Mit dem Start des europäischen Binnenmarktes für Finanzdienstleistungen zum 1.7.1994 verbanden viele die Hoffnung, dass der verschärfte Wettbewerb – insbesondere durch ausländische Versicherer, die auf den deutschen Markt drängen – auch deutlich günstigere Prämien für den Versicherungsschutz bringen wird. Außerdem wurde eine revolutionäre Produktvielfalt erwartet.
Tatsächlich hat sich bis heute nur wenig getan. Es hat sich gezeigt, dass die Entwicklung eher undramatisch verläuft und erst ganz allmählich in den Köpfen der Versicherer und Verbrauche marktveründernde Reaktionen auslöst. Die Verschiedenheit der Produkte der einzelnen europäischen Versicherungsmärkte wiederum spiegelt die Unterschiedlichkeit des über Jahrzehnte gewachsenen wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Umfeldes wider, das die einzelnen Teilmärkte bestimmt, aufsichtsrechtliche Gegebenheiten, steuerrechtliche Besonderheiten, sozialpolitische Eigenheiten und natürlich nicht zuletzt auch Verbrauchermentalitäten und Verbrauchergewohnheiten.
Bei allen Vorzügen, die ein grenzenloser Markt mit sich bringt, muss an dieser Stelle auch verschärft auf mögliche Mogelpackungen von Versicherungsgesellschaften hingewiesen werden.
Es wird zukünftig keine einheitlichen Versicherungsbedingungen mehr geben, so dass prinzipiell jeder Versicherer ungeliebte Risiken aus den Bedingungen herausnehmen kann, andererseits verlockend günstige Prämien anbieten kann. Der Markt wird dadurch zunehmend unübersichtlicher und kompetenter Rat immer wichtiger.
Allgemeines
Auslöser der Deregulierung ist das Zusammenwachsen der Nationen in Europa. Es kam im Laufe der Jahre zu drei wichtigen politischen Entscheidungen: Niederlassungsfreiheit, Dienstleistungsfreiheit und die sogenannte Europäische Zulassung. Damit gelten für alle Versicherer Produkt- und Preisfreiheit innerhalb der EU. Als weiterer Schritt Europas in Richtung europäischer Binnenmarkt treten für den Bereich Versicherungen nun verbindliche, in nationales Recht umgesetzte EG-Richtlinien in Kraft.
Künftig wird es für neue Tarife keine vorherige Bedingungs- und Tarifgenehmigung durch die Aufsichtsbehörde mehr geben, d. h. die vorherige Kontrolle durch das BAV (Bundesaufsichtsamt für das Versicherungswesen) ist damit entfallen. Die materielle Staatsaufsicht bleibt aber nach wie vor erhalten: Der neue Paragraph 81 VAG (Versicherungsaufsichtsgesetz) unterscheidet Rechtsaufsicht und Finanzaufsicht des BAV. Auch weiterhin wird es eine Missstandsaufsicht geben, die als ein Teil der Rechtsauf-sicht definiert ist.
Wichtige Stichpunkte (kurz gefasst)
• Zulassung und Finanzkontrolle der Versicherungs- Unternehmen erfolgen ausschließlich durch die Aufsicht des Herkunftslandes. Die einmal erteilte staatliche Zulassung hat europaweit Gültigkeit.
• Die vorherige Produktkontrolle durch die deutsche Aufsichtsbehörde entfallt. Es besteht jedoch eine Vorlagepflicht der Versicherungsbedingungen bei Pflichtversicherungen (z. B. Kfz-Haftpflicht) und privater Krankenvollversicherung.
• Die Tarifgenehmigung in der Lebens-, privaten Kranken- und Autohaftpflichtversicherung entfallt, jedoch wird die Vorlage der Berechnungsgrundsätze für die Prämien und Deckungsrückstellungen einschließlich der verwendeten Rechnungsgrundlagen und mathematischen Formeln in der Kranken- und Lebensversicherung gefordert.
• Umfassende Information durch den Versicherer vor Vertragsabschluss ist Pflicht, in der Lebensversicherung auch Angaben über Rückkaufswert und Überschussbeteiligung. Erhält der Kunde bei Antragstellung nicht alle vorgeschriebenen Informationen, steht dem Kunden nach Zugang des Versicherungsscheins und der vollständigen Unterlagen ein 14-tägiges Widerspruchsrecht zu.
