Diejenigen Ausreden, in denen gesagt wird, warum die AG keine Steuern bezahlen kann, werden in einer sogenannten Bilanz zusammengestellt. (Kurt Tucholsky)
Die Bilanz, heißt es, sei eine Art Jahreszeugnis der Manager. Das ist durchaus richtig, nur interessiert es den gewöhnlichen Zeitgenossen nicht besonders, wie der Herr Schrempp von Daimler oder der Herr Breuer von der Deutschen Bank dieses Jahr bestanden haben. Den Versicherungskunden dagegen sollte durchaus interessieren, was der Herr Schulte-Noelle von der Allianz oder der Herr Kleyboldt von der Colonia im vergangenen Jahr an Leistung gezeigt haben. Denn in der Bilanz findet er nicht nur die Prämieneinnahmen, sondern vor allem die Höhe der Kapitalanlagen, des Deckungsstocks in der Lebensversicherung oder der Alterungsrückstellungen in der Krankenversicherung. Und diese Größe entscheidet über die künftige Politik seines Unternehmens oder gibt Hinweise auf die Solidität der Gesellschaft. Auf Anfrage müssen daher alle Versicherungen die Geschäftsberichte an ihre Versicherten verschicken. Doch vor mögliche Erkenntnisse haben die Gesetzgeber erst einmal harte Arbeit gestellt: die Bilanzvorschriften. Deren Steigerung sind dann die Vorschriften für Versicherungsbilanzen. Das Lesen einer Versicherungsbilanz gilt als eine der schwierigsten Künste des Metiers der Wirtschaftsjournalisten. Aber auch sie ist erlernbar. Beginnen wir von vorne, am Beispiel einer Bilanz. Wenn wir sie ansehen, sehen wir zwei große Spalten, die unter dem Strich die gleiche Summe haben. Eine Bilanz ist immer ausgeglichen. Als Puffer muss notfalls der Verlust herhalten. Auf der linken Seite der Bilanz stehen die Aktiva, also das Vermögen des Betriebes. Auf der rechten Seite finden sich die Passiva, also das gesamte dem Betrieb zur Verfügung stehende Kapital unter Angabe der Herkunft, auch Forderungen genannt.
Aktiva. Mit der in Industriebilanzen üblichen Betrachtung von Anlage- und Umlaufvermögen kommt man nicht weit. Denn die Versicherer produzieren lediglich eine unsichtbare Ware, und dafür brauchen sie nicht viel: nur ein Büro und ein Bankkonto. Das Anlagevermögen, also Grundstücke, Gebäude oder sonstiges zum dauernden Gebrauch bestimmtes Vermögen wie Maschinen und Werkzeuge, fällt ebenso weg wie ein Umlaufvermögen, also die nicht zum dauerhaften Gebrauch bestimmten, sondern zur Weiterveräußerung oder finanziellen Abwicklung dienenden Güter. Bei Versicherungen ist alles ganz anders: Das Grundstückskonto sagt nichts darüber aus, wie weit die Objekte über den Deckungsstock gebunden sind, also den Lebensversicherten gehören. Die Büroeinrichtungen sind meist abgeschrieben, tauchen also nicht auf. Das Beteiligungskonto, das noch am meisten Anlagecharakter hat, steht fast immer nur mit den Anschaffungswerten zu Buche, die längst passe sind.
Passiva. Die Besonderheit einer Versicherungsbilanz ist, dass der größte Teil des Kapitals durch Beiträge der Versicherten aufgebracht wird und zur Erfüllung der Verbindlichkeiten aus den Versicherungsverträgen zur Verfügung stehen muss. Daher ist der größte Teilbetrag auf der Passivseite die versicherungstechnische Rückstellung. Sie stammt aus den Beiträgen der Versicherten, ist also Fremdkapital. Das Eigenkapital der Versicherungen umfasst dagegen Grundkapital, gesetzliche Rücklagen, freie Rücklagen, Gewinnvortrag und Rückstellungen für Versorgungsverpflichtungen (Pensionskasse für die Angestellten). Im Grunde kann der Außenstehende aus der Versicherungsbilanz nur die Passiva ablesen. Auf der Aktivseite braucht das Unternehmen nur zu enthüllen, was es will. Eine gründliche Analyse kann lediglich der Vergleich mehrerer Unternehmensjahre und der Vergleich mit der Branche bringen. Eine gewisse Richtgröße für die Aktiva sind die in der Gewinn-und-Verlust-Rechnung ausgewiesenen Vermögenserträge. Sie erlauben durch Umrechnung einen Rückschluss auf die ihnen zugrundeliegenden Quellenwerte. Kursgewinne – realisierte und vor allem nur buchmäßige – sind zuvor allerdings auszuschließen.