Schon nach einem Jahr lobte sich die EU-Kommission in Brüssel erst einmal selbst: Nach der Liberalisierung der Versicherungsmärkte in Europa nehme der Wettbewerb zwischen den Versicherern zu. Dadurch sänken die Preise, das Angebot werde vielfältiger, so die hohen Kommissare in einer Zwischenbilanz. Der Grund: Seit Juli 1994 darf jedes der 4 000 Versicherungsunternehmen in Europa seine Policen in jedem EU-Land verkaufen. Neue Tarife müssen seither nicht mehr von der Versicherungsaufsicht genehmigt werden. Der Kunde freilich ist erst einmal verwirrt. In der deutschen Autoversicherung zum Beispiel galten die alten Regeln von Mitte 1994 nicht mehr. Tarifiert wird nicht mehr nach den Pferdestärken des Wagens, sondern nach Vorzugs- und Normaltypen und Merkmalen wie Kilometerleistung, Garage, Alter des Wagens, Männlein oder Weiblein als Fahrer. Kein Wunder, dass sich eine Versicherung in ihrer Werbung bereits über den Rabatt für mondsüchtige Überflieger lustig machte. Erst mit der Einführung des neuen Typklassentarifes in der Autohaftpflichtversicherung wurde das Tarif-Chaos eingeschränkt – vorerst. Auch in der Lebensversicherung ändern sich die starren Regeln: Flexibilität ist Trumpf. Immer mehr ausländische Anbieter drängen auf den deutschen Markt – bisher mit wechselndem Erfolg. Die Folge: 64 Prozent der Deutschen empfinden das heutige Versicherungsangebot als unübersichtlich, 75 Prozent sehen wachsende Orientierungsprobleme.
Die größten Versicherungszweige nach dem Brutto-Beitragsaufkommen 1998 | ||
Milliarden € | Veränderung in Prozent gegenüber 1997 | |
Lebensversicherung | 102,7 | 4,0 |
Autoversicherung | 39,0 | -3,8 |
Private Krankenversicherung | 37,8 | 4,1 |
Private Pflegeversicherung | 4,2 | -0,8 |
Allgemeine Haftpflichtversicherung | 11,3 | 0,2 |
Private Unfallversicherung | 10,0 | 3,0 |
Feuerversicherung | 2,8 | -18,6 |
Hausratversicherung | 4,7 | 2,2 |
Rechtsschutzversicherung | 5,1 | 5,6 |
Wohngebäudeversicherung | 6,7 | 1,1 |
Transportversicherung | 3,2 | 1,1 |
Kredit-, Luftfahrt-, Nuklearvers. | 2,9 | 1,1 |
Gesamtbeiträge inkl. Sonstiges | 237,0 | 1,7 |
Quelle: Gesamtverband der Deutschen Versicherungswirtschaft (GDV)
Zu Recht: Selbst bei einfachen Produktvergleichen (Haftpflicht, Hausrat) sind in den Tabellen bis zu 25 Fußnoten notwendig. Diese Hinweise sind wichtig, denn was nützt eine billige Gebäudeversicherung, wenn Sturmschäden erst ab Windstärke 12 versichert sind? Auch einige unseriöse Gags kamen auf den Markt: Die Rheinland Versicherung fügte in ihren Autoschutzbrief eine Bistro-Klausel ein. Der Kunde darf nun die Wartezeit auf den Abschleppwagen durch einen Cappuccino auf Kosten des Versicherers verkürzen. Und bei der Rhein-Land Geburtstags-Rente wird im Alter neben der monatlichen Rente an runden Geburtstagen eine vierstellige Summe ausgezahlt. Mehr Leistung gibt es deshalb aber noch lange nicht.