• Die strikte Spartentrennung bleibt in Deutschland für inländische Unternehmen bestehen. Allerdings werden All-Branchen-Unternehmen aus der EU über Niederlassungen oder im grenzüberschreitenden Dienstleistungsverkehr Lebens- und Krankenversicherungen auch hierzulande anbieten können.
• Für Versicherungsnehmer mit gewöhnlichem Aufenthalt in Deutschland und für deutsche Risiken gilt grundsätzlich deutsches Recht und sind deutsche Gerichte zuständig.
• Die Versicherungsunternehmen dürfen ihr Vermögen in allen EU-Staaten anlegen. Sie müssen hierbei die deutschen Kapitalanlagevorschriften beachten und räumen insbesondere dem Grundsatz Sicherheit der Anlage nach wie vor größte Priorität ein. Im Gegensatz zu ihren ausländischen Konkurrenten unterhalten die deutschen Versicherungsunternehmen vor allem in der Lebens und Privaten Krankenversicherung weiterhin einen Deckungsstock und stellen die Kapitalanlagen unter die Kontrolle eines Treuhänders.
• Verträge mit längerer Laufzeit sind weiterhin zulässig, doch das Kündigungsrecht zum Ende des fünften und jeden folgenden Jahres mit Dreimonatsfrist für beide Vertragsparteien besteht weiter.
• Es besteht Kündigungsrecht innerhalb eines Monats bei jeder Beitragserhöhung, sofern sich der Leistungsumfang des Versicherungsschutzes nicht verändert.
Informationspflicht der Versicherungsunternehmen
Die folgenden Verbraucherinformationen muss ein Versicherungsunternehmen vor Abschluss eines Vertrages nach neuem Recht in jedem Fall erteilen:
• Name, Anschrift, Rechtsform und Sitz des Versicherers und der etwaigen Niederlassung
• die jeweiligen allgemeinen Versicherungsbedingungen
• Angaben über Art, Umfang und Fälligkeit der Leistung des Versicherers
• Angaben zur Laufzeit des Vertrages
• Angaben über den Preis, wobei die Prämien einzeln auszuweisen sind, wenn das Versicherungsverhältnis mehrere selbständige Verträge umfassen soll, und über die Zahlungsweise sowie Angaben über Nebengebühren und -kosten und Angabe des insgesamt zu zahlenden Betrages
• Angaben über die Frist, während der der Antragsteller an den Antrag gebunden sein soll
• Belehrung über das Recht zum Widerruf oder Rücktritt
• Anschrift der Aufsichtsbehörde, die für Beschwerden zuständig ist
Bei Lebensversicherungen und Unfallversicherungen mit Prämienrückgewähr sind zusätzlich folgende
Informationen notwendig:
• Angaben über die für die Gewinnermittlung und Beteiligung geltenden Berechnungsgrundsätze
• Angabe der Rückkaufswerte
• Angaben über den Mindestversicherungsbetrag für eine Umwandlung in eine beitragsfreie Versicherung und über die Leistungen aus prämienfreier Versicherung
• Angaben über das Ausmaß der Garantie von Rückkaufswerten und Beitragsfreistellung
• bei fondsgebundenen Versicherungen auch über den zugrunde hegenden Fonds und die Art der darin enthaltenen Vermögenswerte
• allgemeine Angaben über die für diese Versicherungsart geltende Steuerregelung.
Bei Krankenversicherungen werden zusätzlich folgende Angaben gefordert:
• über den Verlauf der Prämienentwicklung mit zunehmendem Alter bis zum 80. Lebensjahr. Dabei müssen die Erfahrungswerte der letzten 20 Jahre und das Verhältnis von Prämie und Einkommensentwicklung berücksichtigt werden.
Während der Laufzeit des Versicherungsvertrages müssen die Unternehmen ihre Kunden informieren über:
• Änderungen von Namen, Anschrift, Rechtsform und Sitz des Versicherers und der etwaigen Niederlassung
• Änderungen, die sich durch geänderte Rechtsvorschriften bei Prämien-, Laufzeit-, und Leistungsangaben ergeben
• den Stand der Überschussbeteiligung in der Lebens- und Unfallversicherung mit Prämienrückgewähr, und zwar jährlich.