Ein unerwarteter Absatzboom lässt die unter schleppendem Neugeschäft leidende private Krankenversicherung (PKV) wieder hoffen: Mit sogenannten Billig- oder Einsteiger-Tarifen macht die Branche gute Geschäfte. Diese Kompakt-Tarife, wie sie die Branche lieber nennt, bieten abgespeckte Leistung zu einer günstigeren Prämie. Je nach Alter kostet die Police nur 40 Prozent des normalen Tarifs. Mit den Dumping-Prämien reagieren die Krankenversicherer auf die Kritik an zu teuren Beiträgen und üppigen Beitragserhöhungen. Doch ob billig immer gut ist, wird von vielen bezweifelt. Die neuen Kompakt-Tarife bieten statt der freien Wahl aus den vier klassischen Tarifkomponenten (ambulante Behandlung, Zahnbehandlung, Krankenhaus und Krankentagegeld) nur beschränkte Wahlmöglichkeiten. Statt Maßanzug gibt es Konfektion, der Preisvorteil aber ist deutlich: Bei der Colonia zahlt ein 30jähriger Mann im Elementar-Tarif (EL) 165,10 € im Monat. Beim klassischen Tarif müsste er fast das Doppelte berappen: 323,20 €. Doch Sparen hat seinen Preis: Ambulante Psychotherapie, Heilpraktiker und Kuren werden nicht bezahlt. Außerdem muss der Versicherte immer zuerst zum Hausarzt gehen und häufig die Selbstbeteiligung auch im Krankenhaus und beim Zahnarzt bezahlen. Der direkte Weg zum Fachmann wird vom Versicherer mit einem Abschlag von 20 Prozent der Kosten bestraft. Denn erfahrungsgemäß werde der Versicherte beim Facharzt erst einmal durch den teuren Apparatepark gejagt, der sich noch amortisieren müsse, so die Colonia. Die Hausarzt-Regel ist eine Besonderheit des Colonia-Tarifs. Doch Abstriche muss der Versicherte bei allen Anbietern machen: Der Kostenbewußt-Tarif der Vereinte spart nicht nur bei Psychotherapie, Heilpraktiker und Kuren, sondern zusätzlich bei Brillen, Massagen, Fango-Packungen und sogar bei Behandlungen im Ausland. Außerdem erstattet der Münchener Versicherer nur 60 Prozent der Kosten für Zahnersatz. Dafür winkt ein Prämienabschlag von 33 Prozent. Wir konkurrieren mit den gesetzlichen Kassen um junge Leute, nennt der Deutsche-Ring klar die Stoßrichtung. Beim Ring-Startschutz könne sich eine junge Familie zum gleichen Preis privat versichern wie in der AOK. Bei den meisten Versicherern spielt die Billig-Variante im Marketing die Rolle des Kleinwagens beim Autokonzern. Sie ist ein Einsteigertarif für die junge Klientel, bevor sie irgendwann zur E- oder S-Klasse aufsteigen.
Fast alle Tarife bieten nach zwei oder fünf Jahren ein Optionsrecht: Der Versicherte kann ohne neue Prüfung seiner Gesundheit und Risikozuschläge in den klassischen Tarif mit besseren Leistungen wechseln. Allerdings sollte der Versicherte die Vertragsbedingungen genau studieren: In den Versicherungsbedingungen ist die Wechselmöglichkeit manchmal nicht festgeschrieben. Dann hilft nur eine Zusatzvereinbarung. Der Wechsel sollte früher oder später auch vollzogen werden. Langfristig sind die Billig-Tarife sehr gefährlich, geben selbst Vorstände zu bedenken. Die Mager-Varianten profitieren von zwei Faktoren: Es versichern sich in ihnen fast nur junge Leute, die kaum krank werden. Und die abgespeckten Leistungen wirken wie eine Kostenbremse: Sie sparen gegenüber dem Normaltarif bis zu 50 Prozent der Kosten. Beispiel: Wird die Brille zu 100 Prozent erstattet, gibt der Versicherte 750 € aus. Sinkt die Erstattung auf 80 Prozent, bescheidet er sich mit einem 500-€-Modell.
Werden die Versicherten aber älter und damit kränker, können sie die Inanspruchnahme der meisten Leistungen nicht mehr kontrollieren: Sie müssen zum Arzt gehen. Die Kosten steigen also ungebremst. Die Prämie für den Billig-Tarif steigt und wird schließlich fast genauso teuer wie der Normal-Tarif. Besonders gefährlich, so Manfred Poweleit vom Branchendienst map-report: Die Tarife werden auch an Kunden verkauft, denen der normale Tarif wegen der Beitragserhöhung zu teuer wurde. Doch die stehen in einigen Jahren wieder dumm da. Versicherungsmathematiker bezweifeln, dass die Billig-Tarife ihren Preisvorteil halten können: Das gesamte Modell ist zu knapp kalkuliert. Vermutlich sei der steigende Schadenbedarf im Alter zu gering veranschlagt. Deshalb fallen auch die Alterungsrückstellungen, die der Krankenversicherer ansammeln muss, um die Beiträge im Alter zu senken, zu gering aus. Die Folge: Im Alter schlägt der steigende Schadenbedarf unmittelbar auf die Prämien durch. Auch das reduzierte Leistungsspektrum kann für den Versicherten zur Falle werden, besonders der Ausschluss ambulanter Psychotherapie: Depressionen sind weitverbreitet, auch Schocks nach einem Unfall müssen oft therapiert werden. Doch dann muss der Versicherte aus eigener Tasche zahlen. Das ist ein Eingriff in die Grundversorgung, kritisiert der Frankfurter Versicherungsmakler Thomas Bodenstab. Sein Rat an Verkäufer: Wer diese Tarife vermittelt, sollte vorher selbst eine Vermögensschadenhaftpflichtpolice abschließen.