Die so genannten Obliegenheiten sind eine Besonderheit des Versicherungsvertragsrechts. Sie verpflichten den Versicherungsnehmer zu bestimmten Verhaltensweisen, damit er den vertraglich festgelegten Versicherungsschutz ungeschmälert oder überhaupt genießt. Das VVG gibt für die Obliegenheit keine Definition an, da es sich um einen interpretationsoffenen Begriff handelt, der zudem durch die Rechtsprechung ständig weiterentwickelt wird.
Es handelt sich bei Obliegenheiten nicht um echte Rechtspflichten wie bei der Beitragszahlungspflicht. Solche kann der Versicherer auch gerichtlich eintreiben. Dem Versicherungsnehmer steht es demgegenüber frei, sich an Obliegenheiten zu halten. Die nachteiligen Konsequenzen von Obliegenheitsverletzungen bestehen für ihn im Entzug des Versicherungsschutzes oder von Teilen desselben.
Vom Grundsatz des bürgerlichen Rechts, wonach eine Mitwirkung oder Mitschuld an einem Schaden etwaige Schadenersatzansprüche reduziert, wird dabei im alten VVG abgewichen und in Gestalt von Leistungsbefreiung oder Rücktrittsrechten des Versicherers ein strafendes Moment in das Vertragsrecht eingeführt. Die VVG-Novelle nimmt diese Abweichungen vor allem bei den vorvertraglichen Anzeigepflichten etwas zurück und führt so in diesem Sektor das Versicherungsvertragsrecht wieder näher an das gewöhnliche Zivilrecht heran.
Risikoausschlüsse werden durch die AVB festgelegt. Obliegenheiten ergeben sich als gesetzliche Obliegenheiten aus Regelungen des VVG, als vertragliche Obliegenheiten durch individuelle Vereinbarung oder ebenfalls durch die AVB. Man unterscheidet Obliegenheiten, die vor dem Zustandekommen des Vertrages erfüllt sein müssen, Obliegenheiten, die während der Vertragslaufzeit vor Eintritt eines Versicherungsfalles zu erfüllen sind und spezielle Obliegenheiten im Versicherungsfall. Besondere Berücksichtigung verdient das Verhalten und die Kenntnis Dritter, die dem Versicherungsnehmer zugerechnet werden.
Zwei wichtige Änderungen im neuen VVG betreffen zum einen die vorvertraglichen Anzeigepflichten; hier wird die Stellung des Versicherungsnehmers gestärkt. Zum anderen wird der in vielen praktischen Fällen unangemessene Grundsatz des „Alles oder Nichts“ der Leistungsfestlegung stark eingeschränkt. Beide Änderungen verleihen vor allem der Rechtsprechung der letzten Jahrzehnte eine einheitlichere gesetzliche Form.
Risikoausschlüsse
Von Obliegenheiten sind Risikoausschlüsse zu unterscheiden. Sie definieren Sachverhalte, in denen kein Versicherungsschutz gegeben ist, und zwar unabhängig vom Verhalten des Versicherungsnehmers.
Beispiel: In der Unfallversicherung entfallen nach den AUB 2008 (Musterbedingungen des GDV) des GDV die Leistungen bei Unfalltod, wenn dieser dem Versicherer nicht innerhalb von 48 Stunden nach dem Todesfall angezeigt wird (Obliegenheit). Gesundheitliche Schäden infolge von Insektenstichen sind generell nicht versichert, unabhängig vom Verhalten des Versicherten (Risikoausschluss).
Risikoausschlüsse sind wesentlich für die vertragliche Definition des Versicherungsumfangs. Durch so genannte primäre Risikoabgrenzungen werden die versicherten Gefahren und mögliche Schäden beschrieben. Risikoausschlüsse sind dagegen sekundäre Risikoabgrenzungen, die die primären Risikoabgrenzungen durch Ausnahmeregelungen modifizieren und weiter einschränken. Die Beweispflicht dafür, dass ein Risikoausschluss vorliegt, liegt zumeist beim Versicherer.
Objektive Risikoausschlüsse liegen nicht in der Person des Versicherungsnehmers begründet, sondern in äußeren, eben „objektiven“ Sachverhalten. Weit verbreitet sind etwa in der Schaden- und Unfallversicherung Risikoausschlüsse für Erdbeben, Krieg und innere Unruhen, Schäden durch Kernenergie und Strahlenschäden.
Die Auslegung der Risikoausschlüsse ist in der Praxis oft schwierig. Probleme bereitet häufig auch die Frage des ursächlichen Zusammenhangs (Kausalität). Beispielsweise ist für die Leistungsfreiheit im Falle eines Unfalls, der im räumlichen und zeitlichen Zusammenhang mit einem Ausschlussgrund, wie Alkoholkonsum, steht, maßgeblich, ob der Alkoholgenuss tatsächlich als Unfallursache angesehen werden kann. Hierfür gilt der Grundsatz der Adäquanz: Ein adäquater Kausalzusammenhang liegt demnach vor, wenn eine Handlung oder Unterlassung im Allgemeinen und nicht nur unter unwahrscheinlichen Umständen zur Herbeiführung eines Zustands oder Ereignisses geeignet gewesen ist (vgl. Schimikowski).
Subjektive Risikoausschlüsse stehen mit dem Versicherungsnehmer in ursächlichem Zusammenhang. Häufigste Anwendung ist die Herbeiführung des Versicherungsfalles, durch die der Versicherer von der Leistungspflicht entbunden werden kann; sie ist in den verschiedenen Sparten unterschiedlich geregelt. Leitende Kriterien für die Leistungsfreiheit sind zum einen die objektive Herbeiführung des Versicherungsfalles an sich – was auch durch Unterlassung schadenverhütender Maßnahmen geschehen kann -, zum anderen ein schwerwiegendes Verschulden. Die Beweispflicht liegt hierfür in jedem Fall beim Versicherer.
Die zentralen Regelungen dazu finden sich für die Schadenversicherung in §81 VVG. Vorsätzliche Herbeiführung des Versicherungsfalles führt demnach zur Leistungsfreiheit des Versicherungsunternehmens. Als Vorsatz gilt dabei sowohl die absichtliche Herbeiführung als auch die lediglich billigende Inkaufnahme des Schadenereignisses. Bei grober Fahrlässigkeit sieht die VVG-Novelle statt der früher üblichen vollen Leistungsfreiheit („Alles-oder-Nichts-Prinzip“, vgl. §61 VVG-alt) seit 1. Januar 2008 eine Quotelung vor, die der Schwere des Verschuldens des Versicherungsnehmers entspricht.
In der Haftpflichtversicherung wird nicht nur auf den Vorsatz bei der Begehung der Handlung abgehoben, die zum Versicherungsfall führt; auch die daraus folgende Schädigung muss im Vorsatz eingeschlossen gewesen sein (§ 103 VVG). Grobe Fahrlässigkeit ist wie im alten Recht kein Ausschlusskriterium, weil dies dem Zweck des Haftpflichtgedankens zuwiderliefe. In der Transportversicherung wird das Alles-oder-Nichts-Prinzip bei Vorsatz und grober Fahrlässigkeit beibehalten, da hier die strengeren Regelungen der Versicherung von Großrisiken Anwendung finden (§ 137 VVG).
Die Herbeiführung des Versicherungsfalles in der Krankenversicherung wird in unserem Versicherung-Ratgeber behandelt; in der Summenversicherung betrifft sie vor allem die Lebensversicherung.
Vorvertragliche Obliegenheiten
Im Gegensatz zu Risikoausschlüssen erlegen Obliegenheiten dem Versicherungsnehmer gewisse Pflichten auf, durch deren Erfüllung er Schadenfolgen mindern oder ganz vermeiden soll. Die Obliegenheiten vor Vertragsbeginn betreffen Informationen und Mitteilungen, die der Versicherungsnehmer dem Versicherungsunternehmen geben muss, damit dieses seine Entscheidung über den Vertragsabschluss möglichst qualifizier Prüfen kann.
Der frühere § 16 VVG-alt verpflichtete den Versicherungsnehmer summarisch, alle Auskünfte zu geben, die für die Risikoübernahme durch den Versicherer als erheblich galten. Dies führte bei Schadenereignissen immer wieder zu Auseinandersetzungen über die Frage, ob die vor Vertragsabschluss gemachten Angaben in diesem Sinne ausreichend waren. Die Entscheidung aber, welche Informationen als gefahrenerheblich einzustufen sind, kann vor allem vom Versicherer selbst getroffen werden.
Ihm wurde daher im neuen § 19 VVG die Verantwortung dahin gehend übertragen, dass er nach allen ihm erheblich erscheinenden Gefahrenmerkmalen ausdrücklich fragen muss. Dies geschieht üblicherweise in Gestalt eines Fragebogens, weswegen die Textform nun auch ausdrücklich vorgeschrieben ist. Der Versicherungsnehmer hat die Fragen und weitere Nachfragen, die der Versicherer vor Annahme des Vertrages an ihn stellt, wahrheitsgemäß zu beantworten.
Dadurch wird auch geregelt, in welcher Weise der Versicherungsnehmer dem Versicherer Umstände mitzuteilen hat, die erst nach Antragstellung wirksam werden. Bestand früher im Grunde die Pflicht des Versicherungsnehmers, solche Umstände in jedem Fall nach zu melden, muss der Versicherer nach neuem Recht ausdrücklich erneut nachfragen. Es liegt daher im Interesse des Versicherers, den Antrag möglichst schnell zu bearbeiten, will er eine zwischenzeitliche Änderung des von ihm getragenen Risikos ausschließen.
Unterlässt der Versicherungsnehmer eine Anzeige, zu der er verpflichtet ist oder erteilt er unrichtige Auskunft, kann der Versicherer vom Vertrag zurücktreten, jedoch nur bei Vorsatz oder grober Fahrlässigkeit (§ 19(2) und (3) VVG). Einfache Fahrlässigkeit wie nach § 16(3) VVG-alt oder § 17 VVG-alt reicht für den Rücktritt nicht mehr aus, der Versicherer kann aber mit einer Frist von einem Monat den Vertrag kündigen.
Der Versicherer darf außerdem nicht zurücktreten, wenn er den Vertrag auch in Kenntnis der nicht angezeigten Umstände geschlossen hätte. Den Nachweis hierüber muss allerdings der Versicherungsnehmer führen. Der Versicherer hat in diesem Fall zudem die Möglichkeit, andere Bedingungen in den Vertrag aufzunehmen. Führt dies zu einer mehr als zehnprozentigen Beitragserhöhung oder schließt der Versicherer den nicht angezeigten Umstand durch die neuen Bedingungen aus, kann der Versicherungsnehmer den Vertrag innerhalb eines Monats fristlos kündigen. Voraussetzung für diese Einschränkung des Rücktrittsrechts des Versicherers ist, dass der Versicherungsnehmer seine Anzeigepflicht nicht vorsätzlich verletzt hat; bei Vorsatz gilt ein Vertragsabschluss für das Versicherungsunternehmen als unzumutbar (§ 19 (4)—(6) VVG).
Alle Möglichkeiten zur Vertragsbeendigung durch den Versicherer setzen nach neuem Recht voraus, dass der Kunde über diese Möglichkeiten ausdrücklich belehrt worden ist. Unklaren oder widersprüchlichen Angaben muss der Versicherer auf den Grund gehen, um sein Rücktrittsrecht nicht zu verlieren. Außerdem kann er sich nicht auf Verletzung der Anzeigepflicht berufen, wenn ihm die fraglichen Umstände aus anderer Quelle bekannt waren.
Dies spielt zum Beispiel eine große Rolle bei der Bearbeitung von Antragsformularen durch einen Versicherungsvertreter, der ja als „Auge und Ohr“ des Versicherers gilt. Kann der Kunde glaubhaft machen, diesen über gefahrenerhebliche Umstände aufgeklärt zu haben, dürfen ihm – nach allgemeiner Rechtsprechung auch bisher schon – Fehler des Vermittlers beim Ausfüllen des Antrags normalerweise nicht nachteilig angerechnet werden. Seine Rechte muss der Versicherer innerhalb eines Monats geltend machen, nachdem ihm die Verletzung der vorvertraglichen Anzeigepflicht bekannt geworden ist.
Für einen zwischenzeitlich eingetretenen Versicherungsfall besteht Leistungspflicht nur dann, wenn der nicht oder falsch angezeigte Umstand dafür nicht ursächlich war und der Versicherungsnehmer seine Anzeigepflicht nicht arglistig verletzt hat (§21 VVG, entspricht bis auf den Leistungsausschluss bei Arglist den §§20 und 21 VVG-alt). Neu ist eine Frist von fünf bzw. bei Arglist zehn Jahren nach Vertragsschluss, nach deren Ablauf der Versicherer vom Vertrag auch bei einer Anzeigepflichtverletzung nicht mehr zurücktreten kann. Die Frist gilt nicht für Versicherungsfälle, die vor ihrem Ablauf eingetreten sind (§21 (3) VVG). So soll verhindert werden, dass durch deren bewusst verzögerte Meldung der Versicherer um sein Rücktrittsrecht gebracht werden könnte.
Der Tatbestand der arglistigen Täuschung ermöglicht dem Versicherer nach § 22 VVG, den Vertrag nach bürgerlichem Recht (§ 123 BGB) anzufechten und sich damit auch in den Fällen der Leistungspflicht zu entledigen, in denen diese nach §§ 19-21 VVG sonst bestehen bliebe. Die Beweislast liegt beim Versicherer. Unabhängig davon kann der Versicherer den Kunden nach einem arglistigen Täuschungsversuch auch strafrechtlich zur Verantwortung ziehen.