Und ist alles ihm misslungen, so reist er in Versicherungen.
(Volksweisheit)
Die Versicherungsbranche spricht von ihrem Produkt gerne als einer unsichtbaren Ware. Gemeint ist nicht nur, dass eine Versicherung kein Ding zum Anfassen und Repräsentieren ist wie etwa ein Auto, sondern vor allem, dass der Bedarf nach Abschluss einer Versicherung beim Kunden erst geweckt werden muss. Dies ist die Aufgabe der wichtigsten Abteilung einer Versicherung, des Vertriebs. Die Initiative zum Abschluss einer Versicherung geht nach traditioneller Auffassung nur selten vom Kunden aus. Die Ware Versicherungsschutz – als juristisches Leistungsversprechen für die Zukunft – sei im Gegensatz zu fast allen anderen Produkten werbewiderspenstig und erklärungsbedürftig. Im Französischen heißen die Vermittler denn auch producteurs: Produzenten.
Die Hauptproduzenten der Versicherungen sind die Einfirmenvertreter: Die Prämieneinnahmen der Versicherungen stammen zu 80 Prozent aus privaten Haushalten, und daran wiederum haben die Ausschließlichkeitsvertreter einen Anteil von 75 Prozent. Das mittlere gewerbliche Geschäft teilen sich je zur Hälfte Ausschließlichkeitsorganisation und Makler oder Mehrfachagenten. Nur das sogenannte gehobene gewerbliche und industrielle Geschäft liegt überwiegend bei Maklern und firmenverbundenen Vermittlern. Außerdem gibt es auch noch Angestellte im Außendienst. Sie nennen sich oft Direktoren und unterstützen die Vertreter vor Ort bei Spezialfragen. Sie erhalten ein geringes Festgehalt und leben von den Erfolgsprovisionen.
Vertriebswege | Marktanteil (in Prozent) |
angestellte Außendienstmitarbeiter (50 000) selbständige Handelsvertreter (75 000) Vertrauensleute und Nebenberufsvertreter (300 000) | 75 |
Versicherungsmakler (3000) und Mehrfachagenten (5000) | 10 |
firmenverbundene Vermittler (200) | 3 |
Bankschalter | 5 |
Direktvertrieb (einschließlich Internet) | 7 |
Summe | 100 |
Der Ausschließlichkeitsvertreter
Der Mann, von dem man erst später spricht, war ein Werbeslogan des Verbandes der Lebensversicherungsunternehmen aus den fünfziger Jahren. Wenn beim potentiellen Kunden ein Mann von der Versicherung vor der Tür steht, überreicht er meist eine Visitenkarte mit dem Titel Generalagent, Geschäftsstellenleiter, Verkaufsleiter, Bezirks- oder Filialdirektor. Das ist der sogenannte Ausschließlichkeitsvertreter. Er genießt unter allen Berufsgruppen das schlechteste öffentliche Ansehen. Der Ausschließlichkeitsvertreter hat einen Vertrag mit einer Versicherungsgesellschaft, der ihm sagt, dass er in einem bestimmten Gebiet für diese Gesellschaft exklusiv tätig ist, dass er aber auch für keine andere Gesellschaft Versicherungen abschließen darf. Rechtlich gesehen ist er Handelsvertreter im Sinne des Handelsgesetzbuches; damit darf er ausschließlich die Interessen der von ihm vertretenen Gesellschaft wahrnehmen. Vertragsverstöße können eine fristlose Kündigung durch den Versicherer nach sich ziehen. Rein formal ist der Ausschließlichkeitsvertreter ein freier Handelsvertreter, und intern gehört er zum freien Außendienst.
Die Vertriebsformen
Überregionale Gesellschaften mit großem Vertreternetz und hohem Verwaltungsaufwand. Regionale Versicherer mit weniger Aufwand für Außendienst und Verwaltung.
