Besonderheit 1: Pflegebedürftige Kinder
Die Pflegeversicherung leistet bei Pflegebedürftigkeit, und dies unabhängig vom Alter des Betroffenen. Auch bei Kindern kann es Vorkommen, dass auf Grund eines Unfalls oder eines Geburtsschadens erheblicher Hilfebedarf notwendig ist. Im Kern gelten alle Vorschriften und Regeln somit auch für Kinder. Es gibt jedoch einen Unterschied.
Kinder sind auch ohne krankheits- oder unfallbedingte Einschränkung in einem gewissen Rahmen hilfebedürftig. Für gewissermaßen natürlich vorkommenden Hilfebedarf leistet die Pflegeversicherung jedoch nicht, sondern lediglich für Hilfebedarf, der ursächlich durch Krankheit oder Behinderung hervorgerufen wird. Der Gutachter wird demnach den Hilfebedarf des Kindes unter diesem Gesichtspunkt ermitteln. Konkret bedeutet dies nichts anderes, als dass zuerst der gesamte vorhandene Hilfebedarf ermittelt und dann der Anteil abgezogen wird, der allein durch das Alter begründet ist.
Wie in Deutschland nicht anders zu erwarten, existieren hierüber Richtwerte, an die sich die Gutachter halten. Die abzuziehenden Zeiten unterteilen sich in die verschiedenen Funktionsbereiche und gliedern sich nach Alter, wobei das Alter in mutmaßliche Entwicklungsstadien zusammengefasst wird, innerhalb derer der Zeitbedarf nicht wesentlich schwankt. Und so sieht das aus:
Körperpflege (inklusive WC/Windeln) | 1,25 Std. | 1 | 1-0,75 | 0,75 | 0,75-0 |
Ernährung (mundgerecht, anreichen) | 2-1 | 1 | 0,75 | 0,75-0,5 | 0,5-0 |
Mobilität (kleiden, zu Bett bringen) | 2 | 2 | 1 | 1-0,5 | 0,5-0 |
Die angegebenen Zeitwerte entsprechen dem Hilfebedarf für gesunde Kinder in diesem Alter in Stunden, werden also vom gesamten Zeitbedarf abgezogen. Wie Sie sehen, gibt es auch hier einen Ermessensspielraum. Aus der Tabelle geht außerdem hervor, dass Kinder über zwölf Jahre im Wesentlichen wie Erwachsene behandelt werden, da sie wie ihre Eltern ohne Hilfe essen, sich waschen und sich bewegen können. Die durchaus noch notwendigen Hinweise, Anleitungen und Kontrollen betreffen nicht den eigentlichen Sinn der Pflegeversicherung, da bei dieser Art Hilfeleistung die gesetzliche Pflegeversicherung so oder so nicht eintritt.
Weiterhin wird deutlich, dass bei Kindern oftmalige Begutachtungen notwendig sein können, um den jeweiligen Stand der Entwicklung und den möglicherweise veränderten Hilfebedarf rechtzeitig erfassen zu können.
Besonderheit 2: Gutachten nach Aktenlage
Diese Besonderheit greift immer dann, wenn eine Begutachtung vor Ort nicht möglich ist, sei es aus Gründen besonderer Eile, wenn zum Beispiel ein Krankenhaus den Versicherten rasch in ein Altenheim verlegen will, das Altenheim aber ohne Einstufung niemanden aufnimmt, oder auch, weil ein Besuch von einem geistig verwirrten Bewohner abgelehnt wird, er aber wegen eben jener geistigen Verwirrtheit dringender Hilfe bedarf.
In aller Regel zieht der Gutachter in einem solchen Fall alle verfügbaren Informationen zusammen, um sich ein möglichst umfassendes Bild zu machen. Dies sind in erster Linie medizinische Unterlagen, wie Krankenhausberichte oder Unterlagen des Hausarztes. Daneben werden aber auch erreichbare Kontaktpersonen – Angehörige, Nachbarn, Freunde – angerufen, um sich ein besseres Bild machen zu können. Auf Grund der mangelnden persönlichen Bekanntheit mit dem Versicherten wird der Gutachter keine genauen Minutenwerte angeben, sondern pauschal den Hilfebedarf einer Pflegestufe feststellen. Das bedeutet, dass möglichst bald ein persönlicher Besuch eines Gutachters folgen muss, um das pauschale Urteil zu überprüfen.
Achtung: Verzichtet der MDK von sich aus auf eine persönliche Begutachtung, obwohl diese möglich gewesen wäre, dann darf es keinen ablehnenden Bescheid geben! Der MDK darf nur dann auf eine Begutachtung vor Ort verzichten, wenn es keinen Zweifel an der Pflegebedürftigkeit des Versicherten gibt. Also: Der Antrag darf nicht abgelehnt werden! Welche Pflegestufe am Ende vergeben wird, steht wiederum im Ermessen des Gutachters. Ein Widerspruch hat aber auf Grund der möglicherweise mangelhaften Datenbasis des Gutachtens gute Aussichten. Nicht selten wird vor Gericht der ohne Not erfolgte Verzicht einer persönlichen Begutachtung als Versäumnis gewertet, welches das ganze Gutachten in ein schlechtes Licht tauchen kann.