Versicherungszweige
Die Einteilung nach versichertem Gegenstand in Personen-, Sach- und Vermögensversicherung erlaubt entsprechend eine grobe Kategorisierung der Versicherungszweige. Jedoch gilt für alle Gliederungsschemata gleichermaßen, dass sich aufgrund des historischen Ursprungs der Versicherungszweige keine geschlossene theoretische Klassifizierung angeben lässt, die widerspruchsfrei auf die in der Praxis vorkommenden Zweige übertragen werden könnte. So ist etwa die Unfallversicherung eine personenbezogene Versicherung, die aber üblicherweise in die Zweige der Kompositversicherung eingereiht wird.
Inhaltlich kann ein Versicherungszweig definiert werden als Zusammenfassung etwa gleichartiger Risiken, die gegen die gleiche Gefahr oder das gleiche Bündel von Gefahren versichert sind. Eine feinere Abgrenzung von Versicherungsarten innerhalb der Zweige kann sich ferner durch die unterschiedlichen wirtschaftlichen und rechtlichen Auswirkungen eines möglichen Schadenfalls ergeben.
Beispiel:
Im Versicherungszweig der Lebensversicherung werden Risiken zusammengefasst, die das menschliche Leben betreffen. Je nachdem, ob das Todesfallrisiko, das Erlebensfall- oder das Langlebigkeitsrisiko im Vordergrund steht, unterscheidet man die hauptsächlichen Versicherungsarten der Todesfall- und Erlebensfallversicherung sowie der Leibrentenversicherung.
Eine typisierende Zusammenfassung verschiedener Zweige ergibt sich aus dem so genannten Spartentrennungsgebot des Versicherungsaufsichtsgesetzes (VAG), demgemäß aus Gründen des Gläubigerschutzes und zur Vermeidung von Quersubventionierung ein Versicherungsunternehmen exklusiv jeweils nur das Lebensversicherungsgeschäft, nur das Geschäft der substitutiven Krankenversicherung oder als Kompositversicherer nur das Geschäft der übrigen Sach- und HUK-Versicherungszweige betreiben darf. Die früher ebenfalls vorgeschriebene Trennung für das Rechtsschutzversicherungsgeschäft sowie das Kreditversicherungsgeschäft wurde 1990 aufgehoben; diese Geschäfte dürfen heute auch von Kompositversicherern betrieben werden.
Für die Praxis sehr wichtig ist die „Einteilung der Risiken nach Sparten“ gemäß Anlage A zum Versicherungsaufsichtsgesetz (VAG), die aktuell (2008) 25 Sparten (im Sinne dieses Textes: Versicherungszweige) auflistet; ihre Bedeutung liegt darin, dass die Erlaubnis zum Geschäftsbetrieb für jede dieser Sparten gesondert erteilt werden muss.
1. Unfall
2. Krankheit
3. Landfahrzeugkasko
4. Schienenfahrzeugkasko
5. Luftfahrzeugkasko
6. See-, Binnensee- und Flussschifffahrtskasko
7. Transportgüter
8. Feuer und Elementarschäden
9. Hagel-, Frost- und sonstige Sachschäden
10. Haftpflicht für Landfahrzeuge mit eigenem Antrieb
11. Luftfahrzeughaftpflicht
12. See-, Binnensee- und Flussschifffahrtshaftpflicht
13. Allgemeine Haftpflicht
14. Kredit
15. Kaution
16. Verschiedene finanzielle Verluste
17. Rechtsschutz
18. Beistandsleistungen zugunsten von Personen, die sich in Schwierigkeiten befinden
19. Leben
20. Heirats- und Geburtenversicherung
21. Fondsgebundene Lebensversicherung
22. Tontinengeschäfte
23. Kapitalisierungsgeschäfte
24. Geschäfte der Verwaltung von Versorgungseinrichtungen
25. Pensionsfondsgeschäfte
In der Unternehmenspraxis ergeben sich in Abhängigkeit von der Produktphilosophie zahlreiche Möglichkeiten, versicherte Risiken durch Merkmalstrennung in stärker spezialisierter oder durch Merkmalskombination in stärker generalisierter Form abzudecken.
Beispiel: Extreme Spezialisierung liegt bei der klassischen Risikolebensversicherung auf den Todesfall vor, die nur eine versicherte Gefahr und Schadenart umfasst. Extreme Generalisierung ergibt sich hingegen bei Bündelpolicen in der kombinierten Haushaltsversicherung, die Komponenten der Hausrat-, Glas-, Wohngebäude-, Unfall-, Privathaftpflicht- und weiterer Versicherungen in sich vereinigen kann.
Formen versicherter Gefahren
Versicherte Gefahren stellen das mögliche – weil ungewisse – auslösende Moment für den Eintritt eines Versicherungsschadens dar, auch Versicherungsfall genannt. Mehrere Schäden können dabei, vor allem in der Haftpflichtversicherung, als ein Versicherungsfall gezählt werden. Ein Ereignis kann umgekehrt auch mehrere Versicherungsfälle in verschiedenen Zweigen auslösen.
Beispiel:
Der Münchener Hagelsturm von 1984 schrieb Versicherungsgeschichte, weil hierbei durch ein einzelnes, räumlich sehr begrenztes Unwetter mehrere zehntausend Versicherungsfälle an Kraftfahrzeugen, hervorgerufen durch zum Teil faustgroße Hagelkörner, sowie an Gebäuden entstanden. Davon waren simultan unter anderem die Zweige der Hagelversicherung, Wohngebäudeversicherung, Glas- und Kraftfahrtversicherung betroffen.
