Versicherungsverträge werden nach Ansicht von Professor Großmann nicht auf Grund von rationalen, rechenmäßigen Überlegungen abgeschlossen. Gefühle, Neigungen, Sympathien und Antipathien spielen hier eine große Rolle. Besonders ist der Beeinflussung durch die persönlichen Ausführungen des Versicherungsvertreters ein weiter Spielraum gesteckt. Letztlich trifft also der Vermittler die Versicherungsentscheidungen und nicht der Verbraucher. Der Vertreter ist und bleibt so die erste, einzige und meistens auch letzte Informationsquelle.
Und genau das ist das strategische Ziel der Unternehmen – so die Verbandszeitung Versicherungswirtschaft zur Rolle des Versicherungsvertreters: Zu seiner Aufgabe gehört es, erste Informationen über die Versicherungen zu vermitteln. Zusammen mit der Devise einer jeden Vertreterschulung Die Unterschrift muss beim ersten Besuch fallen (denken Sie art den Vertreter, der sich – vor versteckter Kamera – gleich beim ersten Besuch Anträge über 800 Euro Monatsbeitrag unterschreiben ließ), ergibt sich die fatale Gleichung: Nullwissen + erste und einzige Information durch einen Vertreter = Nullwissen.
Nur so lässt sich erklären, dass fast alle Bundesbürger miserabel versichert sind und obendrein noch jährlich zwischen zehn bis 20 Milliarden Euro verlieren, ohne dieses zu wissen! Und dass sie oft blind und lebenslänglich ihrem Versicherungsvermittler vertrauen, ohne zu erkennen, dass sie nur ein Abschlussopfer in der Strategie der großen und teuren Versicherungsgesellschaften sind. Nur wenige Versicherte werden – in der Regel viele Jahre nach dem Vertragsabschluss – von Unglücksfällen betroffen, die dann erst offenbaren, ob man damals richtig oder falsch versichert wurde. Für fast alle Invaliden, Witwen und Waisen kann man heute feststellen, dass ihr Vertrauen in den Vermittler nicht berechtigt war. Aber sie erkennen selbst dann nicht einmal die schlimmen Fehler ihrer Vertrauensleute; denn sie kennen selbst nach Jahren immer noch nicht die Alternativen, die sie für weniger Beitrag vor finanzieller Notbewahrt hätten.
Die Witwe bedankt sich sogar beim Vertreter, dass er ihrem Mann vor Jahren eine Kapital-Lebensversicherung über 30000 Euro angeboten und vermittelt hat, die jetzt bei seinem Tod fällig wird. Sie freut sich über die 30000 Euro und weiß nicht, dass der Vertreter oder Versicherungsfachmann die Familie skrupellos und allein aus Provisionsinteressen falsch versichert hat, dass er der Familie für einen Bruchteil der Kapitalversicherungsprämie eine Risikoversicherung mit 200000 Euro Versicherungssumme oder mehr hätte anbieten und empfehlen müssen. 30000 Euro sind bald verlebt. Mit 200000 oder 300000 Euro hätte die Witwe über lange Zeit etwas anfangen und die Ausbildung der Kinder finanzieren können.
Nur wegen dieser nie endenden Unwissenheit aller können sich etablierte und scheinbar seriöse Versicherungskaufleute noch heute die Unverfrorenheit erlauben, allen vorzugaukeln, sie könnten sich Fehler nicht leisten, weil sie doch mit den Kunden am Wohnort weiterhin ihr Geschäft betreiben müssten. Sie seien Berater wie etwa Ärzte, Rechtsanwälte und Steuerberater. Wie falsch und frech diese Behauptungen sind, hat der oben beschriebene Test mit einer versteckten Kamera gezeigt: Scheinbar seriöse Versicherungsfachleute der Allianz, Hamburg-Mannheimer, Aachener & Münchener, Volksfürsorge, R+V und Victoria, darunter Mitglieder im Bundesverband Deutscher Versicherungskaufleute, haben in jeweils mehr als zweistündigen Gesprächen aus purem Provisionsinteresse eine unversicherte junge Familie völlig am Bedarf vorbei beraten.
