Betrügen und betrogen werden; Nichts ist gewöhnlicher auf Erden.
(Johann Gottfried Seume, Gedichte: Verlangtes Gutachten)
Für viele ist es seit jeher nur ein Kavaliersdelikt: Schon im 4. Jahrhundert vor Christus warf Demosthenes in seiner Anklage Zenothemis vor, der Schiffseigner habe zusammen mit Hegastratus zwischen Syrakus und Marseille ein Schiff vorsätzlich versenkt, um die Versicherungssumme zu kassieren. Fast 2000 Jahre später berichtet Samuel Pepys in seinem Tagebuch am 30. November 1663:… im Coffee-house, wo ich die beste Geschichte über einen Betrug hörte, den ein Handelskapitän geplant hatte. Er verpfändete ein und das-selbe Schiff gleich zweimal gegen ein Darlehen. Schiff und Ladung versicherte er außerdem über ihrem Wert. Danach setzte er das Schiff vor der französischen Küste auf Grund… und schlug jeden ihm angebotenen Lotsendienst aus. Der Gouverneur der Gegend… sandte es hierher, um seinen Eigentümer zu finden. So sind Schiff und Fracht sicher und gut zurückgekehrt. Ihr Gesamtwert beträgt 500 Pfund. Er hat auf die eine oder andere Weise aber 3 000 Pfund dafür eingenommen. Anstatt aus Butter bestand seine Ladung nur aus Talg, der mit Butter überstrichen war. Vor allem unter Reedern war der Versicherungsbetrug lange Zeit sehr populär, weil besonders lukrativ. Im Grunde funktionierte der Betrug ganz simpel: Entweder wurden bereits als verloren gemeldete Schiffe noch einmal nachversichert, oder Schiffe mit vorgetäuschter Ladung wurden einfach versenkt.
Damit waren riesige Gewinne im Seefrachtverkehr möglich. Wo früher vor allem die besitzende Schicht tätig war, ist nun im Zuge des allgemeinen Wohlstands und des Verschwindens der Klassengesellschaft auch der kleine Mann aktiv. Die Versicherer schätzen, dass zum Beispiel bei der Haftpflichtversicherung jeder fünfte Schaden nur fingiert ist. Gelegentlich scheint es ganze Nachbarschaftsringe zu geben, bei denen sich die Leute reihum auf die alten Brillengestelle setzen, aus Versehen Limonade auf den Fernseher gießen oder angesprungene Isolierglasscheiben zufällig zu Bruch gehen lassen. Als weitere besonders betrugsträchtige Sparten gelten die Hausrat- und die Kraftfahrzeug-Teilkaskoversicherung. Auch der Auslandsreise-Krankenversicherung werden gefälschte Arztrechnungen aus fernen Ländern vorgelegt. Nicht einmal vor der Unfallversicherung macht der Versicherungsbetrug halt: Sieben Prozent der Schäden sind getürkt, berichtete die Nürnberger Gesellschaft für Konsum-, Markt- und Absatzforschung (GfK). Als beliebtester Betrug gilt der Verlust des linken Daumens.
Am meisten klagen jedoch die Autoversicherer über den Betrug. Jedes Jahr werden sie um 1,5 Milliarden € betrogen, schätzen sie. Rund 1 Milliarde € entfällt auf die Haftpflichtversicherung, der Rest auf Schadenmanipulation in der Kaskoversicherung. In der Kaskoversicherung war lange Zeit der Glasbruch bei der Windschutzscheibe beliebt – bis die Kaskoversicherungen eine Selbstbeteiligung von 300 € einführten und die Tarife ohne Selbstbeteiligung drastisch erhöhten. Betrug macht erfinderisch: Da werden Unfälle fingiert oder provoziert, Schadenersatzansprüche überhöht, Diebstähle, Brandschäden oder auch Glasschäden vorgetäuscht. Rund 200 000 Betrüger quer durch alle Bevölkerungsschichten fingieren jährlich eine halbe Million Schäden in der Autoversicherung. Darunter sind Profibanden, aber auch Menschen wie du und ich. Die Versicherer haben sogar schon einen theoretischen Begriff für den Versicherungsbetrug geschaffen: Er gehört zur Gruppe des subjektiven Risikos im Gegensatz zum objektiven Risiko, weil das subjektive Risiko aus Gefahren besteht, welche auf den Eigenschaften des Menschen beruhen. Das subjektive Risiko Versicherungsbetrug wird nach angelsächsischem Begriffsmuster moralisches Risiko (moral risk) genannt, weil es in einem moralisch verwerfbaren Verhalten besteht. Schaden pro Jahr in Deutschland: geschätzte fünf Milliarden €. Das stimmt freilich ganz nur in der Theorie: Die Hauptursache des Versicherungsbetruges ist seine Wertung als Kavaliersdelikt. Der Betrüger bedient sich aus einer großen unpersönlichen Kasse. Die Haltung der Bundesbürger gegenüber Versicherungen ist von egoistischen finanziellen Motiven geprägt, ergab eine Studie der Gesellschaft für Konsumforschung: Die Versicherten unterstellen den Gesellschaften zu hohe Gewinne. Daraus wird das Recht abgeleitet, von den Beiträgen so viel wie möglich zurückzuholen. Es treffe ja keinen Armen. Außerdem ist das Risiko der Entdeckung gering. Es ist leichter, eine Versicherung zu betrügen, als eine Bank zu überfallen – und das Entdeckungsrisiko fünfzigmal geringer.
Bei einer Millionenzahl von Schäden pro Jahr in der Autohaftpflicht- und Kaskoversicherung bleibt die konkrete Überprüfung der Schäden meist aus. Die Autoversicherer können sogar verschiedene Betrugsmuster über die Zeiten ausmachen. In den siebziger Jahren wurde meist die Schadenhöhe nach oben erweitert. Vorschäden wurden auf Kosten der Versicherer mitrepariert, die Werkstätten ließen sich mehr Arbeiten begleichen, als ausgeführt wurden. Die Versicherer reagierten mit Schadenaußendienststellen und sahen sich die beschädigten Fahrzeuge häufiger an. In den achtziger Jahren kamen dagegen die provozierten Unfälle auf. Auch die Autoradios luden zum Betrug ein: Rund 40 bis 50 Prozent aller Geschädigten schwindelten in Sachen Hersteller, Typ oder Alter. Die Einführung des Radiopasses und einer in die Geräte eingestanzten Nummer reduzierte die Schäden schlagartig um zehn Prozent. Derzeit hat sich die Betrugsbranche auf Autotelefone verlegt. Auch hier ist ein Pass in Vorbereitung. Auch wenn das Entdeckungsrisiko gering erscheint: Wer beim Versicherungsbetrug entdeckt wird, gegen den gehen die Versicherer sofort rechtlich vor. Der Betrüger wird angezeigt und strafrechtlich verfolg