Wenn bei Menschen die Pflegebedürftigkeit eintritt, muss deswegen allein die Pflegeversicherung noch nicht zahlen. Voraussetzung ist ein Antrag auf Leistungen, die Begutachtung durch den Medizinischen Dienst und eine entsprechende Einstufung in eine Pflegestufe. Häufig kommen dann ablehnende Bescheide. Oft sind mangelnde Aufklärung und Missverständnisse Ursache für die fehlende Anerkennung der Pflegebedürftigkeit. Was aber können Sie tun, wenn ein ablehnender Bescheid kommt? Wie äußern Sie juristisch richtig Widerspruch? Welche Fristen gelten? Wer muss den Widerspruch bei welcher Stelle einlegen? Wie erfolgt eine Zweitbegutachtung?
Wenn der Antrag auf Leistungen aus der Pflegeversicherung abgelehnt wird, ist das ärgerlich für die pflegenden Angehörigen, denn die teure Pflege geht ja weiter und die Kosten müssen trotz Versicherung weiter selbst aufgebracht werden. Wahrscheinlich hat man bei der ersten Begutachtung durch den Medizinischen Dienst die Mindestanforderungen nicht erreicht oder andere Fehler gemacht.
Wenn Sie mit der Beurteilung nicht einverstanden sind, sollten Sie zunächst bei der zuständigen Krankenkasse, also nicht beim Medizinischen Dienst, Akteneinsicht verlangen, um die Ablehnungsgründe zu erfahren. Die Pflegekasse ist verpflichtet, auf Aufforderung eine Durchschrift des Gutachtens zuzuschicken. Prüfen Sie das Gutachten des Medizinischen Dienstes und die detaillierte Begründung, warum der Antrag abgelehnt wurde, und ziehen Sie dafür auch Ihren Hausarzt zurate. Außerdem können Sie einen rechtsmittelfähigen Bescheid anfordern.
Widerspruch einlegen
Die Beurteilung des Gutachters sollten Sie dann mit den eigenen Aufzeichnungen vergleichen. Wenn Begutachtungsergebnisse nicht mit der wirklichen Situation und dem Ausmaß der Pflegebedürftigkeit übereinstimmen, sollten Sie gegen den Bescheid Widerspruch einlegen. Die Beurteilung der Pflegestufe ist ein sogenannter Verwaltungsakt, dagegen ist schließlich Widerspruch möglich. Für einen formgerechten Widerspruch reichen wenige Zeilen.
Achtung!
Datum, Krankennummer und Unterschrift dürfen bei dem Wider-spruch nicht fehlen. Wichtig ist auch, dass Sie dabei bestimmte Fristen einhalten. Findet sich auf dem Schreiben der Pflegekasse eine Rechtsmittelbelehrung – das ist der Hinweis auf Widerspruchsmöglichkeit und Fristen – muss der Widerspruch innerhalb eines Monats eingelegt werden. Fehlt dieser Hinweis, dann können Sie noch innerhalb eines Jahres widersprechen. Ratsam ist es jedoch, auch in diesem Fall so bald wie möglich den Widerspruch zu verfassen.
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Begründen Sie den Widerspruch so ausführlich wie möglich, wobei die ausführliche Begründung dem formlosen Widerspruch aber auch nachgereicht werden kann.
Der Kontakt mit Behörden ist kompliziert. In der Begründung des Widerspruchs sollte auf die Feststellungen des Gutachters genau eingegangen werden. Empfehlenswert ist es auch, den Haus- oder Facharzt zu bitten, medizinische Unterlagen zur Verfügung zu stellen, die den tatsächlichen Pflegebedarf untermauern. Wer bereits Kunde eines Pflegedienstes ist, kann sich von diesem ein Pflegegutachten erstellen lassen, in dem alle anfallenden Pflegeverrichtungen aufgeführt sind.
Ratsam ist es auch, zu überprüfen, ob die Unterlagen der Pflegekasse Unstimmigkeiten enthalten. Diese liegen beispielsweise vor, wenn beim Punkt Bestimmung der Pflegebedürftigkeit für eine bestimmte Verrichtung kein Hilfebedarf anerkannt wurde, aber im Fragebogenfeld Bemerkungen steht, dass für dieselbe Verrichtung Beaufsichtigung und Anleitung erforderlich sind.
Ist der Widerspruch bei der Pflegekasse eingegangen, geht er zunächst meist an den Erstgutachter des Medizinischen Dienstes. Dieser hat zu prüfen, ob er anhand der Widerspruchsunterlagen oder aufgrund neuer Aspekte zu einer anderen Einstufung kommt. Ist das nicht der Fall, wird in der Regel ein neues Gutachten von einem Zweitgutachter erstellt. Dieser muss dazu meist einen erneuten Hausbesuch abstatten.
