Berufsunfähigkeit im Sinne der privaten BU-Versicherung liegt nach § 2 der Bedingungen vor, wenn der Versicherte infolge Krankheit, Körperverletzung oder Kräfteverfalls voraussichtlich dauernd außerstande ist, seinen Beruf oder eine andere Tätigkeit auszuüben, die aufgrund seiner Ausbildung und Erfahrung ausgeübt werden kann und seiner bisherigen Lebensstellung entspricht. Teilweise Berufsunfähigkeit liegt vor, wenn die genannten Voraussetzungen nur in einem bestimmten Grad voraussichtlich dauernd erfüllt sind. Der Versicherte kann also auf einen angemessenen anderen Beruf verwiesen werden, soweit sich dabei seine soziale Stellung und Einkommenssituation nicht spürbar verschlechtert. Gerichte haben entschieden, dass eine solche Verweisung zulässig ist, wenn eine andere Tätigkeit keine deutlich geringeren Kenntnisse und Fähigkeiten erfordert als die bisher ausgeübte Berufstätigkeit.
Ein anfänglicher Einkommensverlust von bis zu 30 Prozent soll dabei zumutbar sein. Die BU-Rente würde aber während einer Umschulung gezahlt werden. Um die Verweisung gab es in letzter Zeit eine etwas übertriebene Aufregung. Medien und manche Verbraucherschützer haben den Verbrauchern geraten, nur Verträge abzuschließen, wenn der Versicherer auf die abstrakte Verweisung verzichtet. Unter abstrakt ist zu verstehen, dass der Versicherer schon dann keine Zahlung leisten muss, wenn der Versicherte – theoretisch – in einem anderen Beruf arbeiten kann, ohne zu prüfen, ob er eine solche Tätigkeit – praktisch – ausüben kann.
Ein Beispiel: Ein 50-jähriger Handwerker wird berufsunfähig und auf die theoretische Möglichkeit einer Tätigkeit als Fachberater in einem Baumarkt verwiesen. Wegen seines Alters und der Arbeitsmarktlage erhält er aber keinen Job. Ohne Verzicht auf die abstrakte Verweisung könnte der Versicherer die Berufsunfähigkeitsrente verweigern. Hat er aber auf die Klausel verzichtet, muss er eine andere gleichwertige Beschäftigungsmöglichkeit konkret nachweisen. Das Versicherungsunternehmen, das eine konkrete Verweisungsklausel vereinbart, ist also nur dann von der Leistungspflicht befreit, wenn der Versicherte auch wirklich einen Job, der seiner Lebensstellung, Erfahrung und Ausbildung entspricht, finden kann.
Die Versicherer bieten einen Verzicht auf die abstrakte Verweisung den Angehörigen bestimmter Berufsgruppen an, die ohnehin nicht auf eine andere Tätigkeit verwiesen werden können – wie Heilberufe, Rechts- und Steuerberater, Beamte, Flugpersonal, Schiffsoffiziere usw. Bei anderen Berufsgruppen, deren Angehörige im Falle einer Berufsunfähigkeit ohne große Probleme andere Tätigkeiten ausüben können (wie Arbeiter, Handwerker), wird ein Versicherer kaum auf die Verweisungsklausel verzichten, allerdings bieten hier jetzt fast alle Versicherer gemischte Verweisungsklauseln an, die z. B. das Alter des Versicherten berücksichtigen, das dieser beim Eintritt der Berufsunfähigkeit erreicht hat.
Danach könnte der Versicherer beispielsweise bei einer Berufsunfähigkeit im Alter vor 50 oder 55 Jahren durch eine abstrakte Verweisung von der Leistung befreit sein, ab einem Alter von 50 oder 55 Jahren aber nur bei einer konkreten Verweisung. Verweisungen können auch ausgeschlossen sein bei Berufen mit Hochschulabschluss oder bei einem hohem Einkommen des Versicherten, das durch eine Verweisungstätigkeit nicht annähernd er-reicht werden kann usw. Hier stellt sich die Frage nach dem Sinn einer Berufsunfähigkeitsversicherung. Ein junger Bäcker mit einer Mehlallergie kann sich ohne große Probleme umschulen lassen. Er wird sich bestimmt nicht bis zum 60. Lebensjahr aufs Sofa legen und nichts tun wollen, um die private Berufsunfähigkeitsrente kassieren zu können.