Wer – wie fast alle Kunden dieser Fachleute – bis in alle Ewigkeit unwissend ist, wird weder heute noch in Zukunft erfahren, was er oder sein Vertreter falsch gemacht haben. Unwissende beklagen sich nicht über Fehler, weil sie diese im Versicherungsbereich nicht erkennen können. Und wenn sie später tatsächlich einmal erfahren sollten, dass ihr Berater – ihr Vermittler, Freund oder Bekannter – sie falsch beraten hat, können sie diese Falschberatung nicht durch Zeugen beweisen, also auch keine Schadenersatzansprüche geltend machen. Über 500 Millionen Versicherungsverträge gibt es in unserem Lande, von denen die meisten nicht bedarfsgerecht und zu teuer sind. Sie wurden in der Regel über einen Versicherungsvermittler abgeschlossen – schätzungsweise zu etwa 80 Prozent bei Versicherungsvertretern, Nebenberufen oder Drückern (die sich Berater nennen und oft als gute Bekannte oder mit deren Empfehlung das Vertrauen des Opfers erschlichen haben).
Dabei schneidet der Versicherungsvertreter im Meinungsbild der Bevölkerung schlecht ab. Nach einer Untersuchung sind nur zwölf Prozent der Bundesbürger der Meinung, dass Versicherungsvertreter nichts verschweigen und auf eventuelle Nachteile beim Abschluss einer Versicherung aufmerksam machen. 80 Prozent der Bürger glauben, dass Vertreter falsche Auskünfte geben, einen Interessenten zum Abschluss drängen und sich nicht nach seinen speziellen Bedürfnissen richten. Alles in allem erscheint die Vermutung gerechtfertigt, dass die Bürger Versicherungsvermittlern misstrauen und sich nicht über einen Vertreter versichern möchten. Tatsächlich werden aber fast alle Versicherungsverträge über einen Vermittler abgeschlossen. Warum?
Zum einen sehen die Verbraucher keine andere Möglichkeit (schließlich versichern sich alle so). Wenn sie die alternative Möglichkeit der Versicherung über Direktversicherer kennen, erscheint ihnen das Informieren und Ausfüllen von Versicherungsanträgen zu kompliziert. Dabei unterschätzen sie die Bedeutung von Versicherung. Mit der Entscheidung über einen Autokauf oder eine Urlaubsreise und entsprechenden Prospekten beschäftigen sich Familien oft wochenlang. Bei der folgenschweren Entscheidung über die private Absicherung, bei Entscheidungen über das lebenslängliche Wohlergehen einer ganzen Familie, gibt es diese Informationslust nicht.
Ein großer Teil der Bürger unterschreibt einen Vertrag, ohne dass der Einzelne gefragt und Antworten erhalten hat auf die Frage, welchen Versicherungsschutz er eigentlich braucht und wie er diesen zu günstigsten Konditionen erhält. Er lässt den Vertreter diese Entscheidung mit erheblichen finanziellen Konsequenzen treffen. Erst Jahre später zeigt sich das Resultat. Der Versicherte hat dann oft durch eine falsche Versicherung Tausende von Euro verloren oder – was noch viel schlimmer ist – er oder die Hinterbliebenen sind trotz hoher Prämien im Ernstfall miserabel versorgt.
Phänomen im Verhalten der Vermittler: Sie versichern ihre Kunden und Bekannten bewusst nicht bedarfsgerecht
Vermittler wissen – bis auf einige ganz Dumme dass sie ihre Kunden falsch informieren und nicht bedarfsgerecht versichern. Auch hier stellt sich die Frage nach dem Warum?
Die teuren Versicherungsunternehmen kennen natürlich die Skrupel eines jeden. Menschen – sogar Freunde und Bekannte – über den Tisch zu ziehen. Diese Skrupel werden Versicherungsvermittlern durch hohe Provisionen abgekauft, die die großen Aktiengesellschaften für den Abschluss von nicht bedarfsgerechten und zu teuren Versicherungen zahlen. Und dann wird den Vermittlern in Schulungen auch noch beigebracht, dass sie nichts befürchten müssen, falls sie beim Verkaufsabschluss Fehler gemacht haben – so der Bericht eines Praktikanten bei einem Versicherungsunternehmen.
Dabei wissen alle Vermittler auch noch, dass ihre Fehler fast nie oder erst nach Jahren erkennbar werden und dann auf jeden Fall nicht nachweisbar sind. So fällt es Versicherungsvermittlern leicht, ihre Kunden dahingehend zu beeinflussen, ihre Unterschrift unter Anträge für nicht bedarfsgerechte und zu teure Verträge zu setzen.