Beispiel: Alberto G. erholt sich von seinem Autounfall nie mehr ganz. Nach einem langen)Ahr mit vielen Wochen im Spital, mehreren Rehabilitationskuren und unzähligen Therapien rät ihm sein Hausarzt zur Anmeldung bei der IV. Die Beschwerden im Bereich der Brust- und Halswirbel und vor allem die Spannungsschmerzen im Kopf, die Schwindelanfälle, die Konzentrationsstörungen und die ständige Müdigkeit lassen eine Rückkehr in den früheren Monteurberuf nicht zu. Die IV spricht Alberto G. nun aber nicht einfach eine Rente zu. Zuerst wird abgeklärt, ob er mit einer Weiterbildung oder allenfalls mit Hilfsmitteln wieder ins Erwerbsleben eingegliedert werden kann. Erst wenn feststeht, dass dies nicht oder nur zum Teil möglich ist, wird eine Rente geprüft. Als Erstes erhält Herr G. daher einen Termin beim Berufsberater der IV.
Wie alle Versicherungen wird auch die IV (zumindest zu einem großen Teil) durch Prämienzahlungen finanziert. Im Rahmen der Sozialversicherungen nennt man die Prämien Beiträge, von der Sache her geht es jedoch um dasselbe: Eine große Zahl von Personen bezahlt regelmäßig kleine Beträge, um sich gegen den Eintritt eines großen Risikos finanziell abzusichern.
Abgesichert wird bei der IV die Gefahr, wegen eines Unfalls oder einer Krankheit die Arbeitskraft und damit das Einkommen zu verlieren und letztlich mittellos dazustehen. Anders als bei der Unfallversicherung sind bei der IV alle in der Schweiz Wohnenden obligatorisch versichert. Zudem deckt sie nicht nur Unfälle, sondern auch Erkrankungen ab.
Hinweis: In diesem Ratgeber geht es in erster Linie um die Leistungen der In-validen Versicherung nach einem Unfall. Mehr Informationen – auch zum Zusammenspiel mit der Pensionskasse – erhalten Sie im Beobachter-Ratgeber Invalidität – Alles über Renten, Rechte und Versichern engen (beobachter*ch/buch Shop).
Die IV ist in letzter Zeit ins Zentrum der öffentlichen Wahrnehmung gerückt. Reizworte wie Arbeitsscheu und Simulantentum auf der einen Seite, Aussonderung und Stigmatisierung auf der anderen prägen die Diskussion. IV-Rentner werden argwöhnisch beobachtet als faule Drückeberger, die bloß auf Kosten der Gesellschaft leben wollen. Dabei empfinden viele Betroffene die lV-Rente als persönliche Niederlage, als Stempel der eigenen Wertlosigkeit. Ich will auf keinen Fall IV, heißt es dann etwa. Um es gleich zu Anfang klarzustellen: Weder ist es einfach, zu einer IV-Rente zu kommen, noch ist die Rente – hat man denn einmal eine – so hoch, dass sie ein angenehmes Leben ermöglichen würde. Auch muss die IV-Rente als das gesehen werden, was sie ist: eine Versicherungsleistung, für die man Prämien bezahlt hat und die ausgerichtet wird, wenn das versicherte Risiko eintritt.
Versichert sind alle
Bei der IV sind wie bei der ADV alle versichert, die in der Schweiz wohnen oder arbeiten: Erwerbstätige und Nichterwerbstätige, Schweizer wie Ausländer, Kinder und Erwachsene. Wird beispielsweise eine Hausfrau invalid und kann ihren Haushalt nicht mehr bewältigen, bat sie Anspruch auf Leistungen der IV. Wichtig ist aber, dass die Beiträge bezahlt werden, sonst drohen Leistungskürzungen.
Für Erwerbstätige ist die Erfüllung der Beitragspflicht einfach: Der Arbeitgeber zahlt die AHV/IV- Beiträge seiner Angestellten direkt ein und zieht den Arbeitnehmeranteil in der Lohnabrechnung ab. Selbständig erwerbende erhalten, nachdem sie sich bei der Ausgleichskasse gemeldet haben, die Beitragsrechnung direkt von der AHV/IV. Nichterwerbstätige dagegen müssen sich selbst um ihre Beitragszahlung kümmern – mit einer Ausnahme: Verheiratete Nichterwerbstätige, deren Ehemann bzw. Ehefrau den doppelten Mindestbeitrag einzahlt, müssen selber keine AHV/IV-Beiträge abliefern. Das ist ab einem Jahreseinkommen von rund 8500 Franken der Fall.