Direktvertrieb auf dem Postweg oder online und ohne Außendienst. Einige Gesellschaften haben Geschäftsstellen in größeren Städten. Freie Versicherungsmakler. Der Vertrieb über freie Versicherungsmakler ist oft sehr kostenintensiv, weil die Makler hohe Courtagen gewohnt sind.
Vertriebsorganisationen. Sie konzentrieren sich oft auf bestimmte Zielgruppen und vermitteln nur provisionsträchtiges Geschäft. Meist sind darunter die sogenannten Strukturvertriebe, auch Drückerkolonnen genannt.
Doch seine Abschlusszahlen müssen stimmen, sonst entfallen die vollen Provisionen und zusätzliche Bonifikationen. Teilweise werden sogar die Folgeprovisionen aus erarbeiteten Beständen von dem Erreichen einer bestimmten Höhe des Neugeschäfts abhängig gemacht. Der Ausschließlichkeitsvertreter hat zugleich die Aufgabe, den Bestand der Versicherung in einem bestimmten Bezirk zu betreuen und zu verwalten. Für den Vertreter hat dies den Vorteil, dass er die Stammkunden der Gesellschaft in einem bestimmten Gebiet rundum betreuen darf. Die Gesellschaft sorgt für seine finanzielle Sicherheit durch Garantieeinkommen und die Provisionseinnahmen aus einem übertragenen Kundenbestand. Für die Gesellschaft hat die Ausschließlichkeitsbindung den Vorteil, dass sie den Außendienst durch Zielvorgaben bezüglich der Menge störungsfrei lenken kann. Nachteile hat dieses System vor allem für den Kunden, der sich an einen Vertreter bindet: Der Vertreter vermittelt lediglich das Produkt, das er vermitteln darf, auch wenn es bei weitem nicht das beste Produkt am Markt sein sollte.
Der Kostentreibsatz: Abschlusskosten
Am teuersten ist für die Versicherungsgesellschaften der Vertragsabschluss. Hier verdient jeder mit: Der Vermittler bekommt eine Abschlussprovision, Inspektoren, Bezirks- und Filialdirektoren wollen ihren Anteil haben, die Verwaltung muss die Anträge prüfen und Versicherungsscheine verschicken. Dabei hat der Versicherte noch nicht einen Pfennig bezahlt. Die Versicherung verdient erst mit der Zeit an der Police. Die Folgeprovisionen während der Laufzeit des Vertrages sind nämlich gering, ebenso die Kosten für die Verwaltung der Verträge. Lediglich eventuelle Schadenkosten belasten die Bilanz. Im Grunde aber wird kalkulatorisch der Versicherungsvertrag für die Gesellschaft mit jedem Jahr Laufzeit profitabler. Die Kosten für den Abschluss zahlt der Versicherte mit seinen ersten Beiträgen. Ein Wechsel der Versicherung bringt noch einmal die gleichen Abschlusskosten. Und dafür zahlt letztlich wieder der Kunde. Einige Gesellschaften verstärken den Abschlussdruck auf die Vertreter, indem sie nur geringe Folgeprovisionen zahlen. Dadurch konzentrieren sich die Außendienstler auf das Neugeschäft, anstatt den schon eroberten Bestand zu pflegen. Das Ziel der Gesellschaft ist es, die Außendienstler zum permanenten Neugeschäft zu zwingen. Geld ist nur durch neue Kunden zu verdienen. Dieser Druck führt dazu, dass viele Vertreter die Bestandspflege vernachlässigen. Der Kunde hat den Vertreter dann nur beim Abschluss vor vielen Jahren einmal gesehen. In der Theorie bringen die Versicherungen neuen Mitarbeitern jedoch bei, dass ein guter Vertreter jeden seiner Kunden mindestens einmal jährlich besucht.
