Dem Entwurfe liegt die Auffassung zugrunde, dass das öffentliche Interesse an einer gedeihlichen und soliden Entwicklung des Versicherungswesens in besonders hohem Grade beteiligt ist und dem Staate die Pflicht besonderer Fürsorge auf diesem Gebiet auferlegt. (Aus der amtlichen Begründung des Entwurfs eines deutschen Versicherungsaufsichtsgesetzes, das dann 1901 verkündet wurde)
Für die Abgeordneten des Reichstages, die 1901 das Reichsgesetz über die privaten Versicherungsunternehmungen erließen, gab es gar keine Diskussion darüber, ob staatliche Aufsicht notwendig und sinnvoll sei. Das Versicherungsaufsichtsgesetz von 1901 brachte noch im gleichen Jahr die einheitliche Rechtsregelung für ganz Deutschland. Die EU-Kommissare sahen das anders. Mitte 1994 hat mit der Liberalisierung des europäischen Versicherungsmarktes eine Revolution stattgefunden. Sie setzte der strengen staatlichen Aufsicht über das Versicherungswesen ein Ende, die beinahe so alt war wie die Versicherungswirtschaft selbst. So wurden zum Beispiel für die Seeversicherung relativ schnell nach deren Entstehen an mehreren Orten Versicherungskammern eingerichtet, die die Ausgestaltung der Verträge überwachten. Die staatliche Aufsicht geht auf die Konzessionierungspflichten zurück, die seit Ende des 18. Jahrhunderts in einigen deutschen Einzelstaaten für Aussteuer- und Sterbekassen, später auch für Sachversicherungen eingeführt wurden. Für eine Staatsaufsicht gab es vor allem zwei Argumente:
Verbraucherschutz: Der einzelne Bürger könne die Bonität von Versicherungsunternehmen nicht beurteilen. Die Versicherten überließen den Unternehmen jedoch Geldbeträge für einen künftigen Bedarf, zum Teil für viele Jahre. Die Erfüllung der zugesagten Leistungen müsse gesichert werden.
Volkswirtschaftliche Bedeutung des Versicherungswesens:
Versicherungen haben eine wichtige Funktion als Kapitalsammelbecken und bei der Übernahme einzelwirtschaftlicher Risiken. Der Staat müsse daher für ein funktionierendes Versicherungswesen sorgen und eine Art Garantiefunktion übernehmen. Ziel der Aufsichtsbehörden ist somit die Wahrung der Belange der Versicherten und die Gewährleistung der dauernden Erfüllbarkeit der Versicherungsverträge. Dabei spielt für die Deutschen – wie in vielen anderen Bereichen – die Erfahrung der zwanziger Jahre eine große Rolle: In der Inflationszeit gerieten viele große Versicherungsgesellschaften in Schwierigkeiten und trugen zur Destabilisierung der Weimarer Republik bei. Nachteil des regulierten Systems war die weitgehende Gleichheit von Bedingungen und Preisen. Innovationen lohnten kaum, die Preise waren hoch. In Europa hat sich jedoch im Zuge der europäischen Annäherung weitgehend das liberalere britische Versicherungssystem durchgesetzt. Großbritannien kennt zwar eine Aufsicht über das Finanzgebaren der Versicherer, aber keine Genehmigungspflicht für Bedingungen und Tarife. Die Briten meinen, der Kunde müsse in der Lage sein, das Versicherungsprodukt selbst zu beurteilen. Mitte 1994 ist daher auch in Deutschland die vorherige Genehmigung der Allgemeinen Versicherungsbedingungen durch das Bundesaufsichtsamt für das Versicherungswesen (BAV) in Berlin entfallen. Nur bei Pflichtversicherungen, insbesondere der Kfz- Haftpflichtversicherung und der privaten Krankenversicherung, ist die Vorlage der Allgemeinen Versicherungsbedingungen noch notwendig, aber genehmigt werden müssen sie nicht mehr. Die Preise (Prämien und Tarife) der Kfz-Haftpflichtversicherung werden frei kalkuliert. Gleichzeitig entfällt der Zwang für den Versicherer, jeden Versicherten zu akzeptieren (Annahmezwang). Allerdings muss der Versicherer bei Ablehnung eines Privatfahrzeuges zu seinem
Wichtig für Unzufriedene:
Beschwerde beim Aufsichtsamt
Die Versicherten können sich beim BAV beschweren. Nur jedem Vierten ergeht es allerdings so wie dem Angestellten Johannes Pinneberg aus Hans Falladas Roman Kleiner Mann was nun?: Er beschwerte sich bei dem damaligen Reichsaufsichtsamt für Privatversicherungen, handschriftlich, aber erfolgreich. 1990 nutzten rund 18 000 Versicherte ihr Beschwerderecht, seither stieg die Zahl durch die Geschäfte der Versicherer in Ostdeutschland sprunghaft auf rund 27000 pro Jahr. Das BAV ist verpflichtet, jede Beschwerde zu prüfen und zu beantworten. Die betroffenen Unternehmen werden um eine Stellungnahme gebeten. Wenn das BAV die Beschwerde für begründet hält, kann es der Versicherung raten, dem Verlangen des Versicherten zu entsprechen. Das BAV kann die Unternehmen auch zu bestimmten Maßnahmen zwingen, etwa zur Änderung missverständlicher Vordrucke und Formulare. Für Verhandlungen mit regulierungsunwilligen Versicherungen kann nur empfohlen werden, darauf hinzuweisen, dass man gewillt ist, sich beim Bundesaufsichtsamt zu beschweren: Viele Sachbearbeiter geben dann nach, denn jede Beschwerde wird vom Vorstand bearbeitet, der gegenüber dem Aufsichtsamt verantwortlich ist.