Tipp: Wenn Sie planen, beruflich oder privat für längere Zeit ins Ausland zu gehen, sollten Sie beim Arbeitgeber oder bei der Ausgleichskasse abklären, ob die Versicherungsdeckung bei der AHV/IV weiterläuft. Informationen finden Sie auch im Internet auf der Homepage der AHV (ahv*ch).
Wie werden die IV-Beiträge berechnet?
Der Sozialversicherungsgedanke kommt bei der IV auch bei der Festsetzung der Beiträge deutlich zum Tragen: Jeder und jede bezahlt genau den gleichen Prozentsatz vom Hinkommen als Beitrag. Die Unterschiede sind beträchtlich: Auf einem tiefen Einkommen werden für AHV, IV und HO vielleicht 3000 Franken an Beiträgen abgeliefert, bei Topverdienern können das 100 000 Franken und mehr sein. Die Renten dagegen bewegen sich in einem engeren Rahmen: Die Minimalrente liegt bei 1105 Franken pro Monat, die maximal mögliche beim Doppelten, also bei 2210 Franken (Stand 2007).
Die Beiträge an die IV sind viel niedriger als diejenigen an die AHV; sie betragen 1,4 Prozent des Einkommens.
• Unselbständig erwerbende liefern 0,7 Prozent ihres Bruttolohns an die IV ab, gleich viel übernimmt der Arbeitgeber.
• Selbständig erwerbende bezahlen die ganzen 1,4 Prozent selber. Ihre Beiträge werden aber nicht auf dem Bruttoeinkommen berechnet, sondern auf dem Einkommen nach Abzug der Geschäftsunkosten.
• Die Beiträge der Nichterwerbstätigen werden aufgrund ihres Vermögens und eines allfälligen Renteneinkommens berechnet. Der Mindestbeitrag liegt aktuell bei 445 Franken pro Jahr (für AHV, IV und EO; Stand 2007).
Achtung Beitragslücken!
Die vollen Leistungen der IV hat nur zu gut, wer alle seine Beiträge eingezahlt hat. Für Erwerbstätige ist dies kein Problem. Die Nichterwerbstätigen aber müssen sich selbst um die Erfüllung ihrer Beitragspflicht kümmern. Es kommt immer wieder vor, dass eine frisch geschiedene Mutter, die wegen der Kinder nicht berufstätig sein kann, aus Unwissenheit oder Spargründen ihre Beiträge nicht einzahlt. Oder dass junge Leute nach dem Studium für eine Weile ins Ausland gehen, ohne sich um die Sozialversicherungsbeiträge zu kümmern. Das lohnt sich auf keinen Fall. Beitragslücken können gerade bei einer IV-Rente zu empfindlichen Leistungskürzungen führen.
Das individuelle Konto
Für jede versicherte Person führen die Ausgleichskassen ein sogenanntes individuelles Konto (IK), auf dem sämtlichen AHV/IV-Zahlungen gutgeschrieben werden. Sie haben jederzeit das Recht, einen Auszug aus Ihrem Konto zu verlangen. So können Sie kontrollieren, ob Beitragslücken bestehen und ob Ihr Arbeitgeber die Beiträge korrekt abgerechnet hat. Es kommt immer wieder vor, dass Arbeitgeber zwar die Sozialversicherungsbeiträge von den Löhnen abziehen, sie dann aber nicht an die Ausgleichskasse weiterleiten. Allerdings darf Ihnen aus dem Fehlverhalten des Arbeitgebers kein Schaden entstehen. Können Sie beispielsweise mit alten Lohnabrechnungen nachweisen, dass Ihnen die Beiträge abgezogen wurden, werden sie Ihnen nachträglich gutgeschrieben. Die ausstehenden Gelder treibt die Ausgleichskasse beim Arbeitgeber ein. Stellen Sie auf dem IK-Auszug eine Beitragslücke fest, können Sie die fehlenden Beiträge auf fünf Jahre zurück nachzahlen und sich so wieder die vollen Leistungen sichern. Lücken, die mehr als fünf Jahre zurückliegen, lassen sich nicht mehr ausgleichen.
Tipp: Bewahren Sie Ihre Lohnabrechnungen auf. Verlangen Sie alle fünf Jahre von Ihrer Ausgleichskasse einen Auszug und prüfen Sie, ob die Beiträge überwiesen wurden. Ist alles in Ordnung, können Sie die Lohnabrechnungen wegwerfen. Die Adressen der Ausgleichskassen finden Sie auf den letzten Seiten des Telefonbuchs oder unter ahv*ch. An welche Ausgleichskasse Sie sich wenden müssen, sehen Sie anhand der Nummer auf Ihrem AHV-Ausweis.
Was heißt überhaupt invalid?
Der zentrale Begriff in der IV ist die Invalidität. Die Definition im Invalidengesetz liest sich zunächst recht einfach. Wichtig an dieser Definition sind folgende Punkte:
• Nicht nur körperliche Beeinträchtigungen der Gesundheit, sondern auch eine psychische Erkrankung kann zur Invalidität führen.
