Lebensversicherte werden nicht – zu mindestens 90 Prozent – an den Zins- und Risikoüberschüssen beteiligt, sondern nur an den dezimierten Jahresüberschüssen der Unternehmen.
Der Jahres(roh)überschuss ist das Endergebnis eines jeden Jahresabschlusses von Versicherungsunternehmen. Hier endet der Leidensweg des Versichertengeldes.
Der Leidensweg begann mit einem Irrtum. Geld, das die Versicherten für Versicherungsleistungen bereitstellen oder ansparen wollen, wird als Preis vereinnahmt und als Umsatz verbucht. Eine folgenschwere Verwechslung – ungefähr so, wie in dem in den einleitenden Artikeln beschriebenen Beispiel, wo der Taxifahrer 1000 Euro erhielt, um den Wagen eines anderen aus der Werkstatt abzuholen, und diesen als Preis für das Wagenabholen ansah, die Reparaturrechnung über 618 Euro bezahlte und den Rest für sich behalten hat.
Derartiges ist natürlich nur möglich, wenn – nach außen – nicht klar definiert ist, wofür das gezahlte Geld bestimmt ist – wie bei Versicherungsprämien. Sind die Prämien erst einmal im Sack, dann müssen die Überschüsse und Erträge aus anvertrauten Versichertengeldern herhalten – ein paar Prozente für Kostenverschwendungen, ein paar Prozente für aggressive Drückertruppen, ein paar Prozente für die Rück- Versicherung, ein paar Prozente zum Ausgleich von unternehmerischer Dummheit und Missmanagement, ein paar Prozente verschwinden im Konzern oder über die Rückversicherung, in stillen Reserven oder im Eigenkapital, und ein paar Prozente lässt man in irgendwelchen Rückstellungen schmoren. Und nach all diesen Glanzleistungen gibt es noch ein paar Prozente für höhere Vorstandsbezüge und als Dividende für die Aktionäre. Ach ja – ein paar Prozente noch für Versicherungsleistungen.
Der Eifer der Versicherungsmanager, das Versichertengeld zu missbrauchen und zu verteilen, wird weder durch Wettbewerb noch durch irgendein Pleiterisiko in Schranken gehalten – auch nicht durch das Aufsichtsamt. Dieses fordert sogar, dass die Unternehmen zunächst einmal für ihre eigene Sicherheit sorgen. Denn es gibt gesetzliche Bestimmungen, die die Gesellschaften dazu zwingen, Überschüsse aus anvertrautem Versichertengeld zu veruntreuen – aus Gründen der Solvabilität: Jedes Unternehmen darf nicht nur, sondern muss so viel Beitragsüberschüsse in Eigenkapital umwandeln, dass die dauernde Erfüllbarkeit der Verträge selbst in schlechtesten Zeiten gegeben ist. Natürlich könnte und müsste man solche Reserven im Eigentum der Versicherten bilden. Darauf ist nur noch keiner gekommen.
Über die Verwendung des Jahres(roh)überschusses entscheiden bei einer Aktiengesellschaft der Vorstand und die Aktionärsversammlung. Vorher werden aber noch einige Proberechnungen durchgeführt. Hierzu der Bilanzexperte eines Versicherungsunternehmens in der Zeitschrift Transatlantik:
Wir drehen und wenden das so lange, bis es dem Vorstand genehm ist. Letztes Jahr kriegten wir nen Überschuss raus. Wollte der Finanzvorstand nicht haben. Hätten ja 90 Prozent in die Beitragsrückerstattung gehen müssen. Haben wir also die Ochsentour noch mal gemacht. Und siehe da, mit denselben Schlüsseln sind wir auf einen Verlust gekommen. Mathematisch war beides richtig, aber erwünscht war eben nur das eine Ergebnis. Wir nutzen nur die Spielräume. Da wird vorwärts und rückwärts gerechnet, vor allem natürlich rückwärts, vom Ergebnis nach vorn!
Also sind die Geschäftsergebnisse von Versicherungsgesellschaften – weitaus mehr als bei anderen Unternehmen – schlichte Manipulation. Am Jahresende geht dann das große Verteilen des Rohüberschusses los: So viel wie möglich an die Aktionäre! Da wird überschüssiges Versichertengeld in Rücklagen eingestellt, die später per Vorstandsbeschluss zur Aufstockung des Eigenkapitals verwendet werden – wieder ein Weg, Versichertengeld klammheimlich in Aktionärsgeld umzuwandeln. Man nennt das Selbstfinanzierung des Eigenkapitals aus Gesellschaftsmitteln. So das Handelsblatt: Die Hauptversammlung der Nürnberger Leben beschloss eine Kapitalerhöhung aus Gesellschaftsmitteln um zwei auf acht Millionen Mark. Damit wurde seit 1961 das Kapital ohne Zuzahlung der Aktionäre verachtfacht. Ein tolles Geschäft für die Aktionäre, die Gratisaktien erhielten.
