Die Solvabilität eines Versicherungsunternehmens beschreibt die Eigenmittelausstattung und wird im Rahmen der Versicherungsaufsicht überwacht. Hintergrund ist die Forderung, dass ein Versicherungsunternehmen in regelmäßigen Zeitabständen einen Nachweis darüber führen soll, dass es voraussichtlich in der Lage sein wird, seinen künftigen finanziellen Verpflichtungen nachzukommen (Sicherstellung der Solvenz, das heißt der Zahlungsfähigkeit). Der Solvabilitätsgedanke stellt grundsätzlich einen zentralen Bestandteil der Versicherungsaufsicht dar, ist aber erst im Zuge der Angleichung der europäischen Aufsichtssysteme rechtlich genauer Umrissen worden. Die im Folgenden dargestellten Solvabilitätsvorgaben fußen weitgehend auf EU-Richtlinien aus dem Jahr 2002, die im Jahr 2004 in deutsches Recht umgesetzt worden sind und unter dem Namen „Solvency I“ bekannt sind. Weitergehende Solvabilitätsanforderungen, die unter dem Namen „Solvency II” bekannt sind, sollen bis 2012 verabschiedet und danach in deutsches Recht übernommen werden.
Nach §53c VAG sind Versicherungsunternehmen verpflichtet, zur Sicherstellung der dauernden Erfüllbarkeit ihrer Verträge stets über „freie unbelastete Eigenmittel mindestens in Höhe der geforderten Solvabilitätsspanne zu verfügen, die sich nach dem gesamten Geschäftsumfang bemisst“. Die Solvabilität ist damit ein Oberbegriff für eine Vielzahl finanzwirtschaftlicher und versicherungstechnischer Einzelprozesse des Versicherungsgeschäftes, die ihren Niederschlag in Zu- und Abflüssen von Kapital im Versicherungsunternehmen finden und von grundsätzlich stochastischer Natur sind. Unterschreiten die Solvabilitätsmittel die gesetzlich geforderte Mindestausstattung, können nach § 81 b(1) VAG aufsichtsrechtliche Maßnahmen zur „Wiederherstellung gesunder Finanzverhältnisse“ ergriffen werden. Damit ein Versicherungsunternehmen seinen künftigen finanziellen Verpflichtungen voraussichtlich nachkommen kann, muss die gemessene Ist-Solvabilität größer oder gleich einer geforderten Soll-Solvabilität sein.
Die Soll-Solvabilität bildet dabei die Risikolage des Versicherungsunternehmens ab und setzt sich aus drei Bestandteilen zusammen:
• der schon zitierten Solvabilitätsspanne, die aus verschiedenen quantitativen Größen abgeleitet wird (Beitragseinnahmen, Gesamtschäden, versicherungstechnische Passivposten); die genaue Berechnung ist recht kompliziert und erfolgt über spartenspezifische Beitrags- und Schadenindices,
• einem Garantiefonds in Höhe von einem Drittel der Solvabilitätsspanne (zusätzlicher Sicherheitspuffer aufgrund des stochastischen Charakters der Solvabilitätsspanne),
• einem Mindestgarantiefonds, der ebenfalls spartenabhängig berechnet wird und nicht von der Unternehmensgröße abhängt.
Grob gesprochen ist die Solvabilitätsspanne eine stückweise lineare Funktion der Unternehmensgröße, die zunächst steil ansteigt, bei größeren Unternehmen aber abllacht (Ursache: verbesserter Risikoausgleich in größeren Versicherungsbeständen). Der Mindestgarantiefonds bildet eine konstante untere Schranke der Soll-Solvabilität.