Die Zahl der Ereignisse, die als Versicherungsfall dem Versicherungsschutz unterliegen, kann vertraglich begrenzt werden.
Beispiel:
In der Lebensversicherung ist die Todesfallversicherung auf verbundene Leben von der Lebenserwartung mehrerer Personen abhängig; in aller Regel handelt es sich dabei um die Partner einer Ehe oder Lebensgemeinschaft. In der häufigsten Form dieser Versicherung wird nach dem Tod eines der beiden Partner die Versicherungssumme fällig, die der Absicherung des hinterbliebenen Partners dient. Dessen Tod löst dann keine erneute Versicherungsleistung aus.
Die versicherte Gefahr stellt historisch das älteste Kriterium dar, dessen Ausprägung zur Ausdifferenzierung verschiedener Versicherungszweige geführt hat. Am Anfang standen schon in vorchristlicher Zeit Versicherungen gegen die Gefahren der Seefahrt, die später Ausgangspunkt für die Entwicklung der allgemeinen Transportversicherung wurden. Diese Gefahren betreffen vor allem Schäden an Schiff, Fracht und Ladung infolge von Untergang, Strandung, Zusammenstoß, Leckage, Raub auf See usw.
Bereits sehr modern anmutende Begriffsbildungen entstanden dabei unter der Wirtschaftshoheit der stark vom Seehandel abhängigen norditalienischen Stadtrepubliken Genua, Pisa und Venedig. Von dort aus verbreitete sich die Seeversicherung in den folgenden gut hundert Jahren, dem Aufstieg anderer Seefahrernationen folgend, über Spanien, England und die Niederlande zu den Hansestädten des Nord- und Ostseeraumes.
Es folgte die Feuerversicherung, deren Entwicklung schubweise, vor allem nach katastrophalen Stadtbränden, erfolgte (London 1666, Hamburg 1842). Brand und Blitzschlag waren die ersten Ursachen, die als Auslöser eines Versicherungsfalls galten, später kamen Explosionen oder der Anprall oder Absturz bemannter Flugkörper hinzu. Auch Gefahren, wie Rauch, Sachbeschädigung, Fahrzeuganprall oder Sprinklerleckage, die nicht im engen Sinne brandbedingt sind, können heute im Rahmen von Produkten gedeckt werden, die die Feuerversicherung erweitern. Dafür hat sich die Bezeichnung Extended Coverage-Versicherung (kurz: EC-Versicherung) eingebürgert, was so viel wie „Versicherung mit erweiterter Deckung“ bedeutet.
Die Lebensversicherung entwickelte sich ab Mitte des 18. Jahrhunderts von England ausgehend, zunächst nur in Form der Todesfallversicherung. Voraussetzung war die Entwicklung mathematisch-statistischer Methoden zur Erstellung von Sterbetafeln. In Ermangelung allgemeiner Bevölkerungsstatistiken musste dabei auf die detaillierte Auswertung kirchlicher Sterberegister zurückgegriffen werden, die nur für größere Städte den nötigen Umfang und die nötige Verlässlichkeit der Daten boten. Die Erlebensfallversicherung, verbunden mit einem die reine Risikoabsicherung überschreitenden Sparvorgang, trat im 19. Jahrhundert hinzu. Die lebenslange Leibrentenversicherung verbreitete sich erst im 20. Jahrhundert, auch wenn rentenähnliche Versorgungsformen, vor allem zur Witwenabsicherung, durch stiftungsähnliche Einrichtungen schon sehr viel älter sind.
Diese klassischen Versicherungszweige der Lebens- und der Feuerversicherung verbindet die Eigenschaft, dass sie sich auf einzeln oder gebündelt auftretende, genau einzugrenzende Risiken beziehen. Die Transportversicherung, zu der auch die Seeversicherung gehört, deckt dagegen alle oder wenigstens sehr weitreichend die Gefahren ab, denen das versicherte Gut während eines festgelegten Zeitraums ausgesetzt ist.
Die weitere Entwicklung der Versicherungswirtschaft hat vor allem seit Mitte des 19. Jahrhunderts eine große Zahl weiterer Versicherungszweige entstehen lassen. Sie zeichnen sich durch zunehmende Komplexität bei der Gefahrenklassifizierung aus – hervorgerufen durch die Anforderungen infolge von Industrialisierung, Herausbildung moderner Dienstleistungssegmente, technischer Innovation und zunehmender internationaler Verflechtung, vor allem der Kapitalmärkte sowie durch die Erweiterung des Versicherungsspektrums von kaufmännisch-ökonomischen Anwendungen auf Produkte für private Endverbraucher und Haushalte.
Mehrere Gefahren können im Rahmen generalisierten Versicherungsschutzes zu kombinierten Versicherungen zusammengefasst werden, wenn ihnen ein weitgehend einheitliches Bedingungswerk zugrunde gelegt wird. So geschieht es zum Beispiel in der Wohngebäudeversicherung, die gegen Feuer, Sturm, Leitungswasserschäden oder Einbruchdiebstahl versichert.
Als gebündelte Versicherungen bezeichnet man andererseits die Zusammenfassung von Gefahren, die unterschiedlichen Zweigen zuzurechnen sind. In so genannten Familienversicherungen werden etwa Hausrat-, Privathaftpflicht- und Rechtsschutzversicherungen zusammengefasst. Die einzelnen Komponenten bleiben dabei rechtlich unabhängig und können insofern auch unabhängig voneinander abgeschlossen oder gekündigt werden. Während durch die Kombination von Versicherungen neue, einheitliche Versicherungszweige gestaltet werden können, ist dies bei der Bündelung nicht möglich.