Das Handelsblatt meldete aber auch Bedenken an: Die Eigenkapitalbildung erfolgt bei den Lebensversicherungsunternehmen in der Regel aus dem Überschuss des Geschäftsjahres. Dieser ist jedoch untrennbar mit den Erträgen aus der Anlage der Spargelder verbunden und soll deshalb nach den Vorstellungen der Versicherungsaufsicht zu möglichst großen Teilen an die Versicherten ausgeschüttet werden. Zur Allianz-Leben schrieb das Handelsblatt: Zufrieden können auch die Aktionäre sein, obwohl ihnen nur eine unveränderte Dividende von neun Mark je 50-DM-Aktie vorgeschlagen wird. Weit mehr bringt ihnen das Bezugsrecht einer zweistufigen Kapitalerhöhung aus Gesellschaftsmitteln. Beim derzeitigen Kurs von 1790 errechnen sich die Bezugsrechte auf insgesamt 390 DM. Das sind mehr als 20 Prozent Gewinn pro Aktie! Außerdem hatte sich der Kurswert der Allianz-Leben-Aktie vom Tiefststand 728 auf einen Höchststand von 1995 entwickelt. Und das entspricht einem zusätzlichem Gewinn von 150 Prozent in drei Jahren.
Dabei ist die Dividende von neun Mark ein Kleckerbetrag. So auch der frühere Allianz-General Schieren, der seine Methode, ungerechtfertigte Gewinne oder – umgekehrt – den Missbrauch von Versichertengeld zu verschleiern, in Anlehnung an einen bekannten Buchtitel wie folgt umschrieb: Es muss nicht immer Dividende sein. Dazu das manager magazin: Die gute Bedienung der Aktionäre hat Tradition und Raffinesse gleichermaßen: Von vier Kapitalerhöhungen der Allianz in den vergangenen Jahren waren zwei gratis und zwei fast geschenkt. – Es wurde bereits in den einleitenden Artikeln dargestellt, dass Capital und manager magazin für einen Zeitraum von 13 Jahren Renditen der Allianz-Aktionäre von 30 bis 40 Prozent pro Jahr (!) errechnet hatten. Demgegenüber klang die damalige Werbung der Allianz-Leben wie ein Hohn: Sie brauchen sich um die Sicherheit Ihres Geldes keine Sorgen zu machen. (Man beachte: Ihres ist groß geschrieben!) Ein Lebensversicherter erzielte zu dieser Zeit bei der Allianz Renditen von um die fünf Prozent.
Reichlich dezimiert – durch Kostenverschwendungen, Abschreibungen und vielfältige Manipulationen – erscheint der Rest des Versichertengeldes im Jahresüberschuss. Das Bundesaufsichtsamt hatte über mehrere Jahre ermittelt, dass von den gesamten Risiko- und Zinsüberschüssen grundsätzlich sehr viel weniger als 90 Prozent für die Überschussbeteiligung übrig geblieben sind. Hierzu der Aufsichtsbeamte Claus: Die Gründe dafür kann man wohl alle unter dem Oberbegriff mangelhafte oder schlechte Geschäftsführung zusammenfasten. Nur an dem, was der Unternehmensvorstand von den Beiträgen, ihren Überschüssen und Erträgen übrig gelassen hat, müssen die Versicherten zu mindestens 90 Prozent beteiligt werden. Auch zu dieser 90-Prozent-Formel gibt es noch heute in der Öffentlichkeit viele Missverständnisse. Alle haben immer von einer mindestens 90-Prozent- Beteiligung an den Überschüssen geredet und damit die Risiko- und Zinsüberschüsse gemeint.
Viele Gesellschaften prahlen noch heute mit einer 98-Prozent-Beteiligung. Hierzu der Fachjournalist Arno Surminski : Ich persönlich nehme mich von dieser naiven 98-Prozent- Gläubigkeit nicht aus. Es hat lange gedauert, bis ich mir die Frage stellte: 98 Prozent von was? Diese Frage beantwortete ein Beamter des Bundesaufsichtsamtes in einer Fernsehsendung wie folgt: Es handelt sich hier nicht um die tatsächlichen Zins- und Sterblichkeitsüberschüsse. Hat ein Lebensversicherer z.B. überdurchschnittliche Verwaltungskosten, so mindert dies den Überschuss und damit die Bezugsgröße für die 90 oder 98 Prozent, die den Versicherten zugutekommen sollen. Beträgt der Überschuss z. B. nur 1 Mark, so werden auch nur 98 Prozent den Versicherten gutgebracht, aber eben nur 98 Pfennig.
