Seit dem 1. April 2007 bieten die gesetzlichen Krankenkassen im Rahmen der Gesundheitsreform Wahltarife an, wie sie in der privaten Krankenversicherung schon lange üblich sind. Alle großen Krankenkassen nutzen diese Möglichkeit und haben bis zu 22 Wahltarife im Angebot – für Kranke und Gesunde. Hunderte von neuen Tarifen sind so auf den Markt kommen. Laut Gesetz müssen alle gesetzlichen Krankenkassen Tarife .anbieten, mit denen sich Versicherte für bestimmte Versorgungsformen oder Behandlungsprogramme entscheiden können. Im Gegenzug verzichten die Kassen auf Zuzahlungen oder bieten Beitragsprämien an. Früher durften die Kassen nur freiwillig Versicherten ein solches Angebot machen, jetzt können auch Pflichtversicherte wählen. Die Teilnahme ist freiwillig. Die Ausgestaltung der neuen Tarife ist von Kasse zu Kasse unterschiedlich.
Doch bisher reagieren die 70 Millionen gesetzlich Versicherten eher zurückhaltend auf die neuen Möglichkeiten. Die Tücke liegt im Detail: Das Angebot ist so vielfältig, dass die neuen Tarife vielen Versicherten auf den ersten Blick zu kompliziert erscheinen. Außerdem muss man sich drei Jahre an die jeweilige Kasse binden – und das will eben nicht jeder. Denn hebt die Kasse in dieser Zeit den Beitrag stark an, gibt es keine Wechselmöglichkeit. Ausnahmen gibt es nur bei Härtefällen aus finanziellen Gründen.
Ein weiterer Grund für die geringe Akzeptanz ist die verfehlte Werbestrategie: Sie fühlen sich fit und möchten eigenverantwortlich Ihren Beitragssatz senken? Dann haben wir genau das Richtige für Sie. So oder so ähnlich klingt die Werbung für die neuen Wahltarife. Diese Botschaften richten sich in erster Linie an Gesunde, viele fühlen sich daher schon von vorneherein ausgeschlossen. Wahltarife gibt es aber natürlich auch für diejenigen, die nicht gesund sind, etwa für chronisch Kranke.
Natürlich wollen die Kassen insbesondere auch denjenigen etwas bieten, die mit der privaten Krankenversicherung (PKV) liebäugeln und eventuell abwandern könnten. Die Errungenschaften der PKV – mehr Risiko, mehr Eigenverantwortung, Kontrolle der Arztrechnungen – gibt es seit Einführung der Wahltarife daher auch in der gesetzlichen Krankenversicherung.
Die Kassen belohnen ihre Versicherten zum Beispiel mit einer Beitragsrückgewähr für die Teilnahme an Programmen oder mit einer Geldprämie bei Selbstbehalt. Vorsorgeuntersuchungen schaden diesen Rabatten übrigens nicht. Hierunter fallen zum Beispiel Schutzimpfung, Krebsvorsorge, Gesundheits-Check oder Zahnvorsorge. Auch Untersuchungen und Behandlungen von Kindern bis zum 18. Lebensjahr wirken sich nicht negativ aus.
Belohnung: Beitrag zurück
Krankenkassen müssen spezielle Wahltarife für die Hausarztversorgung anbieten. Das heißt, Sie verpflichten sich, zur Behandlung immer zuerst zum Hausarzt zu gehen. Dafür gibt es dann meist die komplette Praxisgebühr zurück, insgesamt also 40 Euro im Jahr. So können nicht nur Gesunde, sondern beispielsweise auch chronisch Kranke sparen!
Daneben gibt es Behandlungsprogramme mit Bonuszahlungen etwa für Patienten mit Herzkrankheiten, Diabetes, Asthma oder Brustkrebs. Bei der Barmer gibt es sogar einen Bonus über die Erstattung von Zuzahlungen bis zu 150 Euro, wenn Sie an der sogenannten Integrierten Versorgung teilnehmen. Sie können also doppelt von den Wahltarifen profitieren: finanziell und gesundheitlich. Denn neben der Kostenersparnis lässt sich mit diesen Programmen auch die Versorgung der jeweiligen Beschwerden verbessern.
An den Geld-zurück-Wahltarifen können alle Kassenmitglieder teilnehmen. Einzige Ausnahme: Ihre Beiträge werden vollständig von Dritten getragen, etwa von der Bundesanstalt für Arbeit. Dann gibt es keine Erstattung.
