliditätsgrad berechnet. Stefan F. verdiente vor seinem Unfall 70000 Franken pro Jahr. Vom Unfall bleiben so große Beschwerden zurück, dass er in seinem früheren Beruf als Gipser 100 Prozent arbeitsunfähig ist. Herr F. wird zum Lagerverwalter umgeschult und kann in diesem Bereich wieder 60 Prozent arbeiten. Fr verdient dabei 50000 Franken pro Jahr. Sein Invaliditätsgrad in Prozent berechnet sich folgenden nassen:
(Validen einkommen – Invalideneinkommen) x 100 / Valideneinkommen
(70000 – 50000) x 100 / 70000 = 28,57%
Der Invaliditätsgrad von Stefan F. beträgt 28,57 Prozent; die Unfallversicherung bezahlt ihm eine Rente von gerundet 29 Prozent. Das sind 16240 Franken (Fr. 70 000 — x 80% x 29%).
Häufig haben Unfallopfer dann, wenn die Rente zugesprochen wird, gar keine Stelle mehr und es gibt kein Invalideneinkommen, das als Referenz Größe für die Bestimmung des Invaliditätsgrads dienen könnte. Dann rechnet die Unfallversicherung das zumutbare Einkommen aus, das mit der ärztlich festgestellten Arbeitsfähigkeit in zugewiesenen Arbeitsbereichen theoretisch möglich wäre (Verweisungstätigkeiten). Wie sieht das konkret aus? Der Arzt stellt zunächst fest, welche Belastungen bei der Arbeit medizinisch noch zumutbar sind und wie groß das Arbeitspensum sein kann. Das liest sich etwa folgendermaßen: Zumutbar sind sämtliche wechselbelastenden Tätigkeiten ohne monotone und repetitive Belastungen des rechten Armes und ohne Heben von Gewichten über 5 kg. Zur Gewährleistung einer genügenden Erholungsphase ist die Arbeitszeit auf 50 Prozent, jeweils am Morgen ausübe, zu limitieren. Auf dieser Grundlage weist die Versicherung dann theoretisch zumutbare Tätigkeiten zu – zum Beispiel: Möglich sind etwa Kontrolltätigkeiten in einer maschinellen Produktion. Als zumutbares Einkommen wird in die Berechnung des Invaliditätsgrads ein statistischer Tabellenlohn eingesetzt, der auf den Lohnstrukturerhebungen des Bundesamts für Statistik beruht.
Juristenfutter mit Auswirkungen
Mit gewissen Korrekturen werden die Tabellenlöhne an die konkreten Verhältnisse angepasst (aktuelle Arbeitszeiten, Lohnkostenindex etc.) Nicht zu unterschätzen ist dabei der leidensbedingte Abzug: Das Eidgenössische Versicherungsgericht hat festgestellt, dass invalide Menschen bei der Stellensuche auf dem Arbeitsmarkt unterdurchschnittliche Chancen haben und dass sich dies auch auf ihre Löhne auswirkt. Wird bei der Berechnung nur auf die Tabellenlöhne abgestellt, würde deshalb den Invaliden ein zu hohes zumutbares Einkommen angerechnet und die Renten würden zu tief ausfallen. Deshalb wird in der Praxis ein Abzug vom Tabellenlohn gemacht.
Wie groß der invaliditäts- oder leidensbedingte Abzug ist, hängt davon ab, wie die Benachteiligungen im konkreten Fall eingeschätzt werden. Als obere Grenze hat das EVG einen Abzug von 25 Prozent angesetzt. Weshalb nun aber diese detaillierte Darstellung von Juristenfutter? Weil der leidensbedingte Abzug bei der Berechnung des Invaliditätsgrads im Versicherungsalltag eine erhebliche Rolle spielt. Ob ein Abzug von 10 oder 20 Prozent zugestanden wird, wirkt sich aus, wie das folgende Beispiel zeigt.
