Besonderheit 3: Gutachten nach dem Tod des Versicherten – Begutachtung im Krankenhaus
Der Tod des Versicherten befreit die Pflegeversicherung nicht von der Leistungspflicht für die letzten Monate vor dem Tod. Hintergrund ist die Überlegung, dass der Versicherte nicht durch allzu lange Wartezeiten benachteiligt werden darf. Das gilt selbstverständlich für die Zeit zwischen dem Besuch des Gutachters und der Erteilung des Bescheides, aber auch dann, wenn der Gutachter nicht mehr rechtzeitig vor Ort war. Gerade bei rasch verlaufenden Krankheiten reicht die Zeitspanne zwischen Beantragung einer Leistung und dem Besuch des Gutachters hin und wieder nicht aus, weil der Versicherte innerhalb von Wochen stirbt.
Damit hat sich der Antrag keineswegs erledigt. Er wird nun mangels Möglichkeit eines Hausbesuches wie unter Besonderheit 2 durchgeführt: per Aktenlage. So kann es durchaus geschehen, dass einige Monate nach dem Tod eines Versicherten ein Bescheid über eine Pflegestufe eintrifft. Grundsätzlich fließt das Pflegegeld der Erbmasse zu, bei ausstehenden Rechnungen eines Pflegedienstes übernimmt die Pflegeversicherung von sich aus die Zahlung. Als Hinterbliebener sollte man dann darauf achten, dass eventuell auf dem Wege der Vorleistung bezahlte Beträge vom Pflegedienst zurückerstattet werden. Dieses Geld unterliegt dann wiederum den Regularien des Erbrechtes.
Besonderheit 4: Begutachtung im Krankenhaus
Diese Sonderform gibt es nicht überall. Einige Dienststellen des MDK verzichten auf einen Besuch im Krankenhaus und fordern stattdessen von dort die Unterlagen an, um eine Begutachtung per Aktenlage vorzunehmen. Dennoch hat es Vorteile, den Versicherten persönlich zu sehen, weil der Hilfebedarf besser und genauer festgestellt werden kann. Andererseits kann der Gutachter keine Aussagen über die häusliche Situation machen, besonders dann nicht, wenn der Versicherte auf Grund einer akuten Krankheit nicht kommunizieren kann. Die Frage, welche Hilfsmittel vonnöten sind und wie viel Hilfebedarf durch die Verhältnisse zu Hause (etwa durch Treppen, enge Flure, WC auf der Zwischenetage usw.) zusätzlich besteht, muss dann ein anderes Mal geklärt werden.
Insgesamt gesehen bleiben Begutachtungen im Krankenhaus eher die Ausnahme, dies umso mehr, als die Verweilzeiten auch bei schweren Erkrankungen immer kürzer werden.
Zusätzlicher Betreuungsbetrag
Wir bereits mehrfach erwähnt, befasst sich das Pflegeversicherungsgesetz in erster Linie und beinahe ausschließlich mit dem Hilfebedarf bei körperlichen Erkrankungen und damit verbunden auch konkretem Hilfeeinsatz am Körper. Für die große Anzahl alter Menschen, die körperlich noch ziemlich fit sind, jedoch geistig auf Grund von Erkrankungen, wie etwa Alzheimer, Hilfeleistungen anderer Art benötigen, ist diese Ausrichtung gelegentlich fatal.
Geradezu klassisch ist der typische Alzheimer-Kranke, dem organisch nichts fehlt und der deshalb, getrieben durch seine zunehmende Verwirrtheit, aus der Wohnung wegläuft und ziellos durch den Ort marschiert auf der Suche nach einem Ziel, von dem er selbst nicht weiß, wo es liegen soll. Alle Aufwendungen und Anstrengungen im Hinblick auf die Betreuung, Beaufsichtigung und auch das Finden und Heimholen von geistig Verwirrten (Gutachter nennen die Betroffenen „dement“, die Symptome der verschiedenen zu Grunde liegenden Krankheiten „Demenz“) wurden im Pflegeversicherungsgesetz nicht berücksichtigt, spielten also keine Rolle bei der Bemessung der Pflegeminuten und damit der Pflegestufe.
