► Konjunkturschwankungen
Das Wort Konjunktur (lat. Verbindung, Zusammenhang) bezeichnet einen zusammenhängenden zeitlichen Ablauf des Wirtschaftsgeschehens. Es ist geschichtlich erwiesen, dass der Ablauf in Wellenbewegungen erfolgt. Diese Phasen wiederholen sich in der gesamten Wirtschaft mit mehr oder weniger deutlichen erkennbarem Rhythmus innerhalb verschieden langer Zeiträume.
Der Verlauf der Konjunkturschwankungen vollzieht sich in wellenförmig aufeinander-folgenden Phasen. Man unterscheidet:
• Strukturelle Schwankungen. Ursache dafür sind grundlegende Veränderungen als Folge des technischen Fortschritts und dadurch geänderter Arbeitsbedingungen für den Menschen (Bergbau, Telekommunikation). Auch die Teilnahme am internationalen Wirtschaftsgeschehen kann zu tiefgreifender Veränderung führen.
• Konjunkturelle Schwankungen. Die mittelfristigen Schwankungen mit einer Dauer von 4-6 Jahren werden als die eigentlichen und für die Wirtschaftspolitik bedeutsamen Konjunkturschwankungen bezeichnet. Die konjunkturelle Schwankung besteht aus einem Konjunkturzyklus mit Konjunkturphasen
• Saisonale Schwankungen. Sie haben ihre Ursache in den Lebensgewohnheiten und Traditionen der Menschen (Urlaub, Ferienregelungen, religiöse Feste) und in klimatischen Gegebenheiten. Ihre Bedeutung gilt nur für einzelne Wirtschaftszweige und hat sonst kaum Auswirkungen auf die Gesamtwirtschaft.
Schwankungen sind im wirtschaftlichen Verlauf unerwünscht. Der Staat bemüht sich daher, den Wirtschaftsschwankungen durch konjunkturpolitische Maßnahmen zu begegnen bzw. den Wirtschaftsablauf schwankungslos zu steuern.
Konjunkturzyklus mit Konjunkturphasen
Konjunkturphasen Konjunkturindikatoren | 1. Aufschwung (Anstieg) | 2. Boom (Hochkonjunktur) | 3. Rezession) (Rückgang) Krise (Niedergang) | 4. Depression (Tiefstand) |
1. Auftragslage | Zunehmender Auftragseingang. | Hohe Auftragsbestände, Lager sind geräumt, lange Lieferfristen. | Auftragsstockung, Zahlungsfähigkeit der Kunden verschlechtert sich. | Nahezu Auftragsstopp. |
2. Produktion und Absatz | Steigerung von Produktion und Absatz, zunehmende Kapazitätsa -uslastung. | Maximole Kapazitätsaus -lastung, Produktionsund Absatzhöchststand. | Produktions- und Absatzrückgang, Entstehung ungenutzter Kapazitäten. | Produktion -stiefstand, stillgelegte Kapazitäten, starke Absatzsch -wierigkeiten. |
3. Beschäftigung | Beschäftigungszu -nahme, Rückgang der Arbeitslosigkeit. | Vollbeschäftigung mit Neigung zur überbeschäftigung, Arbeitskräf -temangel. | Kurzarbeit, Entlassung von Arbeitnehmern. | Anhaltende Unterbesch -äftigung, Massenarbeitslosigkeit. |
4. Investitions -neigung | Starke Investitionsnei -gung, Kapazitätsausbau. | Weitere Investitions -zunahme trotz hoher Zinsen. | Investitionsrück gang, Kapazitätsabbau trotz fallender Zinsen. | Investitionsstopp trotz sehr niedriger Zinsen. |
5. Preise | Bessere Kapazitätsaus -nutzung bewirkt gewisse Preisstabilität. | Dauerhafter Nachfrageüberhang bewirkt Preissteig -erungen. Verkäufermarkt. | Nachgebende Preise, Käufermarkt.
| Ruinöser Preiswettbewerb, Preisverfall. |
6. Aktienkurse | Aktienkurse steigen infolge optimistischer Konjunkturerwar -tungen. | Aktienkurse spekulativ überzogen. | Aktienkurse sinken infolge pessimistischer Konjunkturerwar -tungen. | Einbruch der Aktienkurse. |
Konjunkturindikatoren
► Konjunkturindikatoren als Messwerte
Mithilfe von Konjunkturindikatoren (lat. indicator = Anzeiger) kann festgestellt werden, in welcher Konjunkturphase sich die Wirtschaft befindet. Darauf aufbauend können Maßnahmen der Konjunkturpolitik ergriffen werden.