Soll-Solvabilität als Funktion der Unternehmensgröße (schematisch; die Unternehmensgröße wird dabei über die Beitragseinnahmen abgebildet)
Die Ist-Solvabilität beschreibt im Gegensatz dazu die tatsächliche finanzielle Situation des Versicherungsunternehmens in Form von freien unbelasteten Eigenmitteln und setzt sich ebenfalls aus mehreren Bestandteilen zusammen:
• dem in der Bilanz ausgewiesenen Eigenkapital zuzüglich einzelner Teile des Fremdkapitals mit Eigenkapitalcharakter (Hybridkapital) abzüglich aktivierter immaterieller Vermögenswerte,
• einzelnen Bestandteilen der stillen Reserven,
• dem Nachschusspotenzial (bei Schaden- und Unfallversicherungsvereinen auf Gegenseitigkeit),
• bei Lebensversicherern daneben noch in gewissen Grenzen aus zukünftigen Gewinnen so wie weiteren Teilen des Fremdkapitals (Voraussetzung: die Fremdkapitalanteile können zur Verlustdeckung herangezogen werden).
Alles in allem besteht die Ist-Solvabilität damit aus Mitteln, die grundsätzlich zur Deckung unerwarteter Verluste vor allem versicherungstechnischer Natur herangezogen werden können. Sind diese Mittel in ihrer Summe mindestens so groß wie die geforderte Soll-Solvabilität, kann dem Versicherungsunternehmen eine ausreichende Ausstattung an freien unbelasteten Eigenmitteln bescheinigt werden. Versicherungsunternehmen müssen diesen Nachweis gegenüber der Aufsichtsbehörde im Rahmen einer jährlichen Solvabilitätsberechnung führen.
Ergibt sich bei dieser Solvabilitätsberechnung, dass die Soll-Solvabilität größer ist als die Ist- Solvabilität, gilt also
Ist-Solvabilität /Soll-Sollvabilität < 1
besteht bei diesem Versicherungsunternehmen die Notwendigkeit eines aufsichtsrechtlichen Eingriffs. Je nachdem, welcher Teil der Ist-Solvabilität relativ zur Soll-Solvabilität besonders niedrig ausfällt, kann dies für das Versicherungsunternehmen entweder auf die Ersteilungeines Solvabilitätsplanes oder eines Finanzierungsplanes hinauslaufen. Konkret gilt:
Ist-Solvabilität < Solvabilitätsspanne → Solvabilitätsplan
Ist-Solvabilität < Garantiefonds → Finanzierungsplan
Ist-Solvabilität < Mindestgarantiefonds → Finanzierungsplan
Der Finanzierungsplan soll dabei darstellen, wie das Versicherungsunternehmen seine Eigenmittelausstattung kurzfristig zu konsolidieren gedenkt, der Solvabilitätsplan zielt hingegen auf eine langfristige Verbesserung der Eigenmittelausstattung und kann auch Einzelmaßnahmen zur Beeinflussung der Soll-Solvabilität beinhalten (Verbesserung der Risikostruktur des Versicherungsbestandes, verstärkter Rückgriff auf Rückversicherungsabkommen etc.). Liegt die Ist- Solvabilität nur geringfügig unterhalb der Soll-Solvabilität, muss das Unternehmen daher einen Solvabilitätsplan vorlegen. Liegt die Ist-Solvabilität hingegen gar unterhalb des Garantiefonds (ein Drittel der Solvabilitätsspanne), ist bereits in der nächsten Zukunft mit ernsten finanziellen Problemen zu rechnen, entsprechend wird nun eine kurzfristige Sanierung der Eigenmittelausstattung gefordert (Finanzierungsplan).
Der Solvabilitätsbegriff findet auch auf Konzernebene Anwendung und bezieht hier alle am Konzern beteiligten Versicherungsunternehmen mit ein. Nichtversicherungsunternehmen wie einer Holding-Gesellschaft wird dabei eine Soll-Solvabilität von null zugeschrieben. Die Verantwortung für die Darstellung der geforderten Solvabilität liegt jeweils bei der im Konzern führenden Gesellschaft, unabhängig davon, ob es sich dabei um ein Versicherungsunternehmen
handelt oder nicht. Problematisch ist in diesem Zusammenhang, dass nicht alle Konzerntöchter im alleinigen Besitz der führenden Gesellschaft(en) sein müssen; zusätzlich erschwerend wirken die vielfältigen Gestaltungsmöglichkeiten bei der Rechnungslegung von Versicherungskonzernen (Einfluss der IAS/IFRS und der amerikanischen US-GAAP – in beiden Fällen geht es um die Entwicklung internationaler Rechnungslegungsstandards).