Die Ursache für alle Lebensversicherungsprobleme – wie auch für viele andere Probleme im Versicherungswesen – liegt in der Vermengung des Versichertengeldes, das für Versicherungsfälle und zum Sparen hingegeben wird, mit dem Entgelt für die Dienstleistungen der Gesellschaften, also mit dem Unternehmensgeld für Kosten und Gewinne. Nach dieser Vermengung weiß keiner mehr, wem welches Geld gehört. Diese Vermengung von Geld aus verschiedenen Portemonnaies war für die Unternehmen sehr vorteilhaft und hat es ihnen überhaupt erst ermöglicht, weitgehend beliebig über gewaltige Vermögensmassen und deren Erträge zu verfügen. So der Frankfurter Wirtschaftsprofessor Krycha:
Die bisher geübte Praxis, eine ungeteilte Prämie zu erheben, hat zu einer falschen Struktur des deutschen Versicherungswesens geführt, die dringend korrigiert werden muss. Diese Struktur hat nur den Versicherungsunternehmen Vorteile gebracht; für die Versicherten ist sie dagegen mit Nachteilen verbunden: Sie hat eine eindeutige vermögensrechtliche Zuordnung der Versichertengelder unmöglich gemacht, einen marktgerechten Wettbewerb der Versicherungs- Dienstleistungsbetriebe verhindert, Gewinn- und Kostenverschiebungen zu Lasten der Versicherten begünstigt und damit eine Abwälzung des unternehmerischen Risikos aus dem Dienstleistungsbetrieb auf die Versicherten verursacht, hohe Gewinne für die Versicherungsunternehmen und niedrige Rückerstattungen an die Versicherten entstehen lassen, um nur einige Mängel des für die Versicherungsunternehmen günstigen Systems der ungeteilten Prämie aufzuzeigen.
Wenn Professor Krycha von der ungeteilten Prämie als Ursache für die Missstände spricht, dann meint er das Gleiche wie der amerikanische Versicherungsaufsichtsbeamte Elizur Wright, der schon vor mehr als 100 Jahren kritisierte, dass in der Lebensversicherung Dinge miteinander vermengt sind, die getrennt werden sollten, weil sonst die Möglichkeit des Schwindels zu groß sei. Das Problem ist also uralt und die Ursache für alle Missstände im Bereich der Kapitalversicherungen liegt 100 Jahre zurück (siehe die einleitenden Artikel). Lebensversicherungsunternehmen sind Kapitalanlagegesellschaften, wie z. B. Aktien-, Renten- oder Immobilienfonds. Diese Fonds müssen aber nach einem speziellen Gesetz über Kapitalanlagegesellschaften (KAGG) die Kundengelder – vom eigenen Vermögen abgetrennt – treuhänderisch verwalten (wofür sie vom Anleger eine Gebühr erhalten).
Sie dürfen keine Abschreibungen auf die Kapitalanlagen aus den Kundengeldern vornehmen, sondern müssen in Abrechnungen gegenüber den Anlegern Wertpapiere mit dem jeweiligen Tageskurswert ansetzen und Grundstücke mit dem aktuellen Zeitwert, der jährlich durch Gutachter festzusetzen ist (ähnlich machen es britische Lebensversicherungsunternehmen). Ein Missbrauch des angelegten Geldes und seiner Erträge (z.B. durch Ausgleich von Kostenverschwendungen) und Vermögensdezimierungen (etwa durch Abschreibungen) oder das Verschwindenlassen von Vermögen (beispielsweise innerhalb des Konzerns) sind bei Kapitalanlagegesellschaften per Gesetz ausgeschlossen. Eine nachvollziehbare Information und Beratung der Anleger ist gesetzlich vorgeschrieben. Es ist außerdem verboten, Kunden Geldanlagen anzubieten, die nicht ihren Interessen entsprechen. – Warum das nicht alles auch bei Lebensversicherungsunternehmen?
Viele werden sich fragen, warum es die Lebensversicherung in der herkömmlichen Form des legalen Betruges überhaupt noch gibt, warum Gesetzgeber, Aufsichtsbehörden und Gerichte nicht eingegriffen haben und warum diese Versicherung vom Staat – durch das Steuerprivileg – weiterhin subventioniert wird. Denn falsche Kapitalversicherungen haben den Bundesbürgern nicht nur Verluste von Hunderten von Milliarden Mark zugefügt, sondern wegen des unzureichenden Versicherungsschutzes bereits Hunderttausende von Familien ins finanzielle Elend gestürzt (was den Staat jährlich etliche Milliarden Euro an Sozialleistungen kostet).
Die Branche wird natürlich eine Versicherungsform, die ihr eine weitgehende Verfügungsmacht über ein Vermögen von etwa 600 Milliarden Euro verschafft hat, nicht aufgeben, solange der Gesetzgeber nicht eingreift und solange die Verbraucher so uninformiert gehalten werden können, dass sie weiterhin Kapitalversicherungen mit dem völlig undurchsichtigen Sparvorgang abschließen, vom legalen Betrug und der legalen Veruntreuung ihrer Gelder also gar nichts ahnen. Als die SPD noch in der Opposition war, hat sie im Jahre 1997 einen Gesetzentwurf in den Bundestag eingebracht, der zu einer Aufteilung der Lebensversicherungsprämie in seine drei Bestandteile (Risikobeitrag, Sparanteil und Dienstleistungsentgelt) geführt hätte. Versichertengelder (Risiko- und Sparanteile), deren Überschüsse und Erträge wären als Sondervermögen dem Zugriff der Gesellschaften entzogen gewesen.
Die damaligen Regierungsparteien lehnten den Gesetzentwurf ab, wobei sich aber in den Debatten zeigte, dass ihre Abgeordneten gar nicht wussten, worüber sie redeten und abgestimmt haben. Fortschrittliche Vorstände der HUK-Coburg (Rolf Peter Hoenen), der neue leben (Peter Hanus) und der Mannheimer mamax haben eingeräumt und teilweise sogar in der Praxis bewiesen, dass eine Aufteilung der Lebensversicherungsprämie möglich ist. Nachdem die SPD im Jahre 1998 an die Regierung gekommen ist, hat sie eine grundlegende Reform gerade im Bereich der Kapital bildenden Lebensversicherungen versprochen (siehe die Äußerungen von Kanzler Schröder und Justizministerin Däubler-Gmelin). Ob daraus was wird?