Da die Gruppe der Betroffenen groß genug ist, um auf Dauer nicht übersehen werden zu können, wurde in diesem Bereich die erste größere Nachbesserung vorgenommen. Die Angehörigen schwer dementer Versicherter sollten zu einem Teil entlastet werden. Diese Entlastung betrifft wirklich nur die privaten Pflegepersonen, wird also nicht bei Sachleistung durch einen Pflegedienst ausgeschüttet. Es handelt sich um einen Geldbetrag von 460 Euro, der auch jährlich ausbezahlt wird. Bei Zuerkennung dieses zusätzlichen Betreuungsbetrages im laufenden Jahr wird anteilig geleistet. Sehr oft wird aber von der Versicherung der Nachweis verlangt, dass dieses Geld wirklich für den beabsichtigten Zweck verwendet wurde. Damit landet man dann doch meist bei einem Pflegedienst, der Bescheinigungen für die erbrachte Betreuungsleistung ausstellt.
Der Sinn des Ganzen liegt in der zeitweiligen Entlastung der Hilfsperson. Der ununterbrochene Umgang mit verwirrten Menschen führt recht schnell zu Verschleißerscheinungen. Durch die Betreuungsleistung sollen sich die betroffenen Hilfspersonen stundenweise einen Stellvertreter beschaffen können, um für sich selbst etwas zu tun und die angespannte Seele ausruhen zu lassen. Oftmals lassen Angehörige den verwirrten Versicherten Tage oder Wochen nicht allein, aus Angst, er könne „etwas anstellen“ oder einfach weglaufen. Fast immer eine berechtigte Angst. Abgesehen von dem Umstand, dass 460 Euro pro Jahr nicht übermäßig weit reichen, wenn ein professioneller Stellvertreter bezahlt werden muss, ist auch diese Leistung der Pflegeversicherung an Bedingungen geknüpft, die nicht leicht zu erfüllen sind. Mit anderen Worten: Ähnlich wie bei Pflegebedarf insgesamt kommt es vor, dass Versicherte bereits verwirrt genug sind, um Betreuungsaufwand zu benötigen, aber noch nicht genügend verwirrt, um in den Genuss des zusätzlichen Betreuungsaufwandes zu gelangen.
Der Gutachter prüft die Voraussetzungen während des Besuchs beim Versicherten. Dazu enthält sein Frageformular eine Tabelle. In dieser Tabelle werden 13 Fragen abgearbeitet. Es müssen mindestens zwei Fragen mit Ja beantwortet werden, damit die Voraussetzungen für den zusätzlichen Betreuungsbetrag erfüllt sind. Das scheint wenig zu sein, doch schauen wir zuerst einmal auf die Fragen:
1 Weglauftendenz (verlässt die Wohnung ohne sachlichen Grund und findet nicht zurück)
2 Verkennen oder Verursachen gefährdender Situationen (zum Beispiel über rote Ampel gehen)
3 Unsachgemäßer Umgang mit gefährlichen Gegenständen (zum Beispiel Herd ohne Topf anstellen und vergessen)
4 Aggressives Verhalten in Verkennung der Situation (zum Beispiel nach der Hilfsperson schlagen, aber auch beschimpfen)
5 In der Situation unangemessenes Verhalten (zum Beispiel ins Zimmer urinieren)
6 Unfähigkeit, die eigenen Gefühle und Bedürfnisse wahrzunehmen (zum Beispiel Schmerz oder Hunger)
7 Therapieresistente Depression oder Angst (nur bei Feststellung durch einen Arzt und nur, wenn dadurch die Zusammenarbeit mit der Hilfsperson verhindert wird)
8 Beeinträchtigung des Gedächtnisses, wodurch der Alltag gestört wird (Zum Beispiel wenn die Anweisung zum WC-Gang auf der Stelle wieder vergessen wird)
9 Störung des Tag-/Nachtrhythmus (am Tage schlafend, nachts wach und mobil)
10 Unfähigkeit, eigenständig den Tagesablauf zu planen (nicht zusammen mit Punkt 7 und/oder 8ankreuzbar)
11 Falsches Reagieren in Alltagssituationen (zum Beispiel Hilfsperson für einen Einbrecher halten)
12 Labiles oder unkontrolliert emotionales Verhalten (zum Beispiel plötzliche Weinkrämpfe)
13 Niedergeschlagenheit oder Hilflosigkeit auf Grund einer therapieresistenten Depression (zum Beispiel ständiges Jammern)
Anmerkung: Bei Depression ist der entscheidende Punkt „Therapieresistent“. Das bedeutet, dass erst einmal eine Therapie versucht werden musste.
Es müssen wie gesagt mindestens zwei dieser Fragen mit Ja beantwortet werden. Davon muss mindestens eine Frage die Punkte eins bis neun betreffen, was aber in aller Regel zutrifft.
Wichtig: Es kann sein, dass man den zusätzlichen Betreuungsbetrag ausdrücklich bei der Pflegeversicherung beantragen muss, obwohl der Gutachter die Voraussetzungen in seinem Gutachten ausdrücklich festgestellt hat.