Sechs Versicherungen je Bundesbürger (Versicherungsverträge bzw. -risiken in Millionen [Jahresendbestand],privates und gewerbliches Geschäft) | ||||
1980 | 1985 | 1990 | 1998 | |
Lebensversicherung | 65,7 | 67,4 | 72,3 | 85,1 |
Kraftfahrt | 63,0 | 66,4 | 75,5 | 94,8 |
Sachversicherung | 4 7,7 | 52,0 | 57,8 | 66,7 |
Allgemeine Haftpflicht | 21,9 | 24,6 | 27,9 | 36,9 |
Private Krankenversicherung | 20,1 | 22,5 | 27,4 | 45,1 |
Rechtsschutz | 17,2 | 20,5 | 24,4 | 29,1 |
Private Unfall | 14,8 | 17,6 | 21,5 | 29,0 |
Sonstige Sparten | 110,0 | 110,0 | 110,0 | 110,0 |
insgesamt | 360,2 | 381,3 | 417,0 | 496,7 |
Anmerkungen: Sachversicherung umfasst Hausrat, Gebäude, Feuer, Ein- bruchdiebstahl, Leitungswasser, Glas-, Sturmversicherung, Technische Versicherungen u. a.; Beteiligungsgeschäft mitgezählt; Private Krankenversicherung: Tarifversicherte geschätzt; Sonstige Versicherungen: Transport- einschließlich Reisegepäckversicherung, sonstige Sachversicherungen (u. a. Tierversicherung, Kredit-, Luftfahrt-, Nuklearversicherung) geschätzt.
Quelle: Gesamtverband der Deutschen Versicherungswirtschaft; eigene Schätzung
Einige werbewirksame Kreationen sind sogar gefährlich. Mit einem Rabatt-Retter-Tarif ging die Mannheimer Versicherung auf die Jagd nach Crash-Piloten. Nach einem Unfall fällt der Autofahrer normalerweise in eine höhere Beitragsstufe zurück und muss künftig mehr Prämie zahlen. Bei der Mannheimer dagegen hat er gegen 15 Prozent Prämienzuschlag drei Schäden frei. Erst dann wird zurückgestuft. Die Folge: Wer unfallgefährdet ist, lässt die Mannheimer gerne zahlen.
Sicher ist: Die Vielfalt am deutschen Versicherungsmarkt nimmt zu. Wer ein individuelles Angebot sucht, bekommt in Zukunft keine vom Bundesaufsichtsamt genehmigte Konfektion, sondern tatsächlich einen Maßanzug. Die Suche nach dem günstigsten Versicherer kostet zwar mehr Zeit und Mühe, aber es lohnt sich. Denn die Prämien sinken. Zudem wurden die Kundenrechte deutlich verbessert. Statt sich mit den umstrittenen Zehnjahresverträgen zu binden, kann der Versicherte bei jeder Prämienerhöhung kündigen, wenn nicht zugleich der Versicherungsumfang verbessert wird. Der Versicherer muss den Kunden umfassend über die Police und seine Rechte und Pflichten informieren. Der Kunde hat großzügigere Rücktrittsrechte – auch vom bereits unterschriebenen Vertrag. Bei der steigenden Vielfalt tut jedoch guter Rat not. Wer sich ein Bild von der Bedeutung der Versicherung machen will, braucht nur einmal auf seinen Lohnzettel und seinen Kontoauszug zu schauen. Ein westdeutscher Durchschnittsverdiener führt heute von seinem Einkommen ab: 900 € inklusive Arbeitgeberanteil monatlich für die gesetzliche Rentenversicherung, 650 € für die Krankenkasse, 300 € Arbeitslosenversicherung, 90 € für die Pflegeversicherung. Sein Eigenanteil an den Sozialversicherungsbeiträgen beläuft sich auf rund 20 Prozent des Lohnes. Darüber hinaus ist er noch privat versichert: 110 € für eine private Lebensversicherung, 100 € Autohaftpflichtversicherung und 40 € für die private
Unfall-, Haftpflicht-, Hausrat- und Rechtsschutzversicherung.