Selbstbehalte: hohes Sparpotenzial
Wenn Sie sogenannte Selbstbehalte vereinbaren, können Sie mehrere Hundert Euro im Jahr als Prämie von Ihrer Kasse bekommen. Sie verpflichten sich dabei, die Kosten für ärztliche Behandlung, Arznei- und Heilmittel bis zu einem bestimmten Betrag selbst zu zahlen oder sogar auf Leistungen ganz zu verzichten (also weder zum Arzt zu gehen noch sich Medikamente verschreiben zu lassen). Diese Selbstbehalte liegen je nach Kasse, individuellem Einkommen und Einzeltarif zwischen 50 und 960 Euro pro Jahr. Im Gegenzug kassieren Sie entweder vorher oder auch nachher eine Prämie – bis zu 900 Euro verspricht so manche Kasse.
Beispiel
Rüdiger D. ist bei der AOK Rheinland versichert, sein Jahreseinkommen beträgt 28000 Euro. Damit liegt er in der Tarifklasse 4, seine Prämie, die bei der AOK Grundbonus heißt, beträgt 190 Euro. Wenn er ohne Krankenhausaufenthalt, verordnete Medikamente und Heilmittel durchs Jahr kommt, kann er diesen Betrag komplett einstreichen. Wenn er jedoch ein Medikament oder eine Behandlung über die Versichertenkarte abrechnet, verringert sich sein Bonus um ein Viertel, in seiner Tarifklasse sind das 47,50 Euro. Rüdiger D. würde folglich am Ende des Jahres nur noch 142,50 Euro erhalten. Weitere Verordnungen reduzieren den Bonus noch mehr, ein Krankenhausaufenthalt würde ihn halbieren. Im teuersten Fall zahlt der Versicherte einen Selbstbehalt von jährlich 80 Euro aus eigener Tasche.
Die Nachteile dieses Modells liegen auf der Hand: Sie können die Prämie nur kassieren, wenn Sie nicht krank werden oder zumindest keine Leistungen mit Ihrer Versichertenkarte in Anspruch nehmen. Wenn Sie dagegen schwer oder dauerhaft erkranken, zahlen Sie drauf. Stellen Sie sich daher vorher folgende Fragen:
• Kann ich mein persönliches Erkrankungsrisiko für die nächsten drei • Jahre abschätzen?
• Bietet mein individueller Gesundheitszustand wirklich die Möglichkeit, mit diesem Tarif Geld zu sparen?
• Welche Erkrankungen gab es in der Familie (Eltern, Großeltern)?
• Wie oft war ich in den letzten Jahren krank?
• Habe ich erhöhte Risiken (zum Beispiel Rauchen, Vorerkrankungen)?
123Versicherung Ratgeber Tipp
Sparen Sie bei diesem Modell beim Arzt durch Barzahlung: Denn ein Rezept oder eine Krankschreibung kostet deutlich weniger als ein Monatsbeitrag.
Viele Kassen, viele Tarife
Die Wahltarife der gesetzlichen Krankenkassen sind sehr unterschiedlich, und auch nicht alle Krankenkassen bieten welche an. Im Folgenden stellen wir Ihnen die Tarife einiger ausgewählter Kassen vor.
Allgemeine Ortskrankenkasse Regional geht es für AOK-Versicherte unterschiedlich schnell: Während zum Beispiel die AOK Bayern schon Wahltarife anbietet, lassen sich die AOK Sachsen-Anhalt und die AOK Hessen mehr Zeit. Mit sieben Tarifen, nach Einkommen gestaffelt, ist das Angebot der AOK Rheinland-Pfalz transparent und übersichtlich. Jedes Mitglied, das sich für einen der Selbstbehalttarife entscheidet, erhält ein Guthaben (Bonus), das sich an seinem Einkommen orientiert. Kunden, die ein Jahr lang kein Kassenrezept bekommen und nicht ins Krankenhaus müssen, überweist die AOK im folgenden Jahr den vollen Guthaben-Betrag auf das Girokonto. Nur wenn Leistungen benötigt werden, verringert sich der Bonus für jedes Kassenrezept oder jeden Krankenhausaufenthalt um einen festen Betrag.
Barmer Die größte deutsche Kasse, die Barmer, bietet 18 Wahltarife an. Neben Angeboten für besondere Versorgungsformen wie Hausarzttarife, die alle Kassen künftig anbieten müssen, gibt es Angebote für kostenbewusste Kunden. Der Hauptausschuss hat die Wahltarife bereits verabschiedet, die formale Genehmigung durch die Aufsichtsgremien steht noch aus.