Tarif ein anderes verbindliches Angebot machen – auf der Basis eines statistisch oder tatsächlich nachzuweisenden erhöhten Risikos. Die Nationalität des Fahrers darf keine Rolle spielen. Das bedeutet dennoch: Schlechte Risiken finden nun weniger leicht einen Schutz. Die Lebensversicherer müssen umfassend über das Produkt, seine Leistungen und Kosten, informieren: Kündigungsmöglichkeiten, Rückkaufswert, Gewinnberechnung und -beteiligung sowie garantierte Leistungen müssen dem Kunden mitgeteilt werden. Der Rückkaufswert ist nicht mehr vorgeschrieben. Die Versicherten sollen einmal jährlich über den Stand ihrer Police informiert werden. Die Lebensversicherer müssen bei Aufnahme des Geschäftsbetriebes der Aufsicht des Herkunftslandes ihre Rechnungsgrundlagen (Zins, Sterbetafel, Kosten) vorlegen. Die Behörden der Herkunftsländer legen einen Höchstrechnungszinsfuß fest, der 60 Prozent des Zinssatzes für Staatsanleihen in der Währung, in der die Lebens-versicherung abgeschlossen wird, nicht überschreiten darf. In der Praxis hat sich in Deutschland ein Rechnungszins von maximal 4 Prozent durchgesetzt. Die Rendite der Verträge bleibt jedoch gleich. Allerdings steigt bei gleichem Beitrag die Versicherungssumme, weil die Unternehmen mit dem höheren Rechnungszins kalkulieren. Für die Einhaltung der Richtlinien-Kalkulationsgrundsätze ist nach britischem Vorbild ein verantwortlicher Aktuar (ein vom Aufsichtsamt bestätigter Versicherungsmathematiker, früher Chefmathematiker genannt) zuständig.
Die Beitragsanpassungen der Krankenversicherer werden künftig von einem unabhängigen Treuhänder geprüft. Zusätzlich kontrolliert ein verantwortlicher Aktuar im Unternehmen die Alterungsrückstellung. Die Genehmigungspflicht der Tarife ist entfallen. Dafür wurden im Versicherungsvertragsgesetz die wichtigsten Leistungen festgelegt, beispielsweise für die Erstattung der Kosten für medizinisch notwendige Heilbehandlung, Übernahme der Kosten bei Entbindungen und Wartezeiten. Der Arbeitgeberzuschuss wird nur noch gezahlt, wenn der Versicherer vier Bedingungen erfüllt: er bildet Alterungsrückstellungen, verzichtet auf sein Kündigungsrecht, bietet einen Standardtarif an und beteiligt die Kunden an den Überschüssen. Die Krankenversicherung muss außerdem als eigenes Unternehmen getrennt von anderen Sparten betrieben werden. Für den Geschäftsbetrieb gilt das Herkunftslandprinzip, besonders bei der Finanzaufsicht. Wichtigste Aufgabe des Bundesaufsichtsamtes ist die Finanzaufsicht über die heimischen Versicherer. Die jeweilige Aufsichtsbehörde prüft die Rückstellungen, Kapitalanlagen und Solvenz einer Gesellschaft. Denn die Gesellschaften sollen ihre Verpflichtungen langfristig erfüllen können.
Tip: Hilfe vom Petitionsausschuss!
Wenn die Beschwerde beim Vorstandsvorsitzenden oder beim Bundesaufsichtsamt nicht geholfen hat, bleibt dem Versicherten immer noch der Petitionsausschuss des Deutschen Bundestages (11011 Berlin). Doch dies empfiehlt sich wirklich nur für schwere Fälle. Der Versicherte hat von dort zwar keine konkrete Hilfe zu erwarten, aber er erhöht den Druck auf den Versicherer. Wenn viele Versicherte sich beschweren, machen sich die Abgeordneten irgendwann Gedanken, ob denn wirklich alles zum Besten der Verbraucher ist. Weil den Versicherern dann neue Gesetze drohen, zeigen sie sich oft kompromissbereit.
Wenn ein Versicherer diesen Test bestanden hat, kann er in der ganzen Europäischen Union tätig werden. Vorher mussten Ausländer, die in Deutschland tätig werden wollten, eine Niederlassung errichten, einen Hauptbevollmächtigten bestellen und sich der Aufsicht des BAV unterwerfen. Versicherungen aus Staaten der Europäischen Union durften zuvor auch ohne Niederlassung Geschäfte in der Bundesrepublik machen, brauchten dazu aber ebenfalls eine Zulassung durch das BAV. Nun kann das Bundesaufsichtsamt nur noch nachträglich und im Einzelfall Missstände im Interesse der Versicherten bekämpfen. Diese Missstandsbekämpfung bleibt nach der Generalklausel Aufgabe der Aufsichtsbehörde. Allerdings muss das Amt dann die Partnerbehörde im Ausland um Abstellung der Verstöße bitten, die die ausländische Gesellschaft in seinem Bereich begeht. Die Märkte sind dadurch in Bewegung geraten, die Angebotsvielfalt hat zugenommen, der Preiswettbewerb ist intensiver geworden, ein konsequenteres Kosten- und Ertragsdenken greift um sich. Die Versicherten sind weiterhin durch das Bürgerliche Gesetzbuch (BGB), das Versicherungsvertragsgesetz (VVG) und das Gesetz zur Regelung des Rechts der Allgemeinen Geschäftsbedingungen (AGB) geschützt. Versicherungsverträge dürfen nicht gegen Rechtsvorschriften oder gute Sitten verstoßen. Die Führerschein-Versicherung gegen die Folgen des Einkassierens der Fahrerlaubnis wegen Alkohols hat also keine Chance – mancher wirds bedauern.