*Konjunkturindikatoren sind Messwerte, die den gegenwärtigen Stand (Diagnose) und die voraussichtliche Fortentwicklung (Prognose) des Wirtschaftsablaufs anzeigen.
Sie orientieren sich als Zeitreihenwerte (Indexzahlen und Abweichungswerte) an Basiswerten. Diese können
• Ein idealer Zustand (z. B. Vollbeschäftigung, Zahlungsbilanzausgleich) oder
• Die Zahlen eines bestimmten Basisjahres (z. B. Lebenshaltungskosten 2000) sein.
Es gibt eine Vielzahl von Konjunkturindikatoren zu folgenden Sachlagen: Auftragslage und Auftragseingänge, Zahl der Beschäftigten, Preisentwicklung, Entwicklung des Außenhandels, Zinsentwicklung, Entwicklung der Konsumgüter- und Investitionsgüternachfrage, die Produktion im produzierenden Gewerbe oder die Entwicklung der Einzelhandelsumsätze. Daraus werden Konjunkturprognosen abgeleitet. Konjunkturprognosen werden von zahlreichen Institutionen (Bundesregierung, Europäische Zentralbank, Sachverständigenrat zur Begutachtung der wirtschaftlichen Entwicklung, Großbanken, internationale Organisationen, Wirtschaftsforschungsinstitute, OECD) veröffentlicht.
Ausgewählte Konjunkturindikatoren
► Arbeitslosenquote
Im Wesentlichen ist die Arbeitslosigkeit auf fünf Ursachen zurückzuführen:
Ursache | Art |
Jahreszeitliche Einflüsse | Saisonale Arbeitslosigkeit |
Kurzfristige Arbeitsmarktveränderungen | Friktionelle Arbeitslosigkeit |
Kurzfristige zyklische Schwankungen des Wirtschaftsgeschehens | Konjunkturelle Arbeitslosigkeit |
Wandlungen in der Wirtschaftsstruktur | Strukturelle Arbeitslosigkeit |
Technische Rationalisierungen | Technologische Arbeitslosigkeit |
Sämtliche Arten der Arbeitslosigkeit werden in dem statistischen Indikator Arbeitslosenquote ausgedrückt.
Arbeitslosenquote = Arbeitslose . 100 / abhängige Erwerbspersonen
Indikator | Arbeitslosenquoten in Deutschland (Abweichung von 0%) | ||||||||
1989 | 1991 | 1993 | 1995 | 1997 | 2000 | 2003 | 2005 | 2006 | |
7,9% | 6,3% | 8,9% | 9,4% | 11,4% | 9,6% | 10,5% | 11,7% | 10,8% | |
Diagnose | Die Arbeitslosenquoten hatten in den vergangenen zwei Jahrzehnten einen schwankenden Verlauf. Seit dem sehr hohen Stand von 11,7% im Jahre 2005 sinkt die Quote. Die Werte für Ostdeutschland sind im Verlauf wesentlich höher als in Westdeutschland. | ||||||||
Prognose | Trotz verbesserter Aussichten wird angenommen, dass die strukturelle Arbeitslosigkeit noch einige Jahre andauert. Dies gilt besonders für die ostdeutschen Bundesländer. Die konjunkturelle Entwicklung wird die Arbeitslosenquote weiter senken. |
*Wachstumsquote
Eine Quote von 2 bis 4% Zunahme des realen Sozialproduktes betrachtet man als angemessen.
