Wenn Sie sich sicher sind, dass die Voraussetzungen für Pflegestufe 1 vorliegen (möglichst nach genauer Dokumentation), und Sie bei der Pflegeversicherung Pflegeleistungen beantragt haben, wird diese den Medizinischen Dienst (MD) beauftragen, die Pflegebedürftigkeit zu prüfen. Bei diesen Begutachtungen kommt es immer wieder zu Problemen. Denn sie erfolgen nach engen, einheitlichen Maßgaben und oft unter Zeitdruck. Die Begutachtung ist oft nicht viel mehr als eine Momentaufnahme, bei der der MD-Mitarbeiter leicht ein falsches Bild von der tatsächlichen Situation eines Pflegebedürftigen erhalten kann.
Wie groß ist der Hilfsbedarf?
Der zeitliche Hilfsbedarf, den eine nicht als Pflegefachkraft ausgebildete Person (Angehöriger, Nachbar) für die Pflege des Pflegebedürftigen benötigt, ist die entscheidende Grundlage für die Einstufung in eine Pflege-stufe.
In Pflegestufe I werden mindestens 90 Minuten Pflegezeit zu erbringen sein, davon mehr als die Hälfte, also mehr als 45 Minuten, für die Grundpflege, in Pflegestufe II sind es drei Stunden (davon zwei Stunden Grundpflege). In Pflegestufe III müssen fünf Stunden (davon vier Stunden Grundpflege) Pflegeleistungen nötig sein, und es muss zusätzlich eine Rund- um-die-Uhr-Pflege erforderlich sein. Das bedeutet, dass in der Mehrzahl der Nächte mindestens einmal zwischen 22 und 6 Uhr handgreiflicher Hilfsbedarf bei oben genannten Verrichtungen regelmäßig erforderlich sein muss, in der Regel Hilfe beim Wasserlassen, Windelwechsel oder beim Umlagern bei der Gefahr des Durchliegens. Nutzen Sie Pflegetagebücher der Kassen, um die Pflegetätigkeiten zu dokumentieren. Einen Mustertagesablauf haben wir am Ende des Artikels für Sie vorbereitet.
Achtung!
Nicht zu den im Gesetz genannten Verrichtungen gehören alle medizinischen Pflegeleistungen wie Verbände, Spritzen, Inhalationen, Medikamentenverabreichung und vieles andere mehr.
Tipps für die Begutachtung
Um Probleme oder Missverständnisse bei der Begutachtung zu vermeiden, ist es wichtig, dass Sie sich auf den Besuch des Gutachters gründlich vorbereiten, denn von seiner Einschätzung hängt es maßgeblich ab, ob und in welcher Höhe die Pflegekasse Leistungen gewährt. Wie Sie sich darauf vorbereiten können und worauf Sie achten sollten, zeigen folgende Tipps.
Gute Vorbereitung Der Pflegebedürftige und auch seine Pflegepersonen, sollten sich auf den Besuch des Medizinischen Dienstes vorbereiten und sich Stichpunkte machen, was zur Sprache kommen soll. Es ist sinnvoll, über einen Zeitraum von mindestens 14 Tagen alle Pflegetätigkeiten und die dafür benötigten Zeiten festzuhalten. Pflegetagebücher, wie sie von einigen Kassen angeboten werden, erleichtern diese Arbeit (siehe auch weiter unten in dem entsprechenden Artikel). Auch das Kuratorium Deutsche Altershilfe gibt ein Pflegetagebuch heraus, das bei der korrekten zeitlichen Ermittlung des täglichen pflegerischen und hauswirtschaftlichen Bedarfes wesentlich hilft und zudem viele wichtige Informationen zur Pflegeversicherung enthält.
Unterlagen bereithalten Wenn der MD prüft, sollten Sie alle relevanten Unterlagen, Befunde und Berichte von Ärzten und benötigte Medikamente vorliegen haben. Fordern Sie diese notfalls bei Ihrem Hausarzt an. Bei Menschen, die bereits durch einen Pflegedienst gepflegt werden, sollte immer die Pflegedokumentation des Pflegedienstes sowie Bescheinigungen anderer Sozialleistungsträger bei der Begutachtung bereitliegen.
Präsenz zeigen Es macht immer einen besseren Eindruck, wenn bei der Begutachtung der Pflegebedürftige nicht unbedingt alleine in der Wohnung ist. Dieses allein lässt den Verdacht aufkommen, dass der Pflegebedarf nicht besonders hoch sein kann.
Anwesenheit der Pflegepersonen Es ist wichtig, dass die Pflegepersonen, ob nun Angehörige oder professionelle Pfleger, anwesend sind, damit auch ihre Erfahrungen berücksichtigt werden können. Wird der Pflegebedürftige bereits durch einen ambulanten Dienst betreut, sollte möglichst auch ein Mitarbeiter dieses Dienstes bei der Begutachtung dabei sein.
Wahrheitsgemäße Antworten Pflegebedürftige und ihre Angehörigen müssen wissen, dass bei der Begutachtung auch sehr intime Dinge, zum Beispiel zur Körperpflege, abgefragt werden. Vielen Betroffenen ist es peinlich, einem fremden Menschen darüber Auskunft zu geben. Oft kommt es vor, dass sie ihre Situation besser darstellen, als sie wirklich ist (So schlecht geht es mir gar nicht). Es ist deshalb sehr wichtig, die Fragen des Gutachters wahrheitsgemäß zu beantworten. Sonst besteht die Gefahr, dass Pflegebedürftige sich um Leistungen bringen, die ihnen laut Gesetz zustehen. Die Pflegebedürftigen sollten sich weder zu fit noch zu schlapp präsentieren. Viele wollen rüstiger erscheinen, als sie sind, und mindern dadurch ihre Ansprüche.
