Um den historischen Kardinalfehler im Versicherungswesen zu verdeutlichen: Man hat gewinnorientierten Aktiengesellschaften die Verwaltung von Treuhandgeldern überlassen, ohne dass sie Buch darüber führen müssen. Und das ist in etwa so unheilvoll, als wenn man Vampire mit der Verwaltung einer Blutbank beauftragt, ohne sie zu verpflichten, das eingehende Blut zu registrieren.
Gut, dass es die Versicherungen gibt – das war einmal der Slogan einer Anzeigenkampagne der deutschen Versicherungsunternehmen, die den Eindruck erwecken sollte, dass es die Versicherungsgesellschaften seien, die alles Leid von den Bundesbürgern fern halten. Die Branche versäumt auch nicht, bei jeder passenden Gelegenheit Victor Hugo zu zitieren: Die Lebensversicherung ist in ihrer Menschlichkeit der heilsamste und vorsorglichste Gedanke, der jemals einem menschlichen Hirn entsprang, um die Schicksalsschläge abzuschwächen und das Familienleben vor der Zerstörung zu schützen.
Ganz im Stile von Victor Hugo wurde Versicherung auch im Jahre 1990 in einer Branchenbroschüre beschrieben: Vor den kleinen und großen Katastrophen des Alltags braucht keiner zu kapitulieren. Krankheit und Unfall, Feuer und Diebstahl, Prozesskosten und Haftungsfolgen verlieren zumindest finanziell ihre Schrecken; die Sorge um einen angemessenen Lebensstandard im Alter ist unbegründet. Das alles verdanken wir einer genialen Menschheits-Idee: den Versicherungen. Sie halten uns den Rücken frei, machen Schicksal und Ungewissheit erträglich, nehmen uns die Angst vor der Zukunft.
Und seit Jahrzehnten glaubt alle Welt, die Versicherungen seien die Versicherungsunternehmen, denen wir derartige Wohltaten verdanken. Denn jeder, der von seiner Versicherung spricht, meint damit die Gesellschaft, bei der er versichert ist. Dass Versicherung als gegenseitige Hilfe – als Bereitstellung von Geld für einen gemeinschaftlichen Schadenausgleich – die Leistung der Versicherten ist und die Gesellschaften nur das von den Versicherten bereitgestellte Geld verteilen, darauf ist bisher kaum jemand gekommen. Aber es soll ja Vorkommen, dass ein junges Mädchen den Postzusteller küsst, der ihr den Brief ihres Liebsten überbracht hat.
Allerdings ist ihr Irrtum nicht so folgenschwer wie der miserable Versicherungsschutz der Bundesbürger und die Milliardenverluste der Versicherten als Folge des Irrglaubens, Versicherungsunternehmen seien die Versicherungen und Wohltäter der Menschheit. Dieser Irrglaube reicht bis in die höchsten Spitzen unseres Staates denn, wie das Mädchen den Postzusteller küsst, hängen Bundespräsidenten – im Namen des Volkes – den Branchenmanagern laufend Bundesverdienstkreuze um. Der Eindruck, dass Versicherungsunternehmen uns von Leid, Schrecken und Sorgen befreien und ihre Vorstände Wohltäter der Menschheit sind, ist in zweifacher Hinsicht falsch: Erstens sind es die Versicherten selbst, die Versicherung herstellen, indem sie mit ihren Beiträgen die finanziellen Folgen von Unglücksfällen ausgleichen.
Und zweitens sind gerade Versicherungs-Aktiengesellschaften und ihre Vermittler für das Leid von Millionen Invaliden und Witwen, deren Familien und Kindern verantwortlich, die falsch abgesichert waren für den Fall einer Berufsunfähigkeit durch Krankheit oder Unfall oder beim Tod eines Ernährers, und die deshalb – oft als Sozialhilfefälle – in finanzieller Not leben. Der Sozialstaat hätte wesentlich weniger Probleme, wenn das private Versicherungswesen richtig funktionieren würde. Aber dieses wird total von Aktiengesellschaften beherrscht, die wegen vieler Fehler im System gerade dann die höchsten Gewinne erzielen, wenn ihre Angebote am weitesten am Bedarf der Bürger Vorbeigehen.
