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Wertorientierte Unternehmenssteuerung im Versicherungsunternehmen – Shareholder Value-Ansatz

Hauptaufgabe der Unternehmensführung ist die Erreichung der Unternehmensziele durch geeignete strategische und operative Maßnahmen. Im Wettstreit der Unternehmensziele sind dabei in den vergangenen Jahren in der Versicherungswirtschaft verstärkt die Gewinnerzielung und die Wertsteigerung in den Fokus gerückt, entsprechend legen moderne Führungs- und Steuerungsansätze in Versicherungsunternehmen meist besonderes Gewicht auf die Befriedigung der monetären Interessen der Anteilseigner.

Der Shareholder Value-Ansatz fordert diese Ausrichtung an den Interessen der Unternehmenseigentümer bzw. Investoren explizit, andere Ansätze, wie die Deckungsbeitragsrechnung oder das Customer Value Management, orientieren sich in ihrer Wertausrichtung am Produkt bzw. Kunden und können somit in eine Shareholder Value-Ausrichtung integriert werden. Keiner der genannten Ansätze ist speziell für Versicherungsunternehmen entwickelt worden, lässt sich jedoch auf die Besonderheiten des Versicherungsgeschäftes übertragen.

Das Asset-Liability-Management ist ebenfalls kein versicherungsspezifisches Führungs- und Steuerungsinstrument, für die Versicherungspraxis aber in besonderer Weise geeignet, da alle wesentlichen Parameter des Versicherungsgeschäftes berücksichtigt werden. Obwohl eher auf Erhaltungsziele des Versicherungsunternehmens ausgerichtet, gestattet ALM auch eine Optimierung von Ertragsgrößen, weshalb es hier als wertorientiertes Instrument der Unternehmensführung betrachtet werden soll.

Shareholder Value-Ansatz
Der Shareholder Value bezeichnet allgemein den Wert eines Unternehmens aus Sicht seiner Anteilseigner, insbesondere den Wert einer Aktiengesellschaft aus Sicht ihrer Aktionäre. Der Begriff „Wert“ bezieht sich dabei auf den tatsächlichen Zeitwert des Unternehmens, nicht auf das nominal in der Bilanz ausgewiesene Eigenkapital, und berücksichtigt auch die künftige Wertschöpfung des Unternehmens.
Die konkrete Berechnung des Shareholder Value erfolgt häufig über Discounted Cashflow- Modelle (DCF-Modelle), die die Erwartungswerte künftiger auszahlungswirksamer Erträge und Aufwendungen (Cashflow) diskontieren. Der Shareholder Value SH ergibt sich in der Folge als die Summe der Barwerte aller künftigen Zahlungsströme CFk:

Wertorientierte Unternehmenssteuerung im Versicherungsunternehmen - Shareholder Value-Ansatz 49

Aufwendigere DCF-Modelle berücksichtigen zusätzlich noch den Fremdkapitalwert (zum Beispiel Bankverbindlichkeiten), der von der Summe der diskontierten Cashflows subtrahiert wird (erst so gibt SH den tatsächlichen Wert des Unternehmens aus Sicht der Anteilseigner [Eigenkapitalgeber] an).
Alternativ kann der Shareholder-Value auch nach dem Ertragswertverfahren als die diskontierte Summe der künftigen Gewinne definiert werden:

Wertorientierte Unternehmenssteuerung im Versicherungsunternehmen - Shareholder Value-Ansatz 50

Der in beiden Verfahren verwendete Diskontierungszins i wird dabei häufig über den WACC- Ansatz berechnet (Weighted Average Cost of Capital, gewichtete durchschnittliche Kapitalkosten):

Wertorientierte Unternehmenssteuerung im Versicherungsunternehmen - Shareholder Value-Ansatz 51

EK bzw. FK geben dabei das Eigen- bzw. Fremdkapital an, GK das Gesamtkapital und ieK bzw. ifK die Eigenkapital- bzw. Fremdkapitelrendite.
Wird ein so ermittelter Shareholder Value zur primären Steuerungsgröße der Unternehmensführung erhoben (Shareholder Value-Ansatz), zielen alle Entscheidungen der Unternehmensführung auf eine nachhaltige Steigerung dieses Shareholder-Values. Die Anteilseigner können hiervon auf zweierlei Weise profitieren. Einerseits erwirtschaftet das Unternehmen langfristig hohe Erträge, die sich in hohen Ausschüttungen (Dividenden) manifestieren, andererseits erfahren die Besitzanteile am Unternehmen hierdurch eine nachhaltige Wertsteigerung, was zu höheren Veräußerungsgewinnen führt.

Als kurzfristige Steuerungsgrößen der Unternehmensführung im Rahmen eines Shareholder Value-Ansatzes werden neben dem (praktisch kaum bestimmbaren) Shareholder Value SH in der Versicherungswirtschaft auch folgende Größen diskutiert:
• Return on Kisk-Adjustcd Capital (RORAC): RORAC (bezogen auf einen Zeitpunkt) errechnet sich gemäß wobei E(CF) den Erwartungswert des Cash Flows und RAC das risikogerechte Kapital darstellt (Risk-Adjusted Capital), das bei Berücksichtigung eines gewünschten Sicherheitsniveaus zur Unterlegung aller versicherungs- und finanzmarkttechnischen Risiken benötigt wird. RORAC gibt damit die im Unternehmen erwirtschaftete Verzinsung auf das Risikokapital an.

