Sandwich-Generation
Man nennt sie die „Sandwich-Generation“, weil sie eingeklemmt ist zwischen Verpflichtungen: Über Renten- und Krankenkasse tragen die 40- bis 60-Jährigen die Hauptlast einer immer älter werdenden Gesellschaft, und auf der anderen Seite finanzieren sie ihre Kinder bis weit ins Studentenalter hinein. Ihnen hat der Bundesgerichtshof (BGH) wenigstens an einer Front Entlastung verschafft – und zwar ohne Gesetzgeber: Wer seine betagten Eltern im Pflegeheim unterbringen muss, kann von den Sozialämtern in sehr viel geringerem Maße in Regress genommen werden als bisher.
Begonnen hat der BGH-Familiensenat seinen Schwenk in der Rechtsprechung mit einem Grundsatzurteil vom 22. Oktober 2002, die Klärung der Details in weiteren Entscheidungen ist noch nicht beendet. Ausgangspunkt ist der unscheinbare, aber folgenschwere Paragraf 1601 im Bürgerlichen Gesetzbuch: „Verwandte in gerader Linie sind verpflichtet, einander Unterhalt zu gewähren.“ Mit anderen Worten: Nicht nur die Eltern zahlen für ihre Kinder – die Unterhaltspflicht besteht auch in umgekehrter Richtung.
Dabei geht es um viel Geld. Denn bei monatlichen Heimkosten von 2.000 oder 3.000 Euro ist das, was aus Pflegeversicherung, Rente und Vermögen der Betroffenen zusammenkommt, rasch erschöpft. Die steigende Lebenserwartung führt zu immer längeren Pflegezeiten. Bundesweit zählt man zwei Millionen Pflegebedürftige, und laut Statistik hat der Mensch mit mehr als sechs „beeinträchtigten“ Lebensjahren zu rechnen.
Wenn also die Sozialämter, die bei einer Heimunterbringung in Vorleistung treten, die gesetzlich auf sie übergeleiteten Unterhaltsansprüche der Eltern bei den Kindern eintrieben, kamen bisher leicht fünfstellige Summen zusammen. 20 bis 50 Prozent der Kosten – regional schwankend nach wirtschaftlicher Stärke – holen sich die Behörden nach Auskunft des Deutschen Landkreistages über den Unterhaltsregress zurück. Im BGH-Fall vom Oktober 2002 sollte ein 67-jähriger Rentner gut 42.000 Euro für den Heimaufenthalt seiner Eltern zahlen.
Der BGH hat nun das umgesetzt, was die Fachwelt – sogar der Deutsche Juristentag – schon lange fordert. Die Unterhaltsverpflichteten müssen keine spürbare und dauerhafte Einschränkung ihres Lebensstandards hinnehmen; ihnen muss ein deutlich höherer „Selbstbehalt“ bleiben. Zwar haben die Gerichte diesen Betrag, der etwa einem Erwerbstätigen mindestens verbleiben muss, beim Elternunterhalt schon bisher mit 1.250 Euro veranschlagt – also deutlich höher als etwa bei Verpflichtungen für minderjährige Kinder, wo der Selbstbehalt bis auf 840 Euro gedrückt werden kann.
Doch der BGH gewährt nun noch einen weiteren Zuschlag. Was über 1.250 Euro hinausgeht, muss in der Regel nur zur Hälfte für die Heimkosten der Eltern eingesetzt werden. Mit dieser 50-Prozent-Regel will der BGH erreichen, dass nicht alle – ob arm oder reich – auf dasselbe Niveau abgesenkt werden. Sie dürfen ihren bisherigen Lebensstil – inklusive angemessener Altersversorgung – im Großen und Ganzen beibehalten. (Aktenzeichen: X2 ZR 266/99 vom 23. Oktober 2002 u. X2 ZR 67/00 vom 19. Februar 2003)