Die Entlohnung der Vermittler erfolgt nach der Devise: Die Kosten sollen aus dem Bestand gedeckt werden, der Verdienst soll durch Neuabschlüsse kommen. Rund 60 Prozent des Provisionsumsatzes einer Agentur werden als Kosten de-klariert, der Rest ist zu versteuern. Als Anfänger gilt jeder, der noch nicht die ersten zehn Jahre überstanden hat. Die Grundkosten einer Agentur liegen bei bis zu 40 000 € im Jahr. Ein übernommener Bestand von 300 000 € Prämie bedeutet aber nur 30 000 € Provisionsumsatz. Anfänger erhalten daher vom Versicherer in den ersten zwei bis fünf Jahren Zuschüsse. Die Fluktuation unter den Versicherungsvertretern ist groß, was zeigt, wie gering die Verbundenheit mit den Unternehmen ist. Auch das System geringer Folgeprovision verstärkt die Wechselneigung: Je geringer die Folgeprovisionen sind, umso leichter können die Versicherungsmitarbeiter von einer Versicherung zur anderen wechseln, wo sie zum Teil wieder hohe Einarbeitungskosten verursachen.
Vor ganz schwarzen Schafen unter ihren Vermittlern hat sich die Versicherungswirtschaft schon selbst geschützt: Bei der Auskunftsstelle für den Versicherungsaußendienst e. V. (AVAD) meldet jede Gesellschaft neu eingestellte Versicherungsvertreter und bekommt im Gegenzug Auskunft über die bisherige Beschäftigung des Mitarbeiters bei anderen Gesellschaften. Scheidet der Mitarbeiter aus, meldet die Versicherung dies mit den Gründen für das Ausscheiden. So können andere Gesellschaften unerwünschte Mitarbeiter leicht von ihrem Außendienst fernhalten.
Nebenberufliche und stille Vermittler: Helfershelfer der Vertreter
Der Abschluss einer Versicherung bei guten Bekannten ist gefährlich. Diese arbeiten dann meist als nebenberufliche Vermittler und dienen vor allem dazu, den hauptberuflichen Vertretern Kontakte und Entrees zu beschaffen. Versicherungen sind schließlich Vertrauenssache. Die nebenberuflichen Vertreter treten nach Feierabend oder auch schon am Arbeitsplatz in Aktion.
Was Sie schon immer über Vertreterprovisionen wissen wollten | |
Einmal-/Abschlussprovision | |
Lebensversicherung | 2,5 bis 4,5 Prozent der Versicherungssumme, meist 3,5 Prozent |
Unfall/Berufsunfähigkeit/ Privathaftpflicht | 20 bis 80 Prozent des ersten Jahresbeitrages |
Kraftfahrzeug | 8 bis 11 Prozent der Jahresprämie |
Hausrat | 20 bis 60 Prozent des Jahresbeitrages |
Private Krankenversicherung | 5 bis 8 Monatsbeiträge, in der Spitze auch 12 Monatsbeiträge |
Bestandspflegeprovisionen | |
Lebens-/Krankenversicherung | 1,5 bis 2 Prozent des Jahresbeitrags |
Unfall-/Sachversicherung | 10 Prozent des Jahresbeitrags |
Die zweitgrößte deutsche Autoversicherung, die HUK-Coburg, vermittelt beispielsweise den Großteil ihres Geschäftes über Vertrauensleute, meist Beamte, die andere Beamte werben. Zur Kundenwerbung werden oft auch sogenannte stille Vermittler benutzt: Diese nebenberuflichen Vermittler liefern meist nur eine Adresse, nur ab und zu stellen sie persönlich den Kontakt her. Der deutsche Hang zum Vereinsleben fördert diese Vermittlungsmethode. Auch ihren eigenen Verwandten, die sich als nebenberufliche Vermittler verdingen, helfen die Versicherten wenig, wenn sie bei ihnen eine falsche Versicherung abschließen. Für alle Beteiligten wäre es wesentlich besser gewesen, dem Verwandten einfach die paar hundert Mark Provision zu schenken, als jahrzehntelang viel zu viel Prämie an die Versicherung zu überweisen.