Die vorstehenden Grundzüge des Versicherungsvertragsrechts gelten, sofern nicht bereits auf eigene Merkmale der Schaden- und Unfallversicherung eingegangen wurde, für alle Sparten. Es gibt sachgerechte Unterscheidungen, die einzelne Versicherungszweige betreffen. In den folgenden Unterabschnitten werden wichtige Besonderheiten der Haftpflichtversicherung, der Lebensversicherung, der Berufsunfähigkeitsversicherung, der Unfallversicherung und der privaten Krankenversicherung im Überblick dargestellt.
Haftpflichtversicherung
Nach den Allgemeinen Haftpflicht-Versicherungsbedingungen (AHB) besteht der Versicherungsschutz in der Haftpflichtversicherung üblicherweise darin, den Versicherungsnehmer von Ansprüchen freizustellen, die ein Dritter gegen ihn aufgrund einer Tatsache geltend machen kann, für die der Versicherungsnehmer die Verantwortung trägt. Diese Definition wird fortan in § 100 VVG übernommen. Die bisherige Regelung sieht statt dieser umfassenden Freistellung vor, dass dem Versicherungsnehmer aus seiner Haftpflicht erwachsene Leistungen an den Dritten zu ersetzen sind (§ 149 VVG-alt).
Das Gesetz definiert den Haftpflichtversicherungsfall nicht, der unterschiedlichste Ausprägungen erfahren kann (zum Beispiel Schadenereignisse. Rechtsverstöße oder Planungsfehler). Dies ist daher in der Regel die Aufgabe der Besonderen Versicherungsbedingungen (BVB) für spezielle Formen des Haftpflichtschutzes. Der Eintritt eines möglichen Haftpflichtfalles ist dem Versicherungsunternehmen innerhalb einer Frist von einer Woche anzuzeigen, ebenso der Haftpflichtanspruch, den ein Dritter angemeldet hat (§ 104 VVG). Entscheidend hierfür ist, wann der Versicherungsnehmer erfährt, dass er mit dem Haftpflichtanspruch eines anderen rechnen muss.
Versichert ist auch der Haftpflicht-Rechtsschutz, das sind Kosten, die durch Gerichtsverfahren zur Abwehr unberechtigter Ansprüche entstehen. Dies gilt auch dann, wenn diese Kosten zusammen mit den eigentlichen Leistungen für den Haftpflicht-Versicherungsfall die Versicherungssumme übersteigen (§ 101 VVG).
Die Herbeiführung des Versicherungsfalles führt – abweichend von der allgemeinen Regelung in §81 VVG – nur bei vorsätzlicher und widerrechtlicher Handlung zur Leistungsfreiheit des Versicherers. Der Vorsatz muss sich sowohl auf die Handlung an sich, als auch auf den daraus resultierenden Schaden beziehen. Trat der Schaden selbst ungewollt oder für den Versicherungsnehmer unvorhergesehen ein, bleibt der Versicherer demnach zur Leistung verpflichtet (§ 103 VVG). Im Rahmen der Industrieversicherung ist eine verschärfende Vereinbarung üblich, bei der die Kenntnis von Mängeln oder Schadhaftigkeit von Waren wie Vorsatz behandelt werden kann.
Eine Abschwächung erfuhr in der VVG-Novelle die bisherige Anerkenntnisregelung des § 154(2) VVG-alt, nach der bei Anerkennung oder Befriedigung eines gegen ihn gerichteten Anspruchs durch den Versicherungsnehmer der Versicherer zumeist von der Leistungspflicht frei wurde. Entsprechende Vereinbarungen sind nach § 105 VVG generell unwirksam. Nach der alten Bestimmung hätte nämlich der Versicherungsnehmer auch dann keine Entschädigung erhalten, wenn die gegen ihn vorgebrachten Ansprüche zu Recht bestanden und der Versicherer ohne die Anerkennung hätte leisten müssen. Die Erstattung von Zusagen oder Leistungen des Versicherungsnehmers, die einen berechtigten Anspruch übersteigen, kann auch im Rahmen des § 100 VVG verweigert werden, denn dieser begrenzt ja die Leistungspflicht des Versicherers ausdrücklich auf begründete Ansprüche.