• Von Invalidität spricht man erst, wenn sich die gesundheitliche Beeinträchtigung auf die Erwerbsfähigkeit auswirkt. Wer einen Arm verloren
Gesetzliche Definition der Invalidität
Eine Invalidität ist eine durch einen körperlichen oder geistigen Gesundheitsschaden als Folge von Geburtsgebrechen, Krankheit oder Unfall verursachte, voraussichtlich bleibende oder längere Zeit dauernde Erwerbsunfähigkeit.
hat, aber immer noch das gleiche Einkommen erzielt wie vor dem Unfall, ist nicht invalid.
• Die Einschränkung in der Erwerbsunfähigkeit muss zudem längere Zeit andauern. Die Grenze liegt bei zwölf Monaten. Wer mindestens ein Jahr lang (teil-)erwerbsunfähig war und dies auch in Zukunft voraussichtlich bleiben wird, ist für die IV invalid.
Beispiele: Der Starkoch Siegried W. wird heim Zwiebelhacken einen Moment lang vom Lehrling abgelenkt und schon ist passiert: Das große Messer saust nieder und schneidet die Kuppe des Mittelfingers der linken Hand ab. Siegried W. hat allerdings Glück im Unglück: Nach einer fachgerechten Verarzten auf der Notfallstation verheilt die Wunde sauber und er kann wieder an seine Arbeit zurückkehren. Obwohl er einen bleibenden körperlichen Schaden davonträgt, gilt er nicht als invalid.
Gravierender wirkt sich das gleiche Missgeschick bei der Stargeigerin Anna-Maria K. aus, die für einen befreundeten Dirigenten kocht. Obwohl dieser sie sofort in die Notfallaufnahme des nächsten Spitals fährt, kann die Fingerkuppe nicht mehr gerettet werden. Das bedeutet das Ende der Karriere von Frau K. Sie hat kein Erwerbseinkommen mehr, ist also invalid.
Die Umsetzung der Theorie in die Praxis ist nicht immer ganz einfach. Zwar ist allgemein anerkannt, dass sogenannte invaliditätsfremde Faktoren – wie Alter, Schulbildung, Persönlichkeit, Berufserfahrung eines Verunfallten – nicht berücksichtigt werden dürfen, wenn beurteilt wird, ob und wie weit er erwerbsunfähig ist. Trotzdem spielen solche Faktoren bei der Auswirkung eines Gesundheitsschadens auf die Erwerbsfähigkeit eines Menschen aus Fleisch und Blut immer auch eine Rolle. Das soziale Umfeld und die Grundkonstitution eines Verunfallten kann zum Beispiel gerade bei psychisch bedingten Beeinträchtigungen der Arbeitsfähigkeit einiges ausmachen. In der Praxis ist es oft schwierig, die Abgrenzung zwischen den invaliditätsrelevanten und invaliditätsfremden Anteilen der Erwerbsunfähigkeit vorzunehmen.
Beispiel: Nach einem Unfall kann Steffan T. seinen strengen Beruf als Bauarbeiter nicht mehr ausüben. Gemäß einem medizinischen Gutachten der IV ist er aber theoretisch noch in der Lage, ganztägig einer körperlich leichten Erwerbstätigkeit mit Wechselbelastungen nachzugehen, zum Beispiel bei Kontrollarbeiten oder Ähnlichem. Findet Herr T. nun wegen seiner schlechten Sprachkenntnisse und der mangelnden Bildung keine Arbeit, die diesem Profil entspricht, sind dies gemäß Gerichtspraxis invaliditätsfremde Gründe. Und das heißt für Steffan Keine Rente der IV. Solange aus medizinisch-theoretischer Sicht noch zumutbare Tätigkeitsbereiche bestehen, muss die IV keine Leistungen erbringen. Findet der oder die Betroffene dann keine entsprechende Stelle, ist die Arbeitslosenversicherung zuständig. Das Eidgenössische Versicherungsgericht hat allerdings eine Grenze gezogen: Es darf nicht einfach jede theoretisch denkbare Tätigkeit als zumutbar angerechnet werden. Wenn auf dem realen Arbeitsmarkt gar keine solchen Tätigkeiten vorhanden sind, ist die IV leistungspflichtig. Eine ganze Rente sprach das Gericht einem Hilfsarbeiter zu, der gemäß IV-Gutachten nur noch zu 40 Prozent, verteilt auf zwei Stunden am Morgen und Nachmittag, und nur in sitzender Stellung einsetzbar gewesen wäre. Es sei unrealistisch, mit solchen Einschränkungen eine Anstellung zu finden.