Mehr als 200 Millionen € geben rund 8 Millionen deutsche Urlauber jedes Jahr in dem Glauben aus, damit ihr Reisegepäck versichert zu haben. Doch oft bleibt es beim Glauben: Im Schadenfall zahlt kaum noch eine Versicherung freiwillig. Das zeigt der Blick in die Gerichtssäle:
Blick zurück: Als es die Reisepolicen noch aus Automaten gab
Eisenbahnen gibt es in Deutschland seit 1835, Reiseversicherungen seit 1843. Damals gründete ein Berliner Bankier und Mitglied des Verwaltungsrates einer Eisenbahngesellschaft ein Versicherungsunternehmen für Unfälle im Eisenbahn-verkehr. Denn damals wurden von der Eisenbahn noch Unfallgefahren für Leib und Seele deren, die sich mit Windes-eile von der neu entdeckten übermenschlichen brausenden Gewalt des Dampfes über Höhen und Tiefen auf schmalen schwindelnden Wegen dahinführen ließen, befürchtet. Sogar die zuständige preußische Regierung reagierte noch ganz anders als der Staat heute: Sie lehnte das Projekt des Bankiers ab, weil durch den notwendigen Aufschlag auf die Fahrpreise eine Zwangsversicherung entstanden wäre. Eine Zwangsversicherung aber sei abzulehnen. Außerdem könne die Versicherung negative Wirkungen auf die Mentalität von Eisenbahnern und Passagieren haben, da sie eine Sicherheit vorgaukele und damit zu Fahrlässigkeit und Leichtsinn verführe. Dennoch setzte sich die Eisenbahn-Passagier-Versicherung durch: 1853 bestätigte König Friedrich Wilhelm die Urkunden für die Colonia Leben, die Victoria und die Thuringia. Wie die heutige Reiseversicherung wurde sie als Tourversicherung oder als Versicherung für die Zeit bis zu einem Jahr angeboten. Diese Jahresverträge umfassten nicht nur Eisenbahn- und Dampfschiffahrt, sondern auch Unfälle mit der Postkutsche. Die Prämie kostete einen Silbergroschen pro Tag in der III. bis IV. Klasse bei einer Versicherungssumme von 2 000 Talern. Mancher Versicherungsabschluß war um die Jahrhundertwende sogar leichter als heute: Um 1890 boten einige Gesellschaften Reisepolicen aus dem Automaten an. Allein auf dem Hauptbahnhof in Frankfurt befanden sich vier Apparate, bei denen, wie aus dem Kaugummiautomaten, eine Police für einen Groschen zu erstehen war. Zur Nachahmung heute empfohlen.
Wer das Taxi mit seinem Gepäck vor dem Flughafen stehenlässt, um einen Gepäckwagen zu suchen, kriegt nichts (Landgericht Itzehoe, Aktenzeichen 4 S 286/287), wer am Flughafen am Kiosk eine Zeitung bezahlen will und daher den neuen Videokoffer neben sein Bein stellt, ebenfalls nicht. Das Gericht: Er hätte ihn zwischen die Beine klemmen müssen. Die Urteile der Gerichte laufen darauf hinaus, dass der Versicherte sein Gepäck im Blick und auch im räumlichen Kontakt behalten muss (Landgericht Nürnberg/Fürth, Aktenzeichen 13 S 601/90). Der Kommentar der Arbeitsgemeinschaft der Verbraucherverbände zu solchen Urteilen: Der Versicherte sollte sich auf der Reise so sorgfältig verhalten, als hätte er keine Versicherung abgeschlossen. Und wofür braucht er sie dann? Schließlich zahlt innerhalb Europas oder sogar der Welt oft die Hausratversicherung, und das weit großzügiger.