Beispiel:
Ein Haftpflichtschaden von 100.000 € wird vom Anspruchsberechtigten zunächst auf120.000 € taxiert und der Versicherungsnehmer leistet diesen Betrag auch, den er anschließend von seinem Versicherer zurückfordert. Der Anspruch für den Haftpflicht schaden besteht zu Recht, sodass der Versicherer nach neuem Recht die 100.000 € an den Versicherungsnehmer erstatten muss; die restlichen 20.000 € hat dieser hingegen selbst zu tragen. Nach altem Recht hätte der Versicherungsnehmer von seinem Versicherer überhaupt keine Entschädigungsleistung zu erwarten gehabt.
Durch § 108(2) VVG wird die Möglichkeit geschaffen, dass ein Versicherungsnehmer seine Ansprüche an einen geschädigten Dritten abtritt, der sich dann direkt an den Versicherer halten kann. Diese Möglichkeit kann nicht durch AVB, sondern nur durch eine individuelle Vereinbarung ausgeschlossen werden. Sie erleichtert dem Geschädigten die Wahrung seiner Ansprüche, da er sich nun auch im Falle pflichtwidrigen Verhaltens durch den Versicherungsnehmer – wenn dieser zum Beispiel den Versicherungsfall seinem Versicherungsunternehmen nicht angezeigt hat – oder bei dessen Insolvenz an den Versicherer halten kann.
Wenn der Versicherer nach dem Eintritt eines Versicherungsfalles den Anspruch des Versicherungsnehmers anerkannt oder zu Unrecht abgelehnt hat, besteht innerhalb eines Monats ein beiderseitiges Kündigungsrecht (§111 VVG). Die Berechtigung des Anspruchs wird verlangt, weil der Versicherungsnehmer sonst jederzeit die Kündigung des Vertrages durchsetzen könnte, indem er einfach eine unberechtigte Entschädigungsförderung stellt. Fällige Leistungen muss der Versicherer innerhalb von zwei Wochen erbringen (§ 106 VVG).
In der Pflichtversicherung, wenn also der Abschluss einer Versicherung zur Abdeckung einer bestehenden Haftpflicht per Gesetz vorgeschrieben ist, gelten weitere Sonderregelungen zugunsten des Versicherungsnehmers. Wichtigstes Anwendungsbeispiel ist die Kraftfahrzeughaftpflichtversicherung. Weitere Versicherungspflichten bestehen unter anderem für Jäger, Notare, Rechtsanwälte, Steuerberater, Wirtschaftsprüfer und seit der Umsetzung der EU- Vermittlerrichtlinie auch für selbstständige Versicherungsvermittler.
Für Fälle, in denen die Vorschrift, aus der sich die Versicherungspflicht ableitet, keine Regelung enthält, wird eine Mindestversicherungssumme von 250.000 € je Versicherungsfall und von 1 Mio. € für alle Versicherungsfälle eines Versicherungsjahres festgesetzt (§ 114(1) VVG).
Es können Selbstbehalte und Begrenzungen der Deckung vereinbart werden (§ 114 (2) VVG), diese dürfen den Versicherungszweck jedoch nicht gefährden. Selbstbehalte betreffen nur das Verhältnis von Versicherungsunternehmen und Versicherungsnehmer; sie dürfen auf die Leistungen an einen Dritten nicht angerechnet werden. Der bisher schon in der Kraftfahrzeughaftpflichtversicherung bestehende Direktanspruch gegen den Versicherer wurde auf alle Fälle ausgedehnt, in denen
• nach dem Pflichtversicherungsgesetz (PflVG) eine gesetzliche Versicherungspflicht gilt,
• der Versicherungsnehmer insolvent geworden ist,
• der Aufenthalt des Versicherungsnehmers nicht bekannt ist.
So kann ein geschädigter Dritter seine Ansprüche unter Umgehung des Versicherungsnehmers direkt an den Versicherer richten (§115 VVG).
Die Freistellung des Versicherungsnehmers durch das Versicherungsunternehmen und die Möglichkeit, Haftpflichtansprüche direkt an den Versicherer zu richten, verpflichten diesen in weitreichendem Maße zu Leistungen gegenüber Dritten auch dann, wenn der Versicherungsnehmer – etwa nach einer Obliegenheitsverletzung – seinerseits keine oder nur reduzierte Leistung zu erwarten hat (§ 117 VVG). Auch der geschädigte Dritte hat allerdings Obliegenheiten bei der Anmeldung seiner Ansprüche zu erfüllen, die in § 158d VVG-alt bzw. § 119 VVG festgelegt sind.