Um die Gesetzgebung und die Rechtsprechung, um Politiker, Regierungs- und Aufsichtsbeamte und auch Richter in ihrem Sinne zu beeinflussen, schufen die das Versicherungswesen beherrschenden Aktiengesellschaften eine hauseigene Versicherungswissenschaft, über die DER SPIEGEL schrieb:
Mit großem Geschick haben die Unternehmen es bisher verstanden, jede Kritik an ihrem Geschäftsgebaren zu verniedlichen oder abzuwürgen. Auf grundsätzliche Auseinandersetzungen haben sie sich nie eingelassen. Und von den Wissenschaftlern sind kritische Töne kaum zu erwarten. Die Experten an den Instituten sind hinreichend mit Gutachten für die Unternehmen und mit ihrer Arbeit in den Aufsichtsräten der Versicherungs-Aktiengesellschaften ausgelastet.
Ähnlich äußerte sich Professor Udo Reifner vom Hamburger Institut für Finanzdienstleistungen, der von einer erfolgreichen Einflussnahme der Versicherungsunternehmen auf das Vorfeld gesetzgeberischer Aktivitäten redete. Tatsächlich befassten sich bis vor kurzem mit Fragen des Versicherungswesens nur besondere Versicherungswissenschaftler, die häufig – so Professor Reifner – in einer beinahe schon anstößigen Art und Weise personell oder finanziell mit den Versicherungsunternehmen oder ihren Verbänden verflochten waren. Der Gesamtverband der Deutschen Versicherungswirtschaft (GDV) scheute sich nicht einmal, das harmonische Zusammenwirken herauszustellen und die Versicherungswissenschaftler als seine besten Helfer zu bezeichnen.
Die Kritik an der Vermengung von Geld für Schadenzahlungen, Spargeldern der Versicherten und einem Entgelt für die Dienstleistungen der Unternehmen in einer ungeteilten Prämie versuchen die Branchenwissenschaftler abzuwürgen mit dem Hinweis, dass man einen Autopreis ebenfalls nicht aufteile. Ein Autohersteller müsse auch nicht angeben, was die Reifen oder Scheibenwischer gekostet haben, genauso wie ein Schuhfabrikant nicht beim Preis der Schuhe aufschlüsseln müsse, was das Leder gekostet habe. Dieses zunächst plausibel erscheinende Argument entpuppt sich bei genauem Hinsehen als reichlich naiv: Niemand verlangt, einen Versicherungspreis (den es gar nicht gibt) aufzuteilen, sondern aufgeteilt werden soll die Versicherungsprämie – eben weil sie kein Preis ist. Durch die Aufspaltung der Prämie soll überhaupt erst die Angabe eines Preises für die Dienstleistungen der Unternehmen ermöglicht werden, der bisher in einem Mix aus Spargeld, Geld für Schadenzahlungen und Entgelt für Dienstleistungen versteckt ist.
Erinnern Sie sich an das kleine Beispiel des Wagen-aus-der-Werkstatt-Holens! Dort kam Streit auf, weil der Taxifahrer mit den ihm überlassenen 1000 Euro beliebig viele Kosten gemacht und das überschüssige Geld als Gewinn beansprucht hat. Dieses Problem entstand allein dadurch, dass der Taxifahrer die Reparaturkosten, mit deren Begleichung er überhaupt nichts zu tun hat, und ein Entgelt für seine Dienstleistung miteinander vermengt hat und meint, die 1000 Euro seien der Preis für das Autoabholen. Ein solcher Mix von unterschiedlichen Vorgängen kann – rechtlich und wirtschaftlich – nur dann problemlos abgewickelt werden, wenn die Vertragsparteien vereinbaren, dass der Autobesitzer die Reparaturrechnung von 618 Euro ausgleicht und einen Preis von z. B. 50 Euro für die Dienstleistung des Taxifahrers bezahlt, mit dem seine Arbeits-leistung und Kosten abgegolten werden. Jeder vernünftige Mensch würde das so oder ähnlich regeln. Er würde aber nicht sagen: Hier hast du 1000 Euro. Mach mit dem Geld, was du willst, bring mir aber mein Auto her!
Wer für das Autoabhol-Beispiel klare Verhältnisse fordert, der verlangt nicht, dass ein Preis von 1000 Euro aufgeteilt wird, sondern dass der Taxifahrer einen Preis für seine Dienstleistung angeben soll. Das Entscheidende in diesem Beispiel – wie auch bei einer Aufteilung der Versicherungsprämie – ist aber: Bei dieser klaren Trennung kann jeder erkennen, wem das restliche Geld (1000 Euro, abzüglich Reparaturkosten und Entgelt für das Abholen) gehört – dem Autobesitzer! Genauso gehören auch die Beitragsüberschüsse bei Versicherungen – nach Abzug der Versicherungsleistungen und eines Dienstleistungspreises – den Versicherten. Das meint seit langem – wie oben dargestellt – auch die Bundesregierung, die diese Meinung aber bis jetzt nicht in entsprechende Gesetze umgesetzt hat und nach wie vor zulässt, dass sich Versicherungsgesellschaften die Prämienüberschüsse als Gewinn einstecken (wie der Taxifahrer den Rest der 1000 Euro).