Außenversicherung des Hausrats. Über die sogenannte Außen-versicherung sind Teile des Hausrates mitversichert, die sich vorübergehend bis zu drei Monaten außerhalb der Wohnung befinden. Auf Reisen innerhalb Europas ist der Hausrat mit 10 Prozent der Versicherungssumme oder maximal 15 000 € (Versicherungsbedingungen von 1984; 1992:20 000 € für die ganze Welt) versichert gegen Brand, Sturm oder Einbruchdiebstahl. Bei einfachem Diebstahl oder Beschädigungen ist er aber nicht geschützt. Bei Diebstahl aus Autos werden bis 500 € oder 20 Prozent der Versicherungssumme erstattet. Bei einem Diebstahl in einem deutschen Hotel zahlt der Hotelier ohne Nachweis des Verschuldens den hundertfachen Zimmerpreis, maximal 6 000 €.
Der Grund der Zurückhaltung der Gepäckversicherer: Wohl in keiner anderen Sparte ist der Versicherungsbetrug so ins Kraut geschossen wie in der Reisegepäckversicherung. Da findet sich auf vielen Schadenslisten nur das Allerfeinste, lauter Maßanzüge und Modellkleider. Und oft ist die Liste so lang, dass das Ganze nicht einmal in einen Koffer passen würde. Die Folge ist, dass die Versicherungen mittlerweile bei der Regulierung von Schadenfällen sehr restriktiv geworden sind. Die meisten Versicherungen akzeptieren ohnehin nur Stammkunden. Außerdem sind die Prämien sehr hoch. Ein Blick in die Praxis: Marktführer bei den Gepäckassekuranzen ist die Europäische Reiseversicherung AG. Jährlich gehen rund 85 000 Schadenmeldungen ein. 8 000 Schäden lehnte die Gesellschaft ab, nur 200 Versicherte klagten dagegen. Vor Gericht hatten auch sie nur wenig Erfolg: In weniger als 15 Prozent der Fälle konnten sie den Sieg gegen die Versicherungsjuristen davontragen. Vor Gericht berufen sich die Unternehmen auf Paragraph 61 des Versicherungsvertragsgesetzes: Danach ist die Versicherung von der Leistung frei, wenn der Versicherungsnehmer den Versicherungsfall vorsätzlich oder durch grobe Fahrlässigkeit herbeigeführt hat.
Leistungen. Theoretisch umfasst der Versicherungsschutz das gesamte Gepäck, das der Versicherte und die mit ihm in häuslicher Gemeinschaft lebenden Familienangehörigen während einer Reise mit sich führen. Dazu gehören Gegenstände des persönlichen Bedarfs inklusive der am Körper getragenen Sachen. Diese Gegenstände sind versichert gegen Diebstahl oder Raub, Beschädigung oder Fehlleitung, Einbruch in das Auto, Unfall und Zerstörung durch Brand, Sturm oder höhere Gewalt. Das klingt noch gut, doch nun beginnt die Liste der Ausschlüsse. Pelze, Schmuck, Fotoausrüstungen oder andere Wertsachen sind nur bis maximal 50 Prozent der Versicherungssumme versichert, und das auch nur, solange sie getragen, benutzt oder sicher verwahrt werden. Im unbeaufsichtigten Auto sind sie gar nicht versichert. Für andere im Auto verwahrte Gegenstände besteht nur Versicherungsschutz von 6 bis 22 Uhr. Nachts von 22 bis 6 Uhr sind die Nicht-Wertsachen nur versichert während einer Fahrunterbrechung bis zu zwei Stunden oder bei Unterbringung in einer abgeschlossenen Einzelgarage. Zusätzlich muss sich das Gepäck in einem festumschlossenen, durch Verschluß gesicherten Innen- oder Kofferraum befinden. Ein von außen ohne Gewalt zu öffnendes Faltdach reicht nicht aus. Das Abstellen auf einem bewachten Parkplatz oder in einem Parkhaus gilt nicht als Beaufsichtigung. Doch selbst diese Klauseln werden von einigen Gerichten noch restriktiver ausgelegt.
Grundsätzlich ausgeschlossen ist die Deckung für Geld, Schecks oder Fahrkarten sowie Land-, Luft- und Wasserfahrzeuge sowie Außenbordmotoren. Fahrräder, Falt- oder Schlauchboote sind dagegen versichert. Die Versicherung zahlt nicht, wenn Sachen liegen-, stehen- oder hängengelassen werden sowie bei Krieg oder Beschlagnahme.