Die Gesellschaften können von Glück reden, dass nur wenige Haushalte von schweren Unglücksfällen betroffen werden; sonst würde nämlich das Versagen fast aller Versicherungsgesellschaften und die Falschberatung fast aller Vermittler in einer einzigen Katastrophe offenkundig werden; denn fast alle bundesdeutschen Haushalte sind falsch versichert, obwohl sie jährlich weit über 100 Milliarden Euro an Beiträgen zahlen. Sie wissen aber weder etwas von ihrem miserablen Versicherungsschutz, weil sie – glücklicherweise – von Unglück verschont blieben, noch wissen sie von ihren jährlichen Verlusten von 10 bis 20 Milliarden Euro, die ihnen durch völlig überteuerte und sinnlos gezahlte Prämien, unrentables Versicherungssparen und die Kündigung von Lebens- und Rentenversicherungen entstehen.
Denn durch raffinierte Knebelungsinstrumente kommt ein Versicherter, der seine Fehler erkannt hat, nur schwer oder unter Verlusten aus falschen oder zu teuren Verträgen wieder heraus. Und es gibt noch weitere Missstände: Schadenfreie Autofahrer werden durch falsche Autoversicherungstarife diskriminiert. Ein ewig schadenfreier Großstädter zahlt z. B. auf Dauer Tausende von Mark mehr an Prämien als ein Beamter in der Provinz mit mehreren Schäden. Wer von der Krankenkasse in die private Krankenversicherung übergewechselt ist, hat im Alter oft eine böse Überraschung erlebt; Er kann die Beiträge kaum noch oder überhaupt nicht mehr bezahlen, weil die günstigen Anfangsbeiträge seiner Privatversicherung, mit denen er aus der Kasse rausgelockt wurde, bewusst zu niedrig kalkuliert waren und deshalb bis ans Lebensende – teilweise bis zur Unbezahlbarkeit – erhöht werden müssen.
Der Bund der Versicherten (BdV), eine 1982 gegründete private Interessenvertretung mit inzwischen fast 45000 Mitgliedern, hat diese und andere Missstände ständig angeprangert – auch bei der Bundesregierung. Einmal hat Theo Waigel – ungläubig – geantwortet: Wir haben starke Versicherungs-Aufsichtsbehörden, eine insgesamt verbraucherfreundliche Gesetzgebung und eine unabhängige Justiz. In solcher Umgebung sollten sich eklatante Missstände im Versicherungswesen nicht dauerhaft halten können. Viele werden sich der Ungläubigkeit Waigels anschließen wollen und noch hinzufügen: Und wir haben doch den Wettbewerb, der alles zum Besten der Verbraucher regelt. Und wir haben Wissenschaftler und Medien, die solche Missstände aufdecken und die die Bürger durch Aufklärung vor Schaden bewahren. Und dann die vielen Vertreter, die vielen Finanz-, Vermögens- und Unternehmensberater, die ihre Kunden – oft gute Bekannte – doch nicht über den Tisch ziehen würden und die doch nicht wollen, dass ihre Kunden in finanzielle Not geraten, wenn einmal ein Unglücksfall passiert. – Genau das ist aber passiert: Versicherungsvermittler haben ihren Kunden falsche und viel zu teure Versicherungen aufgeschwatzt. Und sie tun es weiter – Tag für Tag.
So der Bericht einer gerichtlich zugelassenen Versicherungsberaterin beim Bund der Versicherten (BdV) in der Mitgliederzeitung dieses Vereins: Wir belauschen Vertreter von namhaften Versicherungsgesellschaften, die von einer unversicherten Familie mit einem Kind und sichtbar schwangerer Hausfrau um eine Beratung gebeten wurden. Nacheinander – jeweils zwei bis drei Stunden, mit und ohne Laptops – reden Vertreter der Allianz, Hamburg-Mannheimer, Aachener & Münchener, Volksfürsorge, R+V und Victoria auf unsere Testfamilie ein – auch ein Drücker der OVB. Das Test-Ergebnis: In allen Fällen zu hundert Prozent falsche Empfehlungen, völlig am Bedarf vorbei! – Bei fast allen die gleiche Methode: mit den Argumenten des Bundes der Versicherten die Kapital-Lebensversicherung schlecht machen und als neuen Renner die private Rentenversicherung anbieten (das hätte Provisionen gebracht, aber keinen Schutz der Familie im Todesfall!).
