Wer es übertreibt, erhält von der Unfallversicherung unter Umständen nicht nur die gelbe, sondern sogar die rote Karte: Die Versicherung kürzt die Leistungen oder verweigert sie ganz. Die juristischen Stichworte dazu:
• Absicht und Grobfahrlässigkeit
• Eingehen außergewöhnlicher Gefahren oder Wagnisse
Hinweis: Gekürzt wird auch bei Überentschädigung, also dann, wenn eine verunfallte Person von allen Versicherungen zusammen mehr erhält, ah sie durch den Unfall eingebüßt hat.
Absicht und Grobfahrlässigkeit
Es versteht sich eigentlich von selbst, dass man sich nicht absichtlich selbst verletzen und dann Versicherungsleistungen beanspruchen kann. Bei der Selbsttötung macht das Gesetz immerhin aus sozialen Gründen eine kleine Ausnahme: Die Bestattungskosten werden bezahlt. Ansonsten erhalten aber auch die Angehörigen nichts, was insbesondere für die Witwe und die Kinder hart ist. Gleich verhält es sich, wenn ein Hinterbliebener den Tod des Versicherten absichtlich herbeigeführt hat, wenn also beispielsweise die Witwe ihren Ehemann vergiftet hat.
Urteil: Eine Betrügerbände inszenierte verschiedene Auffahrunfälle und täuschte dann den Ärzten ein Schleudertrauma vor. Die Unfallversicherung bezahlte über fahre hohe Beträge an die Schwindler. Nach mehreren Unfällen der Bande wurden die Versicherungen misstrauisch und gingen der Sache auf den Grund. Dabei stellte sich etwa heraus, dass ein Auto, das angeblich in einen der Unfälle verwickelt war, schon vor der Kollision gar nicht mehr funktionstüchtig gewesen war. Dreist, aber wahr! Die Schwindler mussten die bezogenen Gelder selbstverständlich zurückerstatten. Zudem wurde ein Strafverfahren wegen Versicherungsbetrugs eröffnet.
Das Beispiel soll nicht darüber hinwegtäuschen, dass solche Fälle in der Praxis selten sind. Die wenigsten Versicherten verursachen ihre Unfälle absichtlich selbst. Häufiger und daher auch wichtiger ist die Grobfahrlässigkeit. Gemeint ist damit, dass jemand elementare Vorsichtsgebote außer Acht lässt und es deshalb zum Unfall kommt. Dann können die Leistungen der Unfallversicherung gekürzt werden; je schwerer der eigene Anteil am Unfall, das Selbstverschulden, desto höher ist die Kürzung.
Grobfahrlässig oder nicht?
Ob eine Verunfallte in einer konkreten Situation gegen elementare Vorsichtsgebote verstoßen hat oder nicht, ist natürlich eine Ermessensfrage. Ob ein unvorsichtiges Verhalten als Grobfahrlässigkeit eingestuft wird, hangt deshalb zu einem großen Teil von der Wertung des Richters oder der Richterin ab. Und die kann durchaus unterschiedlich ausfallen: je nach eigener Risikobereitschaft wird eine Richterin in Grenzfällen das Verhalten als mehr oder weniger unvorsichtig beurteilen.
Wie überall, wo es um Ermessensentscheide geht, können frühere Gerichtsurteile ausschlaggebend sein. Findet man ein für den eigenen Fall günstiges Präjudiz, sieht die Sache schon erfreulicher aus. Deshalb sind im Kasten einige Fälle aus der reichhaltigen Gerichtspraxis zum Thema zusammengestellt. Beim Durchsehen dieser Urteile fällt Ihnen vielleicht auf, dass es sich nur um Unfälle in der Freizeit handelt. Das ist kein Zufall: Leistungskürzungen wegen Grobfahrlässigkeit sind nur bei Nichtberufsunfällen, nicht aber bei Berufsunfällen und Berufskrankheiten möglich.