Die Hauptursache für die Verwirrung und Missverständnisse um Versicherung ist die Tatsache, dass Geld für Schadenzahlungen (der reine Versicherungsbeitrag) und Spar-Geld (bei Lebensversicherungen) und ein Entgelt für die Dienstleistungen der Unternehmen – auch in Form von Geld – nicht identifizierbar miteinander vermengt sind, also Geld mit Geld. Wegen dieser totalen Geldvermengung ist alle Welt den Aktiengesellschaften und ihren Wissenschaftlern aufgesessen und dem Irrglauben, Versicherung sei eine Leistung oder ein Produkt der Gesellschaften, das diese herstellen und gegen die Prämie als Preis verkaufen. Und sie könnten mit den Prämien als Preisen machen, was sie wollen, und auch alle Überschüsse als Gewinne einstecken.
Da dieser Punkt wirklich entscheidend ist für das Verständnis von Versicherung und aller Verbraucherprobleme in diesem Bereich, nachfolgend ein Beispiel als Nachweis dafür, wie unsinnig diese von der Branche hergestellte herrschende Meinung ist. In diesem Beispiel wird die Geldvermengung ganz einfach dadurch verhindert, dass das von den Versicherten gezahlte Geld versachlicht und in andere Dinge umgewandelt wird, damit die unterschiedlichen Vorgänge Versicherung, Sparen und Dienstleistungen deutlich werden und zu erkennen ist, wer eigentlich was leistet und wem was gehört:
30000 Besitzer von Fernsehgeräten tun sich zusammen zu einer Fernseher-Versichertengemeinschaft, die den Mitgliedern ihre beschädigten oder zerstörten Fernseher ersetzt. Nach dem Gesetz der Großen Zahl wären jährlich etwa 8000 Geräte auszutauschen.
Mit einem Sicherheitszuschlag von 2000 Geräten kauft die Gemeinschaft 10000 Fernseher. An die Fernsehgeräte-Versicherung kann ein Geldanlagevorgang angehängt werden, der aber nicht mit Geld, sondern durch Silber- und Goldmünzen betrieben wird. Die Aktiengesellschaft, die die Versichertengemeinschaft organisiert, die Fernsehgeräte verteilt und die Münzen verwahrt, wird für diese Dienstleistungen in Geld bezahlt. Wir haben also Fernsehgeräte, Münzen und Geld, die sich nicht miteinander vermischen lassen. Nun gibt es da einen Professor Farny (mit erheblichen Nebeneinnahmen aus dem Bereich der Branche) und eine große Schar von Farny- Anhängern, die – sich gegenseitig zitierend – die herrschende Meinung aufgestellt haben, dass die gekauften Fernsehgeräte und die Münzen und das Geld für die Dienstleistungen ein Preis für Versicherung seien, der an die Aktiengesellschaft zu zahlen und – wie ein Autopreis – nicht aufzuteilen sei.
Die Versicherung sei durch die Aktiengesellschaft produziert worden und deshalb gehörten auch alle als Preis vereinnahmten Fernsehgeräte, Gold- und Silbermünzen uneingeschränkt den Aktionären. Und jetzt der Knackpunkt und das Endziel von Farny & Co: Unter diesen Umständen sollen alle übrig bleibenden Fernsehgeräte sowie die Wertsteigerungen der Gold- und Silbermünzen Gewinne der Aktiengesellschaft sein!
Kein vernünftiger Mensch würde auf eine so verrückte Idee kommen. Genau hier liegt aber die Ursache für alle Missstände und Missverständnisse in unserem Versicherungswesen: Nur weil sich die drei Vorgänge (I) Versicherung als Bereitstellen von Geld und (2) das Sparen von Geld und (3) das Bezahlen von Dienstleistungen in Geld in einem einzigen Vorgang und damit in einer gebündelten Geldhingabe (Prämie) vollziehen, haben die Branchenwissenschaftler die Öffentlichkeit mit dem Vergleich Autopreis/Versicherungsprämie verdummen und ihren Unsinn über die unteilbare Prämie verbreiten können.