Indikator: | Entwicklung des realen Bruttoinlandprodukts | ||||||||
Jahr | 1997 | 1999 | 2000 | 2002 | 2003 | 2004 | 2005 | 2006 | |
Zu-/Abnahme in% gegenüber Vorjahr | + 1,8 | + 2,0 | + 3,2 | 0,0 | -0,2 | + 1,2 | + 0,9 | + 2,5 | |
Diagnose: | In den vergangenen Jahren wurde das untere Wachstumsziel selten erreicht. Lediglich im Jahr 2000 und 2006 gab es ein höheres Wachstum des Bruttoinlandsproduktes. | ||||||||
Prognose: | Für 2007 wird nach den Gutachten ein Wirtschaftswachstum erwartet, das über 2% liegen wird. Deshalb wird nun auch mit einer spürbaren Absenkung der Arbeitslosenzahlen gerechnet. |
*Lohnquote
Die Lohnquote ist der Anteil des Arbeitnehmerentgeltes am gesamten
Nationaleinkommen (Volkseinkommen).
Indikator: | Entwicklung der Lohnquote | ||||||
Jahr | 2000 | 2002 | 2003 | 2004 | 2005 | 2006 | |
Lohnquote in% | 72,9 | 71,4 | 72,1 | 69,3 | 67,0 | 66,8 | |
Zu-/Abnahme in% gegenüber Vorjahr | + 2,1 | -1,8 | – 1,8 | – 1,1 | -3,3 | -0,3 | |
Diagnose: | Die Lohnquote hatte zu Beginn der 90er-Jahre ein relativ hohes Niveau erreicht. Sie ist jedoch bis 1998 kontinuierlich gesunken. Als Ursache dafür sind Rationalisierungsmaßnahmen, Entlassungen und moderate Tarifabschlüsse zu nennen. Nur in den Jahren 1999 und 2000 war ein erneuter Anstieg zu verzeichnen, der jedoch ab 2001 durch die schwache Konjunktur beendet wende. | ||||||
Prognose: | Die Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Wirtschaft ist infrage gestellt, wenn das Lohnniveau in Deutschland im Vergleich zum Ausland zu hoch ist. Unter diesem Wettbewerbsdruck müssen Arbeitgeber und Gewerkschaften maßvolle Lohnabschlüsse erzielen. Deshalb wird eine deutliche Verbesserung der Lohnquote nicht zu erwarten sein. |
*Verbraucherpreisindex
Der Verbraucherpreisindex misst die Preisentwicklung und Kaufkraftveränderung deutscher Haushalte.
Strukturkrisen
► Ursachen und Auswirkungen struktureller Veränderungen
Im Wesentlichen sind für die strukturellen Veränderungen der Gegenwart folgende Entwicklungen von Bedeutung:
Ursache | Veränderungen | Auswirkungen | Beispiele |
Technischer Fortschritt | Beschaffung, Produktion und Absatz werden elektronisch gesteuert. | Freisetzung von Arbeitskräften; Erschließung neuer Märkte. | Robotertechnik in der Automobilpro -duktion; automatische Bestellvorgänge mittels Warenwirtschafts -system, E-Commerce. |
Arbeitsanforde -rungen, Berufsqualifi -kation | Arbeitsplätze und Arbeitsabläufe werden laufend neu gestaltet; Entstehung neuer Berufe. | Der Mitarbeiter ist zur Fortbildung und zur Umschulung gezwungen; ständiger Anpassungszwang für die Schulausbildung. | Ständige Weiterentwicklung von Software-Programmen; Entlassung verlangt Umschulung. |
Umweltschutz | Der nationale Einfluss auf die Umweltpolitik wird geringer. | Einzelstaatliche Maßnahmen und Entwicklungsfort -schritte können gegenwärtig noch bedeutungslos sein, jedoch Investitionen in die Zukunft darstellen. | Die Wasserqualität des Bodensees kann nur von allen Anrainerstaaten gemeinsam verbessert werden; internationale Maßnahmen zur Senkung des CO2 -Ausstoßes. |
Ursache | Veränderungen | Auswirkungen | Beispiele |
Europäischer Binnenmarkt | Standortwechsel von Unternehmen; heimische Unternehmen stehen in internationaler Konkurrenz. | Erhöhte Mobilität und Flexibilität wird erwartet; Sozialbindungen werden aufgelöst; Kostendruck in den Unternehmen führt zu weiteren Rationalisierungen. | Mitarbeiter müssen häufiger den Wohnort wechseln; Schulkinder müssen mit den Eltern umziehen; Preissenkungen auf dem Versicherungs -markt (Versicherungstarife). |