Beispiel: Thomas H. verdiente vor seinem Unfall 80000 Franken jährlich. Eine Rückkehr in den alten Beruf ist aufgrund der Verletzungen nicht möglich. Der Versicherungsarzt stellt fest, dass Herr H. in einer herhinken tenangepassten Umgebung noch zu 40 Prozent arbeitsfähig sei. Gemäß den Tabellen des Bundesamts für Statistik gibt es für solche Tätigkeiten einen Lohn von 40000 Franken. Verglichen mit dem früheren Einkommen bedeutet das eine Einschränkung – oder eben einen Invaliditätsgrad – von 50 Prozent. Thomas H. hätte also eine jährliche Rente von 32000 Franken zugut (Fr. 80000.- x 80% x 50%). Wird ihm ein leidensbedingter Abzug von 10 Prozent gewährt, sinkt das Invalideneinkommen auf 36 000 Franken, der Invaliditätsgrad steigt auf 55 Prozent und die Rente auf 35 200 Franken. Bei einem Abzug von 20 Prozent liegt der Invaliditätsgrad bei 60 Prozent, die Rente bei 38 400 Franken.
Der ausgeglichene Arbeitsmarkt
Auch dies eine juristische Spitzfindigkeit mit spürbaren Auswirkungen für die Verunfallten: Die Versicherung darf bei der theoretischen Festlegung des noch möglichen Einkommens von einem ausgeglichenen Arbeitsmarkt ausgehen. Es wird also einfach unterstellt, dass ein Unfallopfer, das noch eine Restarbeitsfähigkeit hat, tatsächlich eine passende Stelle findet. Das ist natürlich bei der heutigen Arbeitsmarktlage reine Theorie. Der Grund für dieses Konstrukt: Rein konjunkturelle Probleme bei der Stellensuche, die nichts mit der Invalidität zu tun haben, sollen ausgeblendet werden. Die Unfallversicherung soll nur für diejenigen Erwerbsnachteile aufkommen müssen, die auf den Unfall zurückgehen. Das bringt viele Teilinvalide in eine vertrackte Situation: Die Unfallversicherung hält bestimmte Tätigkeiten für zumutbar, auf dem Arbeitsmarkt lässt sich aber trotz aller Bemühungen keine solche Stelle finden. Für die Betroffenen heißt das: bei der Arbeitslosenversicherung vorsprechen. Und wenn diese – spätestens nach zwei Jahren – nicht mehr zahlt, bleibt nur noch die Sozialhilfe.
Rentenfaktor 2: der versicherte Verdienst
Ist der Invaliditätsgrad festgestellt, geht es an den zweiten Schritt zur Rentenberechnung: den versicherten Verdienst. Dieser entspricht dem Lohn, den die verunfallte Person im Jahr vor dem Unfall erzielt hat. Hat das Arbeitsverhältnis weniger als ein Jahr gedauert, wird der Lohn auf
ein volles Jahr hochgerechnet. Wird die Rente mehr als fünf Jahre nach dem Unfall gesprochen, geht man vom Lohn aus, den der Versicherte ohne Unfall im Jahr vor dem Rentenbeginn (statt im Jahr vor dem Unfall) erzielt hätte. Entschädigt wird nicht der ganze versicherte Verdienst, sondern nur 80 Prozent davon. Der Gesetzgeber unterstellt hier, dass gewisse Kosten, beispielsweise Kleider- und Fahrspesen, wegfallen, wenn jemand invalid ist.
Um die Rente zu erhalten, wird der versicherte Verdienst mit dem Invaliditätsgrad multipliziert.
Versicherter Verdienst | Fr. 50 000.- |
80% davon | Fr. 40 000.- |
Rente pro Jahr: Fr. 40000 – x 10% | Fr. 4 000.- |
Rente pro Monat | Fr. 334.- |
Invaliditätsgrad 30% | |
Versicherter Verdienst | Fr. 60000.- |
80 % davon | Fr. 48 000.- |
Rente pro Jahr: Fr. 48000.-x 30% | Fr. 14 400.- |
Rente pro Monat | Fr. 1200.- |
Als Teil der Sozialversicherungen kennt auch die Unfallversicherung eine Obergrenze für die Entschädigungen: Versichert ist ein Verdienst von maximal 106 800 Franken (Stand 2007). Der Bundesrat legt diesen Maximalbetrag periodisch neu fest. Die Maximalrente der Unfallversicherung beträgt 80 Prozent von diesen 106 800 Franken, das sind 85 440 Franken.