Wer also – wie sogar die meisten Wirtschaftsjournalisten – vom Versicherung kaufen oder verkaufen spricht und Versicherungsprämien als Preise und Umsatz ansieht oder bezeichnet, der wird nie die vielen Probleme in unserem Versicherungswesen und ihre Ursache erkennen, die allein in der ungeteilten Versicherungsprämie begründet sind. Wie die Einlage bei einem Glücksspiel – z. B. ein Lotterielos – kein Preis ist, der im Austausch für einen Lotteriegewinn (als Gegenleistung) gezahlt wird, ist auch die Versicherungsprämie kein Preis für die Versicherungsleistung, sondern eben nur ein Beitrag für den Schadenausgleich innerhalb einer Gemeinschaft. Wer Versicherungs-prämien als Preise ansieht und meint, dass die Gesellschaften mit den Prämien und ihren Überschüssen machen können, was sie wollen, der muss aus Versicherung ein Glücksspiel und aus einer Versicherungspolice eine Art Lotterielos machen.
Tatsächlich hat der Gesetzgeber die sozialpolitisch wichtige private Absicherung eines ganzen Volkes als eine Art Unglücksspiel gestaltet, als ein Glücksspiel mit umgekehrten Vorzeichen: Wer Unglück hat, gewinnt und bekommt Geld. Wer Glück hat, verliert seinen Beitrag. Der ganz große Gewinner sind aber die Versicherungs-Aktiengesellschaften als Unglücksspiel-Veranstalter, weil jedes Risiko durch Sicherheitszuschläge und durch Rückversicherung sowie durch Milliardenrückstellungen und Reserven ausgeschlossen ist. Die Unternehmen sind Herr über Einnahmen und Ausgaben. Sie beherrschen die Prämienkalkulation, setzen also die Preise für ihre Lotterielose Policen sehr hoch an, damit nach Abzug der Versicherungsleistungen möglichst viel Geld übrig bleibt.
So gibt es Beitragsunterschiede von bis zu 400 Prozent bei vergleichbaren Versicherungen. In früheren Auflagen dieses Ratgebers waren als Beispiel zwei Angebote für eine Familienunfallversicherung abgedruckt: Die Allianz verlangte 2736 Mark, die Debeka nur I 036 Mark. Über eine Gruppenversicherung beim Bund der Versicherten kostete der Versicherungsschutz nicht einmal 600 Mark. – Eine Familie, die auf das Allianz-Angebot hereingefallen ist, einen Zehn-Jahres-Vertrag abgeschlossen hat und die Versicherung unter Umständen nie überprüft und nie kündigt und – im Vertrauen auf den netten Allianz-Vertreter aus der Nachbarschaft – bis ins hohe Alter weiterlaufen lässt, wirft Jahr für Jahr über 2 100 Mark bzw. über 1000 Euro zum Fenster hinaus. Das macht in zehn Jahren – einschließlich Zinsen von sechs Prozent- etwa 15000 Euro und in 30 Jahren über 100000 Euro.
In einer Broschüre des Gesamtverbandes der Deutschen Versicherungs- Wirtschaft aus dem Jahre 2001 wird als Jahresbeitrag für die private Haftpflichtversicherung ein Betrag von rund 75 Euro genannt (es gibt sie aber auch schon für 25 Euro). Für eine Haftpflichtversicherung für Hund oder Pferd soll man ca. 100 Euro zahlen (es gibt sie bereits für 40 Euro) oder für eine Hausratversicherung über 40000 Euro eine Prämie von 75 bis 150 Euro (es gibt sie schon ab 35 Euro). Die hohen Prämien sind nur deshalb durchsetzbar, weil unwissende Verbraucherglauben, staatlich beaufsichtigte Versicherungen müssten alle in etwa das Gleiche kosten. Aber nicht nur durch hohe Prämien können die Gesellschaften ihre Gewinne bestimmen, sondern kurioserweise auch noch durch die Art der Schadenregulierung.
Jede Versicherungsleistung, die sie ablehnen, die sie kürzen oder sehr spät auszahlen, bringt automatisch Gewinn – Ursache für den berühmten Ärger im Schadensfall. So hat ein erfahrener Bundesrichter im Jahre 1992 – mit Recht – die Frage aufgeworfen, ob nicht die Durchsetzung unberechtigter Leistungsablehnungen mit fragwürdigen oder gar unlauteren Mitteln häufiger unentdeckt bleibt als Betrugsversuche der Versicherungsnehmer. Das Knausern bei den Versicherungsleistungen zeigt sich neuerdings vor allem im Bereich der Kfz-Versicherung, wo die Gewinne der Unternehmen bis 1994 per Gesetz auf drei Prozent der Prämieneinnahme beschränkt waren.
Seit 1995 können die Gesellschaften aber beliebig hohe Gewinne erwirtschaften. So versuchen sie jetzt, die Rechtsprechung zu beeinflussen, damit Richter den Geschädigten geringere Beträge als bisher beim Schmerzensgeld und bei Kleinschäden zusprechen. Und sie wollen Reparatur- und Mietwagenkosten drücken, um aus den Einsparungen bei den Schadenzahlungen Profit zu schlagen. Ein neuer Vorschlag ist die Reparatur von Autos mit gebrauchten Ersatzteilen.