Globalisierung | Weltweite und abhängige Arbeitsteilung mit entsprechender Markt – und Standortverteilung. | Entstehung multinationaler Konzerne, die Standortvorteile suchen. | Verlagerung der Produktion in andere Länder und Kontinente. |
Kommunikations -technologie | Daten und Informationen werden ohne Zeitverlust und weltweit übermittelt. | Finanzmärkte reagieren empfindlicher; neue Formen der Arbeitsorganisation. | Internationaler Wertpapierhandel; E-Commerce, Telearbeit. |
Strukturelle Veränderungen der beschriebenen Art machen sich besonders stark in Volkswirtschaften bemerkbar, deren Güterproduktion exportorientiert, d.h. auf die Versorgung des Weltmarktes hin ausgerichtet ist. Über reine Handelsbeziehungen kommt es zu Produktionsbeziehungen, zur Verlagerung von Teile- und Fertigerzeugnisproduktionen, zur Bildung transnationaler Unternehmen (meist in Konzernform) und zu internationalen Arbeitsmärkten. Die nationalen Gegebenheiten werden vernachlässigt, wenn sich international wirtschaftlicher arbeiten lässt.
► Krisenhafte Erscheinungsformen
Für einzelne Volkswirtschaften bewirken Strukturänderungen einen
generellen wirtschaftlichen Aufschwung, für andere wirtschaftliche und
soziale Krisen, Strukturkrisen genannt.
Beispiel:
*Die vier kleinen Tigerländer (Singapur, Südkorea, Hongkong und Taiwan) haben aufgrund eines vergleichsweise niedrigen Lohnniveaus, durch Einführung modernster Techniken und die Fertigung hochwertiger Güter (Mikroprozessoren, elektronische Geräte, Autos) in den letzten 20 Jahren einen
beispiellosen strukturell bedingten Wirtschaftsaufschwung erlebt. Dieser Aufschwung wurde jedoch durch die Asienkrise des Jahres 1998 getrübt. *Als Strukturkrise bezeichnet man den durch Anpassungsprobleme hervorgerufenen Niedergang einzelner Wirtschaftsbereiche und -zweige. Es
wird verursacht durch dauerhafte Veränderungen von Angebot und Nachfrage.
Spricht man in Deutschland von einer Strukturkrise, so denkt man vor allem an die strukturelle Arbeitslosigkeit und die hohe Zahl von Insolvenzen. Insolvenzen sind insbesondere in den Branchen Bauwirtschaft, Leder, Bekleidung, Textilindustrie und Schiffsbau feststellbar. In den 1990er Jahren wurden Teile der Industrieproduktion hauptsächlich wegen zu hoher Arbeitskosten ins Ausland verlagert. Dadurch entstand u. a. eine strukturell bedingte und lang anhaltende Arbeitslosigkeit. Trotz Rationalisierungsmaßnahmen in den Unternehmen, niedriger Lohnabschlüsse und gesetzgeberischer Maßnahmen zur Senkung der Lohnnebenkosten gibt es in Deutschland weiterhin eine Strukturkrise. Dafür gibt es eine Vielzahl von Gründen:
• Die gesetzlich festgeschriebenen Arbeitsschutz- und Sozialrechte der Menschen.
• Die Tarifgebundenheit von Entlohnung, Arbeitsbedingungen und Arbeitszeitregelungen.
• Eine weiterhin hohe Belastung der Unternehmen mit Lohnnebenkosten.
• Staatliche Subventionen, die den Niedergang einiger Branchen lediglich zeitlich verzögern.
• Die im internationalen Vergleich umfassenden und Kosten verursachenden Standort- und Umweltschutzauflagen.
• Die Verbotspraktiken für biotechnische Produktionen.
In der gegenwärtigen Situation wird vom Staat erwartet, dass er eine Anpassung der deutschen Wirtschaft an die gegebenen Strukturveränderungen nicht durch politische Maßnahmen anpeilt, sondern durch konsequente Veränderungen der gesetzlichen Rahmenbedingungen erleichtert.