Prüfung der Haftpflichtfrage
Beispiel:
Der Nachbar eines privat-haftpflichtversicherten Vaters fordert von diesem Schadenersatz mit der Begründung, der 5-jährige Sohn habe beim Fahrradfahren auf der Straße sein geparktes Auto gestreift und einen Lackschaden verursacht. Er begründet den Schadenersatzanspruch mit der Aufsichtsverletzung durch den Vater.
Es ist zu untersuchen, ob der Versicherte dem Geschädigten gegenüber überhaupt haftet.
Hierfür bedarf es der Feststellung des Tatbestandes mit Beweissicherung.
Dazu gehören Auskünfte von Geschädigten, Zeugen, ggf. von Polizei, Sachverständigen (Ärzte- oder Ingenieurgutachten) usw. oder eine Besichtigung der beschädigten Sache bzw. des Schadenortes.
Eventuell muss der Ausgang eines strafrechtlichen Verfahrens gegen den Versicherten abgewartet werden.
Ist eine Haftung des Versicherten gegeben (z.B. aus Aufsichtspflichtverletzung nach § 832 BGB), so bleibt noch zu prüfen, ob die Ansprüche des Geschädigten auch der Höhe nach berechtigt sind. Hier kann u. a. ein Mitverschulden des Geschädigten zu einer Minderung der Ersatzleistung führen.
Der Versicherte hat den VR so weit wie möglich zu unterstützen.
Befriedigung begründeter Ansprüche (Freistellungsansprüche)
Eine weitere Leistung des VR ist die Befriedigung berechtigter Ansprüche.
Die Entschädigung erfolgt meist direkt an den Geschädigten. Dazu ist der VR berechtigt, denn die Leistungspflicht des VR ist auf Befreiung gerichtet.
Der Befreiungsanspruch des VN wandelt sich allerdings in einen Zahlungsanspruch
um,
• wenn der VN den Dritten schon entschädigt hat, weil er dies ohne offenbare
Unbilligkeit nicht verweigern konnte, oder
• weil der VN vielleicht ein Aufrechnungsrecht gegenüber dem Geschädigten wegen
einer Gegenforderung geltend machen kann.
Abwehr unbegründeter Ansprüche (Abwehranspruch)
Die Prüfung des Haftpflichtfalles durch den VR kann aber auch ergeben, dass der VN nicht haftpflichtig ist, der Geschädigte seine Ansprüche also zu Unrecht erhebt. Dann wehrt der VR unbegründete Ansprüche ab. Insoweit hat die Haftpflichtversicherung auch eine Rechtsschutzfunktion (passiver Rechtsschutz im Gegensatz zum aktiven Rechtsschutz der Rechtsschutzversicherung).
Wird der VN vom Anspruchsteller daraufhin verklagt, so führt der VR den Rechtsstreit auf eigene Kosten und im Namen des VN.
Deshalb hat der VN dem VR die Prozessführung zu überlassen, einem vom VR bestellten Anwalt Vollmacht zu erteilen und die nötigen Aufklärungen zu geben.
Bei ungünstigem Prozessausgang hat der VR außer der Entschädigung des Anspruchstellers auch die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.
In einem etwaigen Strafverfahren trägt der Haftpflicht-VR die Kosten eines Strafverteidigers, falls er dessen Stellung gewünscht oder genehmigt hat.
Interessenkollision
Gelegentlich kommt es zu Meinungsverschiedenheiten zwischen dem VN und dem VR über die Ansprüche eines geschädigten Dritten:
– Persönliche Beziehungen des VN zum Geschädigten
Aufgrund bestimmter persönlicher Beziehungen zum Antragsteller (Nachbarn, Freunde, gute Kunden) wünscht der VN, dass der VR einen erhobenen Schadenersatzanspruch bezahlt, der zwar unter die Deckung fällt, für den der VN nach den gesetzlichen Haftpflichtbestimmungen aber nicht haftet.
Beispiele aus der Privat-HV:
• Aus Gefälligkeit hat der VN seinem Freund beim Umzug geholfen. Dabei hat er ein
Möbelstück beschädigt.
Nach ständiger Rechtsprechung haftet der VN bei Gefälligkeiten nicht für ein nur leichtfertiges Verschulden (leichte Fahrlässigkeit).
• Die sechsjährige Tochter des VN zerreisst beim Fangenspielen das Kleid der
Nachbarstochter.
Die sechsjährige Tochter ist deliktsunfähig, und eine Aufsichtspflichtverletzung wird nicht festgestellt.
Nach Gesetz bzw. Rechtsprechung ist der VN in beiden Fällen nicht haftpflichtig.
– Widerstandsklausel
Der VN ist an der Abwehr der erhobenen Ansprüche interessiert, obwohl der VR zu dem Ergebnis gelangt ist, der Fall sei zu entschädigen.
Beispiel:
Ein Arzt verlangt von seinem Haftpflicht-VR, die erhobenen Ansprüche des Geschädigten mit allen Mitteln abzuwehren, weil er eine Beeinträchtigung seines beruflichen Ansehens bzw. Verlust seiner Patienten befürchtet.
