Im Folgenden werden drei wichtige versicherungstechnische Prozesse in Versicherungsunternehmen schematisch unter Nennung beteiligter Organisationseinheiten im Außen- und Innendienst vorgestellt. Nicht alle dabei auftretenden Einzelprozesse müssen in der genannten Reihenfolge vorgenommen werden, manche fallen in einzelnen Versicherungsunternehmen mit besonderer Außendienststruktur oder anderweitigen organisatorischen Eigenheiten sogar komplett weg.
a) Abschluss und Erstbearbeitung von Versicherungsverträgen (Antragsmodell)
Dieser Ablaufprozess steht am Beginn jedes Versicherungsverhältnisses. Unter Beteiligung eines Vermittlers wird ein Vertrag zwischen einem Versicherungsnehmer und dem Versicherungsunternehmen abgeschlossen und in das Versichertenkollektiv aufgenommen. Die Einzelprozesse in chronologischer Reihenfolge sind im Allgemeinen:
Einzelprozess | Beteiligte Organisationseinheiten | Bemerkungen |
Beratung des Antragstellers | Vermittler | Bei Direktversicherern stark externalisiert (Internet etc.) |
Ausfüllen des Antrags | Vermittler | Bei Direktversicherern allein Aufgabe des Antragstellers |
Formale Antragsprüfung | Vermittler/ Sachbearbeiter in Filialbetrieb/Antragsabteilung | Prüfung, ob Antrag ordnungsgemäß ausgefüllt ist |
Vertragseingabe in das EDV-Bestandssystem | Sachbearbeiter in Filialbetrieb/ Antragsabteilung/Vertragsabteilung | Datentechnische Aufnahme in den Versicherungsbestand |
Materielle Antragsprüfung | Sachbearbeiter in Filialbetrieb/ Antragsabteilung | Eigentliche Risikoprüfung |
Tarifierung | Sachbearbeiter in Filialbetrieb/ Antragsabteilung | Festlegung des endgültigen Versicherungsschutzes einschl. Beitragshöhe |
Entscheidung über Annahme und damit Vertragsabschluss | Sachbearbeiter in Filialbetrieb/ Antragsabteilung | |
Ausfertigung des Versicherungsscheines | Antragsabteilung/Vertragsabteiltung | Wird teilweise auch im Filialbetrieb vorgenommen |
Versenden des Versicherungsscheines | Vertragsabteilung/Poststelle | |
Einzug des Erstbeitrages | In- und Exkasso | Versicherungsschutz wird wirk- sam/Vertragseinlösung |
Ermittlung und Auszahlung der Abschlussprovision | In- und Exkasso/Lohnbuchhaltung | Stark abhängig vom jeweiligen Absatzorgan |
Der dargestellte modellhafte Prozess erstreckt sich je nach Unternehmen über etwa zwei bis vier Wochen, vor allem der Einzug des Erstbeitrages (externer Faktor Antragsteller) und die Auszahlung der Provision können dabei verlangsamend wirken.
Wie die Darstellung insgesamt deutlich macht, verlagern sich die Einzelprozesse im Zuge des Abschlusses und der Erstbearbeitung im Laufe der Zeit langsam vom Außendienst in verschiedene Innendienstabteilungen der Zentrale. Je höher der Grad an Zentralisierung im Unternehmen, desto früher wird dieser Übergang bei der Antrags- bzw. Vertragsbearbeitung vorgenommen, die Außendienstorganisation bleibt entsprechend eher auf reine Vertriebsaufgaben beschränkt.
Sobald feststeht, dass einem Antragsteller Versicherungsschutz gewährt werden kann, muss der neue Vertrag zusätzlich noch einem Rückversicherungsabkommen zugeordnet werden. Muss nach erfolgter Risikoprüfung im Rahmen der Tarifierung ein Risikozuschlag erhoben oder ein Leistungsausschluss gefordert werden, sollte vom Antragsteller vor Eingabe des Vertrages in das Bestandssystem nochmals ein Einverständnis eingeholt werden, da sich der Versicherungsumfang nun gegenüber dem Antrag geändert hat. Ablauftechnisch läuft dies auf eine erneute Kontaktaufnahme durch Vermittler oder Innendienstmitarbeiter hinaus.