Deutsche Angestellten Krankenkasse Die Deutsche Angestellten Krankenkasse (DAK) bietet insgesamt 15 verschiedene Individual-Tarife an, mit denen der jeweilige Beitragssatz um bis zu 10 Prozent sinkt. Die Versicherten der bundesweit zweitgrößten Krankenkasse können zwischen freiwilligen Selbstbehalt-Tarifen, Beitragsrückerstattung, Gesundheitsprogrammen und Präventionsangeboten wählen. Wer keine oder nur geringe ärztliche Leistungen in Anspruch nimmt und sich gesundheitsbewusst verhält, bekommt hierfür Geld- und Sachprämien bis zur gesetzlich möglichen Höchstgrenze von bis zu 600 Euro im Jahr. Zusätzlich sind über Bonustarife Prämien von bis zu 150 Euro möglich. Ferner gibt es elf DAK-Zusatzschutz-Tarife, wie etwa Auslandsschutz oder Zahnersatz in Kooperation mit der HanseMerkur.
Techniker Krankenkasse Bei der Techniker Krankenkasse (TK) wird der gesetzliche Rahmen voll ausgeschöpft: Die TK hat fünf Gruppen mit neuen Wahltarifen eingeführt. Neben Tarifen für Chronikerprogramme, Hausarztmodelle und integrierte Versorgungskonzepte gibt es mehrere Selbstbehalttarife sowie die Möglichkeit der Beitragsrückzahlung. Die TK plant einen Tarif für Mitglieder, die die Kostenerstattung statt der Sachleistung im Sinne einer Höherversicherung bevorzugen: Wer sich dafür entscheidet, zahlt eine zusätzliche Prämie. Im Gegenzug erhöht die TK ihre Erstattungsbeträge. Ein Tarif für Arzneimittel der besonderen Therapierichtungen ist ebenfalls in der Planung.
Kaufmännische Krankenkasse Die Kaufmännische Krankenkasse (KKH) bietet Mitgliedern, die gesund sind und relativ wenige Leistungen in Anspruch nehmen, die Möglichkeit zum Selbstbehalt und zur Beitragsrückzahlung. Außerdem sollen chronisch Kranke, die an speziellen Behandlungsprogrammen teilnehmen und sich gesundheitsbewusst verhalten, einen Bonus bekommen.
Für die Krankenkassen, die bisher noch keine Wahltarife im Angebot haben, sollte der Gesetzesbeschluss ein Appell sein, diese nun umzusetzen. Einen zeitlichen Rahmen gibt es dafür aber nicht, heißt es beim Bundesministerium für Gesundheit. Hinzu kommt, dass sich die neuen Tarife selbst tragen sollen. Erst, wenn sich bestätigt, dass die Kassen mit den neuen Tarifen Einsparungen erzielen, kann man mit einer flächendeckenden Umsetzung rechnen, meinen Experten.
Wägen Sie bei der Tarifwahl sorgsam ab
Der Bundesverband der Verbraucherzentralen mahnt zu einem kritischen Umgang mit den neuen Spartarifen. Wahltarife sind längst nicht für jeden Versicherten empfehlenswert, sagt Verbandssprecher Carel Mohn. Mit den vielfältigen Angeboten wird es für die Verbraucher unübersichtlicher. Man müsse sehr genau vergleichen, was die jeweiligen Kassen anbieten. Auch die gesetzlichen Versicherer raten zu einem vorsichtigen Umgang: Einem chronisch Kranken würde ich nicht raten, einen Selbstbehalt zu wählen, sagt Jörg Bodanowitz, Pressesprecher der DAK.
Experten warnen vor einem übereilten Wechsel. Wir raten sowohl den Kassen als auch den Versicherten zu einem sehr ehrlichen und abwägenden Umgang mit den neuen Tarifen, sagt zum Beispiel Florian Lang, Sprecher des Bundesverbands der Betriebskrankenkassen. Man kann sparen – es kann aber auch teuer werden. Das muss man offen und ehrlich sagen.
Trotzdem: Es sind neue Möglichkeiten, die Sie sorgsam abwägen müssen – in der Privatversicherung tun das seit Jahren neun Millionen Versicherte. Bei gesunder Lebensweise bleiben solche Wahltarife durchaus kalkulierbar und eine lohnende Alternative für Kassenmitglieder.