Fällt die Rente der Unfallversicherung mit einer solchen der IV zusammen, gilt eine höhere Obergrenze: 90 Prozent des versicherten Verdienstes. Bei weniger gravierenden gesundheitlichen Beeinträchtigungen kommt dies allerdings nicht zürn Tragen, da die IV erst ab einem Invaliditätsgrad von 40 Prozent eine Rente bezahlt (mehr dazu auf unserem Versicherung-Ratgeber).
Wie lange wird die Invalidenrente bezahlt?
Erst wenn der Arzt feststellt, dass mit Behandlungen und Therapien keine weitere Verbesserung des Gesundheitszustands mehr erreicht werden kann, wird geprüft, ob die verunfallte Person Anspruch auf eine Rente hat. Oft wird zuerst versucht, mit Eingliederungsmaßnahmen der IV die Erwerbsfähigkeit zu verbessern, sodass- im besten Fall – keine Einkommenseinbusse und damit aus Sicht der Versicherung auch keine Invalidität mehr besteht (mehr dazu auf unserem Versicherung-Ratgeber). Wenn schließlich feststeht, dass dies nicht oder nur teilweise möglich ist, bezahlt die Unfallversicherung eine Invalidenrente. Das kann gut und gerne zwei bis drei, in Ausnahmefällen gar zehn Jahre nach dem Unfall sein. Die Unfallversicherung bezahlt die Renten lebenslänglich.
Selbstverständlich endet die Rente aber, wenn jemand nachträglich wieder die volle Erwerbsfähigkeit erlangt. Solche Fälle sind allerdings eher selten. Die Rente löst die vorübergehenden Leistungen ab; Sie erhalten also keine weiteren Taggelder und es werden auch keine Behandlungskosten mehr vergütet. Nur in Ausnahmefällen werden die Kosten für Pflegeleistungen und Heilbehandlungen auch noch übernommen, wenn Sie Rente beziehen: bei einer Berufskrankheit (nicht einem Unfall) Bei Rückfällen oder Spätfolgen, wenn mit medizinischen Maßnahmen die Erwerbsfähigkeit verbessert oder wenigstens auf dem gleichen Stand gehalten werden kann wenn die Behandlung und Pflege notwendig ist, um die noch vorhandene Teilerwerbsfähigkeit zu erhalten wenn zwar keine Aussicht auf ein Wiedererlangen der Erwerbsfähigkeit besteht, aber doch noch eine gewisse gesundheitliche Verbesserung erzielt werden kann
Rückfälle und Spätfolgen
Die Unfallversicherung erbringt ihre Leistungen auch bei Rückfällen und bei Spätfolgen eines Unfalls. Einerseits, wenn jemand bereits eine Teilrente erhält und wegen einer weiteren Verschlechterung der Gesundheit die Teilzeitarbeit reduzieren muss. Andererseits auch, wenn jemand die Arbeit zuerst wieder voll aufnehmen kann und erst später Probleme auftauchen. Verlangt ist aber immer, dass diese Probleme tatsächlich Folgen des seinerzeitigen Unfalls sind.
Beispiel: Noah V. stürzte vor Jahren vom Reck und erlitt einen Trümmerbruch des Lendenwirbels. Mit Glück kam er damals an einer Querschnittlähmung vorbei; der geborstene Wirbelkörper musste aber fixiert und versteift werden. Nach einigen Monaten Erholung konnte Herr V. wieder in seinen früheren Beruf als Programmierer zurückkehren. Seit einigen Monaten leidet er nun unter immer stärker werdenden Rückenschmerzen. Er kann nicht mehr längere Zeit sitzen und auch durchschlafen ist mit den Schmerzen nur noch selten möglich. Der konsultierte Arzt stellt fest, dass es aufgrund der Versteifung des Rückenwirbels zu einer Fehlbelastung der Wirbelsäule gekommen ist und zudem die angrenzenden Bandscheiben zusammengefallen sind. Weil es sich um eine klare Folge des seinerzeitigen Sturzes handelt, meldet der Arzt den Fall als Unfallspätfolgen bei der Versicherung an. Gleichzeitig wird auf Rechnung der Unfallversicherung eine Konsultation beim damals operierenden Orthopäden vereinbart. Dieser wird entscheiden, ob nochmals operiert werden muss. Auch die Kosten dieser Operation müsste die Unfallversicherung übernehmen.