Wenn die Versicherung den Schaden akzeptiert, dann ersetzt sie bei abhanden gekommenen oder zerstörten Sachen den Neuwert im Heimatland mit einem Abschlag für Alter und Abnutzung. Bei beschädigten Sachen trägt sie die Kosten für die Reparatur. Eine beliebte Versichertenfalle ist allerdings die vorgedruckte Versicherungssumme. Die Pauschalen liegen meist bei 3 000 € pro Person und 7 500 € für Familien. Doch damit ist der Versicherte oft unterversichert, so dass die Versicherung bei einem Schaden nur anteilig zahlt. In den Versicherungsschein sollten alle mitreisenden Familienangehörigen namentlich eingetragen sein.
Abschluss. Wer eine Reisegepäckversicherung abschließen möchte, sollte eine Jahrespolice wählen, da damit alle beruflichen und privaten Reisen abgedeckt sind. Mitversichert sein sollte der Lebenspartner, auch wenn er allein unterwegs ist. Bei guten Policen gilt sogar Versicherungsschutz am Wohnort (Domizilschutz): Dann deckt die Versicherung Diebstähle von persönlichen Dingen aus Kraftfahrzeugen am Wohnort. Die Auto-Teilkaskoversicherung zahlt nur bei fest eingebauten Sachen oder Autozubehör. Der erweiterte Domizilschutz gilt auch für Gänge, Fahrten und damit verbundene Aufenthalte am Wohnort. Die Deckung für Lieferfristüberschreitung versichert Schäden durch eine Verzögerung bei der Auslieferung von Reisegepäck. Das Versicherungspaket sollte höchstens 40 bis 45 € je 1 000 € Versicherungssumme pro Jahr kosten. Dieser Beitrag wird allerdings von Verbraucherschützern für zu hoch gehalten. Kurzverträge über 24 Tage und beispielsweise 4 000 € Versicherungssumme kosten bei den klassischen Reise-versicherern gut 60 €. In jedem Fall muss das Kleingedruckte gründlich studiert werden, um im Schadenfall keinen Ausschluss zu riskieren.
Verhalten im Schadenfall. Im Schadenfall sollte der Versicherte bei Verlust oder Beschädigung des Gepäcks im Hotel oder in Bus, Bahn oder Flugzeug den Schaden sofort dem jeweiligen Unternehmen melden. Diebstahl oder Raub muss der Polizei gemeldet werden, zusammen mit einer detaillierten Liste aller entwendeten Sachen. Die einfache Bezeichnung Foto-Ausrüstung kann schon zu Streitigkeiten über deren Wert führen. Probleme können die Versicherten auch bekommen, wenn die Polizei den Schaden nur widerwillig und schlampig aufnimmt oder die Bestohlenen auf den nächsten Tag zur Schadenaufnahme vertröstet: Wer ab- oder Weiterreisen muss, hat dann bei der Versicherung oft verloren. Außerdem müssen die verlorengegangenen Sachen dem Fundbüro gemeldet werden. Auf jeden Fall sollten Versicherte sich all diese Meldungen bestätigen lassen. Auf der Schadenanzeige der Versicherungen wird auch gefragt, ob der Versicherte schon früher einmal Schäden am Reisegepäck gemeldet hat. Ein Verschweigen früherer Schadenmeldungen bringt den Versicherten meist um den Schutz.
Zusatzschutz. Die Reisegepäckversicherung gilt übrigens nicht für Dinge, die im Zelt oder Wohnwagen aufbewahrt werden. Hier muss ein Zusatzschutz (Campingklausel) abgeschlossen werden. Dauercamper sollten eine eigene Camping-Police abschließen, die neben Wohnwagen und Inventar auch Vorzeit und Gegenstände des persönlichen Bedarfs schützt. Dies geschieht am besten über die Hausratversicherung. Die Prämie ist allerdings hoch: 1 000 € Versicherungssumme kosten für den Wohnwagen 10 €, für das Zelt rund 50 €. Kassettenrecorder oder Fernseher kosten mehr als 30 € extra.