Hier kommt die Widerstandsklausel zur Anwendung:
Falls ein vom VR mit dem geschädigten Dritten vereinbarter Schadenausgleich an dem Verhalten des VN scheitert, hat der VR für den durch diese Weigerung etwa künftig entstehenden Mehraufwand nicht aufzukommen.
Summenmäßige Begrenzung des Leistungsumfangs
a) Deckungssummen
– Deckungssumme je Schadenereignis
In der Privat-HV (u. a. auch in der Haus- und Grundbesitzer-HV und in der Tierhalter- HV) betragen die marktüblichen Deckungssummen wahlweise und je nach Tarif zwischen 1 Mio. € und 5 Mio. € (z. B. Proximus-Bedingungen, Tarif Kompakt, Alternative B: 3 Mio. € pauschal für Personen- und Sachschäden). Für die in diesen Versicherungen regelmäßig mitversicherten Vermögensschäden werden meist niedrigere Deckungssummenvereinbart (z.B. Proximus-Bedingungen 100 000,00 €). Die Deckungssummen stellen eine Höchstgrenze der Versicherungsleistungen je Schadenereignis dar.
Deshalb bleibt es gleichgültig, ob eine oder mehrere Personen entschädigt werden müssen oder ob die Ansprüche gegen einen oder mehrere Versicherte desselben Vertrages geltend gemacht werden.
Schäden unterhalb der Höchstgrenze müssen voll (auf erstes Risiko) reguliert werden.
Nach § 823 ff. BGB (Verschuldenshaftung) haftet der VN in jedem Fall unbeschränkt, deshalb müssen die Deckungssummen ausreichend hoch bemessen sein.
– Maximierung der Deckungssumme
Um der Gefahr zu entgehen, gerade bei besonders schadenträchtigen Risiken schon während eines Versicherungsjahres mehrmals mit der Höchstersatzleistung eintreten zu müssen, sehen die AHB eine Maximierungsmöglichkeit für die Jahresleistung vor. Mangels besonderer Vereinbarung ist die Gesamtleistung des VR auf das Zweifache der Deckungssumme für alle Versicherungsfälle eines Versicherungsjahres beschränkt.
Die Deckungssummenmaximierung dient einerseits den Interessen des Rück-VR, macht aber andererseits das Risiko für den Erst-VR erst überschaubar und damit auch beitragsmäßig kalkulierbar.
– Serienschadenklausel
Hinsichtlich der Deckungssumme gelten
• mehrere zeitlich zusammenhängende Schäden aus derselben Ursache
(Ursachenklausel) oder
• mehrere Schäden aus Lieferung der gleichen mangelhaften Ware (Warenklausel)
als ein Schadenereignis.
Mit dieser Klausel wollen sich die Haftpflicht-VR gegen die – je nach Risiko – erheblichen Gefahren von sog. Serienschäden schützen.
b) Kosten des Rechtsstreits
Die Aufwendungen des Versicherers für Kosten werden nicht als Leistung auf die VS angerechnet.
Von den Prozesskosten sind die Regulierungskosten zu unterscheiden (z. B. Gebühren, Kosten für Gutachten usw.).
Nur wenn schon die Haftpflichtansprüche die Deckungssumme übersteigen, muss sich der VN anteilig auch an den Prozesskosten beteiligen, denn diese werden bekanntlich auch nach dem Streitwert im Klageantrag bemessen.
Die Regulierungskosten werden vom VR voll übernommen.
Beispiel:
Deckungssumme = 2 Mio. € pauschal für Personen- und Sachschäden
1. Sachschaden 480000,00 €, Prozesskosten 30 000,00 €, Regulierungskosten
1000,00 €
Die Gesamtleistung des VR beträgt 511000,00 € (Vollkostenübernahme, da Sachschaden unter Deckungssumme liegt).
2. Sachschaden 2,2 Mio. €, Prozesskosten 52 800,00 €, Regulierungskosten
1000,00€
Die Gesamtleistung des VR beträgt 2049000,00 € (max. 2 Mio. € Deckungssumme, 48 000,00 € Teil-Kostenübernahme, 1 000,00 € Regulierungskosten).
Berechnung des Prozesskostenanteils, den der VR bei Überschreitung der Deckungssumme durch den Schaden (Haftpflichtanspruch 2,2 Mio. €) übernimmt:
Prozesskosten 52800,00 € • 2,0 Mio. €/2,2 Mio. € = 48000,00 €
c) Selbstbehalt
Es kann auch vereinbart werden, dass der VN bei jedem Schadenereignis einen Teil des Haftpflichtschadens selbst zu tragen hat. Selbstbehalte – auch Selbstbeteiligung genannt – sind in der Privat-HV inzwischen nicht mehr unüblich (z. B. 250,00 €), in der Betriebs-HV dagegen schon lange die Regel (z.B. bei Kabelschäden, bei Feuer- und Explosionssachschäden aus Anlass von Schweiß- und Schneidearbeiten).
Der VN soll zu vorbeugendem, schadenverhütendem Verhalten motiviert werden. Außerdem kann der VN Bagatellschäden selbst verkraften, ganz im Sinne eines kostengünstigen Versicherungsschutzes zur Abdeckung existenzbedrohender Haftpflichtrisiken.