Diese würde ihm – zusammen mit der gesetzlichen Rente – sicher kein schönes Leben ermöglichen. Die Versicherer achten nämlich auch darauf, dass eine private BU-Rente nicht unangemessen hoch vereinbart wird. Das heißt: Der Bäcker wird sich selbst eine neue Tätigkeit suchen bzw. suchen müssen, um seinen früheren Lebensstandard zurückzugewinnen. Dann ist er aber verpflichtet, die Wiederaufnahme einer beruflichen Tätigkeit anzuzeigen. Außerdem ist der Versicherer nach den Versicherungsbedingungen bis zum Ende seiner Rentenzahlungsverpflichtung berechtigt, die Berufsunfähigkeit nachzuprüfen.
Dabei wird auch untersucht, ob der Versicherte möglicherweise einer anderen (als der versicherten) Tätigkeit nachgeht, wobei auch Tätigkeiten berücksichtigt werden, die der Versicherte aufgrund neu erworbener Kenntnisse und Fähigkeiten ausübt. Für den Bäcker mit seiner Mehlallergie bedeutet das, dass er beispielsweise seine Umschulung zum Computerfachmann anzeigen muss, da sein Versicherer spätestens bei einer Nachprüfung von seiner neuen Berufstätigkeit erfährt und er keine Rente mehr erhält. Wer jetzt sagt Wofür bin ich denn versichert, der hat den Sinn von Versicherung nicht begriffen und insbesondere nicht den Sinn der Berufsunfähigkeitsversicherung und ihrer Verweisungsklausel. Der Bäcker, der nach seiner durch BU-Renten finanzierten Umschulung als Computerfachmann möglicherweise mehr verdient als vorher, wird den Sinn einer BU-Versicherung aber sicher richtig verstanden haben.
Trotzdem sollte jeder vor Abschluss einer Berufsunfähigkeitsversicherung prüfen, wie leicht bei seiner jetzigen Tätigkeit eine Verweisung auf eine andere Berufstätigkeit möglich ist. Und er sollte versuchen, einen Verzicht auf die abstrakte Verweisung zu erreichen (wenigstens ab einem bestimmten Alter oder während der Umschulungsmaßnahmen, was vereinbart werden kann). Denn wenn die Verweisung möglich ist, der Versicherte aber keinen Arbeitsplatz im Verweisungsberuf findet, trägt er das Arbeitsplatzrisiko. Ein Hilfsarbeiter ohne jegliche Ausbildung kann leicht auf viele andere Tätigkeiten verwiesen werden, ein Universitätsprofessor für Gentechnologie wohl kaum. Für einen Hilfsarbeiter ohne Ausbildung ist also eine Unfallversicherung mit Progression sehr wichtig, weil bei Körperschäden meistens auch keine Verwendung in anderen Berufen möglich ist.
Das gilt in gleicher Weise für viele wenig spezialisierte Handwerksberufe (wie etwa in unserem Beispiel für den Bäcker). Dagegen kann ein Universitätsprofessor mit schweren Körperschäden oft noch Weiterarbeiten. Angehörige bestimmter Berufs-gruppen erhalten in der Regel keine oder jedenfalls nicht bei jedem Versicherer eine Berufsunfähigkeitsversicherung, weil sie schon bei leichten Körperschäden berufsunfähig werden (bei einem Musiker ein versteifter Finger) oder weil die Berufsgruppe besonders gefährdet ist. Das gilt für die Bereiche Kunst, Publizistik, Musik, Fernsehen, Rundfunk, Berufssportler und sehr gefährliche Berufe.
Ein Zuschlag von bis zu 100 Prozent wird in der Regel verlangt für die Bereiche Handwerk, Bau, Bergbau, Chemie, Eisen, Stahl, Metall, Kfz, Holz, Elektro, Spedition, Gas, Landwirtschaft, Reinigungsunternehmen, Krankenhaus, Masseure, Schifffahrt, Fischerei, Feuerwehr, Bundeswehr, Grenzschutz, Polizei, Zoll, Dolmetscher, Schornsteinfeger, Flugpersonal. . . Der Versicherte erhält vom Zeitpunkt der Geltendmachung bzw. der Feststellung der Berufsunfähigkeit die vereinbarte Rente, bis er wieder – möglicherweise in einem vergleichbaren Beruf – arbeitsfähig ist oder bis die Versicherung abläuft – also nicht lebenslang.