Nach fast 100 Jahren war es am 5. Juli 2007 so weit: Der Bundestag beschloss eine umfassende Reform des Versicherungsvertragsgesetzes (VVG). Es gibt eine Reihe von Verbesserungen für die Kunden, auch wenn sich Verbraucherschutzorganisationen und auch wir von 123Versicherung weitergehende Veränderungen gewünscht hätten. Die neuen Regeln gelten für alle Versicherungsverträge, die ab dem 1. Januar 2008 abgeschlossen werden. Für alle Altverträge (also für alle, die vor 2008 abgeschlossen wurden) gilt bis zum 31. Dezember 2008 das alte Recht weiter. Ab dem 1. Januar 2009 werden auch sie in das neue Recht überführt.
Die neuen Regelungen im Einzelnen
In diesem Artikel stellen wir Ihnen die neuen Regelungen vor und erläutern Ihnen, was sie im Einzelnen für Sie bedeuten. Die Regelungen reichen von einer verbesserten Beratung mit Dokumentationspflicht über eine Vereinheitlichung des Widerrufsrechts bis hin zu Änderungen bei der Kapitallebensversicherung (zum Beispiel Anspruch auf Überschussbeteiligung).
Verbesserte Beratung und Information der Versicherungsnehmer
Sie als Kunde müssen ab 2008 besser als früher informiert werden, so sieht es die Verordnung über Informationspflichten bei Versicherungsverträgen (VVG-InfoV) vor. Die zwei wichtigsten Punkte treten allerdings erst am 1. Juli 2008 in Kraft: Sie bekommen ein Produktinformationsblatt, auf dem in Kurzform alle wesentlichen Informationen zusammengefasst sind, unter anderem die Art der Versicherung, die versicherten Risiken, die Leistungsausschlüsse und die Höhe der Prämie. Und: Bei Lebens-, Berufsunfähigkeits- und privaten Krankenversicherungen müssen die Versicherer ihre einkalkulierten Abschlusskosten in Euro und Cent angeben. (Mehr zu den Neuerungen und ggf. Aktualisierungen siehe im Internet auf der Seite des Bundesjustizministeriums unter bmj.bund*de)
Sie müssen als Kunde zukünftig auch besser beraten werden. So müssen Sie zum Beispiel vor dem Abschluss über die wesentlichen Vertragsbestimmungen und die allgemeinen Versicherungsbedingungen informiert werden. Das sogenannte Policenmodell, bei dem der Kunde erst nach Vertragsabschluss sämtliche Vertragsunterlagen erhielt, gehört damit der Vergangenheit an. Der Vermittler muss das Beratungsgespräch dokumentieren, und er beziehungsweise das Unternehmen haftet dann auch für Schäden aus erwiesener Falschberatung.
Beispiel
Ein Kunde wünscht eine Vollkasko-Versicherung für ein nicht-europäisches Land. Der Vermittler vermittelt jedoch einen Vertrag, der nur in Europa gilt. Dann ist der Vermittler wegen Falschberatung schadenersatzpflichtig. Handelt der Vermittler als angestellter Vertreter eines Versicherungsunternehmens, ist dieses schadenersatzpflichtig. Sie können allerdings auf die Beratung und Information verzichten. Das müssen Sie dann schriftlich erklären.
Vorvertragliche Anzeigepflichten
Als Kunde werden Sie in der Hinsicht besser gestellt, dass Sie nur solche Umstände angeben müssen, nach denen der Versicherer in Textform gefragt hat. Das Risiko einer Fehleinschätzung, ob ein Umstand risikoerheblich ist, liegt damit nicht mehr beim Kunden.
Beispiel
Ein Wohnungseigentümer gibt bei einer Hausratversicherung nicht an, dass sich im gleichen Haus ein Hotel befindet – und damit erhöhter Publikumsverkehr stattfindet. Nach einem Einbruch kann sich die Versicherung auf das Verschweigen des Hotels nur dann berufen, wenn sie zuvor nach der Existenz von Gewerbebetrieben im Haus gefragt hat. Ein Rücktritt vom Vertrag käme zudem nur in Betracht, wenn der Kunde die Existenz des Hotels vorsätzlich verschwiegen hätte. Außerdem muss der Versicherer die Rückabwicklung innerhalb bestimmter Fristen geltend machen: drei Jahre bei der privaten Krankenversicherung, fünf Jahre bei allen übrigen Versicherungen oder zehn Jahre bei vorsätzlichem oder arglistigen Handeln des Kunden.
