Vorbetrachtung: Merkmale des Versicherungsbegriffs
Die Versicherungswissenschaft hat verschiedene Definitionen für den Begriff Versicherung geprägt, um ihr Wesen zu beschreiben.
Nach Prof. Famy bedeutet Versicherung die Deckung eines im Einzelnen ungewissen, insgesamt geschätzten Mittelbedarfs auf der Grundlage des Risikoausgleichs im Kollektiv und in der Zeit.
Prof. Hax definiert Versicherung als die gegenseitige Deckung eines im Einzelnen ungewissen, insgesamt aber schätzbaren Geldbedarfs auf der Grundlage eines zwischenwirtschaftlichen Risikoausgleichs.
Aus den hier beispielhaft wiedergegebenen Begriffsdefinitionen können grundsätzlich folgende Merkmale abgeleitet werden, die nachstehend näher betrachtet werden:
•Deckung eines Geldbedarfs durch eine Gefahrengemeinschaft
•Ungewisser, aber schätzbarer Geldbedarf
•Zwischenwirtschaftlicher Risikoausgleich
a)Gefahrengemeinschaft
Sie besteht aus einer Vielzahl gleichartig gefährdeter Personen (Wirtschaftseinheiten), die sich zu gegenseitiger Unterstützung im Versicherungsfall verpflichten.
Die planmäßige Deckung verlangt dabei die Einschaltung eines Versicherungsunternehmens mit der Aufgabe, die Gefahrengemeinschaft zu organisieren und geschäftsplanmäßig Beiträge für die Auszahlung in Leistungsfällen zu erheben.
Beispiel:
100000 Hausratbesitzer (eine Vielzahl von Personen) sind vom Schadenfeuer bedroht (von ein und derselben Gefahr). Jeder zahlt 125,00€ pro Jahr an die Versicherung (Beitrag/Prämie). Die Versicherung erhält hier insgesamt 12500000,00€ (Summe aller Beitragszahlungen) und ist damit in der Lage, den finanziellen Verlust, der durch Feuerschäden in unterschiedlicher Höhe (Gefahreneintritt) bei nur wenigen Hausbesitzern (wenigen Personen) entstanden ist, auszugleichen.
Der erforderliche Geldbedarf zur Schadendeckung (hier 12 500000,00€) und der deshalb erforderliche Beitrag wird nach versicherungsmathematischen Methoden ermittelt. In der Praxis kommt auch noch ein Beitragsteil für die Kostendeckung hinzu.
b)Ungewissheit
Eintritt und Umfang des zu versichernden Ereignisses dürfen nicht feststehen. Sie müssen unverhofft und zufällig eintreten. Zwar ist mit ihrem Eintritt nach der allgemeinen Lebenserfahrung zu rechnen, es ist jedoch im Einzelfall ungewiss, ob die zu versichernde Gefahr
•überhaupt jemals eintritt, z. B. das Schadenfeuer,
•oder zu welchem Zeitpunkt sie eintritt, z. B. das einmal sicher eintretende Ereignis des Todes in der Lebensversicherung.
Aber auch nur die Ungewissheit über die Höhe eines zu erwartenden Abnutzungsschadens in der Sachversicherung kann nach Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts ein versicherungsmäßiges Risiko in sich bergen. So kann es ungewiss sein, ob ein Reparaturschaden einige wenige Euro oder einige hundert Euro beträgt. Für die Betroffenen liegt hier durchaus ein echtes wirtschaftliches Risiko vor und ggf. das Bedürfnis, es durch Zahlung eines festen Beitrages auf eine Versicherung abzuwälzen.
c)Schätzbarer Geldbedarf
Der Versicherungsbetrieb lässt sich wirtschaftlich nur durchführen, wenn die
•Zahl der Versicherungsfälle (Schadenhäufigkeit) und
•der durchschnittliche Geldbedarf pro Versicherungsfall (Schadendurchschnitt), trotz Ungewissheit im Einzelfall, insgesamt für die Kalkulation des Schadenbedarfs und damit eines bedarfsgerechten Jahresbeitrages geschätzt werden kann.
Zu diesem Zweck führen die Versicherungen statistische Erhebungen durch.
Beispiel:
Feuerversicherung: Wie viele Gebäude einer bestimmten Bauart brennen in jedem Jahr?
Lebensversicherung: Wie viele Personen bestimmter Altersgruppen sterben in jedem Jahr (Sterbetafeln)?
Damit der Zufall berechenbar wird, sind die Gesetzmäßigkeiten zufälliger Ereignisse, die bei Massenerscheinungen auftreten, zu untersuchen.
Ein Würfelexperiment brachte hier wichtige Erkenntnisse. Wird nur einmal gewürfelt, kann nicht vorausgesagt werden, welche Zahl der Würfel zeigen wird. Wird dagegen eine Million Mal gewürfelt, kann davon ausgegangen werden, dass man jede Zahl des Würfels gleich oft treffen wird.
Aus Überlegungen dieser Art wurde schon in den Anfängen mathematisch-statistischer Forschungen das Gesetz der großen Zahl entwickelt. Dieses besagt, dass bei Massenbeobachtungen der Zufall eine umso geringere Rolle spielt, je größer die beobachtete Masse ist.
Beispiel:
Wenn von 100 Säuglingen 10 sterben, kann nicht geschlossen werden, dass die Sterbewahrscheinlichkeit 10% beträgt. Erst wenn 100000 Säuglinge und mehr beobachtet werden, kann die Sterbewahrscheinlichkeit relativ sicher geschätzt werden.
Das Gesetz sagt natürlich nichts darüber aus, wer von einem Unglücksfall bzw. Schaden betroffen wird, wohl aber, wie viele der in der Risikogemeinschaft Zusammengeschlossenen voraussichtlich von einem bestimmten Unglücksfall bzw. Schaden ereilt werden. Die Vorhersage ist dabei umso verlässlicher, je größer die Anzahl der beobachteten Fälle ist.
d) Zwischenwirtschaftlicher Risikoausgleich
Zufälligkeit ist nur schätzbar, wenn sehr viele Wirtschaftseinheiten in der Versicherungsgemeinschaft von der gleichen Gefahr, z. B. Brand, bedroht sind, aber regelmäßig nur wenige Mitglieder zum gleichen Zeitpunkt von ihr betroffen werden. Das versicherte Risiko muss sich also gleichmäßig verteilen lassen (Ausgleich im Kollektiv).
Manche Gefahren treten nur gelegentlich und mit unterschiedlichen Zeitabständen auf (z.B. Orkane). Der Risikoausgleich erfolgt hier durch die Beitragszahlungen der möglicherweise Betroffenen während des Zeitablaufes (Ausgleich in der Zeit).