Die Versicherungswirtschaft in Deutschland unterliegt einer relativ strengen staatlichen Versicherungsaufsicht, die vor allem die unbedingte Verlässlichkeit des Gutes Versicherung in den Mittelpunkt stellt. Versicherungsrecht wird in weiten Teilen als ein Schutzrecht des Versicherungsnehmers interpretiert, dessen langfristige finanzielle Ansprüche den besonderen Schutz des Gesetzgebers genießen. Daneben spielen auch makroökonomische Überlegungen eine wichtige Rolle bei der Definition der Ziele der Versicherungsaufsicht. Der Geltungsbereich der Versicherungsaufsicht in Deutschland erstreckt sich denn auch nicht nur auf Erst- und Rückversicherungsunternehmen, sondern berücksichtigt ebenso etwaige Konzernstrukturen, in die Versicherungsunternehmen eingebunden sind. Etwas komplizierter liegen die Dinge bei ausländischen Versicherungsunternehmen mit Niederlassungs- oder Dienstleistungsgeschäften auf dem deutschen Markt; hier greifen in weiten Teilen Richtlinien und Vorschriften des EU-Rechts oder des Herkunftslandes.
Bei der Erfüllung ihrer Aufgaben bedient sich die Versicherungsaufsicht eines umfangreichen Instrumentariums, das der zuständigen Behörde tiefe Einblicke in einzelne Versicherungsunternehmen verschafft, um etwaige Missstände frühzeitig zu erkennen und abzuwenden. Im Krisenfall geht die Versicherungsaufsicht dabei sehr umsichtig vor, um den Ruf eines angeschlagenen Unternehmens und der Versicherungsbranche insgesamt nicht unnötig zu schädigen.
Ziele der Versicherungsaufsicht
Die Versicherungsaufsicht ermöglicht dem Gesetzgeber die Umsetzung ordnungspolitischer Vorstellungen und grundlegender gesellschaftlicher Normen in der Versicherungswirtschaft. Die Ziele von Versicherungsaufsicht artikulieren demzufolge die generellen Absichten und Auffassungen, die eine Gesellschaft mit der Einrichtung einer privaten Versicherungswirtschaft verfolgt und können entsprechend vielfältig sein. In der wissenschaftlichen Literatur existieren unterschiedliche theoretische Erklärungsansätze von Versicherungsaufsicht, die jeweils unterschiedliche Ziele implizieren. Werden diese Erklärungsansätze um ein Instrumentarium ordnungspolitischer Mittel der Versicherungsaufsicht erweitert, entstehen Aufsichtstheorien, die den Sinn und Zweck von Versicherungsaufsicht aus verschiedenen Blickwinkeln beleuchten.
Aufsichtstheorien in der Versicherungswirtschaft
Die wohl wichtigste und in der Praxis der Versicherungswirtschaft auch augenscheinlichste Aufsichtstheorie sieht die Hauptaufgabe der Versicherungsaufsicht im Schutz des Versicherungsnehmers und seiner finanziellen Interessen (Schutztheorie). Die Schutztheorie möchte den Versicherungsnehmer vor den negativen Folgen des marktwirtschaftlichen Wettbewerbs in der Versicherungswirtschaft bewahren, insbesondere soll die langfristige Erfüllbarkeit aller durch Versicherungsunternehmen gemachten Leistungszusagen gewährleistet werden. Hierdurch wird die besondere Rolle des Versicherungsnehmers als Gläubiger des Versicherungsunternehmens hervorgehoben (Beitragsvorauszahlung), dessen langfristige Lebensplanung letztlich vom wirtschaftlichen Gesamtzustand des Versicherungsunternehmens abhängig ist.
Beispiel:
Die private Rentenversicherung bildet für Selbstständige häufig das Hauptstandbein der Altersversorgung. Würde ein Versicherungsunternehmen in Konkurs gehen, musste die Versichertengemeinschaft einen Teil ihrer eingezahlten Beiträge abschreiben, die Altersversorgung vieler Versicherter wäre infrage gestellt.
Ebenso problematisch könnte sich der Konkurs eines Lebensversicherungsunternehmens auf Versicherte mit einer Berufsunfähigkeitsversicherung auswirken. Da viele Versicherungsnehmer in den Jahren nach ihrem Vertragsabschluss unweigerlich eine Verschlechterung ihres allgemeinen körperlichen Zustandes erfahren (ohne berufsunfähig zu werden), hätten sie bei einem Konkurs ihres Versicherers extreme Schwierigkeiten, einen vergleichbaren Versicherungsschutz auf dem Markt zu finden (Risikoprüfung). Hinzu käme, dass sie nun aufgrund ihres höheren Alters bei einem Neuabschluss deutlich höhere Beiträge entrichten mussten.