Die Zeitschrift Ökotest hat im Mai 2007 Wahltarife getestet, und zwar ausschließlich Selbstbehalts- und Beitragsrückgewährtarife. Ergebnis: Das Sparpotenzial ist bei einigen Angeboten enorm. Versicherte können ihren Beitragsatz mit den Wahltarifen so weit senken, dass sie weniger zahlen als mit einem Wechsel zur derzeit günstigsten Kasse, so Ökotest. Solche niedrigen Beitragssätze sind vor allem dann zu erzielen, wenn Sie eine Kombination aus Selbstbeteiligung und Beitragsrückgewähr nutzen – ein Sparangebot, das allerdings bisher nur wenige Kassen anbieten (BIG, Techniker Krankenkasse und IKK Niedersachsen).
Krankenversicherung 55
Besonders günstig sind laut Ökotest die Angebote folgender Kassen: Techniker Krankenkasse, BIG, AOK Sachsen, BKK Hoesch, BKK Medicus, IKK Baden-Württemberg und Hessen, Knappschaftskasse, Marquardt BKK und Salus BKK. Diese Kassen erreichten im Test in allen Tarifen immer den Rang eins. Die Spannweite der Beitragsätze, die durch neue Wahltarife Rang eins erreichen, ist relativ groß. Sie beginnt bei einem persönlichen Beitragssatz von 4,15 Prozent (BIG Select: SB 1000) und endet bei 7,10 Prozent (HEKplus 75 und IKK OptiFlex 600).
Bei teuren Anbietern ist der Abschluss eines Wahltarifs nicht empfehlenswert, so Ökotest. Der persönliche Beitragssatz liegt bei der AOK Berlin und der AOK Saarland auch nach Ausnutzung der neuen Bonustarife teilweise über 8 Prozent!
Wenn Sie einen der neuen Wahltarife abschließen möchten, sollten Sie zunächst bei Ihrer derzeitigen Kasse nach Angeboten fragen. Es lohnt sich aber in jedem Fall auch, sich bei anderen Kassen umzuhören. Beachten Sie dabei immer, wie sich der finanzielle Vorteil eines Tarifangebotes zur Beitragsbelastung verhält. Prüfen Sie vor einem Einstieg in einen Wahltarif bei Ihrer Kasse, ob sich der Wechsel in eine deutlich günstigere Kasse nicht mehr lohnt.
123Versicherung Ratgeber Tipp
Empfehlenswert ist eine neutrale Beratung, etwa durch unabhängige Verbraucher- oder Patientenberatungsstellen. Wenn Sie an einer chronischen Krankheit leiden, sollten Sie sich gründlich bei verschiedenen Kassen über Ihre speziellen Möglichkeiten informieren.
Übersicht der Wahltarife
Übersicht der Wahltarife | |||||||||||||||
Kasse | Selbst behalt | Beitrags rück erstattung | Teil nahme bonus | Variable Kostener stattung | Sonder leistun gen | ||||||||||
AOK Baden- Württemberg | X | ||||||||||||||
AOK Bayern | X | ||||||||||||||
AOK Brandenburg | X | ||||||||||||||
AOK Bremen/ Bremerhaven | X | ||||||||||||||
AOK in Hessen | X | ||||||||||||||
AOK in Rheinland- Pfalz | X | ||||||||||||||
AOK in Thüringen | X | ||||||||||||||
AOK Mecklenburg- Vorpommern | X | ||||||||||||||
AOK Niedersachsen | X | X | X | X | |||||||||||
AOK Sachsen | X | ||||||||||||||
AOK Sachsen- Anhalt | X | ||||||||||||||
AOK Schleswig- Holstein | X | X | |||||||||||||
AOK Westfalen- Lippe | X | ||||||||||||||
BARMER | X | X | X | X | |||||||||||
BIG-Die Direktkrankenkasse | X | X | |||||||||||||
BKK ESSANELLE | X | X | |||||||||||||
BKK exklusiv | X | X | X | ||||||||||||
BKK Gesundheit | X X | ||||||||||||||
DAK | X | X | X | X | |||||||||||
energie-BKK | X | ||||||||||||||
GEK | X | ||||||||||||||
HZK | X | ||||||||||||||
IKK Baden- Württemberg und Hessen | X | X | |||||||||||||
IKK Niedersachsen | X | X | X | ||||||||||||
Inovita BKK | X | ||||||||||||||
KKH – Die Kaufmännische | X | X | X | ||||||||||||
Knappschaft | X | ||||||||||||||
MARQUARDT BKK | X | X | |||||||||||||
mhplus BKK | X | X | X | ||||||||||||
neue BKK | X | X | X | ||||||||||||
NOVITAS Vereinigte BKK | X | X | X | ||||||||||||
Techniker Krankenkasse | X | X | X |
Quelle: krankenkassenberater*de