Verwirrte Pflegebedürftige Bei verwirrten Pflegebedürftigen können korrekte Angaben zum Hilfebedarf eigentlich nur von der Pflegeperson kommen. Oft fällt es der Pflegeperson aber schwer, in Gegenwart des Pflegebedürftigen dazu offen Auskunft zu geben. Deshalb ist es wichtig zu wissen, dass der Gutachter die Pflegeperson auch alleine anhören muss. Wenn dazu zu Hause keine Möglichkeit besteht, kann ein zusätzliches Gespräch, beispielsweise in der MD-Geschäftsstelle, vereinbart werden.
Sprechen Sie den Mitarbeiter des MD selbst aktiv an, wenn Sie merken, dass der Gutachter nicht nach allen relevanten Pflegetätigkeiten fragt. Der Gutachter muss zum Beispiel auch feststellen, ob und in welchem Umfang Maßnahmen zur Beseitigung, Minderung oder Verhütung einer Verschlimmerung der Pflegebedürftigkeit einschließlich der medizinischen Rehabilitation geeignet, notwendig und zumutbar sind. Ansprüche auf Leistungen zur ambulanten medizinischen Rehabilitation müssen Sie dann gegenüber der Krankenkasse (nicht Pflegekasse) geltend machen. Sollte der Gutachter bei der zeitlichen Einschätzung des Hilfebedarfes von der des pflegenden Angehörigen oder Pflegebedürftigen abweichen, ist er verpflichtet, die Gründe dafür zu nennen.
123Versicherung Ratgeber Tipp
Wer übrigens weniger als 90 Minuten täglichen Pflegeaufwand hat, also nicht mehr in die Pflegestufel, sondern darunter in die Pflegestufe 0 eingeordnet wird, bekommt zwar kein Geld von der Pflegekasse, hat aber Anspruch auf Zuschüsse vom Sozialamt. Erkundigen Sie sich dort, denn die Unterstützung wird von den Städten und Gemeinden unterschiedlich geregelt.
Missverständnisse bei der Begutachtung
Bei der Begutachtung gibt es häufig Missverständnisse, vor allem über anrechnungsfähige Zeiten. Anrechnungsfähig sind nur Pflegezeiten für Verrichtungen, die der Antragsteller selbst nicht durchführen kann, entweder wegen fehlender Fähigkeit oder auch wegen fehlender Einsicht. Aufsicht wegen einer möglichen Gefährdung, zum Beispiel bei Epileptikern oder bei Angst vor Stürzen, sieht das Gesetz nicht vor. Beim Waschen ist die Haarpflege nicht erwähnt und darf deshalb in der Zeitermittlung für die Pflege nicht erfasst werden.
Bei der mundgerechten Zubereitung der Nahrung zählt nur der Hilfsbedarf, der für das Zerkleinern oder Portionieren der Mahlzeit erforderlich ist. Beispielsweise ist beim Mittagessen in einem Restaurant die Zeit zu stoppen, die für das Zerkleinern des Fleisches und ggf. der Kartoffeln benötigt wird. Sie dürfte nie über drei Minuten liegen.
Für das Verlassen der Wohnung darf nur der Zeitbedarf berücksichtigt werden, der aus lebenswichtigen Gründen, zum Beispiel Arztbesuche oder Aufsuchen von Therapieeinrichtungen, aber auch Behördengänge, erforderlich ist. Sinnvolle und notwendige Begleitungen zu Spaziergängen oder Ausfahrten mit einem Rollstuhl fallen nicht unter den im Gesetz erwähnten Hilfs bedarf.
Ergebnis der Prüfung
Der MD hat anschließend der Pflegekasse das Ergebnis seiner Prüfung mitzuteilen und empfiehlt dabei eine ganze Reihe von Dingen – zum Beispiel Maßnahmen zur Rehabilitation oder die Art und den Umfang der Pflegeleistungen. Dazu gehört auch ein individueller Pflegeplan, der Auskunft gibt über verschiedene Details, die im Bereich der Grundpflege bewilligt werden.
Außerdem informiert er über die für die hauswirtschaftliche Versorgung erforderlichen Hilfen. Dazu gehören auch die notwendigen Hilfsmittel und die nötigen technischen Hilfen.
Nun muss die Prognose über die weitere Entwicklung der Pflegebedürftigkeit gestellt und die Notwendigkeit von Wiederholungsuntersuchungen angemerkt werden. Über diese Entscheidung der Pflegekasse gibt es oft Auseinandersetzungen vor Gericht mit einer ganzen Reihe von Grundsatzentscheidungen (siehe dazu auch das Artikel Pflegebedürftig – was tun, wenn die Versicherung nicht zahlt).
123Versicherung Ratgeber Tipp
Für den Fall, dass Sie mit der Begutachtung nicht einverstanden sind, sollten Sie von der Pflegekasse das Gutachten anfordern. Hierzu hat allerdings nur der Versicherte oder dessen Beauftragter das Recht. Sprechen Sie dann das Gutachten mit Ihrem Arzt durch. Sollten Sie zu dem Ergebnis kommen, dass die Einstufung falsch ist, muss Widerspruch bei der Pflegekasse erfolgen, möglichst mit plausibler Begründung. In der Regel erfolgt dann eine Zweitbegutachtung (siehe nächstes Artikel).