b) Kapitalanlage unter Verwendung von Asset-Liability-Techniken
Alle angesammelten Beitragsanteile, die nicht sofort für Provisionszahlungen oder anderweitig benötigt werden (nicht direkt in den Kassenbestand des Versicherers überführt werden), werden auf den internationalen Kapitalmärkten investiert. Hauptziele sind dabei Rentabilität und Sicherheit, im weiteren Sinne aber auch die Liquidität der getätigten Investitionen. Im Idealfall verfügt das Versicherungsunternehmen über ein eigenständiges Asset-Liability-Management, das die Kapitalanlage an die erwarteten Liquiditätserfordernisse des Unternehmens anpasst. Die Kapitalanlage stellt sich insgesamt als kontinuierlicher Prozess dar, der unter Berücksichtigung der Lage an den Kapitalmärkten sowie unternehmensinterner Anlageziele immer wieder von neuem durchlaufen wird:
Einzelprozess | Beteiligte Organisationseinheiten | Bemerkungen |
Analyse des Versicherungsbestandes (Ziel: Bestimmung der Soll-Liquidität) | Aktuariat/Datenverarbeitung/ Vertragsabteilung | Zentrale Frage: Welche Liquidität muss voraussichtlich wann zur Verfügung stehen? |
Analyse der Kapitalmärkte | Kapitalanlage/ Vermögensverwaltung | Zentrale Frage: Wie werden sich die Kapitalmärkte entwickeln? |
Modellierung des bestehenden Kapitalanlageportfolios unter Verwendung realistischer Annahmen (Ziel: Bestimmung der Ist-Liquidität) | Kapitalanlage/ Vermögensverwaltung | Zentrale Frage: Wie werden sich unsere Kapitalanlagen bzw. unsere Liquidität in Zukunft entwickeln? |
Abgleich der Soll- Liquidität mit der Ist- Liquidität | Aktuariat/Kapitalanlage/ Vermögensverwaltung | Zentrale Frage: Wann wird Unter- bzw. Überliquidität auf- treten? (Prognose des Liquiditätsverlaufs) |
Anpassung des bestehenden Kapitalanlageportfolios | Kapitalanlage/ Vermögensverwaltung | Kauf und Verkauf von Wertpapieren, dabei intensiver Kontakt mit Banken und Kapitalanlagegesellschaften |
Der dargestellte Ablaufprozess kann sich aufgrund seines strategischen Charakters über mehrere Wochen bis Monate hinweg erstrecken, die tatsächliche Investition liquider Mittel verläuft parallel dazu (Anpassung des bestehenden Kapitalanlageportfolios auf der Basis vergangener Analysen). Bietet ein Lebensversicherungsunternehmen fondsgebundene Produkte an, muss bei der Kapitalanlage in jedem Fall eine Kapitalanlagegesellschaft hinzugezogen werden, die die angelegten Mittel treuhänderisch verwaltet. Das Kapitalanlagerisiko liegt dann allein beim Versicherungsnehmer, der ALM-Planungszyklus vereinfacht sich entsprechend.
c) Schadenbearbeitung
Meldet ein Versicherungsnehmer einen Schaden, muss der Versicherer zunächst prüfen, ob er überhaupt zu einer Versicherungsleistung verpflichtet ist. Fällt diese Prüfung positiv aus, muss Schadenersatz in der vertraglich vereinbarten Höhe geleistet werden. In der Folge wird der Versicherungsschutz teilweise angepasst bzw. erlischt ganz (zum Beispiel in der Risikolebensversicherung nach dem Ableben der versicherten Person).
Einzelprozess | Beteiligte Organisationseinheiten | Bemerkungen |
Entgegennahme der Schadenmeldung | Vermittler/Sachbearbeiter in Filialbetrieb oder Zentrale | |
Detaillierte Schadenanalyse | Schadenregulierer in Filialbetrieb oder Zentrale | Zentrale Frage: Besteht überhaupt Deckung? |
Anforderung von Gutachten (falls erforderlich) | Schadenregulierer in Filialbetrieb oder Zentrale | Kontaktaufnahme mit externem Sachverständigen, der Gutachten erstellt |
Rückmeldung an Versicherungsnehmer | Schadenregulierer in Filialbetrieb oder Zentrale | Mitteilung über Höhe der Versicherungsleistung |
Anweisung an In- und Exkasso | Schadenregulierer in Filialbetrieb oder Zentrale/In- und Exkassoab- teilung | Überweisung oder Versenden eines Schecks |
Anpassung des Versicherungsschutzes (falls erforderlich) | Vertragsabteilung/In- und Exkassoabteilung | Vornahme etwaiger Beitragsanpassungen (zum Beispiel Änderung der Schadenfreiheitsklasse in der Kfz-Versicherung) |
Der genannte Schadenregulierer in einem Filialbetrieb kann dabei durchaus der Vermittler selbst sein (Voraussetzung: starke Dezentralisierung der Aufbauorganisation), der damit neben seinen Vertriebsaufgaben noch weitergehende Dienstleistungen für das Versicherungsunternehmen erbringt. Einzelne Versicherungsunternehmen überlassen die Schadenbearbeitung komplett externen Dienstleistern, verlieren damit aber natürlich an Kundennähe.
Speziell bei diesem Ablaufprozess legt der Versicherungsnehmer großen Wert auf eine möglichst unbürokratische Verfahrensweise; dem gegenüber steht jedoch das Interesse des Versicherers, jeden gemeldeten Schaden vor Erbringung einer Versicherungsleistung genau zu prüfen. Der Versicherer nimmt damit letztlich die Interessen der Versichertengemeinschaft wahr, die beabsichtigte Abwehr ungerechtfertigter Forderungen nimmt umfangreiche personelle Ressourcen im Versicherungsunternehmen in Anspruch. Je nach Ausmaß des Schadens kann sich der Schadenbearbeitungsprozess daher durchaus über mehrere Wochen erstrecken.
Weitere wichtige Ablaufprozesse im Versicherungsunternehmen sind unter anderem:
• Vertragsänderungen,
• Produktentwicklung,
• Meldungen gegenüber der Versicherungsaufsicht,
• Risikoprüfung,
• Abschluss von Rückversicherungsabkommen.
Auch diese Ablaufprozesse können in Versicherungsunternehmen durchaus sehr unterschiedlich organisiert sein, werden jedoch alle stark vom immateriellen und stochastischen Wesen des Versicherungsgeschäftes geprägt.