Das macht zusammen monatlich über 2370 € mehr als für Lebensmittel ausgegeben wird. Allein an die private Assekuranz zahlt der Durchschnittshaushalt pro Jahr 5090 € Prämie (1999). Die private Versicherungswirtschaft steht mit jährlichen Beitragseinnahmen von 246 Milliarden € für rund 7 Prozent des deutschen Bruttosozialprodukts. 75 Prozent der Beiträge stammen aus kleinen Geschäften mit Privatleuten. Trotzdem schauen die meisten beim Einkauf des Fleisches immer noch genauer hin als beim Unterschreiben eines Versicherungsantrags. Der westdeutsche Durchschnittshaushalt gibt nach Schätzungen von Verbraucherverbänden jedes Jahr rund 1 000 € zu viel für die privaten und freiwilligen Versicherungen aus. Jeder Westdeutsche besitzt sechs Versicherungsverträge – sicherlich zu viel: Viele Versicherungen sind überflüssig, die meisten zu teuer. Wer ein ganzes Leben lang zu viel zahlt, verliert ein kleines Vermögen. Und trotzdem fehlen oft die wirklich notwendigen und sinnvollen Versicherungen. Der Unterschied zwischen einem Stück Fleisch und einer Versicherung ist nicht nur, dass der Verbraucher das gute Stück konkret beim Metzger sehen und prüfen kann. Die Versicherung ist ein abstraktes, im Grunde juristisches Produkt und besteht aus einem Antrag, in dem das Kleingedruckte umständlich und meist unverständlich über die Leistungen Auskunft gibt. Außerdem verspricht ein gutes Stück Fleisch einen künftigen Genuss, der durchaus Vorfreude erzeugen kann. Bei der Versicherung geht es dagegen umso unangenehme Dinge wie Unfälle, Berufskrankheiten, Einbrüche oder Tod. Daran mag niemand gern denken. Die fatale Folge: Die meisten Versicherten verdrängen das Problem, unterschreiben Versicherungsverträge immer noch blind – und werden so die leichte Beute der in Verkaufsmethoden gut geschulten Vertreter. Die seit Jahren vom Institut für Versicherungsbetriebslehre an der Universität Hannover durchgeführten Versichertenbefragungen zeigen es jedes Jahr aufs neue: Trotz der üppigen Versorgung mit Verträgen sind die Kunden der Versicherungen schlecht informiert. Ein Drittel der Kraftfahrzeug-Versicherten und fast ebenso viele Lebensversicherte wissen nicht, dass es zwischen Versicherungsunternehmen Preis- oder Leistungsunterschiede gibt. Aber auch die informierteren Kunden schätzen ihre Versicherung teilweise völlig falsch ein: 18 Prozent der Kraftfahrzeug-Versicherten bei nachgewiesenermaßen teuren Versicherern meinten, relativ billig versichert zu sein. Umgekehrt fühlten sich 12 Prozent der bei einer preisgünstigen Versicherung Versicherten teuer versichert. Gleichzeitig scheuen die Versicherten die vermeintlichen Kosten einer Kündigung des bestehenden Vertrages und den Gang zu einer anderen Versicherung. Die Treue der Kunden zu ihrer Versicherung entspricht der der Bankkunden zu ihrer Bank. Und bekanntlich ist die Scheidungsquote höher als die Trennungsquote von einer Bank.
Versicherungsschutz der Haushalte 1999 (in Prozent) | |||||||
Bevölke -rung insgesamt | Selbstän-dige, freie Berufe | Leitende Angestellte und Beamte höherer/ge -hobener Dienst | Nichtleitende Angestellte und Beamte mittlerer/ein- facher Dienst | Fach- arbeiter | Sonstige Arbeiter und Landarbeiter | Land wirte | |
Leben (ohne Sterbegeld) | 54,4 | 60,5 | 61,0 | 54,3 | 55,8 | 40,2 | 54,6 |
private Unfall | 39,9 | 49,1 | 45,6 | 39,3 | 40,3 | 26,5 | 44,7 |
private Kranken | 11,2 | 35,0 | 28,1 | 7,7 | 2,3 | 1,5 | 7/1 |
gesetzliche Kranken mit priv. Zusatz | 18,7 | 21,9 | 22,5 | 19,7 | 17,7 | 10,5 | 23,3 |
private Haftpflicht | 61,3 | 64,4 | 68,2 | 61,7 | 60,6 | 50,5 | 63,7 |
Rechtsschutz (mit Kfz) | 45,1 | 52,0 | 52,5 | 44,4 | 45,9 | 32,4 | 43,2 |