Keiner hat von sich aus, sondern erst auf Bohren des Test-Familienvaters die für die Familienversorgung so wichtige Risiko-Lebensversicherung mit einer Berufsunfähigkeitsrente als Zusatz angeboten, dann aber mit viel zu geringen Versicherungssummen, um Beiträge für provisionsträchtige Renten- und Unfallversicherungen verfügbar zu halten. Der Vertreter der Hamburg-Mannheimer füllte Anträge über fast 800 Euro Monatsbeitrag aus, die er dann wieder zerriss, als er von uns gestellt wurde. Der Test-Vater war – trotz des Spiels – richtig böse: Keiner hat sich um die Absicherung der Familie im Todesfall gekümmerte – Abschließende Frage der Redakteurin an mich: Wenn diese Beratungsgespräche so unzureichend waren, bedeutet das dann, dass die meisten Deutschen falsch versichert sind? – Meine Antwort: Ja, die wissen’s nur leider nicht, dass sie jährlich Tausende von Mark verlieren und dabei noch völlig unzureichend versichert sind! – Moderator Ulrich Meyer am Ende des Berichtes in der SAT I-Sendung: Ein verheerendes Ergebnis!
Zu einem gleichen dramatischen Ergebnis kam eine Studie von Mercuri International Deutschland: In 80 Prozent der 480 Testgespräche fand keine kompetente, bedarfsorientierte Beratung statt. Die meisten Berater steuerten zielsicher ein Produkt an. Besonders problematisch: das Angebot bei Lebensversicherungen. Provisionsinteressen waren für die Empfehlung entscheidender als der Bedarf des Kun-den. Vergessen Sie also die Versicherungsvermittler, auch die der scheinbar seriösen Gesellschaften, oft sogar gute Bekannte, die sich Berater oder Makler nennen, die aber fast immer – außer den ganz wenigen wirklichen Maklern – nur provisionsgesteuerte Werkzeuge in der Hand der großen und teuren Versicherungs-Aktiengesellschaften sind. Und diese renommierten Gesellschaften sollten Sie wirklich meiden.
Sie sind die Hauptverantwortlichen für den miserablen Versicherungsschutz der Deutschen und ihre jährlichen Milliardenverluste. Sie beherrschen das deutsche Versicherungswesen bis hin zu den politisch Verantwortlichen und sind vorrangig überhaupt nicht am Versicherungsschutz der Bundesbürger interessiert, sondern wollen unter dem Deckmantel Versicherung und Altersvorsorge nur an möglichst viel Geld der Versicherten herankommen, um sich große Teile davon unberechtigt als Gewinn einstecken zu können. Im Jahre 1984 errechneten die Wirtschaftsmagazine Capital und Managermagazin übereinstimmend: Wer um 1970 herum als Aktionär bei der Allianz Leben 10000 Mark einlegte, machte daraus in 13 Jahren einen Gewinn von fast 270000 Mark, was einer jährlichen Rendite von etwa 30 Prozent, in den letzten Jahren sogar von 40 Prozent entsprach. Ein Lebensversicherter erzielte dagegen bei der Allianz während dieser Zeit Renditen von um die fünf Prozent für sein Lebensversicherungssparen.
Wenn Sie sich richtig versichern und nicht länger Abschlussopfer in der Strategie der großen und teuren Aktiengesellschaften werden oder bleiben wollen, müssen Sie die grundsätzlichen Probleme im Versicherungswesen erkennen, die Ursache dafür sind, dass Sie und alle Bundesbürger Probleme beim richtigen Versichern wie auch bei der richtigen Altersvorsorge und Geldanlage haben. Nur wenn Sie die hinterhältigen Tricks kennen, mit denen die Gesellschaften eine ganze Nation hinters Licht geführt und ausgebeutet haben, sind Sie künftig gegen irreführende Werbung und Vertretersprüche immun und geben hoffentlich das Vertrauen in Ihren Versicherungsvertreter oder Berater und in Ihre Versicherung auf.