Daher sagen auch Werbesprüche und Vertragsbedingungen, dass Lebensversicherte zu mindestens 90 oder gar 98 Prozent am Jahresüberschuss einer Gesellschaft beteiligt werden, überhaupt nichts aus – eben weil es auf die Bezugsgröße ankommt. Und die ist eben nicht 100 Prozent, sondern vielleicht 80 Prozent, die die Gesellschaften von den Erträgen in den Jahresüberschuss eingebracht und nicht abgeschrieben, verschoben oder für Kostenverschwendungen oder anderswie missbraucht haben. Und 90 Prozent von 80 Prozent sind eben nur 72 Prozent und die hochgejubelten 98 Prozent Überschussbeteiligung sind bei einer Bezugsgröße 80 Prozent eben nur 78,4 Prozent der tatsächlich entstandenen Überschüsse! Ob aber eine Milliarde oder nur eine Mark von den Überschüssen und Erträgen aus Versichertengeld übrig bleiben, liegt im Ermessen des Vorstandes.
Wie das funktioniert, beschreibt der Bilanzexperte eines Versicherungsunternehmens in Transatlantik:
Natürlich steht das auf dem Papier, dass die Firma irgendwas über 90 Prozent ausschüttet – aber 90 Prozent von was? Wir drehen und wenden das so lange, bis es dem Vorstand genehm ist. Wir halten uns ganz streng an die Vorschriften. Wir nutzen nur die Spielräume. Die Schlüssel sind so angelegt, dass große Teile der Gewinne auf Sparten umgelenkt werden können, wo nicht ausgeschüttet werden muss. Schlüssel gibts auch für die Zurechnung der Verwaltungs und Abschlusskosten auf die jeweiligen Sparten. Da kann man die Kosten natürlich hauptsächlich da ansiedeln, wos den Überschuss drückt.
Erkennen Sie, inwieweit Sie sich beim Lebensversicherungssparen einseitigen Entscheidungen eines Unternehmensvorstandes und wie Sie Ihr gutes Geld jahrzehntelang einem möglichen Missbrauch ausliefern!
Außerdem gibt es beim Lebensversicherungssparen eine unausweichliche Verlustautomatik, und zwar in zweifacher Hinsicht Ihr Geld wird jahrzehntelang dezimiert – erstens durch Abschreibungen und außerdem durch die Inflation, die über die letzten Jahrzehnte in Deutschland im Durchschnitt drei Prozent betrug!
Die Gewinn- und Verlustrechnungen von Versicherungsunternehmen teigen, dass die ungeregelten Vertrags- und Vermögensverhältnisse im Versicherungswesen im Endergebnis einen Vorgang ermöglichen, der im Wirtschaftsleben einmalig ist:
Versicherungs-Aktiengesellschaften brauchen Gewinne nicht zu erwirtschaften, sondern können diese – selbst nach Missmanagement und unternehmerischen Verlusten – aus dem nicht identifizierbaren Treuhandgeld beschließen!
Das heißt: Die Höhe der Kosten spielt keine Rolle, denn Gewinn oder Verlust sind keine zwangsläufigen Leistungserfolge oder Buchungsergebnisse bei Versicherungsunternehmen, sondern nach Feststellung der Einnahmen und Aufwendungen bleibt trotz hoher Kostenverschwendungen und selbst nach Managementfehlern immer noch ein Überschuss an Versichertengeld als Manipuliermasse übrig. Verständlich, dass unter solch paradiesischen Zuständen kein Vorstand bis heute für ein Lebensversicherungsunternehmen einen Verlust verbucht hat, solange Millionen und Milliarden Versichertengeld zum Verlustausgleich und für Gewinne frei verfügbar waren. Auf die beschriebene Art und Weise haben insbesondere die großen deutschen Versicherungs-Aktiengesellschaften seit etwa 100 Jahren ein ganzes Volk regelrecht ausgebeutet, indem sie die Fehler des deutschen Versicherungswesens – die fehlende vermögensrechtliche Zuordnung der Versicherungsgelder, den fehlenden Wettbewerb, eine tatenlose Staatsaufsicht und das falsche deutsche Bilanzrecht – skrupellos ausgenutzt und ihnen eigentlich nur anvertraute Gelder missbraucht haben.
Rechnet man die Kostenverschwendungen, Verluste durch Abschreibungen, Manipulationen und ungerechtfertigte Gewinne einschließlich Zinsen über Jahrzehnte hoch, so haben die Lebensversicherten durch das falsch strukturierte Versicherungswesen Hunderte von Milliarden Mark verloren. Im Grunde ist die Kapitalversicherung in der herkömmlichen Form mit ihrer vermengten Prämie eigentlich tot. Die Branche weiß das auch, nur die Verbraucher und Lebensversicherten wissen es noch nicht. Von ihrer Aufklärung hängt es also ab, wann die traditionelle Kapitalversicherung endlich zu Grabe getragen wird.