Vollkasko | 31,2 | 39,5 | 43,4 | 31,1 | 28,7 | 16,8 | 23,3 |
Hausrat | 75,4 | 75,8 | 81,0 | 75,5 | 74,9 | 69,2 | 76,2 |
Quelle: Gesamtverband der Deutschen Versicherungswirtschaft/Institut für Demoskopie Allensbach 1999
Versicherte wechseln offenbar nur dann die Versicherung, wenn sie bei der Abwicklung eines Schadenfalles unzufrieden sind. Doch immerhin hat das Verbraucherwissen in den vergangenen Jahren allmählich zugenommen: 1983 konnten nur etwa 60 Prozent der Lebensversicherten Unterschiede in der Leistung feststellen, 1990 waren es immerhin schon 70 Prozent. Dieses Versicherung-Portal ist daher auch ein Scheidungsratgeber für falsch Versicherte. Es enthält Musterbriefe, Kündigungsfristen und Adressen der Versicherungsunternehmen. Vor allem aber ist es ein Partnerschaftsratgeber: Es geht nicht nur um ein Drum prüfe, wer sich ewig bindet, sondern vor allem um den spöttischen Zusatz ob sich nicht doch was Bessres findet. Von ewiger Bindung muss abgeraten werden. Am Anfang des Buches steht eine Einführung in die Grundlagen der deutschen Versicherungswirtschaft: Idee, Geschichte, Kalkulation und Gewinne. Nach dem Ende der gut 90 Jahre währenden staatlichen Aufsicht stehen die Unternehmen nun im Wettbewerb miteinander. Praktisch wirkt sich dies aber vorerst nur in der Autoversicherung aus. Andere Sparten sind immer noch das Paradies garantierter Gewinne. Eine Lebensversicherung ist wie die Lizenz zum Gelddrucken, hat einmal jemand gesagt. In jedem Fall verspricht das Produkt Sicherheit mit Sicherheit Profit. Im dritten Versicherungsartikel geht es um den konkreten Umgang der Branche mit ihren Kunden, den Versicherten. Es wird erklärt, wie Vertreter arbeiten, was mit den Versichertengeldern geschieht und welche Rechte und Pflichten ein Versicherter hat. Im vierten Versicherungsartikel erfährt der Leser, wie seine persönliche Versicherungsphilosophie aussehen kann. Die Versicherungsangebote werden unterteilt in Basisschutz, Zusatzschutz und Luxusschutz. Wer nur das Notwendigste versichern will, erfährt ebenso, was er versichern sollte, wie derjenige, der sich umfassend versichern will.
Die typischen Lebensstationen vom Jugendlichen über die junge Familie bis zur Pension und ihr jeweiliger Versicherungsbedarf werden erläutert. Es folgt eine Checkliste zur Bestandsaufnahme, mit der der Leser prüfen kann, welche Versicherungen er hat und wieviel er dafür bezahlt. Der praktische Teil erläutert die Leistungen der privaten Sach- und Personenversicherungen, erklärt typische Versichertenfallen, nennt die günstigsten Tarifvarianten und gibt Hinweise auf die günstigsten Versicherer. Die Texte sind mit vielen Kästen und Tabellen übersichtlich und aufgelockert gestaltet, und der trockene Stoff wird durch einige kleine Lesebonbons versüßt. Abgerundet wird das Versicherung-Portal durch ein umfangreiches Adressenverzeichnis von Beratungsstellen, Verbänden und Versicherungsunternehmen so-wie ein Register. Bevor Sie sich nun auf den Weg in das Land der Versicherungen begeben, noch ein Trost, falls Sie irgendwann glauben, bei Ihren Versicherungen alles falsch gemacht zu haben: Auch der Autor dieses Buches hat eine ganz normale Kapital-Lebensversicherung abgeschlossen, für die er monatlich 400 € zahlen muss. Für Journalisten gibt es unter dem Namen Gemeinschaftswerk der Presse ein gemeinsames Unternehmen von Allianz, Colonia und Gerling, bei dem jeder Redakteur in Deutschland eine Zwangsversicherung abschließen muss. Auch das wäre vielleicht einmal ein Thema für die liberalisierungsfreudige EU-Kommission. Der einzige Trost: Bei Angestellten zahlt der Arbeitgeber die Hälfte der Beiträge.