Direktanspruch in der Pflichtversicherung
Sie können Ansprüche jetzt auch direkt gegen Pflichtversicherungen Dritter stellen, wenn beim Pflichtversicherten nichts mehr zu holen oder dieser nicht auffindbar ist. Das gab es zuvor nur in der Kraftfahrzeughaftpflicht, wird jetzt aber auf alle Pflichtversicherungen ausgedehnt.
Beispiel
Jemand verliert einen Prozess, weil sein Anwalt Fristen versäumt hat. Doch beim Anwalt ist nichts zu holen, weil über sein Vermögen das Insolvenzverfahren eröffnet wurde. Der Geschädigte kann jetzt seinen Anspruch auf Schadenersatz direkt gegen die Berufshaftpflichtversicherung des Anwalts geltend machen.
Aufgabe des Alles-oder-Nichts-Prinzips
Bisher erhielten Kunden bei einfachem fahrlässigem Verhalten zwar noch eine Versicherungsleistung, bei grob fahrlässigen oder vorsätzlichen Verstößen dagegen bekamen sie nichts. Zukünftig bleiben einfache fahrlässige Verstöße weiterhin folgenlos, und bei vorsätzlichem Handeln springt die Versicherung auch weiterhin nicht ein. Bei grob fahrlässigen Verstößen kann die Leistung neuerdings aber je nach der Schwere des Verschuldens zwar gekürzt, aber nicht ganz gestrichen werden.
Beispiel
Der Bewohner verlässt für ein paar Stunden sein Haus, dabei verbleibt ein von der Straße nicht einsehbares Erdgeschossfenster in Kippsteilung. Wird eingebrochen, ist dieses Verhalten als grob fahrlässig anzusehen. Bisher wurde in solchen Fällen von der Hausratversicherung nichts bezahlt. Zukünftig soll es abhängig vom Einzelfall eine Quote geben.
Einheitliches Widerrufsrecht
Unabhängig vom Vertriebsweg gilt ein einheitliches Widerrufsrecht. Es gilt nicht nur für Verbraucher, sondern auch für Handwerker und Freiberufler. Die Widerrufsfrist beträgt zwei Wochen, bei Lebensversicherungen 30 Tage. Die Frist beginnt erst zu laufen, wenn dem Kunden alle Vertragsbedingungen und Informationen übermittelt wurden. Da auch die bis dahin geltende Ausschlussfrist von einem Jahr gestrichen wird, kann der Kunde theoretisch noch Jahre danach den Vertrag widerrufen, wenn ihm zum Beispiel nicht alle relevanten Informationen übermittelt wurden.
Keine Unteilbarkeit der Prämie mehr
Wird ein Vertrag während eines Versicherungsjahres durch die Versicherung beendet, etwa durch Kündigung oder Rücktritt wegen Zahlungsverzugs, hat sie auch nur Anspruch auf die Beiträge bis zu diesem Zeitpunkt. Bisher konnte sie die Prämien bis zum Ende des Versicherungsjahres beanspruchen.
Wegfall der Klagefrist
Die Regelung, dass Kunden, deren Versicherung eine Leistung schriftlich abgelehnt hat, dagegen nur binnen sechs Monaten klagen können, entfällt. Seit dem 1. Januar 2008 gilt die normale Verjährungsfrist.
Änderungen bei der Kapitallebensversicherung
Für Lebensversicherungen bringt das neue Versicherungsrecht seit 2008 die meisten Änderungen (siehe dazu auch die Kategorie Kapitallebensversicherung im Artikel Lebensversicherung). So haben Kunden beispielsweise Anspruch auf eine Überschussbeteiligung und auf eine mindestens 50-prozentige Beteiligung an den stillen Reserven. In einer Modellrechnung müssen zudem die zu erwartenden Leistungen verdeutlicht und der Rückkaufswert berechnet werden.
Die Abschlusskosten von Lebensversicherungen werden seit 2008 auf fünf Jahre verteilt. Davon profitieren alle Kunden, die in den ersten Jahren kündigen. Sie bekamen bisher nahezu nichts von ihren eingezahlten Beiträgen zurück, da davon erst einmal die Abschlusskosten bezahlt wurden. Die Höhe der Abschluss- und Vertriebskosten müssen den Kunden außerdem vor
Vertragsabschluss mitgeteilt werden.