Bleibt die Kasse trotz des Widerspruches bei ihrer Entscheidung bleibt nur eine Klage vor dem Sozialgericht. Das Widerspruchsverfahren selbst ist kostenlos, und auch die Kosten für ein Verfahren vor dem Sozialgericht halten sich in der ersten Instanz in Grenzen. Die Zahl der Pflegebedürftigen, die mit der Entscheidung über ihre Pflegestufe nicht einverstanden sind, ist beachtlich. Immerhin ein Drittel aller Klagen wird vor Gericht anerkannt.
Neuen Antrag stellen?
Für eine Einstufung der Pflegebedürftigkeit ist der Tag der Beurteilung durch den Medizinischen Dienst maßgeblich. Ein neuer Antrag auf Änderung der Einstufung kann jederzeit, sobald sich der Gesundheitszustand des Pflegebedürftigen verschlechtert hat, gestellt werden – auch wenn über einen vorangegangenen Antrag noch nicht entschieden wurde. Wegen der vielen Widersprüche und Klagen gegen die Bescheide sind die mit der Pflegeversicherung befassten Stellen der Krankenversicherungen und die Medizinischen Dienste allerdings völlig überlastet. Dadurch dauert schon ein Verfahren ohne Widerspruch normalerweise drei bis sechs Monate.
123Versicherung Ratgeber Tipp
Auch wenn das Verfahren lange dauert, geht Ihnen kein Geld verloren: Pflegegeld wird rückwirkend ab dem Datum der Antragstellung gezahlt.
Der Gang vor Gericht
Sollten Sie noch immer der begründeten Meinung sein, dass die Pflegekasse eine falsche Einstufung mitgeteilt hat, ist eine Klage vor dem zuständigen Sozialgericht sinnvoll. Vor diesem Schritt sollten Sie sich aber sicher sein, dass die oben genannten Voraussetzungen auch wirklich erfüllt sind.
123Versicherung Ratgeber Tipp
Ein Anwalt ist für die Klage eigentlich nicht erforderlich, aber Sie sollten sich auf jeden Fall beraten lassen.
Sowohl die Einlegung eines Widerspruchs als auch die Einreichung einer Klage löst keinerlei Kosten aus, sodass Sie immer Widerspruch oder Klage einreichen sollten, wenn Sie sich nicht ganz sicher sind, ob der Bescheid zutreffend ist. Auch wenn Sie später feststellen, dass der Bescheid zutreffend ist, können Sie jederzeit den Widerspruch oder die Klage zurücknehmen, ohne dass Sie hierfür Kosten tragen müssen.
Sowohl bei verwaltungsgerichtlichen als auch bei sozialgerichtlichen Auseinandersetzungen muss das Gericht alle zur Entscheidung notwendigen Aspekte von Amts wegen ermitteln. Führen Sie ein Sozialgerichtsverfahren, beispielsweise auf Pflegegeldleistungen gegen Ihre Pflegeversicherung, wird das Sozialgericht von sich aus ein medizinisches Gutachten nach § 106 Sozialgerichtsgesetz (SGG) bei einem unabhängigen Sachverständigen in Auftrag geben. Die hierfür anfallenden Kosten brauchen Sie ebenfalls nicht aufzubringen, auch wenn Ihre Klage nicht zum Erfolg führen sollte; diese Gutachterkosten werden in jedem Fall aus der Staatskasse gezahlt.
Sind Sie auch mit dem Ergebnis dieses Gutachtens nicht einverstanden, können Sie selbst nach § 109 SGG die Einholung eines weiteren medizinischen Gutachtens beim Gericht beantragen.
Achtung!
Das Sozialgericht wird hierfür von Ihnen einen Kostenvorschuss verlangen, der sich in der Regel zwischen 400 und 1 000 Euro bewegen wird. Wenn Sie das Klageverfahren dann verlieren, müssen Sie letztlich auch die Kosten für dieses Gutachten tragen.
Sie können nicht nur die Einholung eines solchen Gutachtens beantragen, Sie dürfen nach dieser Vorschrift auch den Gutachter benennen, der vom Gericht beauftragt werden soll. Empfehlenswert ist es, einen der behandelnden Ärzte zu benennen, die natürlich den pflegebedürftigen Menschen in seiner individuellen Situation am besten kennen.
Gegen das Urteil eines Sozialgerichts können Sie innerhalb eines Monats nach Zustellung des Urteils Berufung beim Landessozialgericht beziehungsweise gegen ein verwaltungsgerichtliches Urteil Berufung beim Oberverwaltungsgericht einlegen. Gegen das zweitinstanzliche Urteil bleibt ebenfalls innerhalb einer Frist von einem Monat ab Zustellung des Urteils die Möglichkeit der Revision beim Bundessozial- beziehungsweise beim Bundesverwaltungsgericht.
Sollten Sie für die Durchführung eines Widerspruchs- oder Klageverfahrens einen Rechtsanwalt beauftragen, sollten Sie beachten, dass weder für das Widerspruchsverfahren, noch für ein Klage- oder Berufungsverfahren ein Rechtsanwalt gebraucht wird. Erst in Revisionsverfahren vor dem Bundesverwaltungs- oder dem Bundessozialgericht besteht ein Anwaltszwang