Wertorientierte Unternehmenssteuerung im Versicherungsunternehmen - Shareholder Value-Ansatz 52

• Risk-Adjusted Return on Capital (RAROC): RAROC setzt den Erwartungswert des risikobereinigten Gewinnes E(RG) ins Verhältnis zum Eigenkapital EK:

Wertorientierte Unternehmenssteuerung im Versicherungsunternehmen - Shareholder Value-Ansatz 53

Die Einbeziehung des Risikos erfolgt hier also im Gegensatz zu RORAC in der Erfolgsgröße im Zähler.

• Economic Value Added (EVA): Der periodenbezogene EVA-Wert ist definiert als die Differenz aus erwartetem Cashflow E(CF) und Kapitalkosten:

EVA = E(CF) – RAC • i

Die Kapitalkosten ergeben sich dabei als Produkt aus dem Risk-Adjusted Capital RAC und einem geeigneten Kapitalmarktzins i.

• Embedded Value (EV): Der Embedded Value wird ähnlich wie der reine Shareholder Value über ein DCF-Modell ermittelt, berücksichtigt aber neben zu erwartenden künftigen Gewinnen auch die Wertentwicklung des Eigenkapitals:

Wertorientierte Unternehmenssteuerung im Versicherungsunternehmen - Shareholder Value-Ansatz 54

Der Adjusted Net Asset Value (ANAV) errechnet sich als Summe aus dem Wert des Eigenkapitals, anteiligen Bewertungsreserven und etwaigen Zinsverlusten auf das gebundene Eigenkapital. Wird zum Embedded Value noch der Goodwill hinzugerechnet (GW; gemeint sind künftige Gewinne aus dem zu erwartenden Neugeschäft), ergibt sich der Appraisal Value (AV):

AV = EV + GW

Die früher verbreiteten Steuerungsgrößen Return on Equity (ROE) oder Return on Investment (ROI) finden in der praktischen Unternehmenssteuerung heutzutage eher selten Anwendung, da beide Größen keine Risikobereinigung vornehmen.
Alle genannten Steuerungsgrößen zeigen die für Shareholder-Value-Ansätze charakteristische Fokussierung auf die monetären Interessen der Anteilseigner und eignen sich damit in besonderer Weise zur wertorientierten Steuerung von Versicherungs-Aktiengesellschaften. Ein ganz grundsätzliches Problem ist dabei, dass die Versicherungsnehmer speziell in der Lebens- und Krankenversicherung an erwirtschafteten Überschüssen des Versicherungsunternehmens beteiligt werden müssen, was dem Shareholder Value-Prinzip ein Policyholder Value-Prinzip entgegenstellt.

Beispiel:
Seit dem 12. April 2008 wird von der Versicherungsaufsicht in der Lebensversicherung eine Mindestzuführung zur RfB gefordert, was cum grano salis darauf hinausläuft, dass ein Großteil der durch Risiko-, Kosten- und Zinsüberschüsse erwirtschafteten Rohüberschüsse an die Versichertengemeinschaft fließen muss (geregelt in der Mindestzuführungsverordnung, MindZV). Hintergrund ist die Überlegung, dass zum Beispiel die Zinsüberschüsse mit dem Kapital der Versichertengemeinschaft erwirtschaftet worden sind und daher auch primär der Versichertengemeinschaft zustehen. Niedrige Zuführungen zur RfB würden letztlich zu einem schlechten Preis-Leistungsverhältnis der angebotenen Produkte führen, was seinen Niederschlag in Testvergleichen (Produktratings) in den Medien findet und die Nachfrage nach diesen Produkten negativ beeinflusst.

Partizipiert der Träger eines Versicherungsunternehmens nur indirekt am betriebswirtschaftlichen Erfolg des Versicherungsunternehmens (Mitglieder eines VVaG), ist nicht unmittelbar ersichtlich, wie der Shareholder Value-Ansatz zur Steuerung sinnvoll eingesetzt werden kann. Insbesondere zeigen Versicherungsvereine eine stärkere Fokussierung auf Bedarfsdeckungsziele, was einer reinen Wertorientierung entgegensteht. Ähnlich sieht es in öffentlich-rechtlichen Versicherungsunternehmen aus, deren Träger nicht auf Gewinnerzielung und Wertsteigerung fixiert sind.

Andererseits sieht sich speziell der Versicherungsverein auf Gegenseitigkeit dem Grundproblem gegenüber, kein frisches Eigenkapital durch Ausgabe von Anteilspapieren generieren zu können und so in weiten Teilen auf die Selbstfinanzierung mittels Gewinnthesaurierung (Einbehaltung erwirtschafteter Gewinne und Überführung ins Eigenkapital) angewiesen zu sein. Hinzu kommt, dass die Mitglieder eines VVaG in ihrer Funktion als Versicherungsnehmer direkt am Unternehmenserfolg partizipieren und insofern auch an einer Ertrags- und Wertorientierung ihres Versicherers interessiert sind. Mithin kann dem Shareholder Value-Ansatz eine rechtsformübergreifende Bedeutung für die Unternehmensführung in Versicherungsunternehmen unterstellt werden.

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