Grobfahrlässig oder nicht? Das sagt das Gericht
Grobfahrlässig ist es, | Kürzung |
mit dem Fahrrad bei Regen in raschem Tempo eine Strasse | |
hinunterzufahren und beim Abbiegen zu stürzen. | 10% |
als Motorradfahrer den Helm nicht zu tragen. | 10% |
die Sicherheitsgurten überhaupt nicht oder nicht richtig | |
zu tragen. | 10% |
bei laufendem Rasenmähermotor in die Öffnung für | |
den Grasauswurf zu greifen. | 10% |
auf ein fahrendes Tram aufzuspringen. | 20% |
ein Rotlicht zu überfahren, selbst wenn man die örtlichen | |
Verhältnisse kennt. | 20% |
in einer verschlossenen Garage bei laufendem Motor | |
den Vergaser des Autos einzustellen. | 20% |
von einem bereits mit erheblicher Geschwindigkeit fahrenden | |
Zug abzuspringen. | 50% |
Nicht grobfahrlässig ist es,
• auf dem Motorrad mit erlaubter Geschwindigkeit in anderorts eine fahrende Autokolonne zu überholen.
• sich in einen Ehestreit zwischen Bekannten einzumischen, bei dem der Mann seine Frau schlägt.
• auf einer gut sieben Meter breiten, abfallenden, mit etwas Schnee bedeckten Straße mit 40km/h zu fahren und beim Bremsen auf die Gegenfahrbahn zu geraten.
Darüber hinaus ist nur eine Kürzung beim Taggeld (nicht aber bei den Heilungskosten) zulässig und die Dauer der Kürzung ist auf zwei Jahre beschränkt. Hat ein Verunfallter Familie, darf die Kürzung – aus sozialen Gründen – maximal 50 Prozent ausmachen.
Außergewöhnliche Gefahren und Wagnisse
Auch wenn jemand außergewöhnliche Gefahren in Kauf nimmt und Wagnisse eingeht, kann die Unfallversicherung die Leistungen kürzen. Wie bei der Grobfahrlässigkeit geht es darum, dass die Gesamtheit der Versicherten mit ihren Prämien nicht für große Kosten aufkommen soll, die durch einige wenige Unvernünftige verursacht werden.
Außergewöhnliche Gefahren in Kauf nehmen
Bei den außergewöhnlichen Gefahren sieht das Gesetz zwei Kategorien vor: solche, die jede Leistung außen Hessen, und solche, bei denen die Leistungen mindestens um die Hälfte gekürzt werden. Nicht vorausgesetzt ist hier – anders als bei der Grobfahrlässigkeit – ein Verschulden. Auch wenn Sie ohne jede eigene Schuld in einer der folgenden Situationen einen Unfall erleiden, kürzt die Versicherung:
• Sämtliche Leistungen verweigert: Teilnahme an Terrorakten, banden- mäßigen Verbrechen, kriegerischen Handlungen und ausländischem Militärdienst
• Kürzung um mindestens die Hälfte: Schlägereien, starke Provokation, Teilnahme an Unruhen
Schlägereien und Provokationen geben ab und zu Anlass zu Gerichtsurteilen. Bei Schlägereien kommt es sehr schnell zu Leistungskürzungen. Als Beteiligung an einer Schlägerei gilt nicht nur die aktive Teilnahme. Kürzungen riskiert schon, wer sich in einen Wortwechsel einlässt, der das Risiko einer nachfolgenden Tätlichkeit einschließt. Dabei spielt es nicht einmal eine Rolle, weshalb es zum Wortwechsel kam und wer damit angefangen hat. Wie weit die Gerichte gehen, zeigt das folgende Beispiel.
Urteil: Das Ehepaar X. war beim Schieber am Verlieren. Schuld daran war nach Ansicht von Frau X. ihr Mann, was sie ihm auch mehrmals deutlich sagte. Als er schon wieder eine nach ihrer Ansicht falsche Karte spielte, verlor die leidenschaftliche Jazzerin vollends die Fassung und warf ihm mit wüsten Verwünschungen das Weinglas an den Kopf Herr X. trug Schnittverletzungen im Gesicht davon und musste sich in ärztliche Behandlung begehen. Die Unfallversicherung übernahm wegen Rauferei /Schlägerei nur die Hälfte der Heilungskosten. Und als Herr X. dagegen Einsprache erhob, gab das Gericht der Versicherung Recht.
Anders bei den Provokationen. Dort gibt nicht jede, sondern nur eine starke Provokation Anlass zur Kürzung. Allerdings kann eine gewöhnliche Provokation unter Umständen als Grobfahrlässigkeit gewertet werden und ebenfalls eine Kürzung nach sich ziehen – beispielsweise wenn ein Fußballspieler einen Gegner beschimpft und mit obszönen Gesten beleidigt.
Hinweis: Die Kürzungsregelungen gelten nicht, wenn jemand an der Auseinandersetzung nicht beteiligt ist, aber Hilfe leisten will und dabei verletzt wird. Man kann also einem Wehrlosen zu Hilfe kommen, ohne versickerungsrechtliche Sanktionen befürchten zu müssen.
Ein Wagnis eingegangen
Was gilt als Wagnis? Als Wagnis wird das bewusste Eingehen eines aus Serge wohnlichen Risikos verstanden. Die Folgen sind einschneidend: Die Geldleistungen werden um die Hälfte gekürzt oder in besonders schweren Fällen sogar ganz verweigert. Auch hier gibt es allerdings zwei Einschränkungen: Gekürzt werden darf nur bei Nichtberufsunfällen und nur bei den Geldleistungen (vor allem Taggelder und Renten). Nicht betroffen sind die Heilungskosten.
Rettungshandlungen sind von einer Kürzung ausgenommen, selbst wem sie mit einem Wagnis verbunden sind. Die Gerichte haben auch schon entschieden, dass nicht nur bei der Rettung anderer Personen, sondern auch bei einem Sprung vom Balkon zur eigenen Rettung nicht gekürzt werden dürfe.
Urteil: Als Wagnis angesehen wurde folgender Fall: Ein feuriger Liebhaber versuchte, nachts an einem Ablaufrohr in den zweiten Stock zu klettern, um über den Balkon zu seiner Geliebten zu gelangen. Fr stürzte ab und verletzte sich schwer. Die Unfallversicherung zahlte nur die Heilungskosten voll, kürzte aber die Taggelder – nach Ansicht des Gerichts zu Recht. Anders wäre derselbe Unfall beurteilt worden, wenn der Mann mit der Kletterei seine Freundin aus einer Gefahr hätte retten wollen (beispielsweise bei einem Brand). Dann hätte die Versicherung die Leistungen nicht kürzen dürfen.
Das Thema Wagnis ist heute besonders im Zusammenhang mit Risiko-Sportarten wichtig. „No risk, no fun“ kann also gravierende finanzielle Auswirkungen haben, wenn’s ins Auge geht! Voll versichert sind folgende vom Bundesgericht als schützenswert definierte Betätigungen:
• Alle normalen Sportarten wie Fußballspielen, Skifahren, Velofahren und Turnen
• Deltasegeln
• Motorradfahren
• Bergsteigen
• Klettern
• Tauchen (einschließlich Höhlentauchen)
Diese – zum Teil auch recht riskanten – Hobbys können Sie also mit voller Versicherungsdeckung betreiben. Anders sieht es aber aus, wenn Sie dabei eine Grobfahrlässigkeit begehen. Dann können die Leistungen gekürzt werden (siehe oben).
Im Übrigen kommt es im Streitfall auch hier auf das Ermessen des Richters an. Die Gerichte teilen die Wagnisse in zwei Kategorien ein: Es gibt absolute Wagnisse, die so gefährlich sind, dass sich das Risiko auch mit bester Vorbereitung, Ausrüstung oder sportlichen Fähigkeiten nicht reduzieren lässt. Solche Aktivitäten führen immer zu einer Leistungskürzung. Bei den relativen Wagnissen kommt es darauf an, ob der Versicherte das Risiko dank seiner Vorbereitung, Ausrüstung und seinem speziellen Können auf ein vernünftiges Maß reduzieren konnte. Einige Beispiele aus der Gerichtspraxis finden Sie im Kasten unten.
Vorhaben, die laut Gericht ein Wagnis sind
Absolutes Wagnis
• Bergrennen für Autos und das Training dafür
• Teilnahme an Motocross rennen mit dem Motorrad und das Training dafür
• Teilnahme an einem Boxwettkampf (egal, ob als Amateur oder Berufsboxer)
• Gefährliche alpinistische Unternehmungen aus reiner Abenteuerlust, bei denen sich das Risiko auf keine Weise auf ein vernünftiges Maß reduzieren lässt
Relatives Wagnis
• Deltasegeln ohne geeignetes Flugmaterial und mit Verstößen gegen elementare Regeln des Sports
• Bergbesteigung als unerfahrener Alpinist ohne jede Kletterausbildung, ohne Anseilen, mit Tennisschuhen und kurzen Hosen
• Ausprobieren eines neuen LKW-Anhängers auf einer engen Bergstraße bei ungünstiger Witterung und in angetrunkenem Zustand
• Schlitteln auf Auto- und Lastwagenschläuchen nachts, auf gefrorenem Schnee und mit ziemlicher Geschwindigkeit
Wenn Unfall und Krankheit Zusammentreffen
Die Unterscheidung zwischen Unfall und Krankheit ist vor allem deshalb wichtig, weil die Leistungen der Unfallversicherung besser sind. Die Krankenkasse kennt beispielsweise keine Renten. Was aber gilt, wenn Unfall und Krankheit Zusammenkommen? Wenn die Unfallfolgen ohne die bereits bestehende Krankheit weniger gravierend ausfielen oder gar nicht entstanden wären?
Hier kommt es darauf an, ob schon vor dem Unfall die Erwerbs- Fähigkeit wegen der Krankheit beeinträchtigt war. Ist dies der Fall, werden die Invalidenrente, die Integritätsentschädigung und die Hinter lassen ernten auf die unfallbedingten Anteile gekürzt. Keine Kürzung ist erlaubt, wenn die verunfallte Person trotz gesundheitlicher Beeinträchtigung voll erwerbsfähig war. Und auf gar keinen Fall dürfen Pflegekosten, Taggelder und Hilflosen Entschädigungen gekürzt werden. Beispiel: Ursula E. leidet an Osteoporose. Sie stolpert über einen Teppichrand, stürzt und bricht sich den rechten Arm. Die Unfallversicherung kommt für sämtliche Arztbesuche, Pflegeleistungen und Spitalrechnungen voll auf. Zusätzlich zahlt sie Frau E. das normale Taggeld. Wie aber sieht es aus, wenn der Arm nicht mehr richtig zusammenwächst und ein Dauerschaden bleibt?
Dann wird die Unfallversicherung den Einwand des Vorzustands erheben. Es wird abgeklärt, in welchem Verhältnis die Osteoporose einerseits und der Unfall andererseits am Dauerschaden beteiligt sind. Stellt ein ärztliches Gutachten beispielsweise fest, dass die Invalidität zu 60 Prozent auf den Unfall und zu 40 Prozent auf die Osteoporose zurückzuführen sei, wird die Unfallversicherung die Rente um diese 40 Prozent kürzen. Ursula F. kann aber bei der IV und bei ihrer Pensionskasse für die krankheitsbedingten Anteile zusätzliche Leistungen beantragen.