Die Schutztheorie steht damit vor dem Dilemma, den grundsätzlich freien Wettbewerb in der Versicherungsbranche durch ordnungspolitische Eingriffe regulieren zu müssen, ohne den Wettbewerb selbst dabei zu sehr einzuschränken, da auch dies letztlich negative Auswirkungen auf den Versicherungsnehmer hätte. Beispielsweise verursachen Aufsichtsmaßnahmen in den Versicherungsunternehmen Kosten, die letztlich an die Versicherungsnehmer weitergegeben werden (im Wesentlichen verborgen in der Position „Aufwendungen für den Versicherungsbetrieb“ der GuV).
Beispiel:
Für Versicherungsunternehmen bestehen weit über den reinen Jahresabschluss hinausgehende Meldepflichten an die Aufsichtsbehörde. In den Unternehmen führt dieses Meldewesen zu einer personellen Aufblähung des Rechnungswesens mit entsprechend höheren EDV- und Personalkosten. Häufig wird versucht, aus der Notwendigkeit zu regelmäßigen Meldungen an die Versicherungsaufsicht dahingehend einen wirtschaftlichen Nutzen zu ziehen, dass die gemeldeten Zahlenwerte auch zur unternehmensinternen Steuerung verwendet werden.
Da die Schutztheorie die wirtschaftliche Lage des Versicherungsnehmers in den Mittelpunkt stellt, hat sie auch den Charakter einer sozialen Theorie. Die Schutztheorie betont so gesehen in besonderer Weise die gesellschaftliche Verantwortung des privatwirtschaftlichen Versicherungswesens.
Anders als die Schutztheorie sieht die Strukturtheorie die Begründung der Versicherungsaufsicht primär darin, dass der Staat durch regulatorische Vorgaben brancheninterne Strukturschwächen ausgleichen muss, um die Funktionsfähigkeit der Versicherungswirtschaft dauerhaft zu gewährleisten. Nach der Strukturtheorie zielt Versicherungsaufsicht vornehmlich darauf ab, die besondere Struktur des Versicherungsgeschäfts durch gezielte regulatorische Eingriffe so zu ergänzen, dass ein für alle Marktteilnehmer möglichst optimales Ergebnis entsteht.
Die Strukturtheorie ist eng verwandt mit der wirtschaftspolitischen Theorie der Versicherungswirtschaft, die aufsichtsrechtliche Maßnahmen primär als Mittel makroökonomischer Steuerungsmaßnahmen interpretiert. Versicherungsaufsicht wird in diesem Zusammenhang als ein finanz- oder konjunkturpolitisches Instrument verstanden, das der Gesetzgeber zur Unterstützung wirtschaftspolitischer Ziele einsetzt. Ähnlich wie bei der Strukturtheorie weist auch dieser Ansatz eine gewisse Schnittmenge mit der Schutztheorie auf, geht es doch letztlich um wirtschaftspolitische Steuerungsmaßnahmen in einer sozialen Marktwirtschaft. Ganz allgemein kann Versicherungsaufsicht auch als Teil der gewöhnlichen Beaufsichtigung gewerblicher Prozesse durch den Staat gesehen werden (Verhinderung bzw. Beseitigung etwaiger Missstände im Unternehmen). Diese Gefahrentheorie würde den besonderen Bedingungen des Versicherungswesens jedoch nur teilweise gerecht werden (stochastischer Charakter des Versicherungsgeschäftes, Langfristigkeit vieler Vertragsverhältnisse etc.). Der rein gefahrentheoretische Ansatz bietet zwar eine Erklärung für aufsichtsrechtliche Maßnahmen im Versicherungswesen, ist jedoch der Schutztheorie – ähnlich wie schon die Strukturtheorie oder die wirtschaftspolitische Theorie – klar unterzuordnen.
Alle genannten Aufsichtstheorien verfolgen grundsätzlich unterschiedliche Ziele, die stellenweise den Erhaltungszielen von Versicherungsunternehmen entsprechen bzw. diese Erhaltungsziele überhaupt erst in den Fokus der Versicherungswirtschaft rücken. Nach Eisen /Zweifel kann Versicherungsaufsicht denn auch generell als aktive Krisenabwehr in der Versicherungswirtschaft verstanden werden, die vornehmlich zwei Ziele verfolgt:
• Die Insolvenz von Versicherungsunternehmen zu verhindern, um die dadurch den Versicherten und der Allgemeinheit verursachten Kosten erst gar nicht entstehen zu lassen (Insolvenzabwehr).
• Die mit einer Insolvenz eines Versicherungsunternehmens verursachten Kosten der Versicherungsnehmer und der Allgemeinheit zu minimieren (Schadenbegrenzung).
Beide Ziele weisen einen starken Bezug zur Schutztheorie auf, implizieren jedoch auch strukturelle